Mangelhafte Aufarbeitung des „Cum-Ex“-Skandals: Verjährungen drohen

Laut Stefan Weismann, Präsident des Bonner Landgerichts, kommt der Staat bei der juristischen Aufarbeitung des milliardenschweren „Cum-Ex“-Steuerbetrugs nicht hinterher. „Weil es um bandenmäßigen Betrug geht, beträgt die Verjährungsfrist 20 Jahre“, sagte Weismann gegenüber dem Handelsblatt. Das sei im Prinzip eine lange Zeit. Aber die Mehrheit der juristisch zu bewertenden „Cum-Ex“-Geschäfte würde zwischen 2007 und 2009 liegen. Die erste Verjährung wäre also 2027. Weismann: „Bei der Vielzahl und Komplexität der Fälle ist das nicht mehr allzu fern.“ (Handelsblatt, 25. Mai 2020)

Nach Angaben des Handelsblatts sind in den „Cum-Ex“-Skandal mehr als 100 Banken mit etwa 1.000 Verantwortlichen auf vier Kontinenten verwickelt. Die Speerspitze der Aufklärung bildet die Staatsanwaltschaft Köln. Diese versinkt aber offenbar in einer Vielzahl von immer neuen Fällen, weil die ihr zur Verfügung stehenden Stellen für deren Bearbeitung nicht ausreichen.

„Das erste Urteil im Cum-Ex-Skandal liegt zwei Monate zurück. Die Staatsanwälte bereiten nun die nächste Anklage vor. Das Strafverfahren betrifft vier aktuelle und ehemalige Banker der M.M. Warburg Gruppe. Anders als im ersten Prozess bestreiten die Beschuldigten eine Schuld – das macht das Verfahren nicht kürzer. Frühestens im Herbst, schätzen Insider, könnte eine dritte Anklage folgen. Würde weiterhin jeder Fall sukzessive abgehandelt, wären noch sehr viele Jahre erforderlich. (…) Insider berichten von einem Stimmungswechsel unter den Steuersündern. Habe es angesichts des Aufmarsches in Bonn vor einem Jahr noch die Neigung gegeben, sich bloß schnell und glimpflich mit der Justiz zu einigen, würden mehrere Beschuldigte auf Konfrontation und Verzögerung umschalten. Ihre Botschaft an den Rechtsstaat: Ihr werdet ja doch nicht rechtzeitig fertig.“ (Handelsblatt, 25. Mai 2020)

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) bestätigt diese pessimistische Perspektive anhand eines „Cum-Ex“-Falles in Frankfurt:

„Monatelang saß Wolfgang Schuck, einst Chef des Frankfurter Bankhauses Maple, in Untersuchungshaft. Das Geldinstitut soll den Fiskus um 388 Millionen Euro geprellt haben, der Ex-Chef ist einer der Hauptverdächtigen in einem riesigen Wirtschaftskrimi, der Cum-Ex-Affäre. Doch vergangene Woche kam Schuck frei, gegen eine Kaution in Höhe von 1,8 Millionen Euro und weitere Auflagen. Das habe auch mit Corona zu tun, glauben Anwälte, die mit dem Fall Maple zu tun haben. ‚Ein voller Gerichtssaal, wie soll das gehen?‘ Wäre der Ex-Maple-Chef weiter im Gefängnis, dann müsste das Landgericht Frankfurt bald einen Prozess gegen Schuck und sechs weitere Angeschuldigte ansetzen. Haftfälle haben Vorrang.“

Offensichtlich schiebt die Justiz in Corona-Zeiten lange Verhandlungen mit vielen Beteiligten wegen des Infektionsrisikos gerne auf (während die Verjährungsfristen selbstverständlich weiterlaufen). Und sie lässt eine auffallende Milde gegenüber mutmaßlichen Straftäter*innen walten.

