Die Online-Plattform Statista, nach eigenen Angaben führender Anbieter für Markt- und Konsumentendaten in Deutschland, berichtet, dass für das Jahr 2021 bundesweit 510 Arbeitsunfälle mit Todesfolge registriert wurden. Gegenüber dem Rekord-Unfalljahr 1993 mit 1.543 tödlichen Unfällen habe sich danach die Zahl um mehr als 66 Prozent reduziert. Die Quote tödlicher Arbeitsunfälle würde sich auf dem historischen Tiefstand von 0,01 je 1.000 Vollarbeiter halten.

Die Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) referiert die Fakten weniger optimistisch. Im Bereich der Unfallversicherung von gewerblicher Wirtschaft und öffentlicher Hand ereigneten sich danach im Jahr 2021 insgesamt 806.217 meldepflichtige Arbeitsunfälle, die eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder den Tod zur Folge hatten, das heißt 6 % mehr als im Vorjahr. „Bei den tödlichen Arbeitsunfällen ist gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um 111 Fälle auf 510 Todesfälle zu verzeichnen.“

Renate Dillmann, Dozentin und freie Journalistin, kommentiert auf den Nachdenkseiten:

„Tragische Einzelfälle? Gehört die Gefahr eines eventuell sogar tödlichen Arbeitsunfalls schlicht zum ‚normalen Lebensrisiko‘? Oder ist mehr zu den Ursachen zu sagen? (…)

Arbeitsschutz ist in der kapitalistischen Produktion nichts, worauf ein Unternehmen von sich aus Wert legt. Schutzvorrichtungen bei der Bedienung von Maschinen, Lärmschutz, die Verwendung nicht schädlicher Stoffe, stabil gebaute Arbeitshallen, die nicht einsturzgefährdet sind und in denen der Brandschutz gewährleistet ist – all das verursacht Kosten und wird deshalb, wenn es allein nach dem Willen der Unternehmen geht, nur gemacht, wenn die entsprechenden Schutzmaßnahmen im Verhältnis zu den anfallenden Kosten und den zu erwartenden ‚Betriebsausfällen durch Unfall‘ sich lohnen. (…)

Die rücksichtslose Praxis seiner Unternehmer hat der deutsche Sozialstaat im Interesse an einer nachhaltigen Benutzbarkeit seiner Arbeitsbevölkerung nach und nach durch Arbeitsschutzgesetze eingeschränkt. Heute gehören zum Arbeitsschutz diverse Rechtsverordnungen (…).

Dass dermaßen viele staatliche Verordnungen nötig sind, um den modernen Arbeitsprozess für die Arbeitnehmer wenigstens so aushaltbar zu machen, dass sie – zumindest als statistisches Kollektiv – ein Arbeitsleben durchstehen, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

Erstens stellt es dem Zweck, um den es in den gesetzlich regulierten Fabriken, Baustellen und Büros geht, kein gutes Zeugnis aus – so etwas Unschuldiges wie ‚Versorgung der Menschen mit Konsumgütern‘ wird es wohl kaum sein. Denn wenn es um diesen Zweck ginge, würde niemand die dafür fällige Arbeit so gefährlich und schädlich organisieren, dass bei der Produktion Physis und Psyche schon so in Mitleidenschaft gezogen werden, dass der Genuss der produzierten Güter gar nicht mehr sorglos zustande kommt.

Wenn zweitens per Rechtsverordnung einige (bisher erlaubte) Praktiken verboten werden – etwa die Überschreitung eines bestimmten Tageslärmpegels oder einer Hand-Arm-Vibration, dann sind damit alle Schädigungen an Ohren, Bandscheiben und Leber unterhalb der gezogenen Grenze bzw. Durchschnittswerte (!) erlaubt. Ganz im Gegensatz zur üblichen Vorstellung vom ‚Schutz‘, legen die staatlich definierten Grenzwerte (das gilt übrigens auch für Lebensmittel u.a.) mit ihrem Verbot eines Übermaßes also fest, in welchem Maß die Gesundheit der Betroffenen staatlich erlaubtermaßen angegriffen und verschlissen werden darf. (…)

Mit seiner Gesetzgebung zum Arbeitsschutz legt der moderne Sozialstaat die Bedingungen dafür fest, wie Benutzung und Verschleiß der Arbeitskräfte so vonstatten gehen, dass das Ganze gewissermaßen ‚nachhaltig‘ passieren kann. Das schließt offenbar – siehe die Statistik der Gesetzlichen Unfallversicherung – nach wie vor eine erkleckliche Zahl an Arbeitsunfällen mit gesundheitlichen Folgen ein und auch ein paar hundert Tote pro Jahr.

Das ist auch kein Wunder, denn am Zweck der Arbeitsplätze in seiner Wirtschaft ändert ein solches Gesetz ja erklärtermaßen nichts: Mit der Arbeit der Leute soll Gewinn erwirtschaftet werden – und das bedeutet unter den Bedingungen der globalen Standortkonkurrenz nichts Gutes für die Beschäftigten. Die wiederum müssen sich angesichts des brutalen Unterbietungswettbewerbs, in dem sie ‚normal‘ und erst recht als migrantische Wanderarbeiter stehen, auf alle Bedingungen einlassen und schauen, wie sie damit klarkommen.“

Quellen:

Renate Dillmann: „Arbeitsunfälle in Deutschland: Mehr als ein Toter pro Tag“, Nachdenkseiten, 11. November 2022

https://www.nachdenkseiten.de/?p=90247

Rainer Radke: „Tödliche Arbeitsunfälle in Deutschland bis 2021“, Statista, 26. Oktober 2022

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/276002/umfrage/gemeldete-toedliche-arbeitsunfaelle-in-deutschland-seit-1986/

„Arbeits- und Wegeunfallgeschehen“, DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung)

https://www.dguv.de/de/zahlen-fakten/au-wu-geschehen/index.jsp