Desaster der Privatisierung

 Zum Trauerspiel um die Privatisierung der Deutschen Bahn und deren destruktive Folgen ist schon viel geschrieben worden. Und es dürfte mehr als wahrscheinlich sein, dass die Bundesregierung die kürzlich beschlossene gigantomanische Neuverschuldung demnächst zum Anlass für eine neue Privatisierungswelle nimmt. Dies würde die bereits arg gerupfte verkehrstechnische Infrastruktur der Bundesrepublik ganz sicher noch weiter beschädigen. Insofern sollte man das kürzlich erschienene Buch „Schaden in der Oberleitung“ des Journalisten und ausgewiesenen Bahnspezialisten Arno Luik unbedingt zur Kenntnis nehmen.

Luik beginnt sein Buch mit einer Beschreibung des milliardenträchtigen, dafür aber verkehrstechnisch völlig unsinnigen Umbaus des Stuttgarter Hauptbahnhofs – für den Autor ein Symbol der in unserer Gegenwart fortschreitenden Zerstörung der Bahn. Der Protest breiter Bevölkerungskreise ging damals durch alle Medien und beförderte sogar einen Wechsel der Landesregierung. Bewirken tat dies freilich gar nichts – die Weichen waren längst in eine andere Richtung gestellt. Nachdem der Protest wieder aus den Medien verschwunden war, wurde das Projekt dann entgegen jeder Logik weiter umgesetzt.

Das angekündigte Desaster um „Stuttgart 21“ ist für den Autor jedoch nur der Aufhänger für eine Generalabrechnung mit der Bahnprivatisierung insgesamt. Aus einer angeblich ineffizienten, insgesamt aber funktionierenden staatseigenen Behörde wurde binnen weniger Jahrzehnte ein undurchschaubares Geflecht formell eigenständiger Firmen. Diese sind zwar mehrheitlich immer noch zu 100 Prozent im Staatsbesitz und werden vom Finanzministerium reichlich subventioniert. Ihr Management gehorcht jedoch einer eigenen, von betriebswirtschaftlichen Interessen diktierten Logik. Und diese ist mit den Interessen der Bahnnutzer meist nicht kompatibel. Erwirtschafteter Gewinn versickert in den Tiefen undurchsichtiger Projekte und in den Taschen führender Mitarbeiter – für Verluste muss immer der Steuerzahler aufkommen.

Luik zitiert reihenweise Ingenieure und andere langjährige Bahnmitarbeiter, die permanent auf gravierende Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen sowie gegen elementare Regeln der Technik hinweisen und deren Kassandrarufe vom Management zumeist nicht zur Kenntnis genommen werden. Das Buch erinnert auch an die Stilllegung zahlreicher vermeintlich „unrentabler“ Strecken sowie an Außerbetriebnahme und Verkauf zahlreicher Bahnhofsgebäude. Tatsächlich lief die Verkehrspolitik der letzten Jahre wohl hauptsächlich auf eine Förderung der großen Autokonzerne zuungunsten der Eisenbahn hinaus. Und der Steuerzahler, aus dessen Taschen die Umgestaltung der Bahn finanziert wurde, bezahlte letztlich dafür, dass Bahnfahren immer teurer, immer schlechter, immer umweltzerstörender und auch – wegen aus Kostengründen aufgeweichter Sicherheitsbestimmungen – immer lebensgefährlicher wurde. Und außerdem dafür, dass sich Immobilienspekulanten und ähnliche Figuren an der Verschleuderung bisher bahneigener Grundstücke und Gebäude eine goldene Nase verdienen konnten.

Der Autor nennt diese Entwicklung einen „großen Eisenbahnraub“, watscht gnadenlos alle seit 1990 amtierenden Bahnchefs und Verkehrsminister ab, die an selbigem beteiligt waren. Luik zitiert zahlreiche zu Beginn der Bahnprivatisierung verkündete „Visionen“, vergleicht sie mit den tatsächlichen Resultaten der Privatisierungspolitik und stellt die angeblichen Visionäre als genau die unfähigen und inkompetenten „Macher“ dar, die sie tatsächlich auch sind. Wobei sie zwar einen katastrophalen, aber auch noch gut bezahlten Job machten. Im Buch wird die durchweg miserable Bezahlung der Bahnmitarbeiter dokumentiert und mit den millionenschweren Boni und Abfindungen des höheren Managements verglichen.

Gegen Ende des Buches fordert der Autor dann ganz offen, die aus seiner Sicht völlig verrückte Verkehrspolitik der letzten 30 Jahre wieder zurückzudrehen.

Dass die genannte Verrücktheit, die hier nicht bestritten werden soll, in eine ebenso verrückte Systemlogik eingebettet ist, schreibt der Autor leider nicht. Daher abschließend ein persönlicher Kommentar des Rezensenten. Wenn sich jemand in einem späteren Jahrhundert einmal daranmachen sollte, die Geschichte unserer kapitalistischen Gesellschaft aufzuschreiben, so wird deren Anfang vermutlich wie folgt lauten: „Damit der Kapitalismus überhaupt funktionieren konnte, zwangen dessen Macher anfangs die Bevölkerung, unter gewaltigen Anstrengungen eine gigantische Infrastruktur aus dem Boden zu stampfen. Und dann fraßen eben diese Macher diese Infrastruktur aus nicht zu stillender Geldgier wieder auf.“

Arno Luik: Schaden in der Oberleitung. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn

Westend Verlag, Frankfurt am Main 2019
293 Seiten, 20,00 Euro
ISBN 978-3-86489-267-7

Kampf um die Beute. Eine Theorie der Bandenherrschaft

„Die Grundform der Herrschaft ist das Racket“, schrieb Max Horkheimer um 1939/40 in einem Textentwurf zur „Dialektik der Aufklärung“. Er entlehnte diesen Begriff der US-amerikanischen Soziologie und bezeichnete damit rivalisierende hierarchisch organisierte Gruppen, die ihren Mitgliedern Schutz nach innen bieten, zugleich aber bedingungslose Loyalität von ihnen fordern. Synonyme sind Clique, Bande oder Gang. Horkheimer und seine Kollegen vom exilierten Institut für Sozialforschung gingen davon aus, dass sich mit dem Ende der liberalistischen Phase des Kapitalismus ein zunehmender ökonomischer Monopolisierungsprozess auf Kosten der Konkurrenz auf dem freien Markt durchgesetzt hatte. Die Sphäre der Zirkulation als Fundament bürgerlicher Demokratie büßte demnach an Bedeutung ein und die Instanzen der Vermittlung (z.B. das Recht) wurden durch Formen unmittelbarer Herrschaft ersetzt.

Gemäß dieser Prämisse verdrängten informelle und gewaltförmig-mafiotische Strukturen mehr und mehr die rechtsstaatlichen Mechanismen und setzten sich in jeder Pore des gesellschaftlichen Lebens fest. Die ganze Gesellschaft, so fasst Thorsten Fuchshuber Horkheimers Überlegungen zusammen, erweise sich sowohl historisch wie auch in der Gegenwart als durch die Gewalt der Rackets bestimmt (vgl. Seite 16).