Die SZ schreibt: „In München zeichnet sich ein rasches Ende eines Prozesses um Schwarzarbeit in der Baubranche ab. Die vier Angeklagten, die einen Schaden in Millionenhöhe verursacht haben sollen, dürfen auf ein mildes Urteil hoffen. In Köln habe ein Verfahren um den Verkauf von Doping-Mitteln plötzlich keine Eile mehr, nachdem der Hauptverdächtige aus der Untersuchungshaft freigekommen sei, erzählt ein beteiligter Jurist. (…) Das Coronavirus hilft mutmaßlichen Betrügern und Steuerhinterziehern, die in großer Zahl und großem Stil Straftaten begangen haben sollen. ‚De facto entwickeln wir uns durch Corona zurück in die Zeit, als Fälle von Wirtschaftskriminalität weniger deutlich verfolgt wurden als andere Verbrechen‘, warnt Michael Kubiciel, Strafrechtsprofessor an der Universität Augsburg. (…) Auf große Wirtschaftsprozesse spezialisierte Verteidiger haben in Corona-Zeiten jedenfalls meist leichtes Spiel. ‚Wir bekommen fast jeden Antrag durch‘, sagen mehrere Anwälte. Ob das nun um Haftverschonung gehe oder um Vernehmungstermine, die verschoben werden sollen. Ein Anwalt sagt, ‚wir haben derzeit in weiten Teilen des Wirtschaftsstrafrechts einen Corona-bedingten Stillstand der Rechtspflege‘.“

Quellen:

Volker Votsmeier / Sönke Iwersen: „Staat kommt bei Aufarbeitung des historischen Steuerbetrugs nicht hinterher – Verjährungen drohen“, Handelsblatt, 25. Mai 2020

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/cum-ex-skandal-staat-kommt-bei-aufarbeitung-des-historischen-steuerbetrugs-nicht-hinterher-verjaehrungen-drohen/25851282.html

Klaus Ott / Jörg Schmitt / Nils Wischmeyer: „Wirtschaftsprozesse: Coronavirus hilft mutmaßlichen Betrügern“, Süddeutsche Zeitung, 3. Mai 2020

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pandemie-gericht-verfahren-1.4895394

Intransparente Immobilienmärkte

Geldwäsche und andere dubiose Geschäfte werden oft durch undurchsichtige Eigentümerstrukturen auf den Immobilienmärkten begünstigt. In einer am 12. Mai 2020 veröffentlichten und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebenen Studie nehmen die Autoren Christoph Trautvetter und Markus Henn die Umsetzung des seit Anfang des Jahres öffentlichen deutschen Tranzparenzregisters unter die Lupe. Sie ziehen ein sehr kritisches Fazit.

In der Zusammenfassung gleich am Anfang der Studie heißt es:

„Anhand einer Auswahl von über 400 Gesellschaften, die in Berlin Immobilien besitzen, und 15 illustrativen Beispielen zeigt diese Studie, wie groß das Problem von anonymen Immobilieneigentümern und intransparenten Eigentümerstrukturen in der Stadt ist, welche Formen die Anonymität annimmt und warum das 2017 eingeführte Transparenzregister, das eigentlich für mehr Transparenz bei den Eigentümerstrukturen sorgen sollte, seinen Namen (noch) nicht verdient. (…) Für immerhin 135 der untersuchten Gesellschaften konnte trotz umfassender Recherche in den verfügbaren Registern keine natürliche Person als Eigentümer identifiziert werden. Diese Gesellschaften bleiben also weiterhin anonym und verstoßen dabei in vielen Fällen gegen das 2017 erlassene Gesetz.“ (Seite 5)

Und im Resümee am Ende der Studie ist dann zu lesen:

„Als deutsche Hauptstadt und als Mieterstadt (mit einem Anteil von 83 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes) mit im deutschlandweiten und internationalen Vergleich extremen Preissteigerungen im Immobilienbestand steht Berlin besonders im Fokus. Der Anteil internationaler, finanzmarktorientierter und anonymer Investor*innen ist hier besonders hoch, die Gefahr der Geldwäsche auch. Für eine effektive Strafverfolgung, für die politische Regulierung ebenso wie für die Selbstregulierung des Marktes und nicht zuletzt für eine informierte öffentliche Debatte über Vermögen und Verantwortung braucht es mehr Transparenz auf dem Berliner Immobilienmarkt.“ (Seite 15)

Quellen:

