Bundesrechnungshof wirft Bund und Ländern Versagen beim Kampf gegen Geldwäsche vor

Rund 100 Milliarden Euro aus illegalen Transaktionen gelangen schätzungsweise jedes Jahr in der Bundesrepublik in den legalen Wirtschaftskreislauf, werden also „gewaschen“. Der Bundesrechnungshof, so schreibt das Handelsblatt, „kommt in einem als geheime Verschlusssache eingestuften Bericht zur Geldwäschebekämpfung, der dem Handelsblatt vorliegt, zu einem nahezu vernichtenden Urteil: Bund und Länder bekommen demnach das Problem überhaupt nicht in den Griff“. Da es nach Auffassung der Bundesbehörde keine wirksame Geldwäscheaufsicht gibt, fordert sie drastische Konsequenzen: Neben einer Neuorganisation dieser Aufsicht plädieren die Rechnungsprüfer auch für die Einführung einer Bargeldobergrenze.

Für die Kontrolle der Geldwäsche-Verdachtsfälle sind die Bundesländer zuständig. Dafür aber, so der Rechnungshof, setzten die Länder zu wenig Personal ein. Deshalb könne die hohe Zahl derjenigen, die einen Verdacht auf Geldwäsche melden müssen (wie Banken, Wirtschaftsprüfer und Immobilienmakler) kaum beaufsichtigt werden. Die Entdeckungsgefahr bei Verstößen sei gering, vorgesehene Bußgeldsanktionen seien wegen fehlender Kontrollen der Aufsichtsbehörden weitgehend wirkungslos.

Der Bundesrechnungshof fordert daneben eine Obergrenze für Barzahlungen von 5.000 Euro. Denn eine Bargeldhöchstgrenze könne ein wichtiger Baustein bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sein und auch die Steuerhinterziehung erschweren. In anderen EU-Staaten gäbe es solche Obergrenzen längst. Italien habe eine Höchstgrenze von 2999,99 Euro, Frankreich eine von 1.000 bis 10.000 Euro, je nachdem, ob ein In- oder Ausländer in bar zahle. In Deutschland aber sei bereits im Jahr 2016 die Idee gescheitert, eine Obergrenze von 2.000 bis 5.000 Euro einzuführen

Die Süddeutsche Zeitung berichtete in diesem Zusammenhang darüber, dass die EU-Kommission am 22. Januar 2021 aus gleichen Gründen über die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung zu den Bargeldobergrenzen in allen Mitgliedsstaaten diskutierte. Nach einem dort präsentierten Diskussionspapier, so die Zeitung, verzerrten die großen Unterschiede bei den Obergrenzen für Barzahlungen zwischen den Mitgliedstaaten zudem den Wettbewerb im Binnenmarkt. „Händler in Ländern mit hohen Limits könnten sich über zusätzliches Geschäft freuen, wenn Kriminelle Staaten mit niedrigen Obergrenzen meiden – zum Nachteil der dortigen Händler. So würden belgische Juweliere schätzen, dass ihnen 20 bis 30 Prozent Umsatz entgehe, weil Nachbarländer Barzahlungen laxer handhabten.“ (Süddeutsche Zeitung vom 22. Januar 2021)

Die Kommission favorisiert eine EU-weite Obergrenze für Bargeldzahlungen von 10.000 Euro, wobei Mitgliedsstaaten das Recht haben sollen, niedrigere Limits zu setzen. Bis März dieses Jahres will die Kommission neue Gesetzesvorschläge gegen Geldwäsche präsentieren

Quellen:

Martin Greive/Jan Hildebrand: „Geheimes Gutachten: Deutschland ist ein Paradies für Geldwäscher“, Handelsblatt Online vom 24. Januar 2021

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/steuerkriminalitaet-geheimes-gutachten-deutschland-ist-ein-paradies-fuer-geldwaescher/26846022.html

Björn Finke: „EU diskutiert Limit für Barzahlungen“, Süddeutsche Zeitung vom 22. Januar 2021