Dieser universelle, zeitenthobene Ansatz erschließt sich aber heute – mehr als 80 Jahre später – nicht mehr vorbehaltlos. Denn das Besondere unterschiedlicher Formen von Herrschaft geht verloren, wenn sie allesamt unter der Bezeichnung des Rackets subsumiert werden und damit die begriffliche Schärfe schwindet. Andererseits jedoch bietet sich gerade die Offenheit des Racket-Begriffs für zeitgenössische Diagnosen von informeller und autoritärer Herrschaft an.

Fuchshuber bietet deshalb zunächst eine theoriegeschichtliche Einordnung der letztlich Fragment gebliebenen Racket-Theorie, um sie innerhalb des politischen und gesellschaftlichen Kontextes der 1930er Jahre darzustellen, in dem sie entstanden ist. Darauf aufbauend beschreibt der Autor die Verschränkung der Racket-Theorie mit Horkheimers Kritik der politischen Ökonomie, damit die Rackets als ein gesellschaftliches Strukturprinzip (zumindest in Deutschland) und nicht etwa als „eine Macht jenseits des Systems“ (Horkheimer) begreifbar werden. Als ein wesentliches Element der Theorie erläutert Fuchshuber die Subjektkonstitution der „sozial atomisierten Individuen“, die sich den Rackets unterwerfen müssen – als Preis für Protektion und Anteil der „Beute“.

Die unter Konformitätszwang stehenden und „sich so angleichenden atomisierten Einzelnen haben nichts mehr, was sie voneinander trennt und die ‚neue Weise von Unmittelbarkeit‘ (Horkheimer) bedeutet auch Identitätszwang und Hass auf alles Nichtidentische“. (Seite 386) Letzterer erweist sich als funktional, denn die miteinander konkurrierenden Rackets, die im Grunde keine übergeordnete Macht mehr anerkennen, können nur mittels Bestimmung eines gemeinsamen totalen Feindes befriedet werden. Darum erhält der Antisemitismus in diesem Kontext eine zentrale Bedeutung. Dass es in Deutschland zu einem Vernichtungsantisemitismus kommen konnte, deutet die Racket-Theorie als Folge des „im Nationalsozialismus radikalisierte(n) Modus von Inklusion und Exklusion als der jede Racketgesellschaft strukturierendes Moment“ (Seite 594).

Argumente für die Aktualität der Racket-Theorie, also des „Racket(s) als zeitgenössischer Form des Politischen“ (Seite 548), entwickelt der Autor gegen Ende der umfangreichen Studie unter der Überschrift „Staatszerfall, ‚Warlordisierung‘ und Autoritarismus“ – beispielhaft dargestellt anhand der Erosion des staatlichen Gewaltmonopols in Somalia und des autokratischen Herrschaftsstils in Russland („System Putin“). Dabei wird deutlich, dass sich das Auftreten von Rackets nicht nur als Folge eines Staatszerfalls wie am Horn von Afrika erklären lässt. Der Präsident der Russischen Förderation beispielsweise versteht sich als Stabilisator eines Riesenreiches. „Ist Putin also ein Anti-Racketeer“?, fragt Fuchshuber (Seite 551). Er verneint und stellt fest, dass sich Putin lediglich als „Meister an die Spitze der konkurrierenden Rackets“ (Seite 556) gestellt habe und sie keineswegs zerstören wolle. Der russische Präsident fungiere insofern als Vermittler der als Rackets strukturierten Machtfraktionen, wie Fuchshuber bereits in einem Artikel der Jungle World feststellte (vom 19. Januar 2017).

Publikationen aus den letzten Jahren bestätigen die zunehmende Bedeutung der Bildung von „Banden“ als ein die gegenwärtige Gesellschaft strukturierendes Prinzip, auch wenn nicht immer auf die Racket-Theorie und ihre Urheber direkt Bezug genommen wird. Der 2017 verstorbene Publizist Jürgen Roth beschrieb in seinem im selben Jahr veröffentlichten Buch „Die neuen Paten“, wie sich aus dem KGB und dem sowjetischen Staatsapparat hervorgegangene mafiöse kriminelle Vereinigungen in den höchsten Positionen wirtschaftlicher und politischer Macht etablieren konnten. Der Politologe Kai Lindemann interpretierte 2014 in den Blättern für deutsche und internationale Politik den Finanzkapitalismus als „Beutesystem“, dessen Gestalt durch eine Vielzahl informeller Verbindungen zwischen Rackets und ihrer intensiven Verflechtung mit staatlichen und wirtschaftlichen, legalen und illegalen Strukturen bedingt sei (Blätter, 9/2014, Seite 87f.).

BIG-Redakteur Gerd Bedszent verwies in seinem ebenfalls 2014 erschienenen Buch „Zusammenbruch der Peripherie“ darauf, dass in den Zusammenbruchsterritorien des globalen Südens an die Stelle staatlicher Souveränität ein länderübergreifendes „Geflecht informeller Netzwerke“ tritt, an die Stelle „repressiver Gesetzgebung und deren brutaler Durchsetzung ein durch nichts legitimiertes Faustrecht“ („Zusammenbruch der Peripherie“, Seite 32). Ein Aufgreifen der Racket-Theorie würde man sich auch von der Zunft der Wirtschaftskriminologen wünschen. So ist die Existenz der Korruptionsforschung zwar bereits ein Beleg für die Bedeutung von Rackets im Neoliberalismus. Die Disziplin blendet in ihrer Praxis jedoch weitgehend die gesellschaftlichen Grundlagen der Korruption aus.

Die auf über 670 Seiten ausgebreitete akribische Rekonstruktion der Racket-Theorie aus Texten, die zum Teil in den Gesammelten Schriften Horkheimers erschienen sind, aber auch einigen bisher unveröffentlichten und im Max-Horkheimer-Archiv erhaltenen Quellen, erscheint erfreulicherweise zu einer Zeit, in der ein steigendes Interesse am Nachdenken über informelle Herrschaftsformen festzustellen ist.

Thorsten Fuchshuber: Rackets. Kritische Theorie der Bandenherrschaft
ça ira-Verlag, Freiburg/Wien, 2019,
672 Seiten, 29 Euro,
ISBN 978-3-86259-145-9

 

Die permanente Angst

Aus den Fabriken des Todes: Mordechai Striglers “Werk C” liegt in deutscher Übersetzung vor

Das Buch “Werk C” ist das dritte von insgesamt vier Büchern des Journalisten Mordechai Strigler (1918–1998). Dieser überlebte im besetzten Polen und in Deutschland insgesamt zwölf Ghettos und Konzentrationslager, darunter das Vernichtungslager Majdanek. Mehrere seiner Verwandten wurden umgebracht. Im April 1945 in Buchenwald befreit, sagte er vor einem Untersuchungsausschuss der US-Armee zu den Verbrechen der Nazis aus. In den Folgejahren legte Strigler, der nach dem Krieg in Paris und ab 1952 in New York lebte, seine Erinnerungen schriftlich nieder. Das Ergebnis ist die Tetralogie “Verloschene Lichter”, die ursprünglich in jiddischer Sprache erschien und derzeit vom Verlag zu Klampen erstmals in deutscher Übersetzung herausgebracht wird. Die beiden ersten Bände “Majdanek” und “In den Fabriken des Todes” erschienen 2016 und 2017 (siehe jW vom 21. August 2017). Der die Reihe abschließende vierte Band ist noch in Arbeit.

