In einem Artikel auf der Homepage des Österreichischen Rundfunks wird berichtet, welche Auswirkungen der Krieg in der Ukraine auf die bisher „eingespielte Zusammenarbeit zwischen russischer und ukrainischer Mafia“ hat: „Sie funktioniert nicht mehr – mit Folgen für das organisierte Verbrechen auf der ganzen Welt.“

Laut der NGO GI-TOC (Global Initiative Against Transnational Organized Crime – Globale Initiative gegen grenzüberschreitendes organisiertes Verbrechen) bildeten die Ukraine und Russland zusammen bis zum Beginn des Krieges das „größte kriminelle Ökosystem Europas“:

„Die russischen und ukrainischen Mafia-Gruppen kontrollierten die einträglichen Schmuggelrouten zwischen Russland und Westeuropa, auf denen von Gold über Zigaretten, Holz, Kohle und Drogen bis hin zu Menschen alles geschmuggelt wurde. Die Schwarzmeer-Metropole Odessa war zudem ein wichtiger Umschlaghafen für Schmuggelware. Entsprechend groß war der politische und wirtschaftliche Einfluss proukrainischer wie prorussischer Oligarchen.

Neben dem Balkan und dem Kaukasus war die Ukraine die wichtigste Route für Heroin aus Afghanistan nach Europa. Kokain aus Lateinamerika wurde vielfach via Schwarzmeer-Häfen angeliefert. Umgekehrt wurden Waffen von dort in Richtung Afrika und Asien verladen. In der Ukraine selbst boomte die Produktion von Amphetaminen und illegaler Tabakprodukte.“

Nach 2014 habe es in der Ukraine zwar vermehrte Anstrengungen im Kampf gegen die Mafia und die Korruption gegeben. „Vor allem bei der Justizreform gab es aber vergleichsweise wenig Fortschritt.“ Der russische Angriffskrieg im Februar 2022 habe nun aber beim organisierten Verbrechen einen „schweren Schock“ ausgelöst, wie die NGO GI-TOC feststellt. Zwischen russischen und ukrainischen Mafia-Gruppen war plötzlich keine Kooperation mehr möglich. „Verbrecher zu sein ist das eine. Aber als Verräter zu gelten ist etwas ganz anderes“, wird der Experte Mark Galeotti dazu aus dem britischen Wochenmagazin „Economist“ zitiert.

„Die Schwarzmeer-Häfen wurden geschlossen und sind es großteils heute noch. Die Fronten machen das Schmuggeln fast unmöglich. Dazu kommen nächtliche Ausgangssperren. Und die Mafia hat laut GI-TOC auch ein Personalproblem, da viele Männer zur Armee rekrutiert wurden. Viele Oligarchen verließen zudem bereits zu Kriegsbeginn das Land.“

Allerdings hätten die Verbrechenssyndikate, so die NGO, längst begonnen, alternative Routen aufzubauen. Und auch innerhalb der Ukraine gebe es Anzeichen für ein Wiedererstarken organisierter Kriminalität. „Die Schmugglertätigkeit habe sich stark in den Westen an die Grenze etwa zu Polen, der Slowakei und Moldawien verlagert. Und nicht zuletzt würden Soldaten an der Front mit synthetischen Drogen versorgt.“

Neue Geschäftsfelder seien „der Transport kommerzieller Waren unter Vortäuschung humanitärer Hilfe und der Schmuggel von Mangelwaren wie Treibstoff aus Nachbarstaaten in die Ukraine. Geplünderte Ware wie Getreide würde ebenso gehandelt. Auch der Menschenhandel hat zugenommen – laut GI-TOC aber bisher weniger stark als befürchtet. Auch das Außerlandesbringen von Männern, die der Einberufung zur Armee entgehen wollen, ist ein neu entstandener Geschäftszweig.“

Die NGO fordert daher durchgreifende Veränderungen in der Justiz und im Sicherheitsapparat der Ukraine. „Der noch in sowjetischen Strukturen verharrende Geheimdienst SBU versuche gegenwärtige Erfolge in der Spionageabwehr bereits politisch dazu zu nutzen, um künftige Reformen und eine eventuelle Aufspaltung von vornherein zu verhindern. Entscheidend für den Erfolg von Reformen könnte hier der Druck der westlichen Alliierten werden.“ 

In Russland wiederum seien im Verlauf des Krieges „die Verbindungen zwischen der Unterwelt und dem Staat enger geworden… Kriminelle würden teils für den Staat Geheimdiensttätigkeiten ausüben und etwa beim Umgehen von Sanktionen helfen, insbesondere den Import von Halbleitern organisieren.“

Für die Ukraine sieht die NGO im günstigsten Fall die Chance, dass durch „die erzwungene Abnabelung des Landes von Russland“ oligarchische Strukturen aufzubrechen und ihre kriminellen Begleiterscheinungen besser zu bekämpfen seien.

Quelle: https://orf.at/stories, 20. Mai 2023