„Solche Geschäfte sind gewissermaßen das perfekte Verbrechen. Kompliziert, abstrakt, weit weg von unserem Alltag. Auf den ersten Blick gibt es keine Opfer. Niemand scheint direkt betroffen.“
Dieses Zitat aus einem Bericht des Recherchezentrums Correctiv bezieht sich auf den immensen Steuerbetrug, bei dem es den Tätern nicht nur darum geht, Steuern zu vermeiden – sondern aktiv in die Staatskassen zu greifen und Milliardenbeträge zu stehlen.
Eine aktuelle internationale Untersuchung, an der in Deutschland das NDR-Politmagazin Panorama und Correctiv beteiligt waren, zeigt: Der entstandene Schaden aufgrund von Cum-Ex, Cum-Cum und anderer Steuertricksereien ist weit größer als bislang vermutet. Nach dieser Untersuchung belaufe sich die Summe europaweit auf rund 150 Milliarden Euro, davon knapp 36 Milliarden in Deutschland in den letzten 20 Jahren. Noch 2018 war man nur von rund 55 Milliarden Euro in Europa ausgegangen. Der deutsche Staatshaushalt habe tatsächlich allein mit Cum-Ex-Deals mehr als sieben Milliarden Euro verloren, mit Cum-Cum 28,5 Milliarden.
In Frankreich entstanden in den vergangenen beiden Jahrzehnten Steuerausfälle von etwa 33 Milliarden Euro, in den Niederlanden 27 Milliarden, in Spanien 19 Milliarden. Geringere Verluste verzeichneten Staaten wie etwa Großbritannien und auch die USA, in denen strengere Gesetze gelten und die Finanzmarktaufsicht schärfer vorgeht (vgl. Tagesspiegel).
Worum handelt es sich bei Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften? Es geht bei beiden Varianten um Steuerrückzahlungen im Zusammenhang mit Dividendenzahlungen:
„Ähnlich wie auch bei Cum-ex profitieren die Akteure davon, dass der Staat Steuern zurückerstattet, obwohl diese gar keinen Anspruch darauf haben. Der Unterschied in der Bezeichnung liegt darin, dass die Aktien mal mit, also ‚cum‘, Dividende gehandelt werden und mal ohne, also ‚ex‘. Bei ‚Cum-cum‘-Geschäften geht es um Aktiengeschäfte, die vor dem Dividendenstichtag eingefädelt werden.
Zudem spielen ausländische Investoren eine besondere Rolle, denn die werden in vielen Ländern der Welt steuerrechtlich anders behandelt als inländische Institute, auch in Deutschland. Während sich inländische Investoren die einmal gezahlte Steuer zurückerstatten lassen können, ist dies ausländischen Unternehmen nur eingeschränkt möglich. In diesen Fällen liehen sich deutsche Banken, zum Beispiel die Commerzbank, für den Zeitraum der Auszahlung der Dividende die Aktien. Die deutschen Unternehmen ließen sich die Kapitalertragsteuer erstatten – und teilten dann die Zahlung mit dem ausländischen Geschäftspartner, dem die Aktien eigentlich gehörten.“ (FAZ)
Seit Juli dieses Jahres gelten Cum-Ex-Deals nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs als strafbar. Die Staatsanwaltschaft Köln, über die viele Ermittlungsverfahren laufen, geht mittlerweile auch gegen mehr als tausend Beschuldigte vor. Gerhard Schick vom Verein Finanzwende spricht jedoch von einer deutlichen Diskrepanz zwischen den Zahlen der aktuellen Studie und Angaben des Bundesfinanzministeriums. Dem vermuteten Schaden bei Cum-Cum-Deals in Höhe von über 28 Milliarden Euro stünden bisher nur Rückzahlungen in Höhe von 135 Millionen Euro gegenüber. Bund und Länder hätten jahrelang die Aufklärung blockiert (vgl. Tagesspiegel).
Auch Correctiv zeigt sich pessimistisch, was Aufklärung und Verfolgung dieser Art der Wirtschaftskriminalität betrifft, und verweist auf die internationale Dimension des Steuerbetrugs:
„Das Finanzministerium von Scholz scheint nicht die einzige Behörde zu sein, die im Kampf gegen steuergetriebene Deals versagt. Wir haben über das Informationsfreiheitsgesetz Einsicht in Akten beantragt und so einen Einblick bekommen, wie europäische Behörden hinter den Kulissen mit der Problematik der Cum-Ex-Geschäfte und anderer steuergetriebener Deals umgehen. Das Bild ist auch drei Jahre nach den Cum-Ex-Enthüllungen verheerend. Europäische Staaten scheitern bei der Bekämpfung des systematischen Steuerbetrugs.“
Quellen:
Corinna Budras: „140 Milliarden Euro Beute durch Steuertricksereien“, FAZ (Online) vom 21. Oktober 2021
Correctiv (Recherchezentrum): „Top Story: Die CumEx-Files 2.0“
https://correctiv.org/schwerpunkte/cum-ex-steuerbetrug/
„Cum-Ex: Steuerräuber ohne Schuldgefühl“, ARD-Magazin Panorama vom 21. Oktober 2021
https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2019/-,panorama17208.html
Albert Funk: „Betrug bei Dividenden richtet weltweit 150 Milliarden Euro Schaden an“, Tagesspiegel (Online) vom 21. Oktober 2021“