Beim titelgebenden “Werk C” handelte es sich um eine von einem Leipziger Unternehmen, der Hugo-Schneider-Aktiengesellschaft (HASAG), betriebene Munitionsfabrik im besetzten Polen. In dieser mussten überwiegend jüdische Häftlinge des Arbeitslagers Skarzysko-Kamienna Granaten und Seeminen für die Wehrmacht herstellen. Strigler hatte im zweiten Band seine Ankunft und die ersten Wochen im Lager geschildert. In der jetzt vorliegenden Fortsetzung beschreibt er die Fabrik als “großes Rad des wahnsinnigen Todes, das Menschen hineinzieht und ihnen das Blut aussaugt”.

Der Autor liefert in seinen Büchern keine Beschreibung von Widerstandsaktionen, sondern thematisiert das Grauen des Arbeits- und Lageralltags, wie ihn die Mehrzahl der jüdischen Häftlinge erlebte. Dieser Alltag bestand vor allem aus Hunger, dem täglichen Kampf um einen Napf Suppe und einen Kanten Brot, aus extrem gesundheitsschädigender Schwerstarbeit, aus Schlägen samt Schikanen von Seiten des Aufsichtspersonals und privilegierter Häftlinge der Lagerverwaltung. Und aus der permanenten Angst, krank zu werden und zu schwach für die Arbeit. Denn dann wurde man entweder vom Werkschutz in den umliegenden Wäldern erschossen oder aber auf “Transport” zurück in eines der Vernichtungslager geschickt. Bei der mit höchstem Tempo zu leistenden Arbeit kam es oft zu Unfällen; nicht wenige Häftlinge wurden in den Fabrikhallen von explodierenden Granaten zerrissen. Tausende überlebten die Arbeit in der Fabrik nicht.

Der übergroße Teil der bekannten Erinnerungsliteratur von Shoa-Überlebenden wurde von jüdischen Häftlingen geschrieben, die in ihren Heimatländern als “assimiliert” galten und es häufig geschafft hatten, in irgendeiner Funktion der Lagerverwaltung das Grauen der Massenvernichtung und des mörderischen Lageralltags zu überleben. Aus Angehörigen dieser Minderheit rekrutierten sich auch die sozialistisch oder zionistisch geprägten Widerstandsgruppen, die den Vernichtungsaktionen der Nazis stellenweise erbitterten Widerstand entgegensetzten und von denen einige im Untergrund überlebten. Strigler, der sein Überleben wohl ebenfalls dem Aufstieg in den Kreis der “Funktionshäftlinge” verdankt, schreibt hingegen aus der Sicht der religiös geprägten und gänzlich unpolitischen Mehrheit der jüdischen Bevölkerung Polens, die den größten Anteil der in den Lagern Ermordeten ausmachte.

Die Lektüre der Bände Striglers ist in weiten Teilen verstörend und schwer erträglich. Der Autor thematisiert ohne Verklausulierung die Beteiligung von baltischen und ukrainischen “Hilfskräften” der SS an den Massenmorden und die duldende Mittäterschaft polnischer Antisemiten, die sich den Besatzern andienten. Existierte denn, wie der Herausgeber im Vorwort fragt, in dieser Welt des Grauens gar keine Solidarität der Opfer des Naziregimes untereinander? Doch, so etwas gab es. Um darauf zu stoßen, muss man das Buch aber sehr genau lesen.

Strigler porträtiert beispielsweise einen polnischen Arbeiter, der sich nicht an Schikanen und der Ausplünderung der Häftlinge beteiligt, ihnen sogar hin und wieder etwas zu essen zusteckt. Seine Einweisung des neu in der Werkhalle angekommenen Häftlings liest sich fast wie eine Anleitung zur Sabotage: “Mich stört es wenig, wenn die Granate an der Front nicht explodiert (…) Lass uns hoffen, dass es tatsächlich wirkt und ein paar Menschen am Leben bleiben.” An einer anderen Stelle beginnen weibliche Häftlinge plötzlich Lieder der jüdischen Arbeiterbewegung zu singen. Gegen Ende des Buches schildert der Autor zaghafte Versuche einer Selbstorganisation der Häftlinge. So wird ein hochschwangeres Mädchen abgeschirmt, um sie und ihr Kind zu retten.

Dem letzten Band der Tetralogie kann man mit Interesse entgegensehen. Für das sehr informative Vorwort des jüngsten Bandes und die zahlreichen erläuternden Fußnoten sei Herausgeber Frank Beer und dem Verlag zu Klampen ausdrücklich gedankt.

Mordechai Strigler (Hrsg. Frank Beer): Werk C. Ein Zeitzeugenbericht aus den Fabriken des Todes. Übersetzung: Sigrid Beisel. Verlag zu Klampen, Springe 2019, 453 Seiten, 32 Euro

Die Rezension erschien in der vorliegenden Form bereits am 09. Dezember 2019 in der Tageszeitung „junge Welt“ (www.jungewelt.de) auf der Seite „Politisches Buch“. Die beiden ersten Bände von Mordechai Strigler „Majdanek“ und „In den Fabriken des Todes“ wurden in der Ausgabe 4/2017 von BIG Business Crime ausführlich rezensiert.

Der Gott des Geldes

 

Eine junge Frau wird beschuldigt, durch Hochverrat einen mehrere Tage andauernden wirtschaftlichen Zusammenbruch mitverschuldet zu haben. In dieser Zeit herrschte in Deutschland das nackte Chaos, über hundert Menschen starben, hunderte wurden verletzt. Es entstand ein Schaden in Milliardenhöhe. Die junge Frau beteuert ihre Unschuld. Ist sie unschuldig?

In der den Großteil des hier rezensierten Buches umfassenden Rückblende kann der Leser die Beschuldigte als zunächst arglose und nichtsahnende Bankkundin erleben, bevor ein Wirrwarr unvermittelt hereinbrechender Abenteuer sie aus der Bahn wirft. Ereignisse, in die, wie sich herausstellt, auch höhere Bankmitarbeiter und Polizeibeamte verstrickt sind. Auf eine fehlerhafte Geldabhebung folgt ein Kidnapping, auf dieses folgen dann irrwitzige Verfolgungsjagden durch eine im Chaos versinkende Stadt. Denn bei der einen fehlerhaften Abhebung war es nicht geblieben. Zuerst brach eine Bank zusammen, dann eine zweite und schließlich schaffte ein geheimnisvoller Unbekannter den Einbruch ins Allerheiligste: die Zentrale der Bundesbank. Währenddessen sitzt die vermeintliche Mittäterin in Beugehaft und überlegt verzweifelt, wie sie ihrem Sohn seine lebenswichtigen Medikation zukommen lassen kann.

