Cum-Ex als Form der Elitenkriminalität – und der Staat schaut zu

Das Buch erschien zum richtigen Zeitpunkt: nur wenige Wochen vor Beginn des lang erwarteten Strafprozesses gegen Steueranwalt Hanno Berger. Dieser – eine zentrale Figur im Cum-Ex-Skandal – steht nach neun Jahren Flucht seit Anfang April 2022 in Bonn vor Gericht.

Allerdings waren die Machenschaften um Cum-Ex schon vor etwa 30 Jahren bekannt. Insider der Finanzszene wussten bereits damals, dass sich Banken und Anleger am Fiskus bereichern, indem sie sich Steuern rückerstatten ließen, die sie zuvor überhaupt nicht bezahlt hatten. Vor nunmehr 20 Jahren befasste sich das Bundesfinanzministerium mit dem Komplex, unternahm aber (wohl unter dem Einfluss der Bankenlobby) trotz vorliegender Hinweise vorerst nichts. Erst weitere zehn Jahre später, im Herbst letzten Jahres, veröffentlichte der Investigativjournalist Oliver Schröm eine erste umfangreiche und spannend geschriebene Monografie („Die Cum-Ex-Files“, erschienen im Ch. Links Verlag) über den Megabetrug.

Massimo Bognanni, der vor zwei Jahren bereits an einer preisgekrönten TV-Dokumentation zu Cum-Ex mitgearbeitet hatte, legte jetzt nach. Bognanni weist in dem neuen Buch ebenfalls nach, um was es bei dem Steuerbetrug in Milliardenhöhe letztlich geht: um organisierte Kriminalität zu Lasten des Gemeinwohls. Es ist zu hoffen, dass die beiden Bücher dazu beitragen, den bislang ausgebliebenen öffentlichen Proteststurm gegen diese Form der Wirtschaftskriminalität zu entfachen.

Bognanni versucht erst gar nicht, die Cum-Ex-Praxis in ihrer Komplexität zu beschreiben. Er belässt es bei der leicht nachvollziehbaren Einsicht, dass Geschäfte nicht legal oder moralisch vertretbar sein können, bei denen der Staat Steuern erstattet, die nie gezahlt wurden. Der Autor konzentriert sich auf zwei Erzählstränge. Zum einen dokumentiert er das „jahrzehntelange Versagen des Staates und seiner Institutionen“ (Seite 5), zum anderen folgt er Schritt für Schritt der Aufklärung des Skandals und damit der Arbeit der eigentlichen „Heldin“ des Buches – der Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker. Diese hat durch ihre unermüdliche Arbeit und auch gegen Widerstände in den eigenen Reihen eine Reihe von Tätern vor Gericht gebracht.

Die Verstrickungen des Staatsapparates in die „Steuerbetrugsindustrie“ (Seite 9) belegt der Autor anhand mehrerer Beispiele. So begann erst im Oktober 2014 eine ernstzunehmende Ermittlung gegen Cum-Ex. In elf Ländern und mit mehr als tausend Beamten wurde damals eine Großrazzia veranstaltet – mit Brorhilker als leitender Staatsanwältin. Der Staat hätte jedoch schon 1992 tätig werden können. Ein hessischer Börsenaufseher hatte in einem Artikel für den vielbeachteten Frankfurter Finanzmarktbericht festgestellt, dass es bei Banken offenbar gängige Praxis war, mehrere Steuerbescheinigungen für ein und dieselbe Aktie auszustellen. Der Börsenaufseher durchschaute damit „ein perfides System“, so Bognanni. „Denn wer Steuerbescheinigungen ausstellen kann, der kann quasi Geld drucken.“ (Seite 23)

Das Bundesfinanzministerium unter Leitung von Theo Waigel (CSU) sah jedoch keinen Anlass, etwas zu unternehmen. Eine grundsätzliche Lösung des Problems, so das Ministerium damals, hätte in „gewissen Zeiträumen“ zu einem Verbot des Handels sowohl von Aktien als auch im Rahmen von Termingeschäften führen müssen. Angeblich wären eine weitgehende Verlagerung der Geschäfte ins Ausland und damit ein „gravierender Schaden für den Finanzplatz Deutschland“ die Folgen gewesen (Seite 25). Im gleichen Zusammenhang sah die Frankfurter Finanzbehörde nach Absprache mit dem Oberstaatsanwalt von Ermittlungsverfahren gegen mehrere Makler ab, die unter dem Verdacht standen, doppelte Steuerbescheinigungen produziert zu haben – mit dem schlichten Verweis auf fehlendes Personal bei der Steuerfahndungsstelle (Seite 28f.).

