Google und Co. sind als Datenkraken weithin gefürchtet, die Internetkonzerne treiben in Ballungsgebieten die Gentrifizierung und zugleich prekäre Beschäftigungsmodelle voran ‒ soweit bekannt. Weit weniger ist vielen Menschen bewusst, dass die sich umweltfreundlich gebende Digitalwirtschaft auch eine erhebliche ökologische Destruktivkraft darstellt.
Sébastien Broca, Dozent für Informations- und Kommunikationswissenschaften, beschreibt in einem Artikel in der monatlich erscheinenden Zeitung Le Monde diplomatique, wie Konzeption und Anwendung der „Technologien, die dem digitalen Kapitalismus zugrunde liegen (…) ganz sicher keinem ökologischen Imperativ“ folgen.
So stellt der Autor vermehrt Kooperationen zwischen den Tech-Giganten und der Ölindustrie fest. Daten- und Ölgewinnung sind für ihn zwei Seiten derselben Medaille. Amazon rief zum Beispiel den Cloud-Computing-Service AWS Oil and Gas Solutions ins Leben, finanziert Konferenzen der Erdölbranche und stellte zahlreiche auf den Bereich Energie spezialisierte KI-Experten ein. Google schloss Verträge mit Total, Anadarko und Nine Energy Service und implementierte unter dem Dach von Google Cloud seine neue Abteilung Oil, Gas and Energy. Microsoft unterzeichnete Verträge mit Chevron, BP, Equinor und Exxon.
„Die Ölindustrie setzt auf Big Data und KI, um Erdölvorkommen noch genauer zu lokalisieren und durch Automatisierung Kosten zu senken. Die Riesen der Digitalwirtschaft ihrerseits versprechen sich einen lukrativen Markt für ihre Speicher- und Datenverarbeitungsdienste sowie ihre Lösungen im Bereich Maschinelles Lernen.“ Ein von den Ölkonzernen gewünschter Nebeneffekt ist, dass die von Google und Co. bereitgestellten Tools auch eine panoptische Überwachung der Mitarbeiter*innen ermöglicht.
Broca widerspricht der Auffassung, dass dem „Datenkapitalismus“ Adjektive wie „immateriell“, „postindustriell“ oder „grün“ angehängt werden sollten. Der weltweite Energieverbrauch speise sich immer noch zu 80 Prozent aus fossilen Quellen. Die Digitalwirtschaft spiele in dem Kontext eine wichtige Rolle. Auf sie entfielen mehr als 4 Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs. Die Produktion von Endgeräten und der Netzinfrastruktur schlage in dieser Bilanz am stärksten zu Buche, gefolgt vom Energieverbrauch der Geräte, Netzwerke und Rechenzentren. Amazon beispielsweise betreibe sein Rechenzentrum in Virginia lediglich zu 12 Prozent mit erneuerbaren Energien. Der Konzern nutze vor allem billigen Strom aus Kohle. Auch hätten die Unternehmen kein Interesse an einem umweltfreundlichen Verhalten ihrer Nutzer, „hängt doch ihr künftiger Profit davon ab, dass diese das Licht immer häufiger per Sprachbefehl einschalten, statt einen schnöden Schalter zu betätigen“.
Die Digitalwirtschaft stellt nach Broca eine „Weltwirtschaft“ dar, deren Beziehungen durch eine Unterteilung in Zentrum und Peripherie strukturiert würden. Die Wirtschaftszentren wälzten die ökologischen Kosten der Produktion auf die Peripherien ab. „23 Prozent der weltweiten Kobaltfördermenge und 19 Prozent der gewonnenen seltenen Erden fließen in die Computer und Smartphone-Produktion. Das Kobalt stammt größtenteils aus der Demokratischen Republik Kongo, wo es häufig von Kindern unter Missachtung von Menschenrechten und Umweltstandards abgebaut wird.“
Die digitale Weltwirtschaft – keine Spur von „nachhaltiger Ökobilanz“.
Quelle:
Sébastien Broca: „Saurer Regen aus der Cloud. Die Digitalwirtschaft gibt sich nachhaltig und umweltfreundlich – zu Unrecht“, Le Monde diplomatique, März 2020, Seite 9