Christoph Trautvetter: „Warum viele Immobilieneigentümer in Berlin weiter anonym bleiben: Keine Transparenz trotz Transparenzregister“, 12. Mai 2020

https://blog-steuergerechtigkeit.de/2020/05/immobilientransparenzstudie/

Christoph Trautvetter / Markus Henn: Keine Transparenz trotz Transparenzregister. Ein Recherchebericht zu Anonymität im Berliner Immobilienmarkt, Mai 2020 (Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung)

https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/Studien_5-20_Immobilien-Transparenz.pdf

Katastrophale Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachthöfen

Drei Faktoren machen das Coronavirus für die Menschen gefährlich: das Alter, mögliche Vorerkrankungen und – zumeist ausgeblendet – der sozioökonomische Status der Betroffenen. In den letzten Tagen und Wochen geriet allerdings ein bisher weitgehend ignorierter Personenkreis in den öffentlichen Fokus: die osteuropäischen Arbeiter in deutschen Schlachthöfen. Im Rahmen einer von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde im Bundestag am 13. Mai sah sich schließlich auch Bundesarbeitsminister Heil genötigt, die Arbeitsbedingungen in der Branche zumindest verbal zu kritisieren. Die diesbezüglichen Nachrichten der vergangenen Tage seien beschämend und nicht zu tolerieren, so der SPD-Politiker.

Der Hintergrund: Die Gewerkschaft NGG geht davon aus, dass rund 30.000 Menschen in der Fleischwirtschaft über Werkverträge beschäftigt sind, darunter 5.000 aus anderen EU-Ländern entsandte Arbeitnehmer mit ausländischem Arbeitsvertrag. Da die Arbeitskräfte in der Regel in sehr beengten Sammelunterkünften von Subunternehmen leben müssen, sind Ansteckungen schlicht unvermeidbar. So waren beispielsweise in einer Fleischfabrik in Coesfeld bis zum 12. Mai 260 der rund 1.200 Arbeiter positiv getestet worden. (Handelsblatt, 12. Mai 2020)

Überraschen kann die Häufung der Infektionen indes nicht. Die oft desaströsen Lebens- und Arbeitsbedingungen führten laut Einschätzung des Robert-Koch-Instituts bereits im Jahr 2018 zu einer „auffälligen Häufung“ von Tuberkulosefällen unter rumänischen Schlachthof-Beschäftigten. Dass seitdem die Situation der Arbeiter weiterhin ignoriert wurden, befördert nun die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie. (German Foreign Policy, 12. Mai 2020)

Ein treffender Kommentar des Deutschlandfunks zur Lage sei hier ausführlich dokumentiert:
„Seit Jahren werden vor unseren Augen zehntausende Osteuropäer in einer Art und Weise ausgebeutet, die an moderne Sklaverei grenzt. Sie verschulden sich, um nach Deutschland zu kommen, zahlen an dubiose deutsche Firmen Vermittlungsgebühren, um sich dann in deutschen Schweinefabriken zu Grunde zu schuften. Zehn bis zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Dann geht es zum Schlafen in verschimmelte Schrottimmobilien, für die sie dann noch ein paar Hundert Euro an Miete an den Subunternehmer abdrücken müssen. Den gesetzlichen Mindestlohn bekommen die Arbeiter oft nur auf dem Papier. Überstunden werden nicht gezahlt, es gibt Abzüge für Arbeitskleidung, Arbeitsschuhe und Dinge, die gar nicht existieren. (…) Wir reden hier nicht von ein paar schwarzen Schafen in der Branche, denn diese Ausbeutung hat System und war und ist von der Politik geduldet, wenn nicht sogar gewollt. Denn der Fleischindustrie wird es extrem leicht gemacht, die Ausbeutung outzusourcen an eine Riege dubioser Subunternehmer. Die organisierte und von der Politik geduldete Ausbeutung hat einen Namen: Werkverträge. Statt Schlachter direkt anzustellen, vernünftig zu bezahlen und nach deutschem Arbeitsrecht zu beschäftigen, vergeben fast alle Großschlachtereien Werkverträge an Subunternehmer, die tricksen, um Lohn betrügen, ihre Arbeiter abzocken, wo sie können. (…) Dass der Aufschrei jetzt so groß ist, hat auch nur zum Teil mit aufkommender Empathie für die Arbeitern zu tun. Durch die Coronafälle in den Schrottimmobilien müssen manche Regionen schlicht ein bisschen länger auf die ersehnten Coronalockerungen warten. Es geht um Eigeninteressen.“ (Deutschlandfunk, 13. Mai 2020)

