„Der Erfolg von Airbnb an der Börse zeigt die Zukunft des Reisemarktes auf“ lautet der Titel eines Kommentars im Handelsblatt vom 11. Dezember 2020. Trotz Reisewarnungen und Beherbergungsverboten hatte das als weltweit größte Online-Plattform zur Vermietung von Ferienunterkünften agierende US-Unternehmen im vergangenen Dezember einen fulminanten Börsenstart hingelegt. Rund 3,5 Milliarden US-Dollar brachte die Emission von Anteilsscheinen ein. Wegen seines Geschäftsmodells ist Airbnb im Gegensatz zu traditionellen Reiseveranstaltern zurzeit bei Investoren stark angesagt. Denn, so der Autor des Handelsblatts, „Airbnb ist in der Investorensprache ‚asset light‘, ist anders als Tui keine Verträge mit Hotels, Fluglinien oder Kreuzfahrt-Anbietern eingegangen. Die hängen wie Bleigewichte an den Reiseveranstaltern“. Tatsächlich meistert Airbnb die Coronakrise deutlich besser als die klassische Konkurrenz. Denn das Unternehmen zeigt sich als ausgesprochen flexibel: Es profitiert offensichtlich von einer steigenden Nachfrage von Menschen, die der Stadt entfliehen wollen, um in ländlichen Ferienwohnungen im Homeoffice arbeiten zu können. Dazu kommen die im Vergleich zu Hotel- und Reiseanbietern geringen Fixkosten. So werden die Aufwendungen für leerstehende Häuser und Wohnungen in Zeiten der Pandemie ausschließlich von den Vermietern getragen.
Die rein ökonomische Betrachtung des Dreiecksverhältnisses von Online-Plattform, Vermietern und Kunden blendet jedoch die Folgen des Geschäftsmodells für das „Umfeld“, das heißt für die Bewohner*innen vor allem der touristisch attraktiven Großstädte aus. Dringend benötigter Wohnraum wird zweckentfremdet, die Mieten steigen weiter und Nachbarschaften leiden unter den Wirkungen eines „Overtourism“. Dieser Zusammenhang wird bereits seit mehreren Jahren kritisch diskutiert – politische Initiativen bekämpfen weltweit die Praktiken der Online-Plattformen. So wurden im November und Dezember des vergangenen Jahres zwei neue international ausgerichtete Studien veröffentlicht. Diese beschreiben, wie Städte bisher weitgehend in ihren Bestrebungen scheiterten, die Kurzzeitvermietungen von Wohnungen und Zimmern gemeinwohlorientiert zu regulieren.
Die im Auftrag der Fraktion der Linken im Europaparlament erstellte Studie „Platform Failure“ (Plattformversagen) von Murray Cox und Kenneth Haar verdeutlicht, dass die Verflechtung der Bereiche Wohnen und Tourismus bei den Kurzzeitvermietungen zu einem gefährlichen Trend geführt habe. Die Analyse der acht Städte Amsterdam, Barcelona, Berlin, Paris, Prag, Wien, New York und San Francisco ergab ein deutliches Übergewicht der rein kommerziellen Vermietung gegenüber der ursprünglichen Form des „Home Sharing“, bei dem Privatpersonen nur gelegentlich vermieten. In Barcelona beispielsweise machte der kommerzielle Anteil der Einnahmen aus Vermietungen (Vermietung eines Hauses für mehr als 90 Tage im Jahr bzw. mehrerer Häuser oder Zimmer durch einen Anbieter) 89 Prozent aus. In Berlin waren es knapp 74 Prozent, in Prag dagegen sogar über 94 Prozent. Der durchschnittliche Anteil an den Einnahmen aus der Vermietung von Häusern, Wohnungen oder Einzelzimmern, die für weniger als 30 Tage im Jahr Besucher*innen überlassen wurden, betrug in den acht untersuchten Städten dagegen gerade einmal 12,5 Prozent (Seite 10). Nicht wenige Städte bemühen sich jedoch seit Jahren, die Nutzung des „normalen“ Wohnraums für touristische Zwecke einzudämmen, indem sie zunächst versuchen, eine Offenlegung aller relevanten Daten des Angebots auf der Plattform zu erwirken (zum Beispiel die genauen Adressen der Unterkünfte). Teilweise sind Vermieter auch verpflichtet, eine Genehmigung bei den Stadtverwaltungen einzuholen und bei den Buchungsplattformen eine Registrierungsnummer anzugeben. Mit mäßigem Erfolg: Bei 60 Prozent der in Paris von Airbnb gelisteten Wohnungen fehlen die dort seit 2017 erforderlichen Registriernummern. In Berlin sind es rund 80 Prozent, in New York gar 85 Prozent (Seite 12).
