Am 10. Februar 2023 verweigerte der Bundesrat einem Bundestagsbeschluss zum Schutz von so genannten Whistleblowern die Zustimmung. Widerstand von Seiten der Landesregierungen mit CDU/CSU-Beteiligung führte dazu, dass das Gesetz nicht in Kraft treten kann. Bundesregierung und Bundestag können nun den Vermittlungsausschuss anrufen, um dort erneut über die Vorlage zu verhandeln. Eine erneute Abstimmung im Bundesrat würde aber weitere Monate dauern und das Inkrafttreten des Gesetzes entsprechend verzögern.

„In der aktuellen Fassung sieht der Gesetzentwurf vor, dass Hinweisgeber sich an interne wie auch externe Meldesysteme wenden können. Diese werden ab einer Unternehmensgröße von 50 Mitarbeitern verpflichtend. Dazu soll es die Möglichkeit geben, sich an eine externe Meldestelle zu wenden, die zusätzlich zu den bestehenden in der Finanzaufsicht Bafin und dem Bundeskartellamt eingerichtet werden soll. Unter Umständen soll der Whistleblower die Missstände auch öffentlich machen dürfen. Kündigungen aufgrund einer Meldung sollen dann ebenso verboten werden wie andere Vergeltungsmaßnahmen.“ (Süddeutsche Zeitung vom 9. Februar 2023)

Die EU hatte bereits 2019 eine Richtlinie erlassen, die von den Mitgliedsstaaten bis zum Dezember 2021 in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen. Bis heute hat Deutschland das nicht hinbekommen, auch weil die alte Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sich nicht auf einen Gesetzesentwurf einigen konnte. Unter anderem war ein Vertragsverletzungsverfahren auf EU-Ebene die Folge.

Die Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks, Annegret Falter, kommentierte:

CDU/CSU lassen Whistleblower mit ihrer Blockadehaltung im Bundesrat erneut im Stich, wie bei allen früheren Anläufen für ein Hinweisgeberschutzgesetz. Den Schaden davon haben nicht nur die Whistleblower, sondern auch Demokratie, Rechtsstaat und die Wirtschaft selber. (…) Die soeben im Bundesrat vorgetragenen Argumente gegen den vorliegenden Gesetzentwurf wegen einer vermeintlich zu hohen Belastung der Wirtschaft in Krisenzeiten sind der ewig gleiche alte Wein in neuen Schläuchen.“

Weiter heißt es in einer Meldung der Organisation:

„Whistleblower sorgen mit ihren Meldungen für die frühzeitige Aufdeckung von Missständen in Unternehmen – bevor der Schaden zu Reputationsverlust und Haftungsansprüchen führt. Zudem weisen sie die Gesellschaft auf staatliche Kontroll- und Regelungslücken hin (z.B. bei Cum-Ex). Deswegen liegt es im ureigensten Interesse von Gesellschaft, Whistleblower zu ermutigen. Derzeit werden sie jedoch durch fehlende Rechtsklarheit und Rechtssicherheit abgeschreckt.“

Auch Finanzwende e.V. kritisiert die Union dafür, die die Hinweisgeber „im Regen stehen“ lasse:

„‚Es ist beschämend, dass wir Hinweisgebern immer noch nicht den von der EU vorgeschriebenen Mindestschutz bieten. Es ist eigentlich überfällig, dass wir Whistleblower besser schützen‘, erklärte Konrad Duffy, Referent Finanzkriminalität bei der Bürgerbewegung Finanzwende. Die Organisation machte noch vor der Bundesrats-Abstimmung bei einer Aktion deutlich, dass sich die CDU nicht auf die Seite von Finanzkriminellen und Co. stellen solle. ‚Sei es CumEx, Wirecard oder andere Skandale – immer wieder haben Whistleblower zu deren Aufdeckung und Aufklärung beigetragen. Der Dank ist, dass die CDU sie erneut im Regen stehen lässt‘, kritisierte Konrad Duffy von Finanzwende.

Immer wieder riskieren Hinweisgeber viel, um Betrug, Korruption und Missbrauch ans Licht zu bringen. Mit dem neuen Gesetz sollte sich die Lage zumindest etwas bessern. (…) Aus Sicht von Finanzwende hätte das Gesetz trotz Mängeln einen wichtigen Fortschritt bedeutet. ‚Die CDU hatte in ihrer Zeit der Regierungsverantwortung die Chance, die EU-Vorgaben nach eigenen Vorstellungen umzusetzen. Jetzt zu blockieren, ist in hohem Maße unverantwortlich‘, machte Duffy die Position seiner Organisation deutlich.“

Transparency International kommentiert die Entscheidung des Bundesrats wie folgt:

„Was für ein Trauerspiel! Die Union hat heute mit fachlich fragwürdigen und zum Teil schlicht unrichtigen Argumenten das Gesetz zum Schutz von Hinweisgebenden blockiert. Insbesondere die von der Union kritisierte Verpflichtung zum Nachgehen auch anonymer Hinweise ist essentiell für Hinweisgeberschutz – und in vielen Unternehmen bewährte Praxis. Durch die Blockade im Bundesrat müssen die betroffenen Personen, die auf Missstände hinweisen und damit Zivilcourage beweisen, weiter auf einen verlässlichen Schutzschirm warten. Das beschert in Unternehmen und Behörden sowie den Hinweisgebenden weiterhin große rechtliche Unsicherheit. Für Deutschland ist das auch im internationalen Vergleich ein Armutszeugnis, schließlich ist die Frist zur Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie bereits Ende 2021 verstrichen.“