Warum der deutsche Staat kaum gegen die kriminellen Verhältnisse in der Fleischbranche vorgeht, beschreibt folgender Beitrag:

„Die desaströsen Verhältnisse in den Schlachthöfen ermöglichen es der deutschen Fleischindustrie nicht nur, im Inland billiges Fleisch auf den Markt zu werfen. Sie eröffnen auch die Chance, auf dem Weltmarkt um Exportanteile zu konkurrieren. Dabei hatten deutsche Unternehmen zuletzt durchaus Erfolg. Die Bundesrepublik ist, gemessen am Wert der Ausfuhr, der fünftgrößte Fleischexporteur der Welt (nach den USA, Brasilien, Australien und den Niederlanden) sowie der drittgrößte Schweinefleischexporteur (nach Spanien und den USA); der Umsatz, den alleine die Ausfuhr von Schweinefleisch erzielte, lag 2019 bei rund 5 Milliarden US-Dollar. Der größte deutsche Schlachtbetrieb, Tönnies aus dem nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück, erzielte im vergangenen Jahr mit der Verarbeitung von 20,8 Millionen Schweinen davon mehr als drei Viertel in Deutschland sowie von 440.000 Rindern einen Rekordumsatz in Höhe von um die 7,3 Milliarden Euro.“ (German Foreign Policy, 12. Mai 2020)

Schon weit vor der Corona-Krise machte der katholische Pfarrer Peter Kossen aus dem nordrhein-westfälischen Lengerich immer wieder auf die katastrophalen Zustände in der Branche aufmerksam. Mit seinem Anfang des vergangenen Jahres gegründeten Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ engagiert er sich dafür, Arbeitsmigranten aus Ost- und Südosteuropa zu unterstützen und über ihre Rechte aufzuklären. Und er macht konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Situation. In einem Interview mit der ZEIT thematisiert er die beengten Wohnverhältnissen der Werkarbeiter:

„Es gibt eine Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für die Corona-Krise, die besagt: ‚ein Mensch – ein Raum‘. Damit könnte man schon mal anfangen. (…) Jetzt, in der akuten Situation, könnte man freie Hotelkapazitäten nehmen. Das ist teuer, aber dann könnte man vielleicht noch Menschen retten. Das kann natürlich nur vorübergehend sein, langfristig braucht es sozialen Wohnungsbau, grundsätzliche Strukturen. Eine Gefahr sind auch die Transfers. Häufig werden die Menschen in Kleintransportern zur Arbeitsstätte gefahren, in denen keine Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden können.“

Ebenfalls äußert er sich zur Rolle der Subunternehmer, die auch für die Unterkünfte verantwortlich sind: „Man sollte schon mal fragen, inwieweit Unternehmen ihre Verantwortung delegieren können, wie sie es seit Jahren tun. Immer heißt es: ‚Wir können nichts für Sozial- und Lohndumping.‘ Das ist ein bisschen billig. Es herrscht meiner Einschätzung nach unter vielen Subunternehmern allerdings auch eine hohe Kriminalität: Es gibt dort Menschenhandel, Sozialbetrug und verschiedene andere Delikte. Dadurch, dass man sie im Graubereich belässt, ermöglicht man den Missbrauch.“

Quellen:

Katrin Terpitz: „Tönnies baut eigenes Corona-Testlabor auf“, Handelsblatt vom 12. Mai 2020

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/fleischwirtschaft-toennies-baut-eigenes-corona-testlabor-auf/25823748.html

German Foreign Policy: „Bleibende Schäden (II)“, 12. Mai 2020

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8272/

Manfred Götzke: Kommentar im Deutschlandfunk (13. Mai 2020, 19:15 Uhr)

https://www.deutschlandfunk.de/deutschlandfunk-alles-von-relevanz.4210.de.html

 

 

Wenke Husmann: „Die Leute haben große Angst“ (Interview mit Peter Kossen), ZEIT Online vom 10. Mai 2020

https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-05/coronavirus-schlachthoefe-arbeitsschutzgesetz-fleischwirtschaft-abstand-hygiene

 

 

Diskussion um Auflagen für Konzerne bei Corona-Hilfen

Im Zusammenhang mit der Coronakrise setzen sich aktuell insbesondere Nichtregierungsorganisationen (NGO) dafür ein, dass staatliche Hilfen an Unternehmen und Konzerne an Auflagen geknüpft werden. Als wichtigste Gründe, die gegen massive „Rettungspakete“ für Unternehmen sprechen, werden angeführt: die jährlichen milliardenschweren Gewinnausschüttungen (Dividenden) an Anteilseigner, das Verschieben von Gewinnen in Steueroasen und das Umgehen von klimaschützenden Maßnahmen.