Die von Sarah Coupechoux und Clotilde Clark-Foulquier verfasste Studie „The City is ours!“, herausgegeben von der europäischen Obdachlosenorganisation Feantsa und der französischen Abbé-Pierre-Stiftung, die sich ebenfalls für Obdachlose engagiert und sich um das Thema Wohnungsnot kümmert, bestätigt diese Ergebnisse. Ihre Recherchen ergaben, dass ein erheblicher Teil der Zimmer- und Wohnungsangebote auf der Airbnb-Plattform nicht von privaten Personen geschaltet wurde, sondern von Unternehmen, die über mehrere Wohnungen verfügen (Seite 5). In Bezirken mit einem hohen Anteil an Kurzzeitvermietungen schwinde so das Angebot an klassischen Vermietungen, was die Mieten und die Verkaufspreise in die Höhe treibe. Die ursprüngliche Idee einer „Sharing economy“ sei pervertiert worden und das Airbnb-Modell Teil der weiteren Finanzialisierung des Wohnungsmarkts geworden, nach der Wohnungen lediglich als Anlageobjekte betrachtet werden (Seite 7).
Die vorliegenden Studien belegen einmal mehr, dass in den untersuchten europäischen und US-amerikanischen Städten trotz Regulierungsversuche der dortigen Verwaltungen ein erheblicher Bestand an Wohnungen illegal vermietet wird. Zum Teil, weil sie nicht registriert werden, zum Teil aber auch, weil von Airbnb ausgehändigte Daten unvollständig oder schlicht unbrauchbar sind.
Die meisten Städte, so hält die Studie „Plattform failure“ fest, berichten über eine sehr geringe Bereitschaft, die jeweils vorhandenen Regelungen für Kurzzeitvermietungen tatsächlich einzuhalten. In der Regel gilt das nur für 10 bis 20 Prozent der Anbieter, da Airbnb einen Schutzschirm bildet, hinter dem sich die illegalen Gastgeber verstecken können (Seite 29). Als zentraler Lösungsansatz erscheint die Durchsetzung des Prinzips der Datentransparenz. Der Zugang zu den Daten erscheint allein auch deshalb notwendig, um gegen die Steuervermeidungspolitik von Airbnb vorgehen zu können. Der öffentlichen Hand gehen nach Aussagen von Expert*innen jährlich Millionen von Euro verloren, weil mit Hilfe der Online-Plattform das Zahlen von Einkommens-, Übernachtungs- und Umsatzsteuern umgangen wird.
Die Autor*innen beider Studien sind sich einig, dass auch die 20 Jahre alte und damit völlig überholte e-Commerce-Richtlinie der EU nicht ausreicht, um Plattformen wie Airbnb innerhalb Europas in die Schranken zu weisen. Damit Regulierungsversuche nicht mehr durch fehlende Transparenz unterwandert werden können, wurden im vergangenen Dezember mit viel Hoffnung die neuen Regulierungsvorschläge der EU-Kommission zur Kontrolle von Internetgiganten wie Amazon, Apple und Facebook (Digital Service Act) erwartet. Die neuen Spielregeln sollen unter anderem dafür sorgen, dass Online-Plattformen für Inhalte, die dort veröffentlicht werden, verstärkt in die Verantwortung genommen werden können. Ob die neuen Regelungen auch dazu führen werden, dass Daten über die von Airbnb vermittelten Vermietungen wirklich offengelegt werden, ist bislang jedoch unklar. Es wird ohnehin noch Jahre dauern, bis der Digital Service Act Realität wird. Zunächst stehen Verhandlungen zwischen den EU-Staaten und innerhalb des Europaparlaments an. Danach müssen das Parlament und die Mitgliedstaaten zu einer Einigung kommen. Bis dahin wird Airbnb weiter mit jedem – auch illegalen – Angebot Geld verdienen.