Neben Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel zeigten sich auch seine Amtsnachfolger Steinbrück (SPD), Schäuble (CDU) und Scholz (SPD) wenig geneigt, den Cum-Ex-Geschäften einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Unter der Ägide von Peer Steinbrück etwa wurde im Jahr 2009 zwar eine Meldepflicht eingeführt, die jede Bank verpflichtete, „dem Bundeszentralamt für Steuern zu melden, wenn die technischen Voraussetzungen für Cum-Ex-Deals gegeben waren“. (Seite 240) Offensichtlich wurde eine dann akribisch erstellte Liste mit über fünfhundert Einträgen von der Behörde aber nicht überprüft, auch nicht in Stichproben. Die Aufstellung der Verdachtsfälle wurde an das Finanzministerium weitergereicht. Was dort damit geschah, blieb jedoch völlig unklar. Bei Staatsanwältin Brorhilker, die die Liste dringend gebraucht hätte, landeten die Informationen jedenfalls erst im Juni 2020.

Ein weiterer Fall für das dubiose Verhalten der Behörden waren die Cum-Ex-Geschäfte der einst mächtigen landeseigenen WestLB, die bestens mit der NRW-Politik vernetzt war. Im Mai 2007 meldete sich ein Whistleblower aus dem Innern der Finanzindustrie bei der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht), um auf Praktiken der Landesbank aufmerksam zu machen, die auf Cum-Ex-Geschäfte hinwiesen. Die BaFin recherchierte selbst – jedoch ausgerechnet bei der WestLB. „Der Bauer fragt den Fuchs“, kommentiert Bognanni (Seite 79). Im Frühjahr 2021 enthüllten Journalisten schließlich, dass die BaFin ihre im Jahr 2007 erhaltenen Informationen wegen ihrer Verschwiegenheitspflicht nach dem Kreditwesengesetz, so die Darstellung der BaFin, nicht an die Staatsanwaltschaft weitergegeben hatte. Die jedoch bestreitet ausdrücklich, dass es je eine Verschwiegenheitspflicht für mutmaßliche Steuerhinterzieher gegeben habe (Seite 82).

Nach all den unglaublichen Vorgängen im Umkreis des Cum-Ex-Komplexes stellt Bognanni in seinem Epilog nüchtern fest, dass der Skandal noch lange nicht vorbei sei. Auch würde Staatsanwältin Brorhilker, die sich seit 2013 mit superreichen Investoren und abgebrühten Wirtschaftsanwälten herumschlagen muss, noch Jahrzehnte brauchen, ihre Ermittlungen abzuschließen. Nach Meinung des Rezensenten kann das als Beleg dafür gewertet werden, dass die staatlichen politischen Entscheider das Entstehen einer Betrugsindustrie erst ermöglicht haben.

Es ist wohl auch kein Zufall, dass die Staatsanwaltschaften, wie Anne Brorhilker dem Buchautor anvertraute, auf Insiderwissen angewiesen sind, um die immer neuen Steuerbetrugsmodelle verstehen und damit den mafiösen Netzwerken auf die Spur kommen zu können. Ohne Whistleblowing erscheint eine Aufklärung nämlich kaum möglich. Dem Optimismus Bognannis, der Staat könne selbst gegenüber einer global agierenden Steuermafia wehrhaft sein, denn es brauche nur „die richtigen Menschen an der richtigen Stelle“ (Seite 6), ist trotz des beeindruckenden Engagements einzelner Staatsanwält*innen, Journalisten und anderer Aktivist*innen nicht zuzustimmen.