Das Umweltinstitut München etwa wendet sich in Kooperation mit den NGOs Campact und der Bürgerbewegung Finanzwende in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel, Finanzminister Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier:

„Unternehmen dürfen nur Staatshilfen erhalten, wenn sie

– keine Boni und Dividenden an ihre Vorstände und AktionärInnen auszahlen,

– keine Gewinne in Schattenfinanzzentren bzw. Steueroasen verlagern (…)

– einen verbindlichen Klimaschutzplan vorlegen, der sie an das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klima-Abkommens bindet.“

In einer Pressemitteilung von Ende April fordert auch das Netzwerk Steuergerechtigkeit, Beihilfen nur an Konzerne auszuzahlen, „die sich öffentlich dazu bekennen, keine Gewinne zu verschieben.“ Empfänger von Staatshilfen sollten dazu verpflichtet werden, „der Öffentlichkeit ihre Steuerpraktiken detailliert darzulegen und aggressive Steuervermeidung zu beenden“.

Lobbycontrol hatte zum „Autogipfel“ am 5. Mai im Bundeskanzleramt einen Online-Appell gestartet: „Corona-Hilfen: Keine Vorfahrt für die Autolobby!“. Fast 28.000 Unterschriften wurden am Vortag des Treffens von Bundesregierung und den Chefs der deutschen Autokonzerne dem Kanzleramt übergeben. Die NGO kritisiert massiv die privilegierte Behandlung der Autoindustrie, die in der Vergangenheit zu verheerenden Folgen für das Gemeinwohl geführt habe (Stichwort Dieselskandal).

In einem weiteren Beitrag schreibt die NGO: „Auch die Definition dessen, was als ‚systemrelevant‘ gilt, hat sich verschoben: Die Schlüsselindustrie Auto, von der hierzulande besonders viele (meist männlich besetzte) Arbeitsplätze und (relativ hohe) Einkommen abhängen, ist im Zeichen des Klimawandels zum Problemfall mutiert, dessen Geschäftsmodell als überholt und sogar systemgefährdend erscheint. Im Gegenzug machte der Lockdown offenbar, wie sehr das Leben und Überleben unserer Gesellschaft von schlecht bezahlten, mit wenig Lobbymacht ausgestatteten und deshalb meist übersehenen Berufsgruppen abhängt. Die Geduld, mit der viele Bürger:innen der bevorzugten Behandlung von ‚König Auto‘ früher zuschauten, ist offensichtlich erschöpft.“ (Lobbycontrol, 7. Mai 2020)

Quellen:

Umweltinstitut München e. V.: „Keine Staatshilfen für Steuertrickser und Klimasünder“, Newsletter vom 7. Mai 2020

http://www.umweltinstitut.org/newsletter-ausgaben/archiv/newsletter-07052020.html

Netzwerk Steuergerechtigkeit c/o WEED e. V.: „Keine Staatshilfen für private Gewinne in Steueroasen“, Pressemitteilung vom 27. April 2020  

https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/wp-content/uploads/2020/04/2020_04_27-Pressemitteilung-Corona-und-Tax.pdf

Lobbycontrol e. V.: „Corona-Hilfen: Keine Vorfahrt für die Autolobby!“, 27.April 2020

https://www.lobbycontrol.de/2020/04/autogipfel-aktion/?pk_campaign=20200508&pk_source=nl

Anette Sawatzki (Lobbycontrol e. V.), „Nach dem Autogipfel ist vor dem Autogipfel: Das Klüngeln geht weiter“, 7. Mai 2020

https://www.lobbycontrol.de/2020/05/vor-dem-autogipfel-ist-nach-dem-autogipfel/?pk_campaign=20200508&pk_source=nl

Schluckt Vonovia die Deutsche Wohnen?