Quellen:
Svenja Bergt: „Vermietung illegal, Amt machtlos“, taz vom 9. Dezember.2020
Murray Cox/Kenneth Haar: Platform Failures. How short-term rental platforms like Airbnb fail to cooperate with cities and the need for strong regulations to protect housing, 9. Dezember 2020
https://www.dielinke-europa.eu/de/article/12887.airbnb-mitschuld-an-hohen-mieten.html
„EU bläst zum Kampf gegen die Tech-Riesen“: Frankfurter Rundschau vom 15. Dezember 2020
https://www.fr.de/wissen/eu-blaest-zum-kampf-gegen-die-tech-riesen-zr-90131743.html
FEANTSA and the Foundation Abbé Pierre (Hg.): The city is ours! How to regulate Airbnb in the face of a housing crisis, November 2020 (Autorinnen: Sarah Coupechoux/Clotilde Clark-Foulquier)
Thomas Jahn: „Der Erfolg von Airbnb an der Börse zeigt die Zukunft des Reisemarktes auf“, Handelsblatt vom 11. Dezember 2020
Raphaël Schmeller: „Wohnungen für Spekulanten“, junge Welt vom 12. Dezember 2020
Weitere Informationen zu Airbnb
Airbnb…
…ist die Abkürzung für „Air Bed and Breakfast“ (Luftmatratze mit Frühstück), wurde 2008 in San Francisco gegründet und entwickelte sich zu einem der am höchsten bewerteten Startups der vergangenen zehn Jahre.
…listet als Online-Plattform nach eigenen Angaben mehr als vier Millionen Gastgeber und bietet jede Art von Unterkunft in nahezu jeder Region der Welt an (in mehr als 190 Ländern; inzwischen auch Luxusappartements und Suiten in teuren Hotels).
…teilte Anfang Mai 2020 mit, in Folge der Pandemie rund ein Viertel ihrer weltweit 7.500 Mitarbeiter entlassen zu wollen (insgesamt 1.900 Angestellte). Das Unternehmen erwartete für das Jahr 2020 einen Gesamtumsatz von rund 2,4 Milliarden US-Dollar, nur etwa die Hälfte des Umsatzes aus dem letzten Jahr (laut Statista). Airbnb hat sich mittlerweile jedoch schnell erholt. Trotz Reisebeschränkungen suchen die Menschen wieder zunehmend Mietwohnungen und Zimmer auf der Online-Plattform.
…verweigert weitgehend den für öffentliche Kontrollzwecke notwendigen Datenaustausch mit den örtlichen Behörden. Airbnb betont selbst, dass mit zahlreichen Behörden jedoch eine freiwillige Weitergabe von Daten vereinbart worden ist.
…wurde Ende August 2020 erstmals von einem irischen Gericht nach einem mehrjährigen Verfahren dazu verpflichtet, Daten von Vermietern zu steuerlichen Kontrollzwecken herauszurücken. Die Steuerfahndung Hamburg erreichte dies zusammen mit anderen Bundesländern und dem Bundeszentralamt für Steuern mit einem sogenannten internationalen Gruppenersuchen.
(Anmerkung: „Einnahmen aus Airbnb-Vermietungen sind zu versteuern, soweit sie 520 Euro jährlich übersteigen und das Gesamteinkommen über dem Grundfreibetrag [9.408 Euro für Singles] liegt. Bei einer Steuerhinterziehung sind eine Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren möglich, wobei besonders schwere Fälle auch mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet werden können.“ [Berliner Zeitung vom 2. September 2020])
…musste im September 2020 eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hinnehmen, nach der eine Genehmigungspflicht für die kurzzeitige Vermietung von Wohnungen mit dem EU-Recht vereinbar ist. Zwei Vermieter aus Frankreich hatten geklagt, wo seit 2018 eine gesetzliche Genehmigungspflicht für den Großraum Paris sowie für alle Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern gilt.