Was Bognanni nicht leistet, ist eine Analyse des politischen und ökonomischen Systems, welches Geschäfte wie Cum-Ex immer wieder hervorbringt beziehungsweise sie ermöglicht. Eine solche Analyse zu liefern war aber auch nicht Anliegen des Autors. Er liefert lediglich die detaillierte und lebendige Beschreibung des Cum-Ex-Komplexes als Form organisierter Kriminalität und der korrupten Rolle staatlicher Institutionen und Repräsentanten. Und dies ist ihm bestens gelungen.

Massimo Bognanni: Unter den Augen des Staates. Der größte Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik, München 2022, dtv, 285 Seiten, 20 Euro

 

 

 

 

 

Schmähpreis „Goldene Abrissbirne“ verliehen

Die seit längerer Zeit laufende Demontage medizinischer Infrastruktur wurde seit Ausbruch der Pandemie kaum gebrochen fortgesetzt – wir haben in BIG Business Crime darüber berichtet.

Das „Bündnis Klinikrettung“ nahm den diesjährigen Weltgesundheitstag (7. April 2022) zum Anlass, dem baden-württembergischen Minister für Soziales, Gesundheit und Integration Manfred Lucha (Bündnis90/Die Grünen) den Schmähpreis „Goldene Abrissbirne“ zu verleihen. Die Aktivist:innen begründen die Preisverleihung damit, dass die Schließung von Krankenhausstandorten „an vielen Orten Deutschlands gefährliche Löcher in die Versorgung reißen“ und dass „in Baden-Württemberg besonders forsch und rücksichtslos vorgegangen“ würde.

In der Begründung heißt es weiter, dass der Minister seit seinem Amtsantritt „im Schnitt 4,3 Kliniken jährlich dichtmachen“ ließ. „Während von Lucha sage und schreibe 3,5 Milliarden Euro für neue Zentralkliniken eingeplant sind, wird kleineren Krankenhäusern die notwendige Finanzierung versagt. Neben der Versorgung fallen dadurch medizinische Ausbildungsstätten, Arbeitsplätze und funktionierende Infrastrukturen weg, von den Umweltschäden durch die Bauwut ganz zu schweigen.“

Abschließend kündigen die Aktivist:innen weitere Aktionen an: „Solange die Schließungen im Krankenhaussektor derart dicht aufeinander erfolgen wie im Moment, behalten wir uns vor, weitere Schmähpreisverleihungen ebenfalls in kurzen Abständen folgen zu lassen.“

Quellen:

Jorinde Schulz „Erster Schmähpreis für Klinikschließer, die ‚Goldene Abrissbirne‘ geht an Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha“
https://www.gemeingut.org/erster-schmaehpreis-fuer-klinikschliesser-die-goldene-abrissbirne-geht-an-baden-wuerttembergs-gesundheitsminister-manfred-lucha 

Wegen Klinikschließungen: Lucha erhält die „Goldene Abrissbirne“
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/schmaehpreis-goldene-abrissbirne-fuer-bw-gesundheitsminister-lucha-100.html 

 

 

 

Wer nicht zahlen kann, muss in Haft

Der promovierte Jurist und Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Ronen Steinke, zeigt in seinem Buch „Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“ systematische Ungerechtigkeiten im Strafsystem auf – und spricht deshalb von einer „neuen Klassenjustiz“. Während einkommensarme Menschen, die schwarzfahren oder einen kleinen Ladendiebstahl begehen, mit harten Strafen rechnen müssen, werden Verfahren wegen Wirtschaftskriminalität häufig eingestellt oder es wird milde geurteilt. Für sein Buch recherchierte der Autor bei allen relevanten Akteur:innen, das heißt bei Staatsanwält:innen, Rechtsanwält:innen, Richter:innen und Verurteilten. Dabei geht der Autor die einzelnen Stationen der rechtlichen Verfahren durch. Er beschreibt die Rolle der Anwält:innen, untersucht Urteile (zum Beispiel die Bedeutung verhängter Geldstrafen) und analysiert die Auswirkungen der Untersuchungshaft und anschließender Gefängnisaufenthalte. Danach folgen Kapitel zur Wirtschafts- und „Elendskriminalität“; am Schluss seines Buches stellt er Forderungen auf, wie es gerechter zugehen könnte.