Vier Jahre nachdem der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen eine feindliche Übernahme durch den Branchenprimus Vonovia gerade noch verhindern konnte, entzündet sich eine erneute Debatte um einen Zusammenschluss der börsennotierten Wohnungsgiganten. Ein mit 37 Milliarden Euro bewerteter Immobilienriese könnte so entstehen und dem Konzentrationsprozess auf dem deutschen Immobilienmarkt einen weiteren Schub geben. Die Deutsche Wohnen wird derzeit an der Börse mit rund 12,7 Milliarden Euro, Vonovia mit etwa 24,3 Milliarden Euro bewertet. Die Deutsche Wohnen hat bundesweit rund 161.000 Wohnungen im Portfolio, davon befinden sich fast 112.000 in Berlin. Vonovia besitzt mehr als 400.000 Wohnungen in Deutschland, Schweden und Österreich, davon rund 40.000 in der deutschen Hauptstadt.

Vonovia erklärte in einer Stellungnahme vom 23. April 2020, dass Akquisitionen generell ein „integraler Bestandteil“ der Firmen-Strategie seien und „fortlaufend geprüft“ würden. Eine derartige Transaktion in Berlin „wäre aber überhaupt nur realistisch, wenn fundamentale Fragen geklärt wären und sie von einem entsprechenden Willen der Berliner Politik getragen würde, die derzeit mit Hochdruck an der Bewältigung der Corona-Krise“ arbeite. Die WirtschaftsWoche glaubt entsprechend zu wissen, dass Vonovia aktuell mit Beratern an einer Machbarkeitsstudie für eine freundliche Übernahme arbeite, die sowohl den Segen des Deutsche-Wohnen-Managements als auch des Berliner Senats hätte.

Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, wies laut Tageszeitung junge Welt darauf hin, dass in manchen Berliner Quartieren, wie zum Beispiel im Stadtteil Tempelhof, bei einer Fusion fast drei Viertel des Wohnbestandes in die Hand eines einzigen Eigentümers gelangen würden. Die auf möglichst hohe Rendite zielende Marktstrategie beider Konzerne sei dabei das Hauptproblem.

Die Berliner Mietergemeinschaft ergänzt: „Der Zeitpunkt des Vonovia-Vorstoßes dürfte auch damit zu tun haben, dass die Deutsche Wohnen bald in den Leitindex DAX aufgenommen werden könnte, was den Unternehmenswert beträchtlich erhöhen und eine Übernahme entsprechend teurer machen würde. (…) Für Berliner Mieter/innen würde eine Übernahme mit Sicherheit nichts Gutes bedeuten, da der neue Branchenriese seine Marktmarkt rigoros zur Profitmaximierung einsetzen würde. Daher bleibt die Vergesellschaftung aller privaten Wohnungsbaukonzerne für die Mieterbewegung ebenso auf der Tagesordnung wie die Verteidigung und Umsetzung des Mietendeckels, eine langfristige durchgreifende Mietenbegrenzung im Bestand sowie ein engagiertes kommunales Neubauprogramm.“

Laut Rouzbeh Taheri, Sprecher der Berliner Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen, scheint der Konzentrationsprozess in der Immobilienbranche einen neuen Schub zu bekommen. Die Vonovia wolle offenbar als Krisengewinnler die gesunkenen Aktienkurse nutzen und die Deutsche Wohnen schlucken. Werde aber ein Miethai durch einen anderen Miethai geschluckt, dann würden die Mieter unter noch größeren Druck geraten. (Berliner Zeitung vom 24. April 2020)

Seit Jahren wird Vonovia wegen überteuerter Mieten, schlechter Instandsetzung und fehlerhafter Nebenkostenabrechnungen scharf kritisiert. Auch hatten Wohnungs- und Gebäudemodernisierungen, die teilweise mit horrenden Mietsteigerungen verbunden waren, überregional zu immer mehr Mieterprotesten geführt und das Image des Konzerns ruiniert.