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eu-bargeld-grenze-1.5183566

(Zu wenig) Bewegung bei der Verfolgung von „Cum-Ex“-Steuerbetrug

In Dänemark tut sich etwas bei der juristischen Aufarbeitung des „Cum-Ex“-Skandals. Wie das Handelsblatt berichtete, soll der britische Investmentbanker Sanjay Shah wegen Steuerbetrug vor Gericht gestellt werden. Der dänische Generalstaatsanwalt für schwere Wirtschaftsverbrechen und internationale Kriminalität wirft ihm vor, den dänischen Staat zwischen 2012 und 2015 um 1,5 Milliarden Euro Steuergelder betrogen zu haben. Insgesamt werden ihm und einen zweiten Angeklagten 3000 Einzeltaten zur Last gelegt. Da es sich laut Staatsanwaltschaft um „äußerst schwere und außerordentlich umfangreiche Verbrechen gegen den dänischen Staat“ (Handelsblatt vom 7. Januar 2021) handele, müssten die Angeklagten mit einer Höchststrafe von bis zu zwölf Jahren Haft rechnen. Allerdings ist es sehr fraglich, ob sie im Falle einer Verurteilung tatsächlich ins Gefängnis kommen. Shah hat sich nach Dubai abgesetzt; der andere Beschuldigte hält sich derzeit wohl in Großbritannien auf.

Beraten ließ sich der Banker Shah nach eigenen Angaben von international bekannten Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsunternehmen. „So gesehen“, resümiert das Handelsblatt, „ist Shah in guter Gesellschaft. Viele der hellsten Köpfe des internationalen Steuerrechts halfen beim Griff in die Staatskassen – und fast alle Banken“.

Offensichtlich stehen auch deutsche Behörden bei der Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals vor einem Erfolg. Denn der Insolvenzverwalter der 2008 im Zuge der Finanzkrise in den Konkurs geratenen US-Investmentbank Lehman Brothers hat sich laut Handelsblatt grundsätzlich bereit erklärt, einen Großteil der Profite zurückzuzahlen, die das Geldhaus mit „Cum-Ex“-Geschäften erzielt hatte (Handelsblatt vom 5. Januar 2021). Wie das Blatt schreibt, stehe die Staatsanwaltschaft Köln kurz vor einem Deal mit der ehemaligen US-Investmentbank. Fast 50 Millionen Euro könnten so in die Staatskasse zurückfließen – einer der höchsten Beträge, die je eine Bank wegen ihrer Beteiligung an „Cum-Ex“-Geschäften an den Staat gezahlt hätte.

Die beiden Journalisten des Handelsblattes schreiben weiter:

„Lehman strich für die Deals üppige Provisionen von den Geschäftspartnern ein. Die ‚German Trades‘, wie sie bankintern genannt wurden, waren äußerst lukrativ. Vor allem in den Jahren 2007 und 2008 war die britische Einheit der US-Investmentbank auf der Seite der Leerverkäufer einer der wichtigsten Akteure in den Cum-Ex-Geschäften. Ihr Anteil an der Beute aus dem Staatssäckel soll nach Recherchen des Handelsblatts mehr als 100 Millionen Euro schwer gewesen sein. (…) Das Kapitel Cum-Ex will der Lehman-Insolvenzverwalter zumindest finanziell abschließen. Noch ungeklärt ist, was die finanzielle Einigung mit Lehman Brothers für die strafrechtliche Aufarbeitung des Falls bedeutet.“

Für die Behörde, so schreibt das Blatt, sei der Zwischenerfolg jedoch nur ein Mosaikstein in einem riesigen Puzzle. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittle gegen etwa 70 Finanzinstitute und mehr als 900 Beschuldigte. Hinzu kämen die Ermittlungen und Anklagen der Behörden in Frankfurt, München, Wiesbaden und Bonn: „Auf den Listen der Staatsanwälte finden sich Investmentbanker, Bankvorstände, Steueranwälte und Wirtschaftsprüfer, insgesamt sind es rund 1.000 Verdächtige.“

Die Tageszeitung junge Welt bleibt allerdings skeptisch und fasst die Auswirkungen des „Cum-Ex“-Komplexes wie folgt zusammen:

„Insgesamt wurde durch den großen Steuerdiebstahl allein der deutsche Fiskus um mindestens 32 Milliarden Euro geprellt. Wieviel davon sich der Staat letztlich wieder holt, ist ungewiss. Bislang wurde nur ein Bruchteil zurückgefordert. Die juristische Aufarbeitung läuft schleppend. In NRW, wo die meisten Fälle angesiedelt sind, stehen 50 Ermittler mittlerweile rund 900 Beschuldigten und ihren Heerscharen von Anwälten gegenüber. Viele Fälle werden bis zur Verjährung liegenbleiben oder mit außergerichtlichen Deals enden. Die Politik steuert nur zögerlich nach: Weiterhin sind die Gerichte und Staatsanwaltschaften hoffnungslos überlastet, weil an allen Ecken und Enden Personal fehlt. Weiterhin geben Bundes- und Landesbehörden wichtige Informationen nicht an die Ermittler weiter. Und weiterhin bestehen nach Experteneinschätzung Gesetzeslücken, die Cum-Ex-ähnliche Geschäfte möglich machen.“

In einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche kritisiert auch Gerhard Schick, ehemaliger Grünen-Bundestagsabgeordneter und Vorstand von Finanzwende e.V., das offenbar fehlende Interesse der Politik an einer konsequenten Verfolgung der kriminellen „Cum-Ex“-Geschäfte. So führten etwa NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Jens Spahn in ihrem Anfang Januar vorgelegten „Zehn-Punkte-Plan“ für Deutschland die Forderung nach „Null Toleranz gegen Kriminalität“ an. Neben den Delikten Kindesmissbrauch und Clankriminalität fehle allerdings ein großes Problemfeld: die Finanzkriminalität. Schick schreibt in der Wirtschaftswoche: „Auch Armin Laschet müsste als Ministerpräsident von NRW davon gehört haben, dass fast 1.000 Beschuldigte wegen Cum-Ex im Fokus der Staatsanwaltschaft Köln stehen. Was muss in Deutschland, so fragt man sich nach dem Fall Wirecard, eigentlich noch passieren, damit auch Finanzkriminalität endlich Erwähnung findet? Halten Laschet und Spahn das alles für Kavaliersdelikte? Oder ist für die Formulierung politischer Ziele die mediale Aufmerksamkeit doch das einzig Relevante? Denn da bieten ausländische Clans sicher mehr als weiße Männer in Anzügen.“ (Wirtschaftswoche Online vom 14. Januar 2021)

So blieben nach Schick bei der Verfolgung der illegalen Geschäfte, die der organisierten Kriminalität zuzuordnen seien, die zuständigen Ermittlungsstellen unterbesetzt. Bei den Staatsanwaltschaften etwa fehle es an Personal für die Bearbeitung der komplexen Fälle. In den Jahren nach 2013 hätte zunächst nur eine einzige Staatsanwältin in NRW an den Fällen gearbeitet; erst öffentlicher Druck habe den dortigen Justizminister dazu gebracht, die Zahl der Staatsanwälte auf 15 aufzustocken. Inzwischen seien von Innenminister Reul bis zu 40 zusätzliche Stellen angekündigt worden. Doch Finanzminister Lienenkämper blockiere noch. „Ministerpräsident Laschet“, so Schick, „hat es bei diesem Querschnittsthema versäumt, die Zügel in die Hand zu nehmen und rechtzeitig die Behörden zu stärken. Bis heute kann auch von einer effektiven Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden in seinem Bundesland nicht die Rede sein.“

Quellen:

Sönke Iwersen: „Historische Anklage in Dänemark: Banker soll wegen Milliarden-Steuerbetrugs vor Gericht“, Handelsblatt Online vom 7. Januar 2021

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/cum-ex-skandal-historische-anklage-in-daenemark-banker-soll-wegen-milliarden-steuerbetrugs-vor-gericht/26777084.html

Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Skandalbank Lehman Brothers will einen Großteil ihrer Cum-Ex-Profite zurückzahlen“, Handelsblatt Online vom 5. Januar 2021

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/steueraffaere-skandalbank-lehman-brothers-will-einen-grossteil-ihrer-cum-ex-profite-zurueckzahlen/26769190.html

„Cum-Ex: Zwei britische Banker in Dänemark angeklagt“, Wirtschaftswoche Online vom 7. Januar 2021

https://www.wiwo.de/steuerskandal-cum-ex-zwei-britische-banker-in-daenemark-angeklagt/26777292.html