 „Je teurer der Verteidiger, desto unschuldiger der Angeklagte“*

Die Erfolgsaussichten von angeklagten Personen hängen wesentlich davon ab, welcher Anwalt bzw. welche Anwältin zur Verteidigung zur Verfügung steht – oder ob sich überhaupt einer oder eine finden und finanzieren lässt. „Anwälte haben einen langen Atem, solange jemand das Geld hat, für ihre Zeit zu zahlen“, schreibt Steinke. Die privaten Anwälte beantragen im Gerichtssaal in 30,8 Prozent der Fälle einen Freispruch für ihre Mandanten. Pflichtverteidiger:innen tun das nur in 11,6 Prozent der Fälle. Auf diese sind Ärmere aber angewiesen. Pflichtverteidiger:innen werden jedoch von der Staatskasse finanziell kurzgehalten. Und Gerichte bestellen ihre „Lieblingsanwälte“, wenn vermieden werden soll, dass arme Menschen von „bissigen“ und engagierten Strafverteidiger:innen vertreten werden.

„Je vermögender man ist, desto billiger kommt man davon“

Zwischen den Strafverfolgungs- und Finanzbehörden steht das Steuergeheimnis. Meistens gibt das Finanzamt keine Auskünfte zu Einkommensverhältnissen von Angeklagten. Darum fallen Geldstrafen für Reiche oft zu niedrig aus. Deren finanzielle Verhältnisse werden offensichtlich sehr zurückhaltend eingestuft.

Früher ermittelten in Berlin die Sozialen Dienste der Justiz die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Straftätern. Diese Dienstleistung wurde mittlerweile eingespart; jetzt schätzen die Gerichte „ins Blaue hinein“.

„Gefängnisstrafen wegen Schwarzfahrens, jährlich: 7.000. Gefängnis wegen Cum-ex-Milliardenbetrug: 1“

 Fußballfunktionär Uli Hoeneß saß wegen Betrugs am Fiskus in Höhe von mehreren Millionen Euro als einer der wenigen Reichen tatsächlich im Gefängnis. Er überwies fünf Millionen Euro Kaution und kam aus der U-Haft wieder frei. Das ihn betreffende Urteil lautete: Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen sieben „tatmehrheitlicher“ Fälle der Steuerhinterziehung in Höhe von 28,4 Millionen Euro. Als Vergleich zieht der Autor eine Strafe für eine Hartz IV-Empfängerin in Osnabrück heran, die den Fiskus um 84.000 Euro geschädigt hatte. Sie erhielt eine Gefängnisstrafe von drei Jahren und zehn Monaten. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Buches war im Übrigen erstmals ein deutscher Banker im Rahmen des seit Jahren bekannten Cum-Ex-Skandals zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

„Anteil der Wirtschaftskriminalität an der Gesamtzahl aller Delikte: 0,9 Prozent, Anteil der Wirtschaftskriminalität am Gesamtschaden: 44,9 Prozent“

Wohlhabende rechnen ihre Geldstrafen zudem als Spesen ab, zahlen fast nie selbst. Konzerne wie VW setzen die Geldstrafen als Betriebsausgaben von der Steuer ab. Deshalb tragen letztlich alle Steuerzahler:innen den Schaden. Wirtschaftsdelinquenten haben daher gute Karten, weil sie sich freikaufen (lassen) können. „Je größer der Konzern, desto lauter ist sein Lachen über diese Sümmchen“, fasst Steinke den skandalösen Zustand zusammen.

