Im November 2019 berichtete BIG Business Crime schon einmal anhand eines Artikels des Handelsblatts über die Aussage des Kronzeugen Benjamin Frey (Name geändert) vor dem Landgericht Bonn – in einem Prozess zum größten Steuerbetrug der deutschen Geschichte. Frey war einer der ersten Insider, die über Cum-Ex-Geschäfte umfassend auspackten. Er trat damals vor dem Bonner Landgericht als Kronzeuge gegen zwei britische Aktienhändler auf.

Mitte September 2022 wurde Frey erneut vor dem Landgericht in Bonn vernommen. Diesmal als Zeuge im Prozess gegen Hanno Berger, Ex-Star-Anwalt, Unternehmensberater und Strippenzieher in Sachen Cum-Ex. Diesem drohen bis zu 15 Jahren Haft wegen Betrug und Steuerhinterziehung in Höhe von 278 Millionen Euro. Seit Anfang April sitzt Berger in Bonn auf der Anklagebank. Auch an den Cum-Ex-Geschäften der Hamburger Privatbank M.M. Warburg war er beteiligt. Der Kronzeuge Frey ist ebenfalls ein Beschuldigter und soll nach eigener Aussage genauso viel Geld wie Berger durch Cum-Ex-Geschäfte ergaunert haben: insgesamt rund 50 Millionen Euro.

„Nun fordert der Staat das Geld zurück“, schreibt das Handelsblatt am 12. September in einem Bericht über das aktuelle Verfahren am Landgericht Bonn. „Berger windet sich. Sein Anwalt erklärte kürzlich vor Gericht, Berger habe kaum mehr Aktivvermögen. Seine Tochter sei zwar bereit, ihren Vater zu unterstützen, doch ihre Mittel seien begrenzt. Berger habe sein Geld unglücklich ausgegeben. Als Beispiel nannte er ein Grundstück in Schlüchtern-Elm in Osthessen. ‚Sicherlich gut über 20 Millionen Euro‘ habe Berger in seinen dortigen Holzhof investiert, ohne dass dies zu einer gleichrangigen objektiven Wertsteigerung‘ geführt habe. In den ersten beiden Verhandlungsstunden kommt noch nicht zur Sprache, was Frey mit seinen Cum-Ex-Millionen anstellte.“

Am Tag darauf berichtet die Zeitung, dass das erbeutete Geld gut versteckt worden sei. In der Strafakte gegen Berger befände sich ein Organigramm, das die vielen Verschachtelungen zeige, mit denen Berger und Frey glaubten, ihre „Tatbeute“ (Staatsanwaltschaft) in Sicherheit zu bringen. Eine der dazu gegründeten Gesellschaften sei „Stonewall Securities“ genannt worden. „Berger und Frey wollten eine Steinmauer zwischen ihr Geld und die Finanzbehörden bauen. Außerdem fanden sie es laut Frey witzig, damit auch auf den früheren Finanzminister Steinbrück hinzudeuten.“

Auch der Kronzeuge Frey befindet sich in einem Dilemma. Vom ihm fordert das Landgericht Bonn rund 13 Millionen Euro. Aber das ist nicht alles.

„Vom Finanzgericht Frankfurt habe er schon 2019 einen Haftungsbescheid über 22 Millionen Euro erhalten. Außerdem hat das Bundeszentralamt für Steuern vor wenigen Wochen einen Bescheid über 60 Millionen Euro verschickt. Glaubt man der Aussage des Kronzeugen sind das nur kleine Bruchteile. (…) Es liegt in der Natur von Cum-Ex-Geschäften, dass viele verschiedene Parteien daran beteiligt sind. Banken, Depotbanken, Investoren, Anwälte, Steuerexperten und diverse Berater. Oft wurden extra Gesellschaften gegründet, teils in Luxemburg und der Karibik, um die ‚Beute‘ zu verteilen, wie Frey das Geld aus der Steuerkasse bezeichnet. Frey ist einer von ganz wenigen Beteiligten, die nicht nur eine Schuld zugegeben haben, sondern auch Zahlen nennen. Das macht ihn zum Adressaten von Forderungen. Juristisch ist es möglich, jeden einzelnen Beteiligten einer Straftat zur Wiedergutmachung des Gesamtschadens heranzuziehen. Diese ‚gesamtschuldnerische Haftung‘ führt in Freys Fall dazu, dass er viele Millionen Euro mehr zurückzahlen soll, als er mit Cum-Ex-Geschäften verdiente.“ (Handelsblatt vom 13. September 2022)

So hat etwa die Warburg Bank Frey auf 300 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Denn Frey, so die Bank, habe sie bei ihren Cum-Ex-Deals anwaltlich beraten und sei deshalb verantwortlich für den entstandenen Schaden. In München wiederum läuft ein Verfahren, das die Caceis Bank wegen eines schiefgelaufenen Cum-Ex-Fonds gegen Frey angestrengt hat. Auch diese Bank hat Frey und andere Akteure auf 300 Millionen Euro verklagt. Frey wiederum behauptet, so das Handelsblatt, die Klage enthalte unwahre Tatsachenbehauptungen, weshalb er die Verantwortlichen der Bank wegen Prozessbetrug angezeigt habe.

Ergo: Staatsanwaltschaften klagen mutmaßliche Cum-Ex-Betrüger an. Die Täter verklagen sich gegenseitig. Es wird auch in Zukunft weiter über Cum-Ex zu berichten sein.

Quellen:

René Bender/Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Wir waren gierig, wir wollten immer mehr Geld“ – Kronzeuge packt gegen Hanno Berger aus“, Handelsblatt vom 12. September 2022
https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/cum-ex-skandal-wir-waren-gierig-wir-wollten-immer-mehr-geld-kronzeuge-packt-gegen-hanno-berger-aus/28675072.html 

Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Kronzeuge vor Gericht den Tränen nahe: Brisantes Wiedersehen mit „Cum-Ex-Mastermind“ Berger“, Handelsblatt vom 13. September 2022
https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/cum-ex-prozess-kronzeuge-vor-gericht-den-traenen-nahe-brisantes-wiedersehen-mit-cum-ex-mastermind-berger/28677730.html