Ist der Zusammenbruch des deutschen Finanzwesens nun das Werk hinterlistiger russischen Hacker? Oder stecken ganz andere Personen hinter dem Bankencrash? Eine Erpressung? Aber warum gibt es dann keine Forderung? Der Einzige, der darüber Auskunft geben könnte, ist und bleibt verschwunden.
Als Folge des Crashs müssen sich große Teile der Bevölkerung jedenfalls ernsthaft überlegen, wie man ohne Bargeld in einer immer brutaler agierenden Gesellschaft klarkommt. Unbesoldete Polizisten weigern sich nämlich, ihren Dienst weiter zu versehen. Polizei- und Militärführung streiten sich über Kompetenzen, während die Preise für Sachwerte ins Unermessliche steigen und aufgebrachte Demonstranten die Kanzlerin mit Steinen bewerfen…

Dass der Autor Gerhart J. Rekel mit seinem Thriller etwas drastisch an die mittlerweile fast vollständig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwundene Finanzkrise des Jahres 2008 erinnert, macht ihn sympathisch. Und dass Finanzhaie im Verlaufe seines Romans nicht gerade als Sympathieträger herüberkommen, ebenfalls. Rekel hat allerdings noch nicht so richtig mitbekommen, dass derzeit ganz andere Leute die deutsche Kanzlerin mit Wurfgeschossen bombardieren wollen. Als Österreicher mag man ihm das jedoch nachsehen.

Aber ob, wie der Autor im Verlauf der Romanhandlung suggeriert, einfach nur ein heftiger Schreckschuss genügen würde, damit irgendwelche ominösen Verantwortlichen zur Vernunft kommen und nun endlich das weltweit verschachtelte Banken- und Finanzsystem reformieren, sollte man doch eher bezweifeln. Schließlich ist nach der Krise immer gleichzeitig vor der nächsten Krise. So war es stets und so wird es bleiben. Jedenfalls solange, wie wir Kapitalismus haben.

Gerhard J. Rekel: Der Gott des Geldes, Roman, Verlag Wortreich, 2018,
ISBN 978-3-903091, 275 Seiten, 14,90 Euro

Gerd Bedszent lebt und arbeitet als freier Autor in Berlin.

 

Gerd Bedszent über Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure

Werner Rügemer beschäftigt sich in seinem neuen Buch nicht primär mit Arbeitsunrecht. Und das Thema Wirtschaftskriminalität spielt darin auch nur eine untergeordnete Rolle. Rügemer liefert vielmehr eine Analyse der als Folge der Bankenkrise von 2007 begonnenen Orientierung kapitalistischer Großunternehmen weg von traditionellen Banken hin zu neuen Kapitalorganisationen.

Den Schwerpunkt des Buches bildet eine Analyse der Geschäftsmodelle von Kapitalriesen vom Schlage des Finanzgiganten BlackRock. Rügemer charakterisiert dieses und ähnliche Unternehmen als eine Art Superhirne des Großkapitals: Unternehmens- und Bankenvorstände, Versicherungen, Milliardärserben und Stiftungen würden gegen Zahlung vergleichsweise geringer Gebühren ihr Vermögen BlackRock und anderen Finanzakteuren anvertrauen und dabei immer reicher werden.

Wie Rügermer meint, sind Steuerhinterziehung durch systematische Nutzung von Finanzoasen sowie Insidergeschäfte bei diesem Unternehmensmodell mittlerweile eher die Regel als Ausnahme, verhängte Strafen würden aus der Portokasse beglichen. Diese neuen Großunternehmen hätten einen wesentlichen Anteil an der Entmachtung der Gewerkschaften, den innerhalb der letzten Jahrzehnte in Gesetzesform gegossenen sozialen Grausamkeiten und dem neoliberalen Durchmarsch auch in den Vorständen staatseigener Unternehmen.

Da die Mehrzahl dieser Unternehmen ihre Wurzeln in den USA habe, sei der wirtschaftliche Aufstieg der US-Wirtschaft und der zeitgleiche ökonomische Niedergang anderer Teilen der Welt maßgeblich von diesen neuen Finanzakteuren befördert.

In den letzten Kapiteln des Buches findet Rügemer lobende Worte für den chinesischen Weg in den Kapitalismus. Die kommunistisch geführten chinesischen Großunternehmen seien „geduldiger“; das chinesische Kapital würde sich mit niedrigeren Profitraten zufrieden geben. Die von den westlichen Finanzakteuren verursachte Schwäche ihrer jeweiligen Staatsmacht habe außerdem den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas zusätzlich begünstigt. Zu dieser These kann man allerdings unterschiedlicher Meinung sein.

Werner Rügemer:
Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts
Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure
PapyRossa Verlag, Köln 2018
357 Seiten, 19,90 Euro
ISBN: 978-3-89438-675-7

 

 

 

Victoria Knopp / Reiner Diederich über Glenn Jäger: In den Sand gesetzt. Katar, die FIFA und die Fußball-WM 2022

Dass das Wintermärchen einer Fußball-Weltmeisterschaft zur Adventszeit 2022 im heißen Wüstenstaat Katar mit viel Geld ermöglicht wurde, dafür sprechen Indizien. Schließlich ist in der Welt des Fußballs, der „schönsten Nebensache der Welt“, vieles käuflich – außer den Schiedsrichtern, die ihr Gehalt dafür beziehen, dass sie bei den Spielen als „Unparteiische“ agieren und sich deshalb immer mal wieder beschimpfen lassen müssen. Der Versuch, sie zu bestechen, lohnt nicht, weil unter den Argusaugen der gegnerischen Mannschaft und des Publikums, und mittlerweile auch mit Hilfe des „Videobeweises“ ein betrügerisches Pfeifen schnell an den Tag käme.

Die Beweisführung für korruptive Verstrickungen im ganz großen Fußballgeschäft stellt sich hingegen schwieriger dar. Legale Transaktionen und illegitime Praktiken sind hier manchmal zu einem fast unentwirrbaren Knäuel miteinander verwoben. Oder wie will man es nennen, wenn der Sender Al Dschasira mitten im Bewerbungsverfahren für die WM 2022 der FIFA viele hunderte Millionen Dollar für die Senderechte anbot, für den Fall, dass die Weltmeisterschaft in Katar stattfände? Das berichtete jedenfalls n-tv am 10. März 2019. Dazu muss man wissen, dass Al Dschasira von Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani gegründet wurde, bis 2013 Oberhaupt des ölreichen Zwergstaates Katar. Dieses Angebot widersprach eklatant den Anti-Korruptionsregeln der FIFA.

Schon 2014 lieferte Thomas Kistner in seinem Buch „Fifa-Mafia“ Hintergründe zur WM-Vergabe an Katar. Glenn Jäger setzt die Recherche dazu nun akribisch und äußerst detailreich fort. Neben verschlungenen Geldflüssen, mehr oder weniger offenen Einflussnahmen und horrenden Investitionen des Emirats in den Fußballsport geht es auch um das Konfliktfeld Naher Osten und vor allem um die politischen und kommerziellen Interessen auf allen beteiligten Seiten. Jäger charakterisiert die Zusammenhänge wie folgt:

„Auf der einen Seite eine monarchistische Golfdiktatur, also ein System mit ausgeprägten Feudalstrukturen, das aber zugleich auf finanzkapitalistisches Umschaltspiel setzt. Auf der anderen demokratisch verfasste Staaten, die sich ihrerseits im Zeichen eines Finanzmarktkapitalismus mit schwindender demokratischer Kontrolle in einem tiefgreifenden Wandel befinden. Die teils desaströsen sozialen Verwerfungen auch in den westlichen Industriestaaten selbst sind es, die einen alarmierenden Begriff mehr und mehr auf die Tagesordnung setzen…

