Am 16. Januar 2021 will die CDU im Rahmen eines digitalen Bundesparteitags über den künftigen Parteivorsitzenden entscheiden. Grund genug, sich mit einem der Kandidaten zu beschäftigen: Friedrich Merz.

Die Tageszeitung taz widmete ihm am 16. Dezember 2020 einen bissigen Artikel. Wir zitieren nachfolgend einige Auszüge:

„Arme Menschen sterben früher und sind öfter krank, sie haben ein mehrfach erhöhtes Risiko, an Diabetes oder Krebs zu erkranken, einen Herzinfarkt zu erleiden oder einen Schlaganfall. Armut demütigt und setzt Menschen unter enormen Stress, sie prägt ein Leben lang. (…) Schalten wir deshalb aus gegebenem Anlass zu Friedrich Merz, dem Mann, der Vorsitzender der wichtigsten Regierungspartei in Deutschland und der nächste Bundeskanzler werden will. Was würde er tun, um die Schere zwischen Arm und Reich zu verkleinern? Als er dies am Montag bei einem CDU-Talk der Bewerber um den Parteivorsitz gefragt wurde, antwortete er mit ein paar denkwürdigen Sätzen: ‚Man muss allerdings auch mal sagen, wenn wir die Zuwanderung in den Jahren 2015 und 2016 in die Sozialsysteme nicht gehabt hätten, hätten wir heute in Deutschland eine Million Hartz-IV-Empfänger weniger.‘ (…) Merz unterstellt: Die Flüchtlinge sind schuld, dass weniger Geld für arme Deutsche bleibt. Diese gedankliche Verbindung ist gleich auf mehreren Ebenen perfide. Sie schiebt implizit Angela Merkel die Verantwortung zu, weil sie die Geflüchteten ins Land gelassen hat. Sie ist verlogen, weil ein Friedrich Merz natürlich auch ohne einen einzigen Flüchtling nicht für höhere Hartz-IV-Regelsätze plädieren würde.“

Auch sein zweiter Einfall zur Armutsbekämpfung, so der taz-Autor weiter, sei wenig hilfreich. Nach Merz werde die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank Auswirkungen auf die Ersparnisse haben. „Na klar, die Nullzinsen sind das Problem! Dass arme Menschen in der Regel keinen Cent sparen und all ihr Geld sofort wieder in den Konsum stecken müssen, ist in Merz’ Welt offenbar undenkbar. So stellt man sich die Probleme des Landes vor, wenn man im Privatflugzeug darüberfliegt.“

In der Monatszeitung ak (analyse & kritik: Zeitung für linke Debatte & Praxis) beschreibt die Berliner Autorin Anne Seeck den Werdegang des Politikers:

„Friedrich Merz wurde 1955 geboren. Schon sein Vater war Jurist. Als Stipendiat der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung studierte Merz Rechtswissenschaften. Vor seiner politischen Karriere war er für den Verband der Chemischen Industrie (VCI) tätig, der ‚aufstrebende Leute mit politischen Ambitionen‘ (Lobbypedia) in seinem Lobbybereich arbeiten ließ, bevor sie in die Politik wechselten. Von 1989 bis 1994 gehörte Friedrich Merz dem Europäischen Parlament an, von 1994 bis 2009 dem Deutschen Bundestag – mit verschiedenen Funktionen. So war er von 2000 bis 2002 als CDU-Fraktionsvorsitzender Oppositionsführer. Wegen parteiinterner Differenzen, vor allem mit Angela Merkel, zog er sich schließlich komplett aus der Politik zurück. Aber er bewegte sich in neoliberalen ‚Denkfabriken‘ und Netzwerken, unter anderem bei der Atlantik-Brücke und der Stiftung Marktwirtschaft. Merz war auch Gründungsmitglied des Fördervereins der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Im Jahre 2018 dann folgte sein Comeback als Politiker. Er kandidierte für den Parteivorsitz der CDU und verlor die Wahl gegen Annegret Kramp-Karrenbauer. Diese gibt nun ihren Posten auf – der machtfixierte Merz will sie unbedingt als CDU-Vorsitzender beerben und Kanzlerkandidat der Union werden. Er witterte jüngst eine Verschwörung des CDU-Partei- ‚Establishments‘ gegen sich, als der ursprünglich für Dezember 2020 geplante CDU-Parteitag verschoben wurde; seine Umfragewerte sollen prächtig sein.“

