„Die Aufarbeitung steht noch ganz am Anfang – und könnte dennoch schon bald enden.“ Die Befürchtung des Handelsblatts zielt auf die geplante Verkürzung von Aufbewahrungspflichten von steuerlich relevanten Unterlagen von zehn auf acht Jahre. Die bevorstehende Änderung ist Teil des am 26. September im Bundestag beschlossenen „Vierten Bürokratieentlastungsgesetzes“, das laut Webseite des Bundesjustizministeriums „die Wirtschaft, die Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltung von überflüssiger Bürokratie“ entlasten soll.

Die Belege sind aber wichtige Beweismittel bei Verfahren zu Cum-Ex- und Cum-Cum-Aktiengeschäften. Die ehemalige Staatsanwältin und jetzige Geschäftsführerin der NGO Finanzwende, Anne Brorhilker, warnt davor, dass auf Basis des Gesetzes viele der Täter ungeschoren davonkämen und Milliarden an Steuergeldern unwiderruflich verloren seien: „Sobald das Gesetz in Kraft ist, werfen die ihre Schredder an.” (Finanzwende)

Der Schaden durch Cum-Ex-Geschäfte wird nach Expertenmeinung gewöhnlich auf zehn Milliarden Euro geschätzt, die Steuerausfälle für den deutschen Staat durch Cum-Cum-Deals auf über 28 Milliarden. Diese Zahl, betont Brorhilker, sei vermutlich noch zu niedrig gegriffen. Denn gerade bei Cum-Cum sei bisher nur die Spitze des Eisbergs bekannt – „und den Rest werden wir mit diesem Gesetz vielleicht nie kennenlernen“. (Finanzwende) Zurückgefordert hat der Fiskus bislang nur wenige Hundert Millionen Euro.

Dass die Aufbewahrungsfristen kürzer seien als die Verjährungsfristen, hält Brorhilker ohnehin für unsinnig. Diese Fristen nun noch zu verkürzen, für vollkommen absurd.

Tagesschau.de schreibt:

„Das Pikante: Erst vor wenigen Jahren hatte der Bund die Verjährungsfristen für besonders schwere Steuerhinterziehung noch von zehn auf 15 Jahre angehoben. Mit der Regelung sollte Ermittlern die nötige Zeit verschafft werden, die hochkomplexe Verfolgung der Steuerstraftäter aufzunehmen.

Florian Köbler, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, sieht durch den Gesetzesentwurf auch die Gefahr, dass das Vertrauen in die Steuergerechtigkeit untergraben wird. Die Gewerkschaft vertritt die Interessen von Finanzbeamten und Steuerfahndern. ‚Der Gesetzgeber öffnet Straftätern Tür und Tor. Er verspielt leichtfertig die Mittel des Rechtsstaats. Ohne Not und ohne Sinn. Ein Geschenk an Kriminelle‘, sagt Köbler.“

Die Bundesregierung möchte die Wirtschaft mit der Gesetzesnovelle mit rund 944 Millionen Euro jährlich entlasten. Den Großteil, 626 Millionen Euro, soll dabei die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege und Rechnungen ausmachen. Das Einsparpotential ergibt sich nach Auffassung der Bundesregierung vor allem aus geringen Mietkosten für Lagerräume, in denen die Unterlagen aufbewahrt werden (vgl. Süddeutsche Zeitung). Florian Köbler von der Deutschen Steuergewerkschaft (DSTG) glaubt dagegen nicht an die Einsparung. „Das Gros der Wirtschaftsunternehmen habe der DSTG bestätigt, dass sie ihre Belege bereits digital aufbewahren würde. Und das koste vergleichsweise wenig: Bei einem Unternehmen mit digitaler Aufbewahrung werde die Einsparung im Gesetz auf zwölf Euro im Jahr berechnet, so die DSTG. Dies stehe in keinem Verhältnis zum potenziellen Schaden.“ (Süddeutsche Zeitung)

Finanzwende hat im Internet eine Petition gestartet und vor dem Berliner Reichstag gegen das Gesetz protestiert. Im Bundesrat soll das Gesetz Mitte Oktober die letzte Hürde nehmen, bevor es in Kraft treten kann.

Quellen:

Massimo Bognani: „Ein Geschenk an Kriminelle“, tagesschau.de vom 19. September 2024

https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/buerokratieentlastungsgesetz-100.html

„Neues Gesetz für Bürokratie-Entlastung gefährdet Aufklärung von CumCum-Delikten“, Pressemitteilung  von Finanzwende e.V. vom 20. September 2024

https://www.finanzwende.de/presse/neues-gesetz-fuer-buerokratie-entlastung-gefaehrdet-aufklaerung-von-cumcum-delikten

Volker Votsmeier: „Neues Gesetz könnte Milliarden-Rückforderungen gefährden“, Handelsblatt (Online) vom 20. September 2024

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/cum-cum-geschaefte-neues-gesetz-koennte-milliarden-rueckforderungen-gefaehrden/100070984.html

Markus Zydra: „‚Es ist ein Geschenk an Kriminelle‘“‚ Süddeutsche Zeitung vom 24. September 2024