Jean Ziegler, ehemaliger Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, hält für die globalen Verhältnisse fest: ‘Wir erleben eine Refeudalisierung der Welt. Und diese neue Feudalmacht trägt das Antlitz der transkontinentalen Privatgesellschaften.’ In seinem viel beachteten Buch ‘Imperium der Schande’ weiß er ‘astronomische Gewinne’ der ‘kapitalistischen Feudalsysteme’ ebenso zu beziffern wie anschauliche Beispiele für ein rabiates Vorgehen der ‘neuen Fürsten’ zu geben. Was sich damit begreifen lässt: Zum ‘neuen Adel’ mag auch der eine oder andere ‘FIFA-Fürst’ gehören, in jedem Fall aber die Vorstandsetagen jener Konzerne, die als bedeutende WM-Sponsoren im globalen Fußballspektakel ein glänzendes Geschäft und neue Absatzmärkte sehen.“ (S. 25)

Dass Katar sich ebenso wie Saudi-Arabien durch Unterstützung dschihadistischer Milizen am Versuch eines militärischen „regime change“ in Syrien beteiligte und ein dankbarer Abnehmer westlicher Rüstungsprodukte ist, war ein weiterer Grund dafür, dass Politiker wie der ehemalige französische Staatspräsident Sarkozy sich für die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an das Emirat einsetzten. Auch die Arbeitsbedingungen auf den aus dem Sand wachsenden Baustellen dort waren für die Profiteure optimal. Es ging um „unermessliche Bauaufträge, die im Vorfeld der WM u.a. deutsche und französische Unternehmen erhielten“ (S. 291). Zwar hatte Franz Beckenbauer bei einem Besuch 2013 „keine Sklaven gesehen“, aber die Todesrate unter den „Gastarbeitern“ aus Indien und anderen Ländern sprach für sich. Inzwischen sind durch internationalen Protest einige Verbesserungen erreicht worden.

Noch in einem anderen Sinn ist die WM in Katar bezeichnend für den gegenwärtigen Stand der Dinge: „Diese WM wird uns einen Blick in eine gar nicht mehr so ferne Zukunft erlauben. Eine Sportveranstaltung wird nicht mehr für die Zuschauer vor Ort, nicht mehr als Bestandteil einer lokalen Kultur, nicht mehr als völkerverbindendes Fest gefeiert und gelebt. Ein globales Sportereignis ist nur noch eine reine Inszenierung, die über die verschiedensten Kanäle (die klassischen TV-Stationen werden die unwichtigsten sein) in die ganze Welt verbreitet wird. Als gewaltige Vergnügungs-, Werbe- und Geldmaschine.“ („Fußballkultur in Katar?“, www.watson.de, 10. März 2019) Glenn Jäger beschreibt in seinem Buch, wie diese Inszenierung derzeit vorbereitet wird.

Was könnte gegen „mafiöse Geschäfte im internationalen Fußball“ und „kaum noch zu durchschauende Netzwerke“ getan werden? Der Autor schlägt vor: „Für die heutige Zeit wäre dafür eine Unterstellung der FIFA unter die Vereinten Nationen (…) durchaus hilfreich“ (S. 295). Nach den unzureichenden Versuchen zur inneren Reform wäre das ein Schritt zu einer möglichen demokratischen Kontrolle der FIFA und zu ihrer Entflechtung von den Interessen multinationaler Unternehmen. Auch solle keine Fußball-WM mehr an ein Land vergeben werden, das in den letzten zehn Jahren einen Angriffskrieg führte oder ihn aktiv unterstützte. „2006 hätte demnach keine WM in Deutschland ausgetragen werden können, und wäre ihre Vergabe noch so sauber gewesen“ (S. 297). Die „eigentliche Baustelle“, meint Jäger, sei aber die herrschende neoliberale Politik. Jede noch so kleine lokale Initiative gegen sie und ihre schädlichen Auswirkungen sei wichtig. Das Buch endet mit der Aufforderung: “Das Spiel zurückzuholen, ist an uns. Unbenommen: Der Weg ist weit zu einem neuen Gesang. Gehen wir gleich.“

Glenn Jäger:

In den Sand gesetzt. Katar, die FIFA und die Fußball-WM 2022
PapyRossa Verlag, Köln 2018
311 Seiten, 16,90 Euro
ISBN: 978-3-89438-662-7

 

 

Radikale Demokratie: Im Hier und Jetzt beginnen

 

Joachim Maiworm über Alex Demirović (Hrsg.): Wirtschaftsdemokratie neu denken und Gustav Bergmann/Jürgen Daub/Feriha Özdemir (Hg.): Wirtschaft demokratisch. Teilhabe, Mitwirkung, Verantwortung

 „Warum bewegt die Wirtschaftsdemokratie immer noch die Linken? Und warum bewegt sie nicht viel mehr Leute im progressiven Lager?“ Die vom Journalisten Tom Strohschneider Ende des vorigen Jahres in einem Beitrag für die Zeitung Oxi aufgeworfenen Fragen verweisen auf ein grundlegendes Dilemma in der linken Auseinandersetzung um das Verhältnis von Demokratie und Wirtschaft. Das „klassische“ Grundproblem der Wirtschaftsdemokratie lautet dabei bekanntlich: Wie kann die auf das politische System beschränkte Demokratie in die von autoritären Praktiken geprägte Wirtschaft ausgedehnt werden? Wie lässt sich ein evolutionäres „Hineinwachsen“ demokratischer Bürgerrechte in die Sphäre der demokratiefreien Ökonomie denken?

Angesichts der anhaltenden kapitalistischen Vielfach-Krise sollte die zentrale Forderung der historischen Arbeiterbewegung – die Sicherstellung des Primats der Politik gegenüber der Ökonomie und damit deren Demokratisierung – eigentlich bei betroffenen und politisch engagierten Menschen dauerhaft ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Seit den 1920er Jahren, in denen vor allem sozialdemokratische Gewerkschafter*innen Ideen und Konzepte für eine Wirtschaftsdemokratie entwickelten, kann man hingegen beobachten, dass das Thema immer wieder in Vergessenheit gerät. Es pflegt aber auch periodisch neu zu erwachen und hin zu einer Aktualisierung zu drängen.

Die Frage einer möglichen Demokratisierung der Wirtschaft erregte im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/08 bei Gewerkschaften und linken Theoretikern vorübergehend wieder mehr Aufmerksamkeit. Bis dann die Debatten, wie stets, nach wenigen Jahren wieder abebbten. Wie zwei aktuell erschienene Sammelbände zeigen, scheint sich das Interesse am Gegenstand aber wieder einmal neu zu beleben. Beide Studien lassen sich gewinnbringend parallel lesen und helfen dabei, sich eine Orientierung über die Vielschichtigkeit des Themas zu verschaffen.

Beide Bücher bieten ein weit gefächertes Angebot an Sichtweisen, überschneiden sich allerdings teilweise in ihren Problemstellungen: Wenn es etwa um die verfassungsrechtlichen Bedingungen einer Demokratisierung der Ökonomie geht, eine Reform des Unternehmensrechts diskutiert und die Frage nach der Legitimität des privaten Eigentums an Produktionsmitteln aufgeworfen wird, oder aber wenn Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen der Alternativökonomie angestellt werden.