Das Handelsblatt schrieb am 11. Februar:

„Wie wichtig Whistleblowing ist, belegen Fälle wie der des Zahlungsdienstleisters Wirecard oder der Fondstochter der Deutschen Bank, DWS, wo jeweils Mitarbeitende auf Missstände aufmerksam gemacht hatten. Pav Gill, damaliger Leiter der Asien-Rechtsabteilung bei Wirecard, brachte den Bilanzskandal ins Rollen, indem er Journalisten die entscheidenden Dokumente zukommen ließ. Die ehemalige DWS-Nachhaltigkeitschefin Desiree Fixler ging mit Vorwürfen des Greenwashings bei nachhaltigen Geldanlageprodukten an die Öffentlichkeit.“

Das Wirtschaftsblatt wies am 10. Februar darauf hin, dass auch Wirtschaftskreise den Gesetzentwurf unterstützen:

„Für die Wirtschaft könnte hingegen ein besserer Schutz von Hinweisgebern große Vorteile haben. Die Versicherer versprechen sich davon langfristig einen Rückgang der Wirtschaftskriminalität: ‚Zum einen erhöhen Whistleblowing-Systeme das Risiko, entdeckt zu werden, und schrecken potenzielle Täter ab‘, sagte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), dem Handelsblatt. Außerdem würden Taten früher erkannt und können so weniger Schaden anrichten. Das werde ‚positive Effekte für die deutsche Wirtschaft‘ haben. In mittelgroßen Unternehmen sind Hinweisgebersysteme bisher kaum vorhanden. Nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des GDV gab es im Frühjahr 2022 nur in jedem vierten mittelgroßen Unternehmen ein Hinweisgebersystem, wie es jetzt vorgeschrieben werden soll.“

Auch das Neue Deutschland kommentierte das Versagen der deutschen Politik beim Schutz des Whistleblowings:

„Sieben Anläufe gab es seit 2008, in Deutschland ein Gesetz zu verabschieden, das Hinweisgeber*innen vor Repressionen schützen soll, die auf Missstände in Unternehmen oder bei Behörden aufmerksam machen. Versuch Nummer acht scheiterte am Freitag im Bundesrat am Widerstand jener Länder, in denen die Union mitregiert. Die fadenscheinigen Argumente der Konservativen gegen effektiven Whistleblowerschutz haben sich in all den Jahren nicht geändert und bleiben ebenso falsch wie politisch durchschaubar.

CDU und CSU bemühen auch jetzt wieder mantraartig den Klassiker schlechthin aller wirtschaftsnahen Parteien: Das Gesetz verursache für Unternehmen hohe Kosten und personellen Aufwand! Nun ist Bürokratie in der Öffentlichkeit ein negativ besetztes Wort, klingt es doch nach einem überregulierten, alles in Akten erstickenden Staat. Doch der Schutz von Personen, die mutmaßliche Gesetzesverstöße – und nur darum geht es – mitbekommen und melden wollen, ist etwas, wovon am Ende alle profitieren und wofür es staatliche Vorgaben braucht. (…)  Was die Union betreibt, ist Blockadepolitik zum Schutz von Unternehmensinteressen. Man darf nicht vergessen: Bis 2021 saßen CDU und CSU 16 Jahre in der Regierung. Ein Whistleblower-Gesetz haben sie in all der Zeit nie umgesetzt.“

Quellen:

„Unionsparteien lassen Whistleblowerschutzgesetz erneut scheitern“, Meldung des Whistleblower Netzwerk e.V. vom 9. Februar 2023

https://www.whistleblower-net.de/online-magazin/2023/02/09/bundesrat-blockiert-hinweisgeberschutzgesetz/

„CDU schützt Finanzkriminelle statt Hinweisgeber“, Pressemitteilung von Finanzwende e.V. vom 10. Februar 2023

https://www.finanzwende.de/presse/cdu-schuetzt-finanzkriminelle-statt-hinweisgeber/

„Bundesrat lehnt das Hinweisgeberschutz-Gesetz ab“, Pressemitteilung von Transparency International Deutschland e.V. vom 10. Februar 2023

https://www.transparency.de/aktuelles/detail/article/bundesrat-lehnt-das-hinweisgeberschutz-gesetz-ab

Mona Fromm: „Whistleblowing-Gesetz bleibt umstritten – bietet aber auch Chancen für Unternehmen“, Handelsblatt (Online) vom 11. Febraur 2023

https://www.handelsblatt.com/karriere/hinweisgeberschutzgesetz-whistleblowing-gesetz-bleibt-umstritten-bietet-aber-auch-chancen-fuer-unternehmen/28973896.html?

Robert D. Meyer: „Union verhindert Schutz von Whistleblower*innen“, Neues Deutschland (Online) vom 10. Februar 2023

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170877.informantenschutz-union-verhindert-schutz-von-whistleblower-innen.html?

Dietmar Neuerer: „Unions-Länder stoppen besseren Schutz von Whistleblowern – SPD und Grüne halten an Regelungen fest“, Handelsblatt (Online) vom 10. Februar 2023

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/keine-mehrheit-unions-laender-stoppen-besseren-schutz-von-whistleblowern-spd-und-gruene-halten-an-regelungen-fest/28975540.html

Nils Wischmeyer: „Whistleblower bitte warten“, Süddeutsche Zeitung vom 9. Februar 2023