Geschäftsmethoden der Unterwelt

Unter dem Titel „Der Drogenboss und sein Konzern“ beschrieb Dennis Kremer in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 6. Juni 2019, wie die „Geschäftsmethoden der Unterwelt“ immer mehr denen der legalen Kapitalverwertung angeglichen werden, um noch erfolgreicher zu sein. Anlass ist das jetzt gesprochene Urteil eines New Yorker Gerichts gegen den langjährigen Chef des mexikanischen Sinaloa-Drogenkartells.

Joaquin Archivaldo Guzmán, wegen seiner geringen Körpergröße „El Chapo“ (der Kurze) genannt, sei „nicht einfach nur ein brutaler und gerissener Verbrecher“, sondern er habe seine kriminelle Organisation seit den 80er Jahren wie einen modernen Konzern geführt und es mit einem geschätzten Vermögen von einer Milliarde Dollar auf die Reichenliste des Magazins „Forbes“ geschafft: „El Chapo ist einer der erfolgreichsten Drogenbosse der Welt. Sein Reichtum rührt daher, dass er es wie kein zweiter verstanden hat, erprobte Methoden aus der normalen Geschäftswelt so weit wie möglich auf die Unterwelt zu übertragen.“

Den Drogenhandel könne man nur wirksam bekämpfen, schrieb Kremer unter Hinweis auf das Buch „Narconomics – Ein Drogenkartell erfolgreich führen“ von Tom Wainwright, „wenn man ihn als einen globalen Wirtschaftszeig betrachtet“.

Wieviel Profit in diesem Wirtschaftszweig generiert werden kann, macht Kremer an einem Beispiel deutlich: Für ein Kilogramm Kokain seien ungefähr 350 Kilogramm getrockneter Kokablätter im Gegenwert von 385 Dollar nötig. Das daraus gewonnene Kokain habe in Kolumbien einen Verkaufswert von 800 Dollar. Führe man es nach Mexiko aus, steige der Wert auf 2000 Dollar. Gelinge von dort aus der Export in die Vereinigten Staaten, sei es 14 500 Dollar wert. Über Mittelsmänner erreiche das Kokain irgendwann die einfachen Straßendealer und damit die Endkunden. Häufig werde der Stoff mit anderen Substanzen gestreckt, um größere Mengen zu verkaufen. Am Ende der Rechnung komme man auf einen Kilopreis von 122 000 Dollar, den der Konsument zahlen muss – also 122 Dollar je Gramm. Die Gewinnspanne ist sagenhaft: Von der ersten Stufe der Wertschöpfungskette bis zum endgültigen Verkauf beträgt die Steigerung etwas mehr als 30 000 Prozent.

So betrachtet, sei es „ökonomisch völlig rational, Drogengeschäfte zu betreiben“. Dementsprechend ist die Kokain-Produktion in Kolumbien 2017 auf ein neues Rekordhoch gestiegen und die Heroin-Produktion in Mexiko um fast 40 Prozent gewachsen. Auch die Absatzzahlen anderer Drogen wie Crystal Meth steigen. El Chapo habe stets auch neue Substanzen in seine Lieferketten integriert, um der Nachfrage gerecht zu werden.

Für den Transport in die USA habe sich El Chapo, der nach Aussage seiner Geschäftspartner, die im Gegenzug für mildere Strafen mit der Staatsanwaltschaft kooperierten, ein „begnadeter Logistiker“ ist, einiges einfallen lassen. Neben doppelten Wänden von Lieferzügen, die für den Transport von Öl gedacht waren, war seine „Meisterleistung“ der Bau von Tunnelsystemen unter der Grenze zu den USA: „Diese sind mitunter mit Schienen ausgestattet, mit elektrischem Licht und mit Pumpen, die gegen eindringendes Wasser eingesetzt werden können. Die genaue Lage vieler dieser Tunnel ist noch immer unbekannt.“

Um die nicht geringen Ausgaben für diese Operationen, für Waffen und Bestechungsgelder durch Einsparungen an anderer Stelle zu kompensieren, ließ sich El Chapo etwas einfallen:

„Guzmán war einer der ersten Verbrecher, der erkannte, dass sich Kosten sparen ließen, wenn man nicht jeden neuen Mitarbeiter fest an das Kartell band. Er setzt stattdessen auf ein Franchise-System, wie man es in der normalen Geschäftswelt etwa von McDonald’s kennt. Guzmáns Rivalen, die Mitglieder des Kartells ‚Los Zetas‘, wenden die Strategie ebenfalls an, sie haben sie sogar weiterentwickelt.

Das Ganze funktioniert so: Regionale Gangstergruppen dürfen im Namen des jeweiligen Kartells auftreten, gewissermaßen dessen Marke verwenden. Dafür müssen sie eine Abgabe zahlen, erhalten aber im Gegenzug häufig Waffen und eine militärische Kurzausbildung. Der Vorteil für die lokalen Gruppierungen liegt auf der Hand: Sie müssen sich nicht erst einen Namen machen. Der Vorteil für die Kartelle dagegen liegt neben den finanziellen Zuwendungen darin, dass sie mit ortskundigen Experten zusammenarbeiten – also nicht erst selbst mühsam das jeweilige Terrain erkunden müssen.“

Um sich Rückhalt in der Bevölkerung zu verschaffen, betreiben die mexikanischen Drogenkartelle eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit und verbessern ihr Image durch karitative Leistungen. Wie es in dem Artikel der FAS heißt, habe El Chapo in seiner Heimatregion die Krankenhauskosten vieler Armer übernommen und sogar Straßen bauen lassen.