Bemerkenswert ist, dass die erneut in Gang kommende Debatte diesmal nicht allein von Kreisen der politischen Linken ausgeht, sondern auch von Teilen des „aufgeklärten“ Managements und des universitären Forschungsbetriebs getragen wird. Aus Sicht unternehmerischer Führungskräfte sorgt die technologische Entwicklung der Produktivkräfte (Stichwort: „Digitalisierung“) bereits seit Jahren dafür, dass antiquierte Führungsstile in Unternehmen an Grenzen stoßen und in einzelnen Branchen Platz für ein neues intelligentes Management geschaffen wird.

Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften haben sich unter dem Label „Plurale Ökonomik“ Lehrende und Studierende zusammengefunden, die den Schulterschluss mit den Sozial- und Geisteswissenschaften suchen, um gesellschaftskritische Denkansätze (zum Beispiel Postwachstum und Ökologie) auch in ihrem Studiengang zu fördern – und dabei aufgeschlossenen Führungskräften in der Wirtschaft beratend zur Seite stehen. Der Begriff der Wirtschaftsdemokratie lässt sich dadurch allerdings nur noch schwer fassen und berührt mosaikartig eine Vielzahl von Aspekten.

 

„Wirtschaftsdemokratie neu denken“

Der vor allem in linken Kreisen bekannte Frankfurter Sozialwissenschaftler Alex Demirović gilt seit vielen Jahren als Experte für diesen Themenkomplex. Die meisten Beiträge des von ihm herausgegebenen Buches „Wirtschaftsdemokratie neu denken“ basieren auf der Prämisse, dass Defizite und Erosion von Mitbestimmung in den Betrieben oder Unternehmen eine kritische Überprüfung des Konzeptes von Wirtschaftsdemokratie nötig machen. Die beiden ersten Aufsätze, verfasst von Heinz Bierbaum und Richard Detje/Dieter Sauer, die jeweils im gewerkschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Umfeld arbeiten bzw. forschen, führen dabei überzeugend in wesentliche Schlüsselfragen des Themas ein.

Heinz Bierbaum, zwischen 1980 und 1996 Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall, vertritt ein Konzept von Wirtschaftsdemokratie, welches über den Kapitalismus hinausweist und eine gesellschaftliche Steuerung der Wirtschaft anstrebt. Für Bierbaum bildet die Mitbestimmung zunächst den Referenzpunkt: „Die Forderung nach Wirtschaftsdemokratie ergibt sich geradezu aus der Kritik und den Grenzen eben der Mitbestimmung. Ein wesentlicher Ausgangspunkt ist die fehlende wirtschaftliche Mitbestimmung, die auf der betrieblichen Ebene überhaupt nicht gegeben und auf Unternehmensebene nur in verkümmerter Form vorhanden ist.“ (Seite 14)

Der Autor reflektiert damit die historisch gescheiterten Versuche einer Umsetzung der Idee von der Demokratisierung der Wirtschaft. In den 1920er Jahren noch als Übergang in eine sozialistische Gesellschaftsordnung gedacht, mutierte sie nach 1945 zu einer zentralen Stütze der Integration der Arbeiter*innen in die betriebliche Herrschaft („Sozialpartnerschaft“). Wirtschaftsdemokratische Initiativen setzen nach Bierbaum zwar auf der einzelwirtschaftlichen Ebene an (steuernder und kontrollierender Einfluss auf die Investitions-, Beschäftigungs- und Arbeitspolitik der Unternehmen), müssen aber in übergreifende Konzepte eingebunden werden (zum Beispiel volkswirtschaftliche Rahmenplanung). Ein wesentliches Hindernis für die wirtschaftsdemokratischen Zielsetzungen sind für ihn die Eigentumsverhältnisse. Solange die Produktionsmittel sich in privaten Händen befinden, ließe sich eine Wirtschaft, die sich am gesellschaftlichen Bedarf orientiert, nicht verwirklichen.

Bierbaum zeigt sich somit als typischer Vertreter des ursprünglichen Konzepts der Wirtschaftsdemokratie, indem er sich für eine sozialistische Transformation einsetzt, also für eine Politik der schrittweisen Veränderungen, durch die die Bedingungen für einen Sozialismus nach und nach geschaffen werden sollen. Allerdings zweifelt er an der Konfliktbereitschaft von gewerkschaftlichen und betrieblichen Vertreter*innen als mögliche Träger einer ökonomischen Demokratisierung. Einen vorsichtigen Ausweg sieht er in der Mitarbeiterbeteiligung, womit er nicht eine Partizipation am Gewinn, sondern am Unternehmen selbst meint. Nur durch die Wiederaneignung der durch die Arbeit geschaffenen Werte könne wirksam Einfluss auf die Unternehmenspolitik genommen werden. Die Solidarwirtschaft würdigt der Autor, weil sie zeige – wenn auch in ihrer Reichweite sehr begrenzt –, dass innerhalb kapitalistischer Verhältnisse andere Formen des Wirtschaftens möglich seien.

An dieser negativen Einschätzung knüpfen die beiden Sozialforscher Richard Detje und Dieter Sauer an, die auf Basis eigener Befragungsstudien über die Auswirkungen jahrzehntelanger neoliberaler Herrschaft auf die „Tiefenstrukturen des Alltagsbewusstseins“ berichten. Sie bestätigen die Ergebnisse auch anderer sozialwissenschaftlicher Studien, nach denen eine zunehmende Delegitimierung des politischen Systems nicht zu einer Systemkritik am Kapitalismus geführt habe. Detje und Sauer sehen eine Ursache in einer fehlenden glaubwürdigen und offensiv vertretenen linken Alternative, die nur Passivität oder einen Rückzug ins Irrationale offen lässt (Seite 26).

Die pessimistische Krisenanalyse der beiden Autoren basiert unter anderem auf dem Formwandel der Herrschaft in der Arbeitswelt (indirekte Steuerung als neuer Zwangszusammenhang). Mitbestimmung sei heute „zu einem Governance-Konzept einer kooperierenden Modernisierung in den Unternehmen“ geworden. Dem Governance-Diskurs liegt bekanntlich die Prämisse zugrunde, es sei für das Management effizienter, autoritäre Anweisungen „von oben“ durch eine egalitäre Einbindung der Beschäftigten zu ersetzen – zweifellos eine mittlerweile etablierte Form innerbetrieblicher Herrschaft.

In einem weiteren Beitrag skizziert Andreas Fisahn, Professor für Öffentliches Recht, den wichtigen Zusammenhang von Wirtschaftsdemokratie und Rechtsgeschichte und klopft das Thema auf seine verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen ab, untersucht insbesondere die Frage, wie weit eine Demokratisierung der Wirtschaft verfassungsrechtlich gehen kann (Enteignung, Vergesellschaftung). Bezugnehmend auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts vertritt er den Standpunkt einer wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes, um die Idee des Primats der Politik gegenüber ökonomischer Entscheidungsgewalt zu stärken.