Steffen Stierle: „Trickser blechen“, junge Welt vom 11. Januar 2021

https://www.jungewelt.de/artikel/print.php?id=394051

Gerhard Schick: „Laschet und Spahn: Kulant bei Finanzkriminalität“, Wirtschaftswoche Online vom 14. Januar 2021

https://www.wiwo.de/politik/deutschland/cdu-laschet-und-spahn-kulant-bei-finanzkriminalitaet/26794290.html

Bürgerbewegung Finanzwende e.V. über den Einfluss der Finanzlobby

„Deutschland erlebt wie in so vielen Jahren auch 2020, wie immer neue Finanzskandale an die Öffentlichkeit kommen oder juristisch aufgearbeitet werden: Wirecard, CumEx, FinCEN-Files. Finanzwende hat die Häufung dieser Skandale und den mangelnden politischen Aufklärungs- sowie Reformwillen zum Anlass genommen, um einen Gesamtüberblick über die Finanzlobby in Deutschland zu erstellen. Wir wollten wissen, wie es um die Interessenvertretung im Themenfeld Finanzmarkt bestellt ist. Wer kommentiert Gesetze und wer wird zu Ausschüssen geladen? Wie viele Mitarbeiter arbeiten für die Interessenvertretung eines Sektors, der immer wieder mit Skandalen und dem Ausnutzen gesetzlicher Schlupflöcher auffällt?“ (Finanzwende, Seite 6)

Die Bürgerbewegung Finanzwende e.V. hat aus oben zitierten Gründen am 9. Dezember 2020 eine – nach eigenen Angaben „erste systematische“ – Studie vorgelegt, die den Einfluss und die Größe der Finanzlobby in Deutschland untersucht. Das Ergebnis: Nach Einschätzung des Vereins gibt die Finanzindustrie insgesamt mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr für Lobbyarbeit in Deutschland aus und beschäftigt dabei mehr als 1.500 Mitarbeiter*innen. Rechnerisch stehen jeder/m der 41 Abgeordneten des Bundestags-Finanzauschusses etwa 36 Mitarbeiter*innen der Finanzlobby gegenüber. Insbesondere in der frühen Phase der Gesetzgebung, also bevor die erste Fassung eines Gesetzes veröffentlicht wird, dominieren Aktivitäten der Branchenverbände. Rund 290 verschiedene Organisationen aus dem erweiterten Bereich der Finanzlobby haben allein in den Jahren 2014 bis 2020 auf ihre privilegierte Weise versucht, Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen.

Finanzwende e.V. belegt konkret die Einflussnahme dieser Organisationen auf die Parlaments- und Regierungsarbeit: Für 34 Sitzungen des Bundestags-Finanzausschusses von 2014 bis 2020 sowie für 33 Referentenentwürfe mit Finanzmarktbezug im gleichen Zeitraum kann im Einzelnen gezeigt werden, welche Verbände und Unternehmen Kommentare und Stellungnahmen abgegeben haben. Mehr als 500 Kommentare zu Referentenentwürfen und mehr als 500 Einladungen bei Ausschusssitzungen wurden gesichtet. Ebenso lässt sich nachweisen, wer Zugang zum Bundestag über sogenannte Hausausweise besitzt. Gegenüber Organisationen der Zivilgesellschaft war die Finanzlobby in allen Phasen der Gesetzgebung deutlich überrepräsentiert.

Die Studie schließt mit den Worten:

„Die wahre Größe der Finanzlobby dürfte deutlich über den hier vorgelegten Zahlen liegen. Die Intransparenz ist gewollt, denn sie verschleiert die tatsächliche Schieflage. Ein verpflichtendes Lobbytransparenzregister würde hier einiges Licht ins Dunkel bringen. Neben der Transparenz darüber, wer hier für wen mit welchem Budget tätig ist, brauchen wir auch Transparenz bezüglich der Herkunft bestimmter Ideen oder Formulierungen in Gesetzen. (…) Transparenz reicht aber nicht aus. Es braucht eine Korrektur dieses Ungleichgewichts der Kräfte. Durch eine Politik, die auf jeder Stufe von Entscheidungsvorbereitung bis -findung auf eine gleichmäßige Repräsentanz der verschiedenen Betroffenen achtet und durch eine starke Zivilgesellschaft, die in der Lage ist, sich der Lobbyübermacht der Finanzindustrie entgegenzustellen.“ (Finanzwende, Seite 19)

