Der Steuerexperte Christoph Trautvetter erläuterte jüngst in einem Interview mit der Zeitung Jungle World, wie Konzerne ihre Gewinne verschieben können, um Steuern zu vermeiden:
„Das Unternehmensteuersystem ist knapp 100 Jahre alt und basiert darauf, dass jede Tochtergesellschaft eines internationalen Konzerns im jeweiligen Land die Gewinne versteuert, die in diesem Land erwirtschaftet wurden. Heute ist aber Wertschöpfung nicht mehr so klar einem Ort oder einer Tochtergesellschaft zuzuordnen. Softwarelizenzen, Markennamen, Patente und andere immaterielle Werte spielen eine immer größere Rolle. Also verschieben die Konzerne diese Lizenzen, Markennamen und Patente auf dem Papier zu ihrer Tochtergesellschaft in einer Steueroase, und alle Gewinne fallen dort an, während die Tochtergesellschaft im Hochsteuerland auf dem Papier kaum Gewinne macht. So zahlen viele internationale Unternehmen kaum Gewinnsteuern.“
Längst überfällig ist deshalb, dass auf internationalem Parkett Bemühungen erkennbar sind, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach zum Abschluss des Treffens der G20-Gruppe am 9./10. Juli in Venedig gar von einem „kolossalen Fortschritt“. Er bezog sich dabei auf die beschlossene Untergrenze bei der Besteuerung von Unternehmen, die den jahrzehntelangen ruinösen Steuerwettlauf nach unten beenden soll. Denn große, grenzüberschreitend tätige Konzerne sollen künftig 15 Prozent Steuern auf ihre Gewinne entrichten. 132 Staaten machen unter dem Dach der Industriestaaten-Organisation OECD mit, neun Länder, darunter bekannte Niedrigsteuerländer wie Irland und Ungarn, verweigern sich noch den getroffenen Absprachen. Bis Oktober 2021 wollen die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer letzte Details der geplanten globalen Steuerreform klären. Die neuen Regeln sollen im Jahr 2022 Gesetzesform erlangen und dann ab 2023 in Kraft treten.
Zwar ist geplant, dass international tätige Unternehmen unabhängig von ihrem Sitz den Mindeststeuersatz auf ihre Profite zahlen. Den Staaten werden jedoch keine Steuersätze direkt vorgeschrieben. Zahlt ein Konzern mit seiner Tochterfirma im Ausland jedoch weniger Steuern, kann der Heimatstaat die Differenz einfordern – mit dem Ziel, dass sich die Verlagerung von Gewinnen in Steueroasen nicht mehr lohnt.
Die OECD erhofft sich durch die globale Mindeststeuer Mehreinnahmen von weltweit 150 Milliarden Dollar im Jahr. Nach Auskunft des Handelsblattes dürften sich die Auswirkungen der Neuregelung für den deutschen Fiskus jedoch in einem überschaubaren Rahmen halten. Nach einer Schätzung von Deloitte Deutschland kann die Bundesrepublik nur mit Mehreinnahmen von einer bis 1,5 Milliarden Euro rechnen (Handelsblatt vom 10. Juli 2021). Gemäß der Mindeststeuer-Regelung werden Unternehmen erst ab einem Jahresumsatz von 750 Millionen Euro zur Kasse gebeten. Weltweit betrifft die Steuer demnach 7.000 bis 8.000 Konzerne. In Deutschland lagen nach Daten des Statistischen Bundesamts 827 Firmen über der 750-Millionen-Euro-Umsatzschwelle (Handelsblatt vom 2. Juli 2021).
Die globalisierungskritische NGO Attac stellt fest, dass der geplante Steuersatz von nur 15 Prozent viel zu niedrig sei. Er entspreche dem Niveau aktueller Steuersümpfe und berge die Gefahr, dass das globale Steuerdumping in diese Richtung fortgesetzt werde. Attac fordert dagegen als Ausgangspunkt einen globalen Mindeststeuersatz von 25 Prozent, einen Satz, der offensichtlich auch von zahlreichen internationalen Organisationen und Expert*innen gefordert wird. Die nominellen Steuersätze für Unternehmen hätten sich, so Attac, weltweit in den vergangenen 40 Jahren von rund 50 auf etwa 24 Prozent halbiert. In einer Zeit steigender Ungleichheit und angesichts der enormen Kosten der Pandemie gelte es, diese Entwicklung zu stoppen und umzukehren.
Das Online-Magazin Telepolis argumentiert ähnlich:
„Würden die 15 Prozent wie geplant kommen, müssten europäische Steueroasen wie Irland oder Luxemburg ihre Steuersätze allerdings nur wenig erhöhen. Die Differenz zu Körperschaftssteuersätzen in anderen Ländern (Deutschland etwa 30 Prozent) bliebe aber fast unverändert bestehen. Deren Mehreinnahmen erhöhen sich kaum und, anders als behauptet, bleibt der Steuerwettbewerb erhalten und wird nicht bekämpft, obwohl unklar ist, ob Amazon und Co wirklich endlich zur Kasse gebeten werden.
Man darf sogar befürchten, dass sich eine Nivellierung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einstellt, wenn der Mindeststeuersatz zum Standard wird und zum Beispiel auch Deutschland weiter unter Druck gerät, seine Steuern nach unten anzupassen (…) Entwicklungshilfeorganisationen wie Oxfam International kritisieren das Vorhaben aus dem Blickwinkel der Länder im globalen Süden. Auch die britische Organisation befürchtet, dass das gesamte Steuerniveau weltweit eher weiter abgesenkt als erhöht werde. (…) Es sei ‚absurd‘, dass man eine weltweite Mindeststeuer aufsetzen wolle, ‚die den niedrigen Steuersätzen in Steueroasen wie Irland, der Schweiz oder Singapur ähnlich ist, erklärt die Oxfam-Geschäftsführerin Gabriela Bucher.“
Auch das Neue Deutschland vermutet, dass die Mindeststeuer zum Niedrigstandard mutieren könnte:
„Eine Mindeststeuer könnte zwar die weltweite Erosion bei der Konzernbesteuerung stoppen und dafür sorgen, dass Entwicklungsländer mehr vom Kuchen abbekommen. Aber sie ist eben auch nicht mehr als eine Untergrenze, und 15 Prozent Gewinnbesteuerung sind verdammt wenig. Zu befürchten ist, dass sich viele Staaten an dieser Marke, die Gut von Böse unterscheiden soll, orientieren werden und die Untergrenze zur Benchmark wird. Umso wichtiger wird, dass große Blöcke wie die EU mit gutem Beispiel vorangehen, die eigenen Mitgliedsschurken zur Räson rufen und deutlich höhere Untergrenzen einziehen. Es mag sein, dass es mit der globalen Reform bei der Konzernbesteuerung in einigen Jahren etwas fairer zugehen wird. Aber fair ist auch das noch lange nicht.“
Alain Deneault, Professor für Philosophie an der Universität von Moncton (Kanada), hält die globale Steuer dagegen für einen Fortschritt, weniger aus fiskalischer denn aus juristischer Sicht. Denn sie gebe den global agierenden Konzernen den Status von Rechtssubjekten, während bislang in den einzelnen Staaten nur die auf ihrem Gebiet operierenden Tochtergesellschaften als Rechtssubjekte behandelt worden seien. Diese rechtliche Aufsplitterung hätten die Multis im Laufe ihres vor hundert Jahren begonnenen Siegeszugs bedenkenlos missbraucht. Allerdings stellt auch er fest, dass die Höhe der globalen Steuer „gering bis lachhaft“ ausfalle. „Der Satz von 15 Prozent“, so Deneault, „entspricht dem Trinkgeld, das in Nordamerika üblich ist“.
Quellen:
„Reform von reichen Staaten für reiche Staaten“, Webseite von Attac vom 10. Juni 2021
Alain Deneault: „Warum die gobale Steuer ein Fortschritt ist“, Le Monde diplomatique, Juli 2021, Seite 9
https://monde-diplomatique.de/zeitung
Martin Greive/Jan Hildebrand: „Mehreinnahmen von 150 Milliarden Euro pro Jahr – Das bringt die globale Steuerreform“, Handelsblatt vom 2. Juli 2021
Martin Greive/Carsten Volkery/Christian Wermke: „G20-Finanzminister beschließen globale Steuerreform – doch einige Fragen sind noch offen“, Handelsblatt vom 10. Juli 2021
Kurt Stenger: „Die Sache mit der Fairness“, Neues Deutschland vom 2. Juli 2021
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1154016.globale-mindeststeuer-die-sache-mit-der-fairness.html
Ralf Streck: „G7 legalisiert das Recht auf Steuerhinterziehung“, Telepolis (Online-Magazin) vom 18. Juni 2021
„Eine globale Mindeststeuer wäre ein Paradigmenwechsel“, Interview mit Christoph Trautvetter, Jungle World vom 12. Mai 2021
https://jungle.world/artikel/2021/19/eine-globale-mindest-steuer-waere-ein-paradig-menwechsel