Alexandra Scheele, Arbeits- und Wirtschaftssoziologin, knüpft mit dem Begriff der Geschlechterdemokratie an den Begriff der Wirtschaftsdemokratie an. Sie moniert, dass die fehlende Beteiligung von Frauen an den wirtschaftlichen Entscheidungen auf allen Ebenen der Arbeitspolitik keine besondere Berücksichtigung erfährt. Die Demokratisierung der Wirtschaft müsse über den „klassischen“ Begriff der Wirtschaft hinausgehen, das „Ganze der Arbeit“ (also einschließlich der Reproduktionsarbeit) so zum Gegenstand demokratischer Entscheidungen werden. Wirtschaftsdemokratie sei insofern als Geschlechterdemokratie zu entwerfen. Martin Beckmann, Referent unter anderem für Dienstleistungspolitik bei der ver.di-Bundesverwaltung, unterstreicht in seinem Beitrag eine steigende Relevanz des öffentlichen Eigentums auf kommunaler Ebene für die letzten Jahre, will aber noch nicht von einer allgemeinen Trendumkehr bei der Privatisierungspolitik sprechen.

Weitere Beiträge des Buches behandeln die demokratischen Potenziale des Gesundheitssystems (Beispiel Krankenhaus) und des Bildungswesens, demokratische Unternehmen in Belegschaftsbesitz, selbstverwaltete Betriebe als alternative Wirtschaftsmodelle und internationale Erfahrungen (Selbstverwaltungssystem im sozialistischen Jugoslawien sowie Beispiel von Arbeiter*innen aus verschiedenen Kontinenten, die die kollektive Kontrolle über ihre Arbeitsplätze übernahmen).

 

„Wirtschaft demokratisch. Teilhabe, Mitwirkung, Verantwortung“

Die Herausgeberinnen des Bandes „Wirtschaft demokratisch. Teilhabe, Mitwirkung, Verantwortung“ sowie mehrere der insgesamt 16 Autorinnen forschen und lehren am Lehrstuhl für Innovations- und Kompetenzmanagement an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Siegen. Seit einigen Semestern werden einige der im Buch versammelten Forschungsfragen in Seminaren und Vorlesungen im dortigen Studiengang Plurale Ökonomie erörtert, den Herausgeber Bergmann mit initiiert hat. Im Mittelpunkt ihres Sammelbandes steht die bürgerrechtlich hergeleitete Idee, eine „demokratiekonforme Marktwirtschaft“ zu ermöglichen, die auf einer Vielfalt von Beteiligungs- und Partizipationsformen für die Beschäftigten sowie einer neuen Unternehmensform gründen soll.

Was muss geschehen, damit „Arbeitnehmerinnen“ in einem Betrieb oder Unternehmen ihren Bürgerstatus beibehalten können? Wie können sie mitgestalten und mitentscheiden? Die Herausgeberinnen definieren im einleitenden Beitrag drei wesentliche Forschungsfelder, die auch den Band inhaltlich strukturieren: „Teilhabe“, „Partizipation“ und „Verantwortung“. Zunächst wirft der erste Teil die Frage nach einer „gerechten“ Beteiligung der Mitwirkenden am ökonomischen Erfolg auf und bringt eine neue Rechtsform von Unternehmen ins Spiel, die eine solche Beteiligung ermöglichen soll. Im zweiten Abschnitt wird das Potenzial der deliberativen Entscheidungsfindung in Unternehmen oder Organisationen untersucht (moderne Partizipationskultur). Der letzte Teil schließlich diskutiert die gesellschaftliche Verantwortung bzw. die „mitweltverträgliche“ Unternehmenspolitik. Dabei spielt das Problem der gegenwärtigen Haftungsbegrenzung bei den Eigentümern eine entscheidende Rolle. Die drei Themenfeldern decken aus Sicht der Herausgeber*innen den Komplex „Wirtschaftsdemokratie“ angemessen ab. Der Fokus liegt eindeutig auf der einzelbetrieblichen Ebene, denn in sieben der 16 Texte werden Einzelaspekte des „demokratischen Unternehmens“ behandelt.

Andreas Neumann, Geschäftsführer eines AWO-Kreisverbandes, stellt seine Idee einer neuen Unternehmensform vor, die alle beteiligten Akteure am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben lässt. Neben den bestehenden Unternehmensverfassungen soll eine weitere etabliert werden, die eine „faire“ Verteilung der Wertschöpfung unter den Stakeholdern (Kapitalgeber, Beschäftigte, Staat) garantiert. Sein Modell sieht vor, dass der Staat in einem ersten Schritt auf die gewinnbasierte Körperschaftssteuer verzichtet, wodurch der Verteilungsspielraum erhöht wird. Die Kapitalgeber erhalten einen Anspruch auf eine feste Verzinsung, da sie das unternehmerische Risiko tragen. Jeder darüber hinausgehende Gewinn wird nach einem festzulegenden Schlüssel an Beschäftigte und Staat verteilt. Der Autor will die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens in jedem Fall schützen, tritt aber zugleich dem Narrativ entgegen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erfordere eine anhaltende Lohnzurückhaltung. Aus Sicht Neumanns stellt sich auf diese Weise eine Win-Win-Win-Situation in einer „demokratiekonformen Marktwirtschaft“ bzw. in einem „demokratischen Unternehmen“ ein.

Der Beitrag von Heinz-J. Bontrup, Wirtschaftsprofessor in Gelsenkirchen und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik („Memorandum-Gruppe“), fällt insofern aus dem Rahmen des Sammelbandes, als er den Fokus nicht in erster Linie auf Veränderungen in den Unternehmen legt, sondern zunächst die ideologischen Verblendungen der Marktapologeten aufs Korn nimmt. Entgegen der „behaupteten ‚Wettbewerbswelt‘“ erkennt er „ungeheure Machtzusammenballungen“ bei den Kapitalgesellschaften und Konzernen, die die Welt beherrschen (Seite 41). Durch das neoliberale Dogma und die Herrschaft der Finanzmärkte sei der Einfluss von Politik und Gewerkschaften immer weiter erodiert, mit dem Ergebnis einer extremen Umverteilung beim Volkseinkommen. Daneben kritisiert er die Asymmetrie der Verfassung und des nachgeordneten Arbeitsrechts, da das Kapital einseitig dominiere. Ohne – auch verfassungsrechtliche – Einschränkungen der Kapitalmacht seien wirtschaftsdemokratische Verhältnisse als ein Gegenmittel gegen die „organisierte Verantwortungslosigkeit“ der „marktkonformen Demokratie“ nicht möglich.

Bontrup bietet insgesamt eine auf 33 Seiten angelegte und mit empirischem Material angereicherte fulminante Beschreibung der gegenwärtigen Verfassung der kapitalistischen Ökonomie. Allzu viel Hoffnung macht der Autor den Freundinnen und Freunden der Idee einer Wirtschaftsdemokratie jedoch nicht: „Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, wie schwer die Umsetzung einer Wirtschaftsdemokratie in den Unternehmen ist.“ (Seite 52)

Im Anschluss an die weit angelegte polit-ökonomische Analyse von Bontrup diskutiert Jürgen Daub, wie eine Demokratisierung betrieblicher Sozialverhältnisse im Rahmen der veränderten Produktionsverhältnisse möglich ist. Mit seinem Ansatz des „Industrial Citizenship“ ist die Ausweitung allgemeiner Bürgerrechte auf den Produktionsbereich gemeint („Wirtschaftsbürger am Arbeitsplatz“). Mit dem Begriff grenzt sich Daub von der Mitbestimmung im klassischen Sinn ab, die als „Pazifizierung des Klassengegensatzes“ verstanden keine allgemeine staatsbürgerliche Demokratieerweiterung in die Unternehmen darstelle. Er zitiert aus einer Monographie von Alex Demirović aus dem Jahr 2007, in der dieser schreibt, dass beispielsweise Betriebsratsarbeit „nicht (…) als solche schon als demokratische Beteiligung aufgefasst“ werden kann (Seite 75). Wirtschaftsbürgerrechte bezeichnet Daub dagegen als einen „zutiefst liberalen Ansatz“ (Seite 78), der auf der Grundlage von Bildung für alle einen „fairen“ Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen und Fürsorge garantieren soll. Wie dieser Ansatz praktische Umsetzung erfahren kann, erläutert der Autor in seinem Aufsatz allerdings nicht. Dies bleibt anderen Autoren und Autorinnen des Buches überlassen, die in mehreren Texten vielfältige Formen der Partizipation in Unternehmen beschreiben.

