Unternehmensstrafrecht: In Zukunft schärfere Regelungen gegen Wirtschaftskriminalität?
„Wir wollen sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird“: Vor dem Hintergrund von Dieselaffäre, Fleischskandalen und Cum-Ex-Geschäften hatten sich die Regierungsfraktionen im aktuellen Koalitionsvertrag auf schärfere Sanktionen gegen Unternehmen festgelegt. Dann folgte allerdings ein langer Streit über die konkrete Ausgestaltung des Vorhabens. Im Juni des letzten Jahres beschloss die Bundesregierung schließlich den von der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Entwurf des „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“. Ein Jahr nach Vorlage des Regierungsentwurfes folgte dann jedoch das endgültige Aus für das Gesetzesvorhaben. Massive Gegenwehr gegen höhere Strafen für kriminelle Unternehmen aus Kreisen der Wirtschaft und der Union hatten nun doch noch zum Scheitern der Regierungsvorlage geführt.
Einer der Kernpunkte dieser Vorlage bildete ein neues Sanktionsrecht. Für Gesetzesverstöße von Unternehmen wie Betrug, Korruption oder Umweltdelikte konnten und können bislang nur Geldbußen von maximal zehn Millionen Euro verhängt werden. Der Regierungsentwurf sah hingegen für Konzerne mit einem jährlichen Umsatz von mehr als 100 Millionen Euro Bußbescheide in Höhe von bis zu zehn Prozent ihres Jahresumsatzes vor. Künftig sollten zudem – bei einen Verdacht, dass aus dem Unternehmen heraus Straftaten begangen werden – Staatsanwaltschaften nach dem Legalitätsprinzip gegen Firmen ermitteln. Bisher liegt es hingegen im Ermessen der einzelnen Behörden, ob und wie gegen Delikte von Unternehmen vorgegangen wird.
Obwohl die geplanten Unternehmenssanktionen in dieser Legislatur nun nicht mehr kommen, hält es das Handelsblatt in seiner Ausgabe vom 16. August 2021 für sehr wahrscheinlich, dass sich Unternehmen in naher Zukunft auf schärfere Regelungen einstellen müssen. Zwar tauche ein neues Sanktionsrecht in den Wahlprogrammen von Union und SPD nicht mehr auf. Doch auf Nachfrage würden sich die beiden Parteien dafür grundsätzlich offen zeigen. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, sagte gegenüber der Zeitung, dass die Betrügereien von Unternehmen mit Coronatests gerade erst gezeigt hätten, wie sinnvoll solche Regelungen wären.
Nach Angaben des rechtspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak, will die Union Rechtsverstöße in der Wirtschaft „gezielt bekämpfen“, nicht aber Unternehmen „generell kriminalisieren“. „Wir wollen einen Regelungsrahmen“, so Luczak, „der Anreize für Unternehmen schafft, sich rechtstreu zu verhalten und mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren“. Dafür sei die Fraktion auch in Zukunft offen und gesprächsbereit.
Die Grünen hingegen halten – wie Bundesgeschäftsführer Michael Kellner dem Handelsblatt mitteilte – ein Gesetz zu Unternehmenssanktionen weiterhin für erforderlich und wollen Unternehmen bei Rechtsverstößen künftig wirksamer zur Rechenschaft ziehen.
Im Wahlprogramm der FDP tauchen Unternehmenssanktionen dagegen laut Handelsblatt mit keinem Wort auf. Die größte Abschreckungswirkung, Straftaten zu begehen, habe nach Auffassung der Liberalen immer noch die individuelle Haftung. „Gerade vor dem Hintergrund der sehr hohen Belastungen der deutschen Wirtschaft durch die Politik der Großen Koalition und durch Corona sind zusätzliche Belastungen durch ein Unternehmensstrafrecht der falsche Weg“, zitiert das Blatt das Wahlprogramm der FDP.
Der Ökonom Heinz-J. Bontrup kritisierte bereits im letzten Jahr den damals noch aktuellen Regierungsentwurf. In einem Interview mit den „NachDenkSeiten“ sagte er unter anderem, dass in der Vergangenheit unternehmensseitig begangene kriminelle Wirtschaftsdelike eben nicht strafrechtlich verfolgt werden konnten. Diese Delikte unterlagen stattdessen dem Ordnungswidrigkeitengesetz, wo bei der Sanktion nur ein Bußgeld drohte. „Bußgelder schrecken aber kriminelle Unternehmen nicht ab. Im Gegenteil, sie können sich die Geldstrafen ex-ante berechnen und diese dann in ihren Produkten einpreisen, so dass am Ende, fliegen die Unternehmen auf, auch noch der ‚dumme‘ Nachfrager das Bußgeld für die Täterunternehmen bezahlt.“
Streng genommen, meinte Bontrup weiter, würde es auch mit dem neuen Gesetz kein „Unternehmensstrafrecht“ geben. „Strafrecht impliziert neben Geldstrafen immer auch die Möglichkeit einer Haftstrafe. Man kann aber ein Unternehmen, also eine juristische Person, nicht verhaften – allenfalls kann man das Unternehmen zerschlagen oder enteignen, was übrigens im GWB* bei schweren Verstößen gegen den Wettbewerb, mit Ausnahme einer Enteignung, durchaus vorgesehen ist, bis heute realiter aber noch nicht einmal umgesetzt wurde. Und jetzt wird es interessant und entscheidend: Eine Zerschlagung oder Enteignung sieht das neue ‚Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft‘ nicht vor, sondern, wie im GWB, nur eine monetäre Sanktionierung über Bußgelder, die hier dem GWB angelehnt wurden. (…) Glauben Sie mir: Wenn der Gesetzgeber den Unternehmenseigentümern, und um die geht es bei Unternehmen letztlich, mit einer konkreten Zerschlagung oder in ganz schweren Fällen mit einer Wegnahme ihrer Unternehmen (Enteignung ohne Entschädigung) bedrohen würde, dann gäbe es auch keine kriminellen Handlungen mehr. Ein dazu notwendiges, wirkliches Unternehmensstrafgesetz zu verabschieden, traut sich aber die herrschende Politik nicht. Insofern muss man von einem Staatsversagen sprechen (…).“
* Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
Quellen:
Heike Anger: „Betrug, Korruption oder Umweltdelikte: Unternehmenssanktionen werden kommen“, Handelsblatt (Online) vom 16. August 2021
Corinna Budras: „Gesetzesentwurf gekippt: Skandale ohne Folgen“, FAZ (Online) vom 9. Juni 2021
„Ein wirkliches Unternehmensstrafgesetz zu verabschieden, traut sich die herrschende Politik nicht“, Interview der „NachDenkSeiten: Die kritische Website“ mit Heinz-J. Bontrup vom 3. August 2020
https://www.nachdenkseiten.de/?p=63536