Nach einer vom Magazin WirtschaftsWoche in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey würde sich mehr als ein Viertel der befragten 1.500 Führungskräfte (aus Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung) und Selbstständigen (mit mehr als zehn Mitarbeiter*innen) für Annalena Baerbock von der Partei Bündnis 90/Die Grünen entscheiden – wenn denn eine Kanzlerin oder ein Kanzler direkt gewählt werden könnte. Mit 26,5 Prozent der Umfragestimmen lässt sie Christian Lindner (FDP/16,2 Prozent), Armin Laschet (CDU/14,3 Prozent) und Olaf Scholz (SPD/10,5 Prozent) klar hinter sich. Ein Drittel der Befragten beantwortete die Frage mit „Weiß nicht“ (WirtschaftsWoche vom 25. April 2021).

Die WirtschaftsWoche kommentiert:

„Das Ergebnis beweist erstens, dass die Grünen zumindest nicht mehr zum Schreckgespenst derer taugen, die die ‚ökonomische Vernunft‘ jederzeit auf ihrer Seite wähnen. Das hat viel mit der empirischen Widerlegung dieses Selbstbildes, also mit Finanzkrisen und Steueroasen, Plattformmonopolen und Bonobankern, auch mit unverdientem Erbschaftsreichtum, Ungleichheit und steigenden Wohneigentums- und Mietpreisen in Großstädten, ironischerweise aber vor allem mit einer weiteren Landnahme des Kapitalismus und mit der Entgrenzung der Geldregentschaft zu tun: Investoren, Banken und Hedgefonds bewirtschaften, politisch befeuert von billionenschweren Green-New-Deals, inzwischen sehr erfolgreich das schlechte Gewissen der globalen Komfortzonenbewohner – und pumpen Billionen in E-Autos, saubere Energien, eine ‚klimaneutrale‘ Zukunft. Die vergangene Woche – Joe Biden ruft die Welt zum Klimagipfel, die EU vereinbart verbindliche Klimaziele – hat es einmal mehr gezeigt: Grüne Investitionen sind der neue Goldstandard in der Wirtschaft: green backs the economy.“

Der Journalist kann sich bei seiner Analyse auch auf das aktuelle Grundsatzprogramm der Partei berufen. Dort heißt es unter anderem:

„Den Weg zur sozialökologischen Marktwirtschaft bereitet ein Green New Deal. Er schafft den neuen Ordnungsrahmen für faires, ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften, indem er auf ein Bündnis aus Arbeit und Umwelt baut. Er investiert mutig in die Zukunft. Er setzt neue Kräfte für Kreativität und Innovationen frei. Er sorgt für sozialen Ausgleich und fördert eine geschlechtergerechte Gesellschaft.“

Der 2018 verstorbene Politikwissenschaftler Elmar Altvater erklärte schon vor über zehn Jahren, warum sich deshalb auch die deutsche Wirtschaftselite mit Bündnis 90/Die Grünen anfreunden kann:

„Der grüne ‚New Deal‘ spiegelt eine ‚win-win‘-Situation vor, er präsentiert sich als ein sozioökonomisches Projekt, das schwarz-grüne ebenso wie rot-grüne politische Koalitionen begründen kann. Es ist also, weil politisch wenig profiliert, gewissermaßen beliebig.“ (Altvater, Seite 233)

 

Quellen:

Dieter Schnaas: „Drei Gründe, warum bei dieser Wahl noch alles offen ist“, WirtschaftsWoche (Online) vom 25. April 2021

https://www.wiwo.de/politik/deutschland/tauchsieder-drei-gruende-warum-bei-dieser-wahl-noch-alles-offen-ist/27128412.html

Max Haerder: „Deutschlands Entscheider wollen Annalena Baerbock“, WirtschaftsWoche (Online) vom 22. April 2021

https://www.wiwo.de/politik/deutschland/exklusive-umfrage-deutschlands-entscheider-wollen-annalena-baerbock/27120196.html

Bündnis 90/Die Grünen: Grundsatzprogramm vom 22. November 2020 („zu achten und zu schützen – Veränderung schafft Halt“)

https://cms.gruene.de/uploads/documents/20200125_Grundsatzprogramm.pdf

Elmer Altvater: Der große Krach. Oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur, Münster, 2010