Begriffe wie „agile Unternehmen“, „soziokratische Unternehmensführung“, „holokratische Formen der Entscheidungsfindung“ oder schlicht „Scrum“ verweisen auf Managementmethoden, die vermutlich einem Großteil der Leserschaft dieser Rezension nicht viel sagen, aber allesamt bezwecken, die Mitarbeitenden jenseits einer autoritären Unternehmensführung in Prozesse der Entscheidungsfindung am Arbeitsplatz einzubeziehen. „Scrum“, so viel sei immerhin verraten, kommt aus dem Rugby und meint das dichte, angeordnete Gedränge und wird für die kleinen, selbstorganisierten Teams in Unternehmen verwendet (Seite 157). Die eigentliche Zielstellung der managementorientierten „Demokratisierungsansätze“ wird allerdings im Buch klar angesprochen. Der Abbau von Hierarchien in Unternehmen, in denen neue technologische Möglichkeiten (Digitalisierung) ein entscheidende Rolle spielen und deren Chefs auf die Entfaltung der Kreativität der Mitarbeitenden angewiesen sind, wird als notwendig erachtet, um wettbewerbsfähig zu bleiben (Seite 176).

 

Fazit

Die Idee der Wirtschaftsdemokratie wird mittlerweile nicht mehr allein aus sozialistischer oder gewerkschaftlicher Perspektive thematisiert. Mit ausgeklügelten Methoden versucht auch das moderne Management, mittels Anerkennung und einer Vielfalt an Partizipationsformen intensive Bindungen an die Unternehmen zu erzeugen und damit ein effektiveres Arbeiten zu ermöglichen. Dabei können zweifellos reale Freiheitsgewinne entstehen, wie sie insbesondere im Band „Wirtschaft demokratisch“ als eine Form der Demokratisierung gedeutet werden. Die sich aufdrängende Ambivalenz bleibt allerdings in den managementorientierten Beiträgen des Buchs weitgehend ausgeblendet. Die verschiedenen Blickwinkel, aus denen der Komplex Wirtschaftsdemokratie bearbeitet wird, erzeugt zudem eine problematische Unübersichtlichkeit.

Da die nicht nur von der Arbeiterbewegung vertretende tradierte Vorstellung, Demokratie einfach so auf das ökonomische Leben auszuweiten, nicht mehr trägt, muss – so der Tenor des von Alex Demirović herausgegebenen Buches – eine Erweiterung der Idee der Wirtschaftsdemokratie erfolgen. Das trägt allerdings dazu bei, den Sinngehalt des Begriffs weiter aufzulösen. „Wirtschaftsdemokratie“ droht somit zu einem Container-Begriff zu werden, dem beliebige Bedeutungen beigemessen werden können. Dieser Falle ist jedoch kaum zu entkommen. Es kann somit festgestellt werden: Die in den beiden Bänden versammelten Aufsätze tragen eine Fülle von relevanten Aspekten zum Thema zusammen, die die Leser*innen selbst zu einer brauchbaren Essenz umformen müssen, damit in ihren Köpfen ein fassbares „Konzept“ von Wirtschaftsdemokratie entstehen kann.

Aufgrund der zahlreichen vorgestellten Perspektiven lassen sich selbstverständlich weitere Kritikpunkte nennen. Zu erwähnen bleibt vor allem das grundsätzliche Problem, dass die Idee einer Demokratisierung auch der Wirtschaft Illusionen eines harmonischen Zusammenwirkens von Unternehmern und abhängig Beschäftigten fördern können. So schreiben Bergmann & Co in ihrer Einleitung, dass Lösungen eher akzeptiert werden und qualitativ besser sind, „wenn alle Interessen und Sichtweisen berücksichtigt werden“ (Seite 11). Gerät wirtschafts- oder sozialwissenschaftliche Theorie zu einer Konsensmaschine, werden allerdings reale Interessengegensätzen verschleiert.

Natürlich muss man konstatieren, dass die Autor*innen beider Bände keine Antwort auf eine der entscheidenden Schlüsselfragen geben können, die sich alle diejenigen zu stellen haben, die daran festhalten, dass die Demokratisierung von Betroffenen getragen und nicht für sie organisiert werden soll: Wie kann eine andere Form der Steuerung der Wirtschaft gekoppelt werden mit der (Selbst)Aktivierung „von unten“? Wer soll die Veränderungen herbeiführen? Dass angesichts des neoliberal geformten Alltagsbewusstsein der Menschen die Verfasserinnen der Aufsätze ebenso hilflos vor diesem Problem stehen wie die meisten Leserinnen und Leser, kann ihnen deshalb nicht angelastet werden.

Deutlich wird, dass ausgearbeitete (Denk-)Modelle lediglich Orientierungen bieten und nur begrenzt weiterhelfen können. Die Theoretiker*innen der Wirtschaftsdemokratie müssen letztlich darauf setzen, dass die Praxis der Menschen selbst emanzipatorische Politik in Bewegung setzt – und sich von deren Ideen durchaus inspirieren lässt. Beide Bücher bieten in jedem Fall genügend analytischen Stoff für eine intelligente Auseinandersetzung über Anachronismus und Aktualität der Wirtschaftsdemokratie.

Gustav Bergmann/Jürgen Daub/Feriha Özdemir (Hg.): Wirtschaft demokratisch. Teilhabe, Mitwirkung, Verantwortung
V&R unipress, Göttingen 2019
353 Seiten, 30,00 Euro
ISBN 978-3-8470-0927-6

download: https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/downloads/productPreviewFiles/LP_978-3-8471-0927-3.pdf

 

Alex Demirović (Hrsg.): Wirtschaftsdemokratie neu denken
Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2018
341 Seiten, 35,00 Euro
ISBN 978-3-89691-283-1

download: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Wirtschaftsdemokratie_Demirovic.pdf)

 

 

 

 

 

 

 

Sascha Adamek: Scharia Kapitalismus. Den Kampf gegen unsere Freiheit finanzieren wir selbst

 

Der Titel des Buches dürfte auf viele Lesern eher abschreckend wirkend. Schließlich ist der Kampf gegen die Scharia und eine angebliche Islamisierung des Abendlandes mittlerweile Markenzeichen militanter Rechtsradikaler. Tatsächlich geht es in dem Buch um die Wirtschaft verschiedener stockreaktionärer Regimes des Nahen Ostens sowie um die Beziehungen zwischen der Oberschicht dieser Staaten und radikalislamistischen Strömungen.

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