Oftmals liefern sich die Anwälte Materialschlachten, die die Justiz verzweifeln lassen. Aus Bequemlichkeit lässt sich das Gericht dann auf eine gütliche Einigung ein und verfügt lediglich Geldauflagen. „Spätestens seit den 2000er-Jahren gelten Deals mit Tatverdächtigen als  ‚unverzichtbares Instrument‘ zur Bewältigung komplexer Wirtschaftsstrafverfahren, sprich: als leider alternativlos.“ So musste Deutsche-Bank-Manager Josef Ackermann für die Einstellung eines Verfahrens im Jahr 2006 (Mannesmann-Prozess) nur ein Bußgeld in Höhe von etwa vier Monatsgehältern zahlen, also 3,2 Millionen Euro. Der Top-Manager konnte so eine Vorstrafe vermeiden.

Das Buch schließt mit einer Reihe konkreter Vorschläge des Autors, die das deutsche Justizsystem ein wenig gerechter machen könnten. So fordert er etwa Pflichtverteidiger für alle sowie die Entkriminalisierung von Drogen- und Schwarzfahrdelikten. Die Einkommen von solventen Tätern sollten zudem nicht geschätzt, sondern tatsächlich ermittelt werden. Zu beenden sei auch das Vorgehen von Unternehmen, die Prozesskosten ihrer delinquenten Manager:innen zu übernehmen und dann sogar von der Steuer abzusetzen. 

Es ließen sich sicherlich auch einige noch radikalere Forderungen aufstellen. Und dass die Klassenjustiz nicht so neu ist, wie der Untertitel des Buches behauptet, darf auch festgehalten werden. Dennoch ist das Buch lesens- und empfehlenswert!

*Alle Zwischenüberschriften sind als Zitate aus dem Buch übernommen.

Ronen Steinke „Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz“ Berlin 2022, Berlin Verlag, 20 Euro

 

Die dubiosen Stiftungen des umstrittenen Immobilienkonzerns Akelius

Im vergangenen Jahr verkaufte der schwedische Wohnimmobilienkonzern Akelius für etwa 9,1 Milliarden Euro fast 29.000 Wohnungen an seinen skandinavischen Konkurrenten Heimstaden – allein rund 14.000 davon in Berlin und etwa 3.600 in Hamburg. Wer aber ist Akelius? Das börsennotierte Unternehmen galt seit den ersten Akquisitionen in Berlin im Jahr 2006 als einer der größten Mietpreistreiber in der Hauptstadt und betrieb eine aggressive Aufwertungsstrategie. So mussten für Wohnungen nach Luxussanierungen oft bis zu 40 Euro pro Quadratmeter bezahlt werden.

Laut Information der „Vernetzung der Akelius-Mieter*innen Berlin“ werden rund sechs Milliarden Euro der aus dem Megadeal stammenden Einnahmen an drei vermeintlich gemeinnützige Akelius-Stiftungen auf den Bahamas weitergereicht – in Form einer Dividendenausschüttung, wie auf der jährlichen Hauptversammlung des Konzerns am 8. April 2022 in Stockholm bekanntgegeben wurde.

Die Initiative der Mieter:innen von Akelius veröffentlichte deshalb im April 2022 eine umfangreiche Recherche – unter anderem zur Frage nach der Funktion der Stiftungen im Rahmen der Konzernstruktur. Der Konzern ist im Besitz von drei Privatstiftungen auf den Bahamas, die sämtliche Stimmrechte und etwa 94 Prozent der Aktien halten. Vor allem wird in dem Bericht die Behauptung des Akelius-Konzerns überprüft, seine Hauptanteilseignerin, die Akelius Foundation, sei eine gemeinnützige Stiftung. Die Eigentümerstruktur, so ein Fazit der Analyse, diene „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ der Steuervermeidung.