Quellen:

„Vonovia erwägt neuen Anlauf zur Übernahme von Deutsche Wohnen“, Wirtschaftswoche, 23. April 2020

https://www.wiwo.de/finanzen/immobilien/wohnungskonzern-vonovia-erwaegt-neuen-anlauf-zur-uebernahme-von-deutsche-wohnen/25766320.html

Joachim Jachnow: „Monopoly auf dem Wohnungsmarkt“, Junge Welt, 24. April 2020

https://www.jungewelt.de/artikel/377055.immobilienriesen-monopoly-auf-dem-wohnungsmarkt.html?sstr=vonovia

Rainer Balcerowiak: „Vonovia will erneut Deutsche Wohnen übernehmen“, MieterEcho online, 24. April 2020

https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/uebernahme/

Ulrich Paul: „Übernimmt Vonovia die Deutsche Wohnen?“, Berliner Zeitung, 24. April 2020

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/debatte-um-moegliche-uebernahme-der-deutsche-wohnen-li.81928

Hohe Gewinne ‒ hochgefährliche Pestizide

Der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer hat laut Mitteilung vom 27. April seinen Gewinn im ersten Quartal 2020 kräftig steigern können. Und das nicht nur trotz, sondern auch wegen der Coronakrise. Denn vor allem im Geschäft mit rezeptfreien Arzneimitteln ‒ von Vitaminpräparaten bis Schmerztabletten ‒ profitierte Bayer von Vorratskäufen vieler Verbraucher*innen. Daneben waren ein starkes Wachstum im Agrargeschäft zu verzeichnen sowie hohe Zuwächse beim Gerinnungshemmer Xarelto. Im ersten Quartal stieg der Umsatz um 4,8 Prozent auf rund 12,9 Milliarden Euro, der Gewinn sogar um 20 Prozent auf knapp 1,5 Milliarden Euro.

„Möglich war das dank Hamsterkäufen von Bayer-Medikamenten und -Saatgut. Der Konzern verdiente zudem erneut hohe Summen mit dem Verkauf von Pestiziden, darunter solche, die in der EU verboten sind, aber in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas satte Profite erzielen. Dies geht aus einer aktuellen Untersuchung hervor, die mehrere Nichtregierungsorganisationen vergangene Woche publizierten. Pro Jahr sterben zwischen 20.000 und 40.000 Menschen durch Pestizidvergiftung am Arbeitsplatz. Beste Bedingungen findet Bayer in Brasilien unter dem extrem rechten Präsidenten Bolsonaro. Der Konzern ist zudem bemüht, Schadensersatzklagen von Glyphosat-Opfern in den USA definitiv abzuwehren: Die Opfer müssten einsehen, heißt es, dass der Konzern wegen der Coronakrise kaum zahlungsfähig sei.“ (German Foreign Policy)

Laut der erwähnten Studie der NGOs vertreiben die Unternehmen Bayer und BASF in Südafrika und Brasilien zusammen mindestens 28 Wirkstoffe (Pestizide), die in der EU nicht genehmigt sind – bei BASF sind es mindestens 13 und bei Bayer mindestens 15. Für sieben der Wirkstoffe (fünf von Bayer, zwei von BASF) wurde die Genehmigung entweder nach dem Prüfungsverfahren abgelehnt oder von der EU ausdrücklich widerrufen (vgl. „Gefährliche Pestizide“, S. 2). Jährlich werden schätzungsweise drei Millionen Menschen weltweit wegen einer akuten Pestizidvergiftung behandelt, rund 25 Millionen erleiden weniger akute Vergiftungen. 99 Prozent der Todesfälle ereignen sich in Afrika, Asien und Lateinamerika. Das heißt, in den Ländern, in denen unter anderem Bayer die hochgefährlichen Pestizide vermarktet, die in der EU nicht zugelassen sind („Gefährliche Pestizide“, S. 4).

Quellen:

German Foreign Policy, „Profitable Pestizide“, 29. April 2020

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8259/

Benjamin Luig, Fran Paula de Castro u.a.: „Gefährliche Pestizide von Bayer und BASF – ein globales Geschäft mit Doppelstandards“ (hrsg. u.a. von Misereor, Inkota, Rosa Luxemburg Stiftung), 2. überarbeitete Auflage, April 2020

https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/Broschuere_Gerfaehrliche_Pestizide.pdf

Bayer AG: Quartalsmitteilung zum 31. März 2020

https://www.bayer.de/de/quartalsberichte.aspx