„Auf diese Weise hat El Chapo das perfekte Drogenkartell geschaffen, dem nicht einmal seine eigene Verhaftung und die Auslieferung nach New York etwas anhaben konnten. Guzmáns Partner Ismael Zambada García soll die Geschäfte übernommen haben, nach Einschätzung amerikanischer Spezialisten laufen sie nach wie vor gut.“

Auch das entspricht genau dem, was bei legal arbeitenden Konzernen zu beobachten ist.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16. Juni 2019

Fehlende Distanz – Julia Klöckner und der Nestlé-Konzern

 

„Bundesernährungsministerin Julia Klöckner ist das Kuscheltier der Lebensmittelindustrie“: Der spöttische Kommentar der taz (6. Juni 2019) bezieht sich auf ein Video auf Twitter, in dem sich die CDU-Politikerin neben einem Manager des Nestlé-Konzerns posierend darüber erfreut zeigt, dass das weltgrößte Lebensmittelunternehmen Zucker, Salz und Fett in seinen Fertigprodukten weiter reduzieren will. Klöckner steht nicht erst nach dem Video in der Kritik. Setzt sie doch auf Selbstverpflichtung der Hersteller, statt verbindliche Reduktionsziele vorzuschreiben, wie andere Staaten es längst praktizieren.

Ende des letzten Jahres hatte Julia Klöckner noch eine 30-seitige „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten“ vorgestellt, in der es heißt: „Die Strategie schafft und stärkt Bedingungen für neue, innovative Ansätze in der Lebensmittelproduktion, um die Reduktionsziele zu erreichen. Damit wird nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der Lebensmittelwirtschaft insgesamt gefördert (…). Basis der Strategie bildet ein intensiver Dialogprozess, der in die Unterzeichnung einer Grundsatzvereinbarung zwischen Politik und Lebensmittelwirtschaft mündete. Darin erkennt die Lebensmittelwirtschaft erstmals an, Teil einer Lösung zur Erreichung einer ausgewogenen Energiebilanz und Verbesserung der Nährstoffversorgung der Bevölkerung zu sein und verpflichtet sich freiwillig dazu, messbare Beiträge zu leisten zur Förderung einer gesünderen Ernährung in Deutschland.“

Der Weg der freiwilligen Selbstverpflichtung bedeutet, dass Weltkonzerne wie Nestlé nach eigenem Belieben entscheiden, ob sie ihren Produkten weniger gesundheitsschädliche Stoffe beimischen, wenigstens in Fertigprodukten. Warum befürwortet die Ministerin eine solche unverbindliche Strategie? „Weil es Nestlé und Konsorten Geld kosten würde. Zucker ist ein billiger Rohstoff, auf den die Industrie ihre Kundschaft leicht konditionieren kann. Klöckner vertritt eben die Interessen der Industrie, nicht der Verbraucher oder der Gesellschaft.“ (taz, 6. Juni 2019)

Die Süddeutsche Zeitung kommentiert: „Dass es so weit kam, ist kein Wunder. Die Lebensmittel- und Getränkeindustrie betreibt mit die intensivste Lobbyarbeit aller Branchen. Ihre professionellen Einflüsterer sind in Brüssel und Berlin nicht nur zahlreich unterwegs, sondern auch finanziell gut ausgestattet und dem Vernehmen nach gut organisiert. Die größte Lobbyorganisation auf EU-Ebene nennt sich Food-Drink-Europe. Daneben schicken nationale Interessenverbände und Konzerne wie Nestlé zusätzlich eigene Lobbyisten los. Dass nun der Nestlé-Deutschland-Chef selbst bei der Ministerin auftauchte, findet der Konzern trotzdem nicht anrüchig, sondern als Zeichen dafür, dass man doch offen agiere. ‚Für uns ist es wichtig, transparent zu sein. Dazu gehört es auch, öffentlich darüber zu informieren, wenn wir uns mit einem Vertreter der Politik austauschen‘, sagt dazu ein Sprecher von Nestlé-Deutschland.“

Die öffentliche Sensibilität für das Thema Lobbyismus aber lässt hoffen. Das Video löste einen wahren „Shitstorm“ im Netz aus.

 

Quellen:

Jost Maurin, „Kuscheltier der Industrie“, taz, 6. Juni 2019
https://www.taz.de/Kommentar-Julia-Kloeckner-und-Nestle/!5598538&s=klöckner/

Markus Balser/Uwe Ritzer, „Der süße Reiz des Lobbyismus“, Süddeutsche Zeitung, 6. Juni 2019
https://www.sueddeutsche.de/politik/kloeckner-ernaehrung-gesund-lebensmittel-lobbyismus-1.4477633