Es folgt ein längerer Auszug aus dem Bericht: „Die Akelius Foundation ist die größte und wichtigste der drei Stiftungen. Sie hält rund 80 Prozent der Anteile an Akelius Residential (der zentralen schwedischen Aktiengesellschaft – die Redaktion), was einem Wert von rund 12 Milliarden Euro entspricht. (…) Über den Aktienanteil (…) hält die Stiftung eine deutliche Mehrheit der Stimmrechte. Sie fungiert damit als die maßgebliche Kontroll- und Weisungsinstanz. Durch die Mitglieder des Stiftungsrats und die beiden Kontrolleure (…) ist die Akelius Foundation schon allein personell eng mit dem Akelius-Konzern verbunden. Darüber hinaus ist die Akelius Foundation alleinige Inhaberin der beiden Firmen Akelius Invest Ltd. und Akeliusfonder Ltd., beide mit Sitz auf den Bahamas. Beide Firmen ermöglichen Finanzanlagen, die über Anleihen und Kredite ausschließlich in den Akelius-Konzern investiert werden. Es ist unklar, ob die Stiftung dies auch nutzt, um eigenes Geld zu reinvestieren. Es handelt sich dabei um ein steueroptimiertes Wachstumsmodell. Das heißt zum Beispiel: Akelius Invest gibt Kredite an die jeweiligen nationalen Akelius-Bestandshalter, wodurch diese ihre Gewinne kleinrechnen können (in Deutschland die Akelius GmbH).

Roger Akelius (der Firmengründer – die Redaktion) und der Akelius-Konzern formulieren für die Akelius-Stiftung einen Anspruch auf ‚Gemeinnützigkeit‘. Dieser Anspruch ist aufgrund der hier vorgestellten Analyse zurückzuweisen – sowohl mit Blick auf die engere Verwendung des Begriffs im Sinne der steuerlich anerkannten Gemeinnützigkeit als auch mit Blick auf das allgemeine Verständnis einer Gemeinwohlorientierung. Eine wohltätige Stiftung ist sie nur in einem Sinn, nach der eine Person oder Firma wohltätig ist, die ohne jede Verpflichtung einen selbst bestimmten Teil ihres Einkommens oder ihrer Gewinne einem guten Zweck spendet. Der Aufsichtsrat der Akelius Foundation besteht nahezu ausschließlich aus Personen, die im Akelius-Konzern wichtige Funktionen übernehmen. Die Stiftung agiert weitgehend intransparent und veröffentlicht selbst keine oder nur minimale Berichte zur eigenen Tätigkeit oder zu den ausgezahlten Fördergeldern. Im Vergleich mit anderen Stiftungen ist der Anteil an den ausgeschütteten Gewinn, den die Akelius Foundation für wohltätige Zwecke ausgibt, gering.

Die Akelius Foundation muss auf Grundlage der hier zusammengetragenen Informationen als Privatstiftung betrachtet werden. Ihre Hauptfunktion ist nicht Wohltätigkeit, sondern Gewinnoptimierung, was in der Außendarstellung der Stiftung nicht transparent gemacht wird.“ (Seite 3f.)

Zur Frage des Verkaufs der Akelius-Bestände an den Konzern Heimstaden im Herbst des letzten Jahres bemerkt der Bericht: „Was passiert mit dem ganzen Geld? Auf der jährlichen Hauptversammlung am 8.4.2022 soll eine Dividendenausschüttung an die drei Akelius-Privatstiftungen in Höhe von rund 6 Milliarden Euro beschlossen werden. Damit wird ein großer Teil der durch den Verkauf erzielten Summe ins Steuerparadies Bahamas verschoben. Die Gewinne werden vermutlich steuerfrei ausgeschüttet – die sonst übliche Kapitalertragssteuer (in Schweden 30 %) wird durch die Finanzkonstruktion des Konzerns vermieden. Ebenfalls auf der Tagesordnung der Hauptversammlung steht eine Kapitalerhöhung. Damit sollen rund 4 Milliarden Euro von den Stiftungen wieder in den Konzern reinvestiert werden.“ (Seite 5)

Mittels der Investitionen soll der Bestand offenbar wieder auf 50.000 Wohnungen ausgebaut werden. Keine guten Aussichten für die neuen Mieter:innen des Konzerns. Auch sie müssen mit der berüchtigten Mieterhöhungs- und Aufwertungsstrategie des Konzerns rechnen.

Anmerkung:
Akelius ist nicht nur wegen seiner Steuervermeidungsstrategien bekannt. Der Konzern stand vor allem in Berlin auch in der Kritik, weil er mittels sogenannter Share Deals die Grunderwerbssteuer umging. Die SPD-Politikerin und heutige Staatssekretärin im Bundesbauministerium, Cansel Kiