Illegale Einschleusung von Arbeiter*innen

Bei einer Razzia am 23. September 2020 wurden rund 70 Objekte, darunter Wohn- und Geschäftsräume, wegen des Verdachts der illegalen Einschleusung von Arbeitskräften für die Fleischindustrie durchsucht. Dabei waren in fünf Bundesländern rund 800 Beamte im Einsatz, vor allem in Sachsen-Anhalt und in Niedersachsen. „Im Fokus der Ermittler steht ein Konstrukt aus verschiedenen Zeitarbeitsfirmen, über die in den vergangenen sechs Monaten mindestens 82 Menschen geschleust worden sein sollen. Es geht den Angaben nach um den Vorwurf der banden- und gewerbsmäßigen Einschleusung und der Urkundenfälschung“, heißt es in einer Meldung der Süddeutschen Zeitung.

https://www.sueddeutsche.de/karriere/arbeitsmarkt-naumburg-saale-razzia-in-fleischbranche-ermittler-sichten-datenmengen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200924-99-696320

Wieder einmal ging es unter anderem um den Großkonzern Tönnies. „Die Ermittlungen wegen Urkundenfälschung sowie der banden- und gewerbsmäßigen Einschleusung richten sich vor allem gegen die Berkana GmbH, die auch für Tönnies tätig ist. Sie hat ihren Sitz im niedersächsischen Twist. Der Geschäftsführer wohnt in Weißenfels in Sachsen-Anhalt. Dort liegt auch der zweitgrößte Tönnies-Standort, den Berkana mit Arbeitskräften versorgte“, schrieb das Handelsblatt.

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/fleischindustrie-razzia-in-der-fleischindustrie-beschuldigte-waren-auch-fuer-toennies-taetig/26214620.html?ticket=ST-3801838-y0MJfgcaFqqKhDmjWfwi-ap1

Die Zeitung kommentiert:

„Wie kann das passieren in einem Land wie Deutschland, in einem wohlhabenden Rechtsstaat? (…) Erst seit dem massiven Corona-Ausbruch im Tönnies-Stammwerk hat sich die Haltung vom Wegsehen zum Hinschauen geändert. Das aber auch eher zwangsweise und aus einem Grund, für den wir alle uns schämen sollten – weil die Sorge der Deutschen wegen Corona groß genug war, um die Zustände in der Fleischindustrie nicht gleich wieder zu vergessen.“ Jan Keuchel meint, dass die Razzia sich deshalb auch im Kontext von politischem Druck erkläre. Gleichwohl sei das Vorgehen richtig: „Wer den Schleusern dauerhaft das Handwerk legen will, der muss sich allerdings intensiv mit denjenigen Großunternehmen beschäftigen, die Schleusern und Leiharbeitsfirmen erst den Spielraum schaffen – um am Geschäft mit der Ware Mensch gut zu verdienen.“

(Jan Keuchel, „Die Zustände in der Fleischindustrie sind eine Einladung an Schleuserbanden“, Handelsblatt Online vom 24. September 2020)

https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-die-zustaende-in-der-fleischindustrie-sind-eine-einladung-an-schleuserbanden/26211260.html

Ein Kommentar der Süddeutsche Zeitung zielt in die gleiche Richtung:

„Wie eifrig sich nun alle um die Arbeitsbedingungen osteuropäischer Helfer bemühen! Gesetze werden verschärft, Unternehmen angeprangert, und die Bundespolizei holt aus zur Razzia in der Fleischindustrie“, wundert sich der Journalist Michael Bauchmüller. Ganz Deutschland interessiere sich plötzlich für das Schicksal der Erntehelfer und Zerlegetrupps, die für wenig Geld schuften und oft erbärmlich leben müssten. Ein Raunen gehe durchs Land – als ob das alles so neu wäre. „Ist es natürlich nicht“, fährt er fort. „Erst Corona rückte sie ins Rampenlicht – allerdings nicht vorrangig als die armen Menschen, die sie sind, sondern als potenzielle Infektionsherde. Und plötzlich geht auch Arbeitsschutz. Was aber ist mit den kleinen Rädchen, die jenseits der Grenzen ihren Dienst im großen Getriebe versehen? (…) Ein ‚Lieferkettengesetz‘ soll deutsche Unternehmen verpflichten, auch bei Zulieferern Mindeststandards durchzusetzen. Jeder weiß, dass die allzu oft nicht gelten. Doch das Gesetz hängt fest. Die Wirtschaft blockt, und das Wirtschaftsministerium blockt mit. Es ist traurig.“

(Michael Bauchmüller, „Spitze des Eisbergs“, Süddeutsche Zeitung Online, 23. September 2020)

https://www.sueddeutsche.de/politik/ausbeutung-spitze-des-eisbergs-1.5041656

BlackRock-Tribunal in Berlin

Am 26. und 27. September 2020 fand an der Freien Universität Berlin eine Veranstaltung statt, in der die US-amerikanische Fondsgesellschaft BlackRock, die über sieben Billionen US-Dollar an Kapital verwaltet, symbolisch „an den Pranger“ gestellt wurde. Initiiert wurde das Tribunal von dem emeritierten Berliner Politikprofessor Peter Grottian. BlackRock wurde „stellvertretend für andere Schattenbanken“ für nachfolgend aufgezählte Vergehen angeklagt: Erstens wegen der „Zerstörung der wirtschaftlichen und politischen Demokratie“ und der Verletzung von Völker- und Menschenrechten. Zweitens wegen Mietpreistreiberei und Niedriglöhnerei, insbesondere bei Beschäftigten der von ihr kontrollierten Firmen. Drittens wegen der „Erhöhung der globalen Kriegsgefahr durch Profitmacherei in den wichtigsten Rüstungskonzernen der USA und der EU“. Viertens wegen „Profitmacherei in den wichtigsten Kohle-, Braunkohle- und Ölkonzernen“.

Nach Aussage der Veranstalter ist BlackRock Aktionär bei 18.000 Banken und Unternehmen weltweit und damit der „einflussreichste Kapitalorganisator des US-geführten Westens“. BlackRock habe die jetzt aufbrechende Systemkrise mitverursacht, trete nun als Retter auf und betreibe als Berater der EZB die größte Staatsverschuldung der europäischen Geschichte.

Dennoch gilt das Unternehmen weithin noch als unbekannter Finanzgigant.

Der Politikwissenschaftler Lutz Mez eröffnete die Verhandlung vor 150 Besucher*innen mit einem bekannten Aphorismus des französischen Schriftstellers Honoré de Balzac: „Hinter jedem großen Vermögen steht ein Verbrechen“. Weitere „Richter*innen“ des Tribunals analysierten die Rolle BlackRocks auf den Feldern Umwelt, Ökonomie und Rüstung. Unter ihnen: Karin Baumert, Soziologin und Teil des Berliner „Bündnis Zwangsräumung verhindern“, der ehemalige Professor für Politik und Wirtschaft, Mohssen Massarrat, der Wittener Mieteraktivist Knut Unger, der Politologe Philipp Metzger sowie Niklas Hover von der Stiftung Ethecon.

Es wurde folgendes symbolisches Urteil gefällt:

„Das Unternehmen Blockrock mit dem juristischen Sitz in der US-amerikanischen Finanzoase Wilmington/Delaware und dem operativen Hauptsitz in New York wird aufgelöst. Das betrifft auch alle Tochtergesellschaften in den USA und im Ausland.“

Quellen:

https://www.blackrocktribunal.de/

Raphaël Schmeller: „‚Black Rock‘ am Pranger“, junge Welt vom 28. September 2020

https://www.jungewelt.de/artikel/387213.finanzwirtschaft-black-rock-am-pranger.html

Peter Nowak: „Verschärfter Klassenkampf“, taz vom 27. September 2020

https://taz.de/Blackrock-Tribunal-in-Berlin/!5712958&s/

 

Yannic Walther: „Schuldig auch am Mietenwahnsinn“, Neues Deutschland vom 27. September 2020

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1142373.blackrock-tribunal-schuldig-auch-am-mietenwahnsinn.html?

 

Überhöhte Mieten bei Geflüchteten / Kleingerechnete Hartz IV-Regelsätze

In einer Anhörung am 7. September 2020 im Haushaltsausschuss des Bundestages kritisierte der Bundesrechnungshof, dass die Kommunen in vielen Fällen vom Bund überhöhte Mietzahlungen für Wohnungen von Flüchtlingen verlangen. In einer schriftlichen Stellungnahme der Behörde heißt es:

„So lagen bei den KdU*-Leistungen für Geflüchtete die Gebühren kommunaler Träger häufig weit über den ortsüblichen Mieten für Wohnräume vergleichbarer Größe ‒ oft mehr als 100 %.“ Der Rechnungshof ist dabei weniger um die Situation der geflüchteten Menschen besorgt als um die hohen Ausgaben der Kommunen und des Bundes. Da viele Geflüchtete keine Mietwohnungen finden, werden sie in Heimen und Hostels untergebracht. Bei Geflüchteten übernimmt der Bund seit 2016 die gesamten Wohnkosten.

(*Kosten der Unterkunft)

https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/sonderberichte/2020/Stellungnahme_KdU

https://taz.de/Miete-fuer-Gefluechtete/!5712653&s=rechnungshof/

Bekannt ist, dass Vermieter mit der Wohnungsnot von Geflüchteten viel Geld verdienen können. Die junge Welt schreibt dazu: „Das Problem endet nicht bei den satten Gewinnen für Vermieter auf Kosten der Steuerzahler. Erzielen Geflüchtete Einkommen, müssen sie sich an den Wuchermieten selbst beteiligen. Zudem taucht die Mietsumme auch in den Leistungsbescheiden für Asylsuchende auf, was von Rechtspopulisten und Neonazis immer wieder für Propaganda missbraucht wurde. Denn Hartz-IV-Bezieher bekommen oft nur einen Bruchteil dieser Summe für ihre Miete zugebilligt.“ (junge Welt vom 8. September 2020)

https://www.jungewelt.de/artikel/385920.wohnungspolitik-geförderte-abzocke.html

Laut Pressemitteilungen vom 8. September steigt der Regelsatz von alleinstehenden Hartz-IV-Empfänger*innen zum 1. Januar 2021 um 14 Euro auf 446 Euro im Monat. Die im August vom Bundeskabinett beschlossene Neuberechnung der Regelsätze hatte noch eine Erhöhung um mindestens sieben Euro vorgesehen. Das zusätzliche Plus resultiert aus der gesetzlich vorgeschriebenen jährlichen Anpassung der Leistungshöhe an die durchschnittliche Lohn- und Preisentwicklung. Unter anderem kritisieren Sozialverbände und Gewerkschaften die Anhebung als bei weitem nicht ausreichend.

Und wieder einmal werden die Regelbedarfe gezielt kleingerecht. Arme, alte, kranke Menschen sollen vorzeitig ableben, arbeitsfähige durch gezielte Unterdeckung in prekäre Beschäftigung gehungert werden. Anders ist das Regierungskalkül nicht zu verstehen, genau so schafft es die Bundesregierung und das BMAS in einem der reichsten Länder der Erde einen immer größer werdenden Niedriglohnsektor durchzusetzen.“

So kommentiert der Referent für Arbeitslosen- und Sozialhilferecht Harald Thomé das systematische Kleinrechnen der Regelbedarfe für das Jahr 2021.

https://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/tickerarchiv/d/n/2688/

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert die geplante Anhebung der Regelsätze zum neuen Jahr als „realitätsfern, nicht bedarfsgerecht und viel zu niedrig“. Sie sei „geradezu lächerlich niedrig angesichts der bitteren Lebensrealität armer Menschen in diesem Land“. Laut einer Pressemitteilung vom 8. September wirft der Verband der Bundesregierung „statistische Trickserei und unverschämtes Kleinrechnen“ vor. Fehler und Schwächen der umstrittenen Methodik zur Regelbedarfsermittlung würden einfach fort- und festgeschrieben.

https://www.der-paritaetische.de/presse/hartz-iv-paritaetischer-gesamtverband-kritisiert-geplante-erhoehung-der-regelsaetze-als-viel-zu-niedri/

Auszug aus einer bereits am 31. August 2020 erfolgten Stellungnahme des von mehreren Erwerbslosenorganisationen getragenen „Bündnis ‚Auf Recht Bestehen‘“:

„Die Bundesregierung hat angekündigt, den Hartz IV-Regelsatz ab 2021 um sieben Euro auf dann 439 Euro im Monat zu erhöhen. Das sind ganze 23 Cent am Tag. Nach Abzug der Miete bleiben den ärmsten 15 Prozent der Bevölkerung (abzüglich derer, die ausschließlich von Grundsicherungsleistungen leben) rund 600 Euro für den täglichen Bedarf und die soziokulturelle Teilhabe. (…) Zur Ermittlung des Regelsatzes werden diese 15 Prozent und ihr viel zu geringes, nicht bedarfsdeckendes Einkommen als Vergleichsgrundlage herangezogen, um von diesem wenigen nochmal rund ein Drittel als vorgeblich ‚nicht regelsatzrelevant‘ überwiegend politisch motiviert abzuziehen. Wir fordern die Zurücknahme aller politisch motivierten Streichungen beim Existenzminimum! Wir fordern somit eine sofortige Erhöhung des Regelsatzes auf mindestens 600 Euro!“

https://harald-thome.de/fa/redakteur/Harald_2020/Aufruf_Aktionstage_10-2020.pdf

Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied, nahm am 8. September dazu Stellung:

„Der schöne Schein angehobener Regelsätze trügt. Das Arbeitsministerium hat in Wahrheit nicht nachgebessert, sondern lediglich einen gesetzlich vorgeschriebenen Rechenschritt nachgeholt, um die Regelsätze bis 2021 fortzuschreiben. Es wäre unredlich und zynisch, diese Fortschreibung den Ärmsten der Gesellschaft als Erhöhung zu verkaufen und ihnen ein X für ein U vorzumachen.

Das Grundübel der Regelsatz-Herleitung bleibt unverändert: Das Wenige, was die einkommensschwächsten 15 Prozent der Haushalte laut Statistik ausgeben können, wird mit dem Existenzminimum gleichgesetzt. Dabei ist diese Vergleichsgruppe Welten von einem normalen Lebensstandard wie in der Mitte der Gesellschaft entfernt. So wird Armut nicht bekämpft, sondern zementiert. Auch mit dem neuen Betrag von 446 Euro für alleinstehende Erwachsene bleibt es dabei: Das Hartz-IV-Leistungsniveau liegt unterhalb der offiziellen Armutsgrenze.“

https://www.dgb.de/presse/++co++8d4a0830-f1da-11ea-bff8-001a4a160123

Die Gewerkschaft ver.di erklärte:

„Die Vorschriften über die Regelbedarfe gelten für über 7,2 Millionen Menschen, darunter rund 5,7 Millionen Leistungsberechtigte in der Grundsicherung SGB II. (…) Aktuell hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass ohne all die zusätzlichen kostenlosen Unterstützungsangebote, wie Kleiderkammern und Suppenküchen, die Betroffene nicht über die Runden kämen. Bereits die derzeitigen Regelsätze leisten keinen Beitrag für die dringend notwendige Bekämpfung der Armut in Deutschland. (…) Die tatsächlichen Bedarfe der Betroffenen sind wesentlich höher als die nun vom Kabinett beschlossenen Regelsätze.“

https://arbeitsmarkt-und-sozialpolitik.verdi.de/ueber-uns/nachrichten/++co++8d6cecd2-eeb1-11ea-8c98-001a4a160100

Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, beanstandet, dass bei der im August vom Bundeskabinett beschlossenen Ermittlung der Regelbedarfe vom Bedarf der Vergleichsgruppe 160 Euro willkürlich gestrichen wurden. Dabei befänden sich in der Vergleichsgruppe die einkommensschwächsten 15 Prozent der Haushalte. „In der Corona-Krise hat sich die Situation weiter verschärft“, so Loheide. „Darum sind mindestens 100 Euro mehr pro Monat als Soforthilfe für Menschen mit Grundsicherung dringend nötig.“

https://www.diakonie.de/diakonie-zitate/armut-verschaerft-sich-hartz-iv-regelsaetze-sinken-soforthilfe-dringend-noetig

Cum-Ex und kein Ende

Olaf Scholz, Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD, gab am 9. September 2020 gegenüber dem Finanzausschuss des Bundestages zu, dass es im Jahr 2016 ein weiteres Treffen mit dem ehemaligen Miteigentümer der Hamburger Privatbank M. M. Warburg gegeben hat. Bis dahin war nur ein Treffen von Scholz – zu der Zeit Hamburgs Erster Bürgermeister ‒ mit Christian Olearius bekannt gewesen. Schon damals liefen gegen die Bank und gegen Olearius Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung. Die Warburg Bank hatte über Jahre hinweg Cum-Ex-Deals abgewickelt und sich einmal bezahlte Steuern mehrfach zurückerstatten lassen. Das Hamburger Finanzamt ließ damals die Rückforderung von 47 Millionen Euro, die sich die Warburg Bank durch Cum-Ex-Geschäfte erschlichen hatte, verjähren. Scholz war in diesem Zusammenhang vorgeworfen worden, auf die Entscheidung der Hamburger Behörde politisch Einfluss genommen zu haben. Im Bundestag wies Scholz erneut alle derartigen Vorwürfe zurück: Er habe keine konkrete Erinnerung an diese Meetings und ihnen offensichtlich nur geringe Bedeutung beigemessen.

Eintragungen im Tagebuch des Bankers Olearius, in dem dieser mehrere Gespräche mit Scholz (SPD) dokumentiert hatte, brachten den SPD-Politiker in Erklärungsnöte. Die Tageszeitung taz kommentierte:

„Nicht verwunderlich, dass die Opposition bereits den Geruch von Korruption wahrgenommen und ‚schmutzige Deals zu Lasten der Steuerzahler‘ erkannt haben will. Einen Untersuchungsausschuss vermeiden ließe sich wohl nur noch, wenn Senat und Warburg-Bank der Aufhebung des Steuergeheimnisses zustimmen würden, wie es die Linke fordert. Das wäre aber eine Überraschung.“ (taz vom 4. September 2020)

 

http://big.businesscrime.de/nachrichten/stadt-hamburg-verzichtet-auf-rueckforderung-von-47-millionen-euro/)

https://www.sueddeutsche.de/politik/scholz-cum-ex-warburg-1.5026142

https://taz.de/Scholz-und-die-Cum-Ex-Affaere/!5709394&s=olearius/

 

Aber Cum-Ex-Geschäfte sind weiterhin möglich. Das belegt eine am 7. September veröffentlichte und von der Initiative Finanzwende bei dem Wirtschaftsanwalt und Steuerexperten Alexander Heist in Auftrag gegebene Untersuchung. Sie kommt zu dem Ergebnis, „dass steuergetriebene Geschäfte über den Dividendenstichtag nach den bekannten CumEx- und CumCum-Muster weiterhin möglich scheinen“.

https://www.finanzwende.de/themen/cumex/geht-der-steuerraub-mit-cumex-weiter/?L=0

„Auch heute erscheint es möglich, dass so gut wie keine Kapitalertragsteuer auf Dividendenauszahlungen beim Fiskus ankommt“, schreibt Heist auf der ersten Seite seiner Untersuchung. Und weiter: „Steuergetriebene Cum/Ex-Trades sollten mit einer Gesetzesänderung zum Jahresbeginn 2012 endgültig abgeschafft werden. (…) Lange Zeit wurde nach der öffentlichen Berichterstattung erhebliches Steuervolumen, teilweise in dreistelliger Millionenhöhe, unter anderem an ‚Briefkastenfirmen‘ ausbezahlt. Dies führte zum Aufgriff durch die Finanzverwaltung und letztlich zur Aufdeckung des Cum/Ex-Skandals. Mittlerweile hat die Finanzverwaltung mit der Auszahlung an diese Stellen und in diesem Umfang den Verlautbarungen nach aufgehört. Es besteht jedoch Anlass anzunehmen, dass die Cum/Ex-Geschäfte mit veränderter Struktur bis zum heutigen Tage weiterlaufen.“ 

https://www.finanzwende.de/fileadmin/user_upload/Kampagnen/Staatsanwaltschaft/Strategien_Aktienhandel_nach_OGAW_IV_final.pdf

Das Neue Deutschland vom 7. September 2020 zitiert Gerhard Schick von Finanzwende: „Bei organisierter Finanzkriminalität muss Deutschland endlich mit der ganzen Härte des Gesetzes durchgreifen“. Jeder Täter müsse vor Gericht landen. Doch hapere schon an der juristischen Aufarbeitung der alten Cum-Ex-Deals, die den Fiskus mindestens zehn Milliarden Euro kosteten. Nach sieben Jahren Ermittlungen wären erst zwei Täter verurteilt worden ‒ zu Bewährungsstrafen. Nur ein Bruchteil des Milliardenschadens sei bisher zurückgeholt worden, viele Taten drohten zu verjähren.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1141467.steuertricks-cum-ex-ist-nicht-geschichte.html

Finanzwende fordert deshalb auch eine bessere personelle Ausstattung der Ermittlungsbehörden ‒ zum Beispiel von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) die Schaffung einer „Soko Cum-Ex“ mit mindestens 150 Ermittlern. Um Druck aufzubauen hat, hat Finanzwende eine Petition im Internet gestartet. Diese richtet sich direkt an Laschet: „Holen Sie unser Steuergeld zurück und ermöglichen Sie eine Bestrafung aller Täter!“

https://www.finanzwende.de/kampagnen/armin-laschet-holen-sie-unser-steuergeld-zurueck/?L=0

Unternehmen nutzen Gesetzeslücken bei Mitbestimmung

Der in einen Bilanzskandal verwickelte Finanzdienstleiter Wirecard verfügte bis zu seiner Insolvenz über keinerlei Mitbestimmung, weder durch einen Betriebsrat noch durch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Bis Ende 2018 hatte das Unternehmen rund 5.000 Beschäftigte, davon etwa ein Drittel in Deutschland. Für deutsche Kapitalgesellschaften mit 501 bis 2.000 inländischen Beschäftigten gilt aber die gesetzliche Regel, dass Arbeitnehmer*innen ein Drittel der Mitglieder im Aufsichtsrat stellen. Offenbar nutzte Wirecard aber eine Lücke im Drittelbeteiligungsgesetz aus, um die Arbeitnehmermitsprache in dem Kontrollgremium zu verhindern. Das belegt eine Analyse von Sebastian Sick, Experte für Unternehmensrecht und Corporate Governance am Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (IMU) der Hans-Böckler-Stiftung.

Laut Sick unterlief das Management von Wirecard die Arbeitnehmerbeteiligung mittels der so genannten „Drittelbeteiligungslücke“. Denn im Drittelbeteiligungsgesetz ist keine automatische Konzernzurechnung von Beschäftigten in Tochterunternehmen vorgesehen. Gliedert sich ein Konzern in eine Holding und verschiedene Töchter auf, die jeweils maximal 500 Beschäftigte haben und die nicht über formale „Beherrschungsverträge“ miteinander verbunden sind, kann er eine Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat vermeiden. Das gilt auch wenn die verschiedenen abhängigen Unternehmen zusammengenommen über weit mehr als 500 Mitarbeiter*innen beschäftigen. „Gewinne der Töchter können trotzdem über isolierte ‚Gewinnabführungsverträge‘ an die Holding fließen“, erläutert Sick.

Zwischen der personell kleinen Holding Wirecard AG und der relativ großen Tochter „Wirecard Technologies GmbH“ bestand ursprünglich ein Beherrschungsvertrag. Der wurde dann zum Ende des Jahres 2018 gekündigt. Sick vermutet, dass die Kündigung mitbestimmungsrechtlich motiviert war.

Aber Wirecard agiert nicht allein auf diese Weise. „Allein in Unternehmen mit mehr als 2.000 inländischen Mitarbeitern, für die grundsätzlich eine paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat vorgesehen ist, sind mindestens 2,1 Millionen Beschäftigte davon betroffen (…). Als weitere ‚Mitbestimmungsvermeider‘ (…), die in letzter Zeit für viel Aufsehen sorgten, nennt Sick mehrere der großen deutschen Schlachtkonzerne, angefangen beim Marktführer Tönnies“, heißt es weiter in der Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung.

Nach Sick sind die Schwachstellen in den deutschen Mitbestimmungsgesetzen seit langem bekannt und könnten mit nur geringem gesetzgeberischen Aufwand geschlossen werden. Beim Drittelbeteiligungsgesetz würde es etwa schon reichen, eine automatische Konzernzurechnung von Tochterunternehmen zu ergänzen, wie sie im Mitbestimmungsgesetz von 1976 längst existiere.

Quelle:

Hans-Böckler-Stiftung: „Wirecard: Mitbestimmung im Aufsichtsrat über Rechtslücke umgangen – Auch Schlachtkonzerne haben Arbeitsnehmer im Kontrollgremium verhindert“, Pressemitteilung vom 22. September 2020
https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-wirecard-mitbestimmung-im-aufsichtsrat-uber-rechtslucke-umgangen-27045.htm