Im Jahr 2006, so die ak-Autorin, habe Merz mit acht weiteren Bundestagsabgeordneten beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen die Veröffentlichung von Nebeneinkünften eingelegt. Demnach übte er damals elf Nebentätigkeiten aus. So sei er von 2005 bis 2014 für die Anwaltskanzlei Mayer, Brown, Rowe & Maw LLP tätig gewesen. Diese vertrete vor allem Wall-Street-Firmen und gehöre mit einem Jahresumsatz in Milliardenhöhe zu den 20 größten Anwaltskanzleien der Welt. „Die Kanzlei ist auch einer der ersten Anlaufpunkte, um Steuern zu ‚optimieren‘. Qualifiziert hatte sich Merz zuvor mit seinem Vorschlag für ein vereinfachtes Einkommenssteuersystem für Deutschland, das vor allem den (Super-)Reichen Milliardenersparnisse bescheren würde. 2003 ging seine ‚Steuererklärung auf einem Bierdeckel‘ durch die Medien. Als Repräsentant der Kanzlei Mayer & Co wurde Merz 2010 beauftragt, ein*e Käufer*in für die marode WestLB zu finden. Dafür kassierte er eine Vergütung von 5.000 Euro am Tag, bezahlt von Steuerzahler*innen. Den Zuschlag der WestLB-Aktiva bekam das Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt. Als Dank dafür erhielt Merz den gut dotierten Vorsitz des Verwaltungsrats von HSBC. 2016 geriet das Bankhaus HSBC schließlich ins Zentrum der Ermittlung der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft zu Cum-Cum-und Cum-Ex-Straftaten.“

Insbesondere setzt sich Merz für die Interessen der Finanzbranche ein. Von 2016 bis März 2020 wirkte er als Aufsichtsratsvorsitzender beim deutschen Ableger des Vermögensverwalters BlackRock. „Dessen Konzernchef Larry Fink hofft nach eigener Aussage auf eine weitere Zusammenarbeit mit Merz, sollte es mit dem Vorsitz der CDU nicht klappen. 2017 wurde Merz zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Flughafens Köln-Bonn benannt, was gegen den Ethikkodex des Landes NRW verstieß, denn er hatte zu der Zeit mehr als zwei Aufsichtsratsposten inne. Um Millionen reicher wurde der 65-Jährige durch seinen Posten im Verwaltungsrat des schweizerischen Zugherstellers Stadler Rail. Er erhielt im April 2019 anlässlich des Börsengangs 150.000 Aktien im Wert von damals 5,7 Millionen Euro. Merz selbst ordnet sich übrigens der ‚gehobenen Mittelschicht‘ zu.“

Quellen:

Ulrich Schulte: „Der Flüchtling ist schuld“, taz vom 16. Dezember 2020

https://taz.de/Kampf-um-den-CDU-Vorsitz/!5734053/

Anne Seeck: „Kenne deinen Gegner. Friedrich Merz stellt sich zur Wahl – woher er kommt und was er will“, ak 666, 15. Dezember 2020

https://www.akweb.de/politik/kenne-deinen-gegner-friedrich-merz-stellt-sich-zur-wahl/

Friedrich Merz im Originalton

(Zitate für BIG zusammengestellt von Anne Seeck, Berlin)

Deregulierung der Arbeitswelt

„Neben der Verkrustung der Systeme zur Lohnfindung und zur Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen behindert eine weitere Überregulierung den Arbeitsmarkt in Deutschland und beeinträchtigt die Chancen zu mehr Beschäftigung: Wir haben mit das strengste Kündigungsschutzrecht auf der Welt.“ (Seite 124)

„Seit Anfang 2004 gilt das Kündigungsschutzrecht nur für Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten statt bisher fünf, wenn die Beschäftigten neu eingestellt worden sind. Es müssten weitere Änderungen folgen, denn der Blick auf andere Länder zeigt: Je niedriger der Kündigungsschutz ist, umso niedriger ist die Arbeitslosigkeit. In vielen Ländern Europas gibt es keinen besonderen Kündigungsschutz für Arbeitnehmer – und es herrscht Vollbeschäftigung. Beides hat nach meiner festen Überzeugung etwas miteinander zu tun.“ (Seite 125)

Entmachtung der Funktionäre

„Gewerkschaftliche Zuschusspflichten zur Arbeitslosenversicherung würden überzogene Lohn- und Tarifforderungen der Gewerkschaften in Grenzen halten.“ (Seite 156)

Quelle:

Friedrich Merz: Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion – Kursbestimmung für unsere Zukunft, Freiburg im Breisgau, 2004

Staatliche Subventionierung des Niedriglohnsektors

„Wenn der politische Druck heute groß wird, den Abstand zwischen Transferleistungen und Arbeitseinkommen durch staatlich festgesetzte Mindestlöhne wiederherzustellen, so ist dies nur die konsequente Folge der Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Die Beschäftigungschancen für die Problemgruppen des Arbeitsmarktes werden sich aber noch einmal verschlechtern, wenn etwa gesetzliche Mindestlöhne höher angesetzt sind als die Produktivität, die diese Beschäftigten in der Lage sind zu erzielen. Aber selbst wenn wir dies alles ändern könnten, wäre damit wohl nicht viel geholfen. Denn angesichts gestiegener Lebenshaltungskosten und vor allem angesichts der Erwartung, dass unser Lebensstandard weiter steigt, gibt es keinen realistischen Weg zurück zu einem Niedriglohnsektor, der ohne staatliche Transferleistungen auskommt. (…)

Zunächst werden wir uns an den Gedanken gewöhnen müssen (und im Stillen haben wir dies längst getan), dass wir auf Dauer eine bestimmte Zahl von prekären Einkommens- und Beschäftigungsverhältnissen behalten werden, die zusätzliche Sozialleistungen brauchen und weder in der Zeit der Erwerbsfähigkeit noch danach ganz ohne staatliche Hilfe auskommen werden.“  (Seite 77f.)

