Anfang Februar 2023 legten die Gewerkschaft IG Bau und der Deutsche Gewerkschaftsbund den seit 2018 regelmäßig erscheinenden Jahresbericht „Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ der Initiative Faire Landarbeit vor. Die Initiative ist nach eigener Darstellung ein Bündnis gewerkschaftsnaher Beratungsstellen, der IG BAU, kirchlicher Beratungsstellen und weiterer Organisationen.
Danach kamen etwa 60 Prozent der insgesamt knapp über 135.000 Beschäftigten (Stand 30. Juni 2021), wie in den Vorjahren, aus Rumänien. Als weitere Herkunftsländer gibt der Bericht Polen, Ungarn und Bulgarien an. Saisonarbeiter:innen reisten aber auch vermehrt aus der Ukraine, aus Kirgisistan und Usbekistan an.
In einer Pressemitteilung vom 3. Februar 2023 heißt es:
„In vielen Betrieben stellt nicht die Arbeitszeit, sondern die Dokumentation der geernteten Menge die Grundlage für die Lohnabrechnung dar. Arbeitsstunden werden oftmals von Hand von der Betriebsleitung aufgeschrieben. So lässt sich nur schwer nachvollziehen, wie sich das Entgelt zusammensetzt und ob der gesetzliche Mindestlohn eingehalten wird. Hinzu kommt, dass Überstunden nicht bezahlt werden und hohe Mieten sowie ‚Arbeitsmaterialien‘ vom Lohn abgezogen werden. Da die Löhne meistens erst kurz vor der Abreise ausbezahlt werden, ist eine erfolgreiche Reklamation schwierig. Nötig wäre eine transparente digitale Zeiterfassung.“
Infolge des Klimawandels sind Saisonbeschäftigte immer stärker von Hitzestress und UV-Strahlung betroffen. „Zwar waren die damit einhergehenden Risiken in unserer Beratungsarbeit in diesem Jahr kein Schwerpunkt“, heißt es in dem Bericht, „aufgrund der Hitze waren sie jedoch sehr präsent in unseren Gesprächen bei Feldbesuchen“. Wichtige Schutzmaßnahmen seien auf vielen Feldern noch nicht umgesetzt worden. So fehlten Schattenplätze zum Abkühlen und Trinkwasser sowie Schutzmittel wie Sonnencreme und Kopfbedeckungen. „Wir gehen zudem davon aus, dass die Bezahlung nach Akkord Beschäftigte unter Druck setzt, auf gesundheitlich relevante Pausen in den heißen Phasen des Tages zu verzichten.“
Die Statistiken des Zolls zeigten für die Landwirtschaft zudem eine äußerst geringe Dichte an Mindestlohnkontrollen. So wurden im Jahr 2021 nur 1,1 Prozent der Betriebe mit abhängig Beschäftigten kontrolliert, in der ersten Hälfte 2022 noch weniger. In 8,6 Prozent aller Kontrollen in der Landwirtschaft führten diese 2021 zu einem Verfahren wegen Mindestlohnverstoß – im Baugewerbe oder im Bereich Spedition und Logistik war die Quote geringer. Auch die Dichte der Arbeitsschutzkontrollen in der Landwirtschaft hält die Initiative für nicht ausreichend. Sie liege branchenübergreifend in Deutschland bei lediglich 40 Prozent der von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) geforderten Dichte.
Die Initiative stellt in ihrem Bericht folgende Forderungen an die Bundesregierung auf:
1) Kurzfristig Beschäftigte in der Landwirtschaft müssen in Deutschland Anspruch auf den vollen, gesetzlichen Krankenversicherungsschutz haben.
2) Die Kontrollen zur Einhaltung des Mindestlohns und zum Arbeitsschutz müssen deutlich ausgeweitet werden.
3) Die verpflichtende Einführung eines manipulationssicheren, digitalen Arbeitszeiterfassungssystems muss sichergestellt werden.
4) Die Kosten für Unterkünfte müssen vom Arbeitgeber getragen werden.
5) Der Arbeits- und Gesundheitsschutz auf den Feldern der Landwirtschaft muss konsequent umgesetzt und verstärkt werden.
6) Die reguläre Beschäftigung für ukrainische Geflüchtete und die Einhaltung der Standards der EU-Saisonarbeiterrichtlinie für alle Saisonbeschäftigten aus Drittstaaten müssen sichergestellt werden.
Quellen:
„Keine ausreichende Krankenversicherung und undurchsichtige Lohnzahlungen“, Medieninfo der IG Bau-Agrar-Umwelt vom 3. Februar 2023
https://igbau.de/Binaries/Binary18587/2023-PM-02-Jahresbericht-Saisonarbeit-2022.pdf
„Saisonarbeit in der Landwirtschaft. Bericht 2022“, hrsg. von der Initiative Faire Landarbeit (Autor: Benjamin Luig), Februar 2023
https://igbau.de/Binaries/Binary18586/InitiativeFaireLandarbeit-Saisonbericht2022-A4-web.pdf