Im Juni 2020 kollabierte der börsennotierte deutsche Zahlungsabwickler und Finanzdienstleister Wirecard. Schon Jahre zuvor, 2015, hatte ein Journalist der Financial Times Hinweise über Unstimmigkeiten in den Bilanzen des Konzerns erhalten und in der Folge darüber berichtet. Auch der britische Shortseller Fraser Perring warf im Jahr 2016 Wirecard betrügerische Machenschaften und Bilanzfälschung vor. Dass viele Analystinnen und Analysten bis zuletzt auf Wirecard gesetzt hatten und damit kolossal versagten, ohne aber mit Konsequenzen rechnen zu müssen, beschreibt ein Artikel der WirtschaftsWoche vom 22. Juli 2022. Dort heißt es: „Die Worte und Reports von Analysten können Millionen und Milliarden bewegen, Kleinsparer wie Großinvestoren legen ihr Geld entsprechend den Empfehlungen an – solange die Börsenbeobachter glaubwürdig erscheinen.“ 

Der Wirecard-Skandal aber habe dem Ruf der Aktienanalysten einmal mehr schwer geschadet, denn schon nach dem Zusammenbruch des Neuen Markts um die Jahrtausendwende habe er schwer gelitten. So erhielt eine Analystin der Commerzbank Ende 2019 den „Schmäh-Preis“ einer Investmentfirma: Sie wurde „zur besten Analystin für die schlechteste Wertpapieranalyse“ ausgezeichnet. Selbst danach, noch einen Monat vor dem Kollaps von Wirecard, erwartete sie, deren Aktie könne auf 230 Euro steigen, damit einen Aufschlag von 173 Prozent auf den damaligen Aktienkurs erreichen. Die „Expertin“ war jedoch mit ihrer (Fehl-)Einschätzung nicht allein.

„Besonders kurios wirken etwa die Empfehlungen der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Noch 2017 riet deren Analyst zum Verkauf der Aktie, 2018 wechselte er zu einem ‚Halten‘-Votum. Erst nachdem in der ‚Financial Times‘ zwei Berichte zu Bilanzfälschungsvorwürfen erschienen waren und der Kurs eingebrochen war, empfahl er die Aktie zum Kauf. Dieses ‚Kaufen-Rating‘ behielt der Analyst der LBBW sogar noch bei, als im April 2020 der KPMG-Bericht zu Wirecard erschien. Der Bericht offenbarte schwere Mängel: Die KPMG-Leute konnten eine Milliarde Euro Bankguthaben und entsprechende Umsätze nicht aufspüren.“

Auch andere Banken (wie die Warburg-Bank) präsentierten Wirecard-freundliche Analysen. Zum Beispiel die Münchner Baader-Bank, die die Aktie zwischen dem „erschreckenden KPMG-Bericht“ im April 2020 bis zur Pleite Mitte des Jahres sieben Mal empfahl. Offensichtlich arbeitet der Analyst weiterhin bei Baader. Auch ein Analyst der Privatbank Hauck Aufhäuser, der dem Betrug Wirecards ebenfalls auf den Leim ging, arbeitet weiter für die Bank, „beobachtet derzeit etwa die SDax-Titel 1&1 und Hypoport. Zu seinen vier ‚Kaufen‘-Empfehlungen zählt unter anderem die Wallstreet Online AG, die durch Verbindungen zu einem verurteilten Anlagebetrüger auffiel“.

Quelle:

Georg Buschmann/Lukas Zdrzalek: „Gezielte Desinformation“, WirtschaftsWoche vom 22. Juli 2022, Seite 78-80 (Printausgabe)