„Stellen Sie sich vor, Sie wollen Geld anlegen und lassen sich dazu bei Ihrer Bank beraten. Sie entscheiden sich für einen Fonds mit Nachhaltigkeitszertifikat. Später stellen Sie fest, dass dieser nachhaltige Fonds nicht nur Aktien von Gas- und Atom-Konzernen enthält, sondern auch von Waffenherstellern. Und das ganz legal. Verkehrte Welt? Wenn es nach der Bundesregierung geht, könnte dies bald Normalität sein.“
Das sagt Aysel Osmanoglu, Vorstandssprecherin der GLS-Bank, nach eigenen Angaben die erste sozial-ökologische Bank Deutschlands. Sie verweist damit auf eine massive Lobbykampagne der Rüstungsindustrie, über die aktuell die tageszeitung (taz) und der Verein LobbyControl auf Basis einer gemeinsamen Recherche berichten: „Denn weil Europa mehr für Sicherheit und Aufrüstung machen will, ist der Rüstungslobby ein Coup gelungen: Investitionen in Rüstung sollen als ‚nachhaltige‘ Geldanlagen anerkannt werden – wegen ihres angeblichen Beitrages zum Frieden.“ (Newsletter LobbyControl)
Die Zugänge zu „nachhaltigen“ Fonds an den privaten Finanzmärkten waren für die Rüstungsindustrie bislang weitgehend verwehrt. In Zeiten der geforderten „Kriegstüchtigkeit“ jedoch sieht die Rüstungslobby ihre große Chance, neue Kanäle zu mehr Investitionen zu sichern. Sie argumentiert bereits seit Jahren damit, dass Krieg das Gegenteil von Umweltschutz sei und folglich Rüstung als Garant der Sicherheitspolitik einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leiste (vgl. Newsletter LobbyControl). Durchaus mit Erfolg, denn im European Defense Industrie Programme (EDIP), dem sogenannten Verteidigungsprogramm der EU vom März 2024, lässt sich nachlesen:
„Die Verteidigungsindustrie der Union trägt entscheidend zur Resilienz und Sicherheit der Union und damit zu Frieden und sozialer Nachhaltigkeit bei.“ (zit. n. Nachdenkseiten)
LobbyControl ergänzt:
„Eine Klassifizierung der Rüstungsindustrie als nachhaltig hätte weitreichende Folgen. Aktien der Hersteller von Panzern, Raketen oder gar Nuklearwaffen könnten sich in nachhaltigen Aktienpaketen und Fonds verstecken, ohne dass Anleger:innen sich dessen bewusst sind.
Christian Klein, Professor für nachhaltige Finanzwirtschaft an der Uni Kassel, betont, dass dies nicht im Interesse von deutschen Anleger:innen ist: ‚Wir wissen aus unserer Forschung, dass zumindest deutsche Kleinanleger und Kleinanlegerinnen ,Rüstung’ als das Gegenteil von ,nachhaltig’ empfinden.
Es besteht also die Gefahr, dass durch die Pläne der Kommission, Menschen zu Investitionen in Rüstung gebracht werden, die das eigentlich explizit nicht möchten.‘“ (Aurel Eschmann)
Die taz blickt zurück:
„Die Umsetzung der Pariser Klimaziele von 2015 hat die EU-Politik in vielen Bereichen durchdrungen. 2018 hat die EU einen Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen ins Leben gerufen. Der mündete in einer Verordnung ‚über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor‘. Diese Verordnung hat Transparenzpflichten und Kriterien für Geldanlagen festgelegt, mit denen Greenwashing in der Finanzwelt verhindert werden soll. Die EU will damit sowohl die Verbraucher*innen als auch das Klima schützen. Als die Kommission 2022 Erdgas und Atomstrom als nachhaltig einstufte, gab es unter Umweltverbänden einen Aufschrei. Auch aus der taz kam der ‚Greenwashing‘-Vorwurf.
Bei anderen Branchen ist die EU-Kommission da bislang deutlich härter: Tabak, Glücksspiel und Rüstung gelten bis heute nicht als nachhaltig und sind für ESG-Fonds eigentlich Tabu – bis jetzt.“
Die Einstufung der Rüstungsindustrie als „nachhaltige“ Branche ist zwar noch nicht beschlossen, ihre Aufnahme in die EU-Taxonomie (Verordnung zur Definition von Nachhaltigkeit) könnte aber in den kommenden Monaten erfolgen.
Quellen:
Anton Dieckhoff: „Wie Rüstung nachhaltig werden soll“, taz (Online) vom 8. Oktober 2014
https://taz.de/Waffenlobby-in-der-EU/!6041646/
Aurel Eschmann: „Einfluss der Waffenlobby: EU-Kommission will Rüstungsanlagen als nachhaltig erklären“, LobbyControl e.V., 8. Oktober 2024
„Grüne Bomben und Raketen“, Newsletter von LobbyControl e.V. vom 8. Oktober 2013
Aysel Osmanoglu: „Verdrehte Nachhaltigkeit: Erst Gas und Atomkraft, nun Waffen?“, Table.Briefings, 6. September 2024
https://table.media/esg/standpunkt/verdrehte-nachhaltigkeit-erst-gas-und-atomkraft-nun-waffen/
Ralf Wurzbacher: „Von Herzen, Rheinmetall“, NachDenkSeiten, 11. Oktober 2024