Alle werden Aktionäre

„Der große Schritt zur Überwindung der zu Recht beklagten strukturellen Benachteiligung der Arbeitnehmer gegenüber den berechtigten Renditeerwartungen der Aktionäre wird aber erst getan sein, wenn auch Arbeitnehmer Aktionäre werden.“ (Seite 87)

„Verbindet sich die Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft mit der Bereitschaft der Arbeitnehmer, selbst Aktionär und Anteilseigner an ihrem oder an anderen Unternehmen zu werden, dann ist der ohnehin schon längst nur noch künstlich am Leben erhaltene Klassengegensatz von Kapital und Arbeit endgültig überwunden. In der Kombination aus guter Bildung, guten staatlichen Rahmenbedingungen, der Bereitschaft breiter Schichten der Bevölkerung zu unternehmerischem Denken sowie in einem grundlegend optimistischen gesellschaftspolitischen Klima liegt der Schlüssel zur Lösung der Einkommens- und Vermögensfrage. Wer dagegen meint, mit noch mehr Umverteilung, mit noch weiter ausgeklügelter Sozialpolitik und mit noch höherem Staatsverbrauch am Sozialprodukt die sozialen Ungleichheiten beseitigen zu können, wird keines seiner Ziele erreichen und am Ende mit leeren Händen vor seiner enttäuschten Anhängerschaft stehen.“ (Seite 100)

Quelle:

Friedrich Merz: Mehr Kapitalismus wagen. Wege zu einer gerechten Gesellschaft, München, 2008

Umbau der Krankenversicherung: Kopfpauschale

„Aber es führt kein Weg daran vorbei, die Kranken- und Pflegeversicherung vom Beschäftigungsverhältnis zu lösen. (…) Die Alternative ist eine private Versicherung mit Sozialausgleich. Man mag die Versicherungsprämie noch so lange als ‚Kopfpauschale‘ verunglimpfen, aber sie ist – wie heute schon in der privaten Krankenversicherung – die einzige realistische Chance für ein Gesundheitssystem, das jedem Erkrankten den Zugang zur modernen Medizin ermöglicht.“ (Seite 120f.)

Keine Zuwanderung in Sozialsysteme, aber Zuwanderung qualifizierter Migrant*innen

„Es hat jedenfalls nach 1973 eine Zuwanderung in die Sozialsysteme stattgefunden: Die Arbeitslosigkeit von Migranten ist mit rund 20 Prozent doppelt so hoch wie die der Nichtmigranten, von den türkischstämmigen Erwerbsfähigen ist nahezu jeder zweite arbeitslos. Der Leiter des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, hat den deutschen Sozialstaat vor diesem Hintergrund als einen ‚Zuwanderungsmagneten‘ bezeichnet. Erst langsam und in kleinen Schritten wird darauf reagiert: Die Entscheidung, Migranten mit einem Duldungsstatus ein Aufenthaltsrecht zu geben, wenn sie Arbeit nachweisen können, ist ein Anfang.“ (Seite 152f.)

„Auf der anderen Seite muss Deutschland für die Zuwanderung qualifizierter Ausländer viel stärker geöffnet werden. (…) Es gibt deshalb überhaupt keinen nachvollziehbaren Grund, sich gegen ein modernes Zuwanderungsrecht zu sperren.“ (Seite 155)

Quelle:

Wolfgang Clement/Friedrich Merz: Was jetzt zu tun ist. Deutschland 2.0., Freiburg im Breisgau, 2010

Umbau der Rentenversicherung als zentrales Projekt

„Wenn unser Sozialstaat allerdings so leistungsfähig bleiben soll, wie er es in der Vergangenheit nachweislich war, dann muss sich einiges ändern. Das gilt in besonderem Maße für unsere Alterssicherungssysteme.“ (Seite 91)

„Dagegen ist in Deutschland das System einer kapitalgedeckten zusätzlichen privaten Altersvorsorge unterentwickelt.“ (Seite 151)

„Wenn wir aus Deutschland, dem Land der Sparbücher, ein Land von Aktionären machen würden, dann hätten wir damit gleich zwei Ziele erreicht: hohe Alterseinkommen für breite Schichten der Bevölkerung und einen Kapitalmarkt, der hilft, die Unternehmen in Deutschland stark und zukunftsfähig zu machen.“ (Seite 156)

Quelle:

Friedrich Merz: Neue Zeit. Neue Verantwortung. Demokratie und Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert, Berlin 2020