Quelle:

Bürgerbewegung Finanzwende e.V. (Hg.): Ungleiches Terrain. Eine Studie zu Größe und Einfluss der Finanzobby in Deutschland, 9. Dezember 2020

https://www.finanzwende.de/themen/finanzlobbyismus/wir-fordern-transparenz/?L=0

Klinikabbau in Coronazeiten

Die Covid-19-Pandemie hat bisher bei der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland zu einem (im Vergleich zu anderen Teilen der Welt) prozentual eher geringen Anteil an ernsthaften Erkrankungen und Todesfällen geführt. Die Ursache liegt wohl bei dem immer noch in großen Teilen intakten deutschen Gesundheitswesen begründet. Eher selten wird in der Öffentlichkeit thematisiert, dass die seit Jahren laufende Demontage medizinischer Infrastruktur seit Beginn der Pandemie kaum gebrochen fortgesetzt wird.

In dem in unserer Beilage zu Nr. 4/2020 von „Stichwort BAYER“ veröffentlichten Beitrag „Big Business und die Krankenhausmisere“ von Joachim Maiworm wurde ausführlich auf die im Graubereich zwischen legalem und kriminellem Handeln liegenden Praktiken von Unternehmen der Gesundheitsindustrie eingegangen. Zu letzteren gehört zweifelsfrei die auch im Jahr 2020 andauernde Schließung „unrentabler“ Krankenhausstandorte sowie die permanente Überlastung des in großen Teilen unterbezahlten Personals der verbliebenen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.

Der Verein „Gemeingut in BürgerInnenhand“, der schon seit langer Zeit gegen die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur kämpft, initiierte kürzlich eine Petition an die Adresse der Bundesregierung, in der unter anderem ein Stopp der weiteren Schließungen, eine Aufstockung des Krankenhauspersonals sowie eine Verbesserung von dessen Bezahlung und Arbeitsbedingungen gefordert wurde. Im diesbezüglichen Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn hieß es: Wir brauchen „umgehend eine veränderte Krankenhauspolitik, wir benötigen eine solidarische Finanzierung“.

Am 21. Dezember 2020 konstituierte sich dann bundesweit ein „Bündnis Klinikrettung“ mit dem Ziel, den „sofortigen Stopp von Schließungen von Krankenhäusern zu bewirken“. In dem Aufruftext heißt es weiter: „In Deutschland werden zum Jahresende zwanzig Krankenhäuser geschlossen sein, doppelt so viele wie im Durchschnitt der letzten Jahre. Betroffen sind im Corona-Jahr 2.144 Betten und circa 4.000 Stellen“.

Laura Valentukeviciute vom Vorstand von „Gemeingut in BürgerInnenhand“ als Trägerorganisation des Bündnisses ging in einer Pressemitteilung detailliert auf die Notwendigkeit der Initiative ein: „Die Menschen in Deutschland brauchen wohnortnahe stationäre Versorgung. Durch die aktuelle Politik gibt es immer weniger Kliniken. Aber es gibt nicht weniger Kranke. Im Gegenteil: Aktuell füllen sich die Intensivstationen mit beängstigendem Tempo.“

Am 2. Januar 2021 kursierte eine Meldung durch die Medien, in der der Chef einer privaten Krankenversicherung die weitere Reduzierung von Krankenhausbetten forderte. Begründet wurde dies damit, dass es „zu viele medizinisch unnötige“ Operationen“ gäbe, welche „die Versichertengemeinschaft Milliarden“ kosten würden.

Quellen:

„Bundesweite Krankenhausschließungen jetzt stoppen!“

„Neues Bündnis Klinikrettung.de fordert sofortigen Stopp der Schließungen von Krankenhäusern“

„Der Chef der Techniker Krankenkasse fordert auch nach den Erfahrungen mit der Corona-Pandemie einen Abbau von Betten in den Krankenhäusern“

 

 

Illegale Geschäfte im großen Stil

„Der Erfolg von Airbnb an der Börse zeigt die Zukunft des Reisemarktes auf“ lautet der Titel eines Kommentars im Handelsblatt vom 11. Dezember 2020. Trotz Reisewarnungen und Beherbergungsverboten hatte das als weltweit größte Online-Plattform zur Vermietung von Ferienunterkünften agierende US-Unternehmen im vergangenen Dezember einen fulminanten Börsenstart hingelegt. Rund 3,5 Milliarden US-Dollar brachte die Emission von Anteilsscheinen ein. Wegen seines Geschäftsmodells ist Airbnb im Gegensatz zu traditionellen Reiseveranstaltern zurzeit bei Investoren stark angesagt. Denn, so der Autor des Handelsblatts, „Airbnb ist in der Investorensprache ‚asset light‘, ist anders als Tui keine Verträge mit Hotels, Fluglinien oder Kreuzfahrt-Anbietern eingegangen. Die hängen wie Bleigewichte an den Reiseveranstaltern“. Tatsächlich meistert Airbnb die Coronakrise deutlich besser als die klassische Konkurrenz. Denn das Unternehmen zeigt sich als ausgesprochen flexibel: Es profitiert offensichtlich von einer steigenden Nachfrage von Menschen, die der Stadt entfliehen wollen, um in ländlichen Ferienwohnungen im Homeoffice arbeiten zu können. Dazu kommen die im Vergleich zu Hotel- und Reiseanbietern geringen Fixkosten. So werden die Aufwendungen für leerstehende Häuser und Wohnungen in Zeiten der Pandemie ausschließlich von den Vermietern getragen.

Die rein ökonomische Betrachtung des Dreiecksverhältnisses von Online-Plattform, Vermietern und Kunden blendet jedoch die Folgen des Geschäftsmodells für das „Umfeld“, das heißt für die Bewohner*innen vor allem der touristisch attraktiven Großstädte aus. Dringend benötigter Wohnraum wird zweckentfremdet, die Mieten steigen weiter und Nachbarschaften leiden unter den Wirkungen eines „Overtourism“. Dieser Zusammenhang wird bereits seit mehreren Jahren kritisch diskutiert – politische Initiativen bekämpfen weltweit die Praktiken der Online-Plattformen. So wurden im November und Dezember des vergangenen Jahres zwei neue international ausgerichtete Studien veröffentlicht. Diese beschreiben, wie Städte bisher weitgehend in ihren Bestrebungen scheiterten, die Kurzzeitvermietungen von Wohnungen und Zimmern gemeinwohlorientiert zu regulieren.

Die im Auftrag der Fraktion der Linken im Europaparlament erstellte Studie „Platform Failure“ (Plattformversagen) von Murray Cox und Kenneth Haar verdeutlicht, dass die Verflechtung der Bereiche Wohnen und Tourismus bei den Kurzzeitvermietungen zu einem gefährlichen Trend geführt habe. Die Analyse der acht Städte Amsterdam, Barcelona, Berlin, Paris, Prag, Wien, New York und San Francisco ergab ein deutliches Übergewicht der rein kommerziellen Vermietung gegenüber der ursprünglichen Form des „Home Sharing“, bei dem Privatpersonen nur gelegentlich vermieten. In Barcelona beispielsweise machte der kommerzielle Anteil der Einnahmen aus Vermietungen (Vermietung eines Hauses für mehr als 90 Tage im Jahr bzw. mehrerer Häuser oder Zimmer durch einen Anbieter) 89 Prozent aus. In Berlin waren es knapp 74 Prozent, in Prag dagegen sogar über 94 Prozent. Der durchschnittliche Anteil an den Einnahmen aus der Vermietung von Häusern, Wohnungen oder Einzelzimmern, die für weniger als 30 Tage im Jahr Besucher*innen überlassen wurden, betrug in den acht untersuchten Städten dagegen gerade einmal 12,5 Prozent (Seite 10). Nicht wenige Städte bemühen sich jedoch seit Jahren, die Nutzung des „normalen“ Wohnraums für touristische Zwecke einzudämmen, indem sie zunächst versuchen, eine Offenlegung aller relevanten Daten des Angebots auf der Plattform zu erwirken (zum Beispiel die genauen Adressen der Unterkünfte). Teilweise sind Vermieter auch verpflichtet, eine Genehmigung bei den Stadtverwaltungen einzuholen und bei den Buchungsplattformen eine Registrierungsnummer anzugeben. Mit mäßigem Erfolg: Bei 60 Prozent der in Paris von Airbnb gelisteten Wohnungen fehlen die dort seit 2017 erforderlichen Registriernummern. In Berlin sind es rund 80 Prozent, in New York gar 85 Prozent (Seite 12).

Die von Sarah Coupechoux und Clotilde Clark-Foulquier verfasste Studie „The City is ours!“, herausgegeben von der europäischen Obdachlosenorganisation Feantsa und der französischen Abbé-Pierre-Stiftung, die sich ebenfalls für Obdachlose engagiert und sich um das Thema Wohnungsnot kümmert, bestätigt diese Ergebnisse. Ihre Recherchen ergaben, dass ein erheblicher Teil der Zimmer- und Wohnungsangebote auf der Airbnb-Plattform nicht von privaten Personen geschaltet wurde, sondern von Unternehmen, die über mehrere Wohnungen verfügen (Seite 5). In Bezirken mit einem hohen Anteil an Kurzzeitvermietungen schwinde so das Angebot an klassischen Vermietungen, was die Mieten und die Verkaufspreise in die Höhe treibe. Die ursprüngliche Idee einer „Sharing economy“ sei pervertiert worden und das Airbnb-Modell Teil der weiteren Finanzialisierung des Wohnungsmarkts geworden, nach der Wohnungen lediglich als Anlageobjekte betrachtet werden (Seite 7).

Die vorliegenden Studien belegen einmal mehr, dass in den untersuchten europäischen und US-amerikanischen Städten trotz Regulierungsversuche der dortigen Verwaltungen ein erheblicher Bestand an Wohnungen illegal vermietet wird. Zum Teil, weil sie nicht registriert werden, zum Teil aber auch, weil von Airbnb ausgehändigte Daten unvollständig oder schlicht unbrauchbar sind.

Die meisten Städte, so hält die Studie „Plattform failure“ fest, berichten über eine sehr geringe Bereitschaft, die jeweils vorhandenen Regelungen für Kurzzeitvermietungen tatsächlich einzuhalten. In der Regel gilt das nur für 10 bis 20 Prozent der Anbieter, da Airbnb einen Schutzschirm bildet, hinter dem sich die illegalen Gastgeber verstecken können (Seite 29). Als zentraler Lösungsansatz erscheint die Durchsetzung des Prinzips der Datentransparenz. Der Zugang zu den Daten erscheint allein auch deshalb notwendig, um gegen die Steuervermeidungspolitik von Airbnb vorgehen zu können. Der öffentlichen Hand gehen nach Aussagen von Expert*innen jährlich Millionen von Euro verloren, weil mit Hilfe der Online-Plattform das Zahlen von Einkommens-, Übernachtungs- und Umsatzsteuern umgangen wird.

Die Autor*innen beider Studien sind sich einig, dass auch die 20 Jahre alte und damit völlig überholte e-Commerce-Richtlinie der EU nicht ausreicht, um Plattformen wie Airbnb innerhalb Europas in die Schranken zu weisen. Damit Regulierungsversuche nicht mehr durch fehlende Transparenz unterwandert werden können, wurden im vergangenen Dezember mit viel Hoffnung die neuen Regulierungsvorschläge der EU-Kommission zur Kontrolle von Internetgiganten wie Amazon, Apple und Facebook (Digital Service Act) erwartet. Die neuen Spielregeln sollen unter anderem dafür sorgen, dass Online-Plattformen für Inhalte, die dort veröffentlicht werden, verstärkt in die Verantwortung genommen werden können. Ob die neuen Regelungen auch dazu führen werden, dass Daten über die von Airbnb vermittelten Vermietungen wirklich offengelegt werden, ist bislang jedoch unklar. Es wird ohnehin noch Jahre dauern, bis der Digital Service Act Realität wird. Zunächst stehen Verhandlungen zwischen den EU-Staaten und innerhalb des Europaparlaments an. Danach müssen das Parlament und die Mitgliedstaaten zu einer Einigung kommen. Bis dahin wird Airbnb weiter mit jedem – auch illegalen – Angebot Geld verdienen.

Quellen:

Svenja Bergt: „Vermietung illegal, Amt machtlos“, taz vom 9. Dezember.2020

Murray Cox/Kenneth Haar: Platform Failures. How short-term rental platforms like Airbnb fail to cooperate with cities and the need for strong regulations to protect housing, 9. Dezember 2020

https://www.dielinke-europa.eu/de/article/12887.airbnb-mitschuld-an-hohen-mieten.html

„EU bläst zum Kampf gegen die Tech-Riesen“: Frankfurter Rundschau vom 15. Dezember 2020

https://www.fr.de/wissen/eu-blaest-zum-kampf-gegen-die-tech-riesen-zr-90131743.html

FEANTSA and the Foundation Abbé Pierre (Hg.): The city is ours! How to regulate Airbnb in the face of a housing crisis, November 2020 (Autorinnen: Sarah Coupechoux/Clotilde Clark-Foulquier)

https://www.feantsa.org/en/report/2020/11/18/the-city-is-ours-how-to-regulate-airbnb-in-the-face-of-a-housing-crisis?bcParent=27

Thomas Jahn: „Der Erfolg von Airbnb an der Börse zeigt die Zukunft des Reisemarktes auf“, Handelsblatt vom 11. Dezember 2020

https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-der-erfolg-von-airbnb-an-der-boerse-zeigt-die-zukunft-des-reisemarktes-auf/26707736.html

Raphaël Schmeller: „Wohnungen für Spekulanten“, junge Welt vom 12. Dezember 2020

https://www.jungewelt.de/artikel/392385.krisengewinner-wohnungen-f%C3%BCr-spekulanten.html?sstr=airbnb

 

Weitere Informationen zu Airbnb

Airbnb…

…ist die Abkürzung für „Air Bed and Breakfast“ (Luftmatratze mit Frühstück), wurde 2008 in San Francisco gegründet und entwickelte sich zu einem der am höchsten bewerteten Startups der vergangenen zehn Jahre.

…listet als Online-Plattform nach eigenen Angaben mehr als vier Millionen Gastgeber und bietet jede Art von Unterkunft in nahezu jeder Region der Welt an (in mehr als 190 Ländern; inzwischen auch Luxusappartements und Suiten in teuren Hotels).

…teilte Anfang Mai 2020 mit, in Folge der Pandemie rund ein Viertel ihrer weltweit 7.500 Mitarbeiter entlassen zu wollen (insgesamt 1.900 Angestellte). Das Unternehmen erwartete für das Jahr 2020 einen Gesamtumsatz von rund 2,4 Milliarden US-Dollar, nur etwa die Hälfte des Umsatzes aus dem letzten Jahr (laut Statista). Airbnb hat sich mittlerweile jedoch schnell erholt. Trotz Reisebeschränkungen suchen die Menschen wieder zunehmend Mietwohnungen und Zimmer auf der Online-Plattform.

…verweigert weitgehend den für öffentliche Kontrollzwecke notwendigen Datenaustausch mit den örtlichen Behörden. Airbnb betont selbst, dass mit zahlreichen Behörden jedoch eine freiwillige Weitergabe von Daten vereinbart worden ist.

…wurde Ende August 2020 erstmals von einem irischen Gericht nach einem mehrjährigen Verfahren dazu verpflichtet, Daten von Vermietern zu steuerlichen Kontrollzwecken herauszurücken. Die Steuerfahndung Hamburg erreichte dies zusammen mit anderen Bundesländern und dem Bundeszentralamt für Steuern mit einem sogenannten internationalen Gruppenersuchen.

(Anmerkung: „Einnahmen aus Airbnb-Vermietungen sind zu versteuern, soweit sie 520 Euro jährlich übersteigen und das Gesamteinkommen über dem Grundfreibetrag [9.408 Euro für Singles] liegt. Bei einer Steuerhinterziehung sind eine Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren möglich, wobei besonders schwere Fälle auch mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet werden können.“ [Berliner Zeitung vom 2. September 2020])

…musste im September 2020 eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hinnehmen, nach der eine Genehmigungspflicht für die kurzzeitige Vermietung von Wohnungen mit dem EU-Recht vereinbar ist. Zwei Vermieter aus Frankreich hatten geklagt, wo seit 2018 eine gesetzliche Genehmigungspflicht für den Großraum Paris sowie für alle Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern gilt.