Vor dem Hintergrund der aktuellen Hochwasserkatastrophe hat das BMI (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat) nach Angaben des Handelsblatt „ein bislang wenig beachtetes Vorhaben abgeschlossen, das in diesen Tagen enorme Bedeutung erlangt: den bundesweiten Raumordnungsplan für den Hochwasserschutz“. Bereits 2018 wurde im Koalitionsvertrag von Union und SPD angekündigt, einen entsprechenden Vorsorgeplan „zum Schutz der Menschen und Umwelt entlang unserer Gewässer“ zu entwickeln. „Mit ihm“, schreibt das Handelsblatt, „sollen sich Katastrophen wie dieser Tage möglichst nicht mehr wiederholen und überall dieselben Standards gelten“. 

Danach sollen Straßen- und Bahnnetze sowie kritische Infrastrukturen wie Strom und Mobilfunk besser vor Hochwasser geschützt werden. Vor allem in „Risikogebieten außerhalb von Überschwemmungsgebieten“ soll gar nicht erst geplant oder gebaut werden, wie es in dem Plan heißt, der offenbar dem Handelsblatt vorliegt. Neben den eigentlichen Überflutungs- und Überschwemmungsgebieten gelten zukünftig auch angrenzende Flächen als schutzwürdig, da sie „statistisch ein zunehmendes Schadenspotenzial“ aufweisen.

„Was dieser Tage angesichts der schrecklichen Bilder aus dem Rheinland und der zahlreichen Toten einleuchtend klingt“, fährt die Zeitung fort, „wurde bisher allerdings bekämpft: von Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, aber auch und vor allem von der Industrie“. Das Blatt verweist auf eine Stellungnahme des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) vom 28. Mai 2021. Danach hätte der Bundesraumordnungsplan, wenn er in der aktuellen Fassung verabschiedet würde, massive negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Fortbestehen des Wirtschaftsstandorts Deutschland.

„Als nicht erforderlich und zielführend angesehen und daher abgelehnt“, bewertet der VCI (Verband der Chemischen Industrie) die staatlichen Pläne. Mit der EU-Hochwasserrichtlinie, dem Wasserhaushaltsgesetz, dem Raumordnungs-, dem Bau- und dem Bodenschutzrecht sowie wasserrechtlichen Anforderungen gäbe es genügend Regeln zum Hochwasserschutz.

Der Lobbyverband Wirtschaftsvereinigung Stahl verwies Ende Juni in einem Brief an den zuständigen Innenstaatssekretär darauf, dass Anlagenbetreiber seit vielen Jahren Hochwasserschutz beachteten. Viele Unternehmen der stahl- und metallverarbeitenden Branche seien an historischen Standorten an Flüssen über Jahrzehnte gewachsen. Der Schutzplan wirke wie eine „Zulassungssperre“ und komme einem „Neubau- und Änderungsverbot“ gleich.

Auch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hält nichts von einer Bundesregelung. Das Handelsblatt   zitiert aus einer Stellungnahme des NRW-Wirtschaftsministeriums vom vergangenen Mai. Danach komme schon heute dem Hochwasserschutz im Land eine sehr hohe Bedeutung zu. Für den Bundesplan bestehe „keine ausreichende Veranlassung“, auch gebe es „keinen Mehrwert“. Mit den neuen Vorgaben müssten dagegen mehr als ein Drittel der Bauleitpläne angepasst werden, weil die Regeln auch „für die großflächigen Risikogebiete und die Einzugsgebiete der Gewässer, das heißt letztlich flächendeckend Wirkungen“ entfalten würden.

Quelle:

Daniel Delhaes: „‚Nicht erforderlich und zielführend‘: Wie die Industrie den neuen Hochwasserschutzplan bekämpfte“, Handelsblatt (Online) vom 20. Juli 2021

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/naturkatastrophen-nicht-erforderlich-und-zielfuehrend-wie-die-industrie-den-neuen-hochwasserschutzplan-bekaempfte/27437096.html?ticket=ST-10165452-Y1fmZc17ViPiuBevI3As-ap4