(Zu wenig) Bewegung bei der Verfolgung von „Cum-Ex“-Steuerbetrug
In Dänemark tut sich etwas bei der juristischen Aufarbeitung des „Cum-Ex“-Skandals. Wie das Handelsblatt berichtete, soll der britische Investmentbanker Sanjay Shah wegen Steuerbetrug vor Gericht gestellt werden. Der dänische Generalstaatsanwalt für schwere Wirtschaftsverbrechen und internationale Kriminalität wirft ihm vor, den dänischen Staat zwischen 2012 und 2015 um 1,5 Milliarden Euro Steuergelder betrogen zu haben. Insgesamt werden ihm und einen zweiten Angeklagten 3000 Einzeltaten zur Last gelegt. Da es sich laut Staatsanwaltschaft um „äußerst schwere und außerordentlich umfangreiche Verbrechen gegen den dänischen Staat“ (Handelsblatt vom 7. Januar 2021) handele, müssten die Angeklagten mit einer Höchststrafe von bis zu zwölf Jahren Haft rechnen. Allerdings ist es sehr fraglich, ob sie im Falle einer Verurteilung tatsächlich ins Gefängnis kommen. Shah hat sich nach Dubai abgesetzt; der andere Beschuldigte hält sich derzeit wohl in Großbritannien auf.
Beraten ließ sich der Banker Shah nach eigenen Angaben von international bekannten Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsunternehmen. „So gesehen“, resümiert das Handelsblatt, „ist Shah in guter Gesellschaft. Viele der hellsten Köpfe des internationalen Steuerrechts halfen beim Griff in die Staatskassen – und fast alle Banken“.
Offensichtlich stehen auch deutsche Behörden bei der Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals vor einem Erfolg. Denn der Insolvenzverwalter der 2008 im Zuge der Finanzkrise in den Konkurs geratenen US-Investmentbank Lehman Brothers hat sich laut Handelsblatt grundsätzlich bereit erklärt, einen Großteil der Profite zurückzuzahlen, die das Geldhaus mit „Cum-Ex“-Geschäften erzielt hatte (Handelsblatt vom 5. Januar 2021). Wie das Blatt schreibt, stehe die Staatsanwaltschaft Köln kurz vor einem Deal mit der ehemaligen US-Investmentbank. Fast 50 Millionen Euro könnten so in die Staatskasse zurückfließen – einer der höchsten Beträge, die je eine Bank wegen ihrer Beteiligung an „Cum-Ex“-Geschäften an den Staat gezahlt hätte.
Die beiden Journalisten des Handelsblattes schreiben weiter:
„Lehman strich für die Deals üppige Provisionen von den Geschäftspartnern ein. Die ‚German Trades‘, wie sie bankintern genannt wurden, waren äußerst lukrativ. Vor allem in den Jahren 2007 und 2008 war die britische Einheit der US-Investmentbank auf der Seite der Leerverkäufer einer der wichtigsten Akteure in den Cum-Ex-Geschäften. Ihr Anteil an der Beute aus dem Staatssäckel soll nach Recherchen des Handelsblatts mehr als 100 Millionen Euro schwer gewesen sein. (…) Das Kapitel Cum-Ex will der Lehman-Insolvenzverwalter zumindest finanziell abschließen. Noch ungeklärt ist, was die finanzielle Einigung mit Lehman Brothers für die strafrechtliche Aufarbeitung des Falls bedeutet.“
Für die Behörde, so schreibt das Blatt, sei der Zwischenerfolg jedoch nur ein Mosaikstein in einem riesigen Puzzle. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittle gegen etwa 70 Finanzinstitute und mehr als 900 Beschuldigte. Hinzu kämen die Ermittlungen und Anklagen der Behörden in Frankfurt, München, Wiesbaden und Bonn: „Auf den Listen der Staatsanwälte finden sich Investmentbanker, Bankvorstände, Steueranwälte und Wirtschaftsprüfer, insgesamt sind es rund 1.000 Verdächtige.“
Die Tageszeitung junge Welt bleibt allerdings skeptisch und fasst die Auswirkungen des „Cum-Ex“-Komplexes wie folgt zusammen:
„Insgesamt wurde durch den großen Steuerdiebstahl allein der deutsche Fiskus um mindestens 32 Milliarden Euro geprellt. Wieviel davon sich der Staat letztlich wieder holt, ist ungewiss. Bislang wurde nur ein Bruchteil zurückgefordert. Die juristische Aufarbeitung läuft schleppend. In NRW, wo die meisten Fälle angesiedelt sind, stehen 50 Ermittler mittlerweile rund 900 Beschuldigten und ihren Heerscharen von Anwälten gegenüber. Viele Fälle werden bis zur Verjährung liegenbleiben oder mit außergerichtlichen Deals enden. Die Politik steuert nur zögerlich nach: Weiterhin sind die Gerichte und Staatsanwaltschaften hoffnungslos überlastet, weil an allen Ecken und Enden Personal fehlt. Weiterhin geben Bundes- und Landesbehörden wichtige Informationen nicht an die Ermittler weiter. Und weiterhin bestehen nach Experteneinschätzung Gesetzeslücken, die Cum-Ex-ähnliche Geschäfte möglich machen.“
In einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche kritisiert auch Gerhard Schick, ehemaliger Grünen-Bundestagsabgeordneter und Vorstand von Finanzwende e.V., das offenbar fehlende Interesse der Politik an einer konsequenten Verfolgung der kriminellen „Cum-Ex“-Geschäfte. So führten etwa NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Jens Spahn in ihrem Anfang Januar vorgelegten „Zehn-Punkte-Plan“ für Deutschland die Forderung nach „Null Toleranz gegen Kriminalität“ an. Neben den Delikten Kindesmissbrauch und Clankriminalität fehle allerdings ein großes Problemfeld: die Finanzkriminalität. Schick schreibt in der Wirtschaftswoche: „Auch Armin Laschet müsste als Ministerpräsident von NRW davon gehört haben, dass fast 1.000 Beschuldigte wegen Cum-Ex im Fokus der Staatsanwaltschaft Köln stehen. Was muss in Deutschland, so fragt man sich nach dem Fall Wirecard, eigentlich noch passieren, damit auch Finanzkriminalität endlich Erwähnung findet? Halten Laschet und Spahn das alles für Kavaliersdelikte? Oder ist für die Formulierung politischer Ziele die mediale Aufmerksamkeit doch das einzig Relevante? Denn da bieten ausländische Clans sicher mehr als weiße Männer in Anzügen.“ (Wirtschaftswoche Online vom 14. Januar 2021)
So blieben nach Schick bei der Verfolgung der illegalen Geschäfte, die der organisierten Kriminalität zuzuordnen seien, die zuständigen Ermittlungsstellen unterbesetzt. Bei den Staatsanwaltschaften etwa fehle es an Personal für die Bearbeitung der komplexen Fälle. In den Jahren nach 2013 hätte zunächst nur eine einzige Staatsanwältin in NRW an den Fällen gearbeitet; erst öffentlicher Druck habe den dortigen Justizminister dazu gebracht, die Zahl der Staatsanwälte auf 15 aufzustocken. Inzwischen seien von Innenminister Reul bis zu 40 zusätzliche Stellen angekündigt worden. Doch Finanzminister Lienenkämper blockiere noch. „Ministerpräsident Laschet“, so Schick, „hat es bei diesem Querschnittsthema versäumt, die Zügel in die Hand zu nehmen und rechtzeitig die Behörden zu stärken. Bis heute kann auch von einer effektiven Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden in seinem Bundesland nicht die Rede sein.“
Quellen:
Sönke Iwersen: „Historische Anklage in Dänemark: Banker soll wegen Milliarden-Steuerbetrugs vor Gericht“, Handelsblatt Online vom 7. Januar 2021
Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Skandalbank Lehman Brothers will einen Großteil ihrer Cum-Ex-Profite zurückzahlen“, Handelsblatt Online vom 5. Januar 2021
„Cum-Ex: Zwei britische Banker in Dänemark angeklagt“, Wirtschaftswoche Online vom 7. Januar 2021
https://www.wiwo.de/steuerskandal-cum-ex-zwei-britische-banker-in-daenemark-angeklagt/26777292.html
Steffen Stierle: „Trickser blechen“, junge Welt vom 11. Januar 2021
https://www.jungewelt.de/artikel/print.php?id=394051
Gerhard Schick: „Laschet und Spahn: Kulant bei Finanzkriminalität“, Wirtschaftswoche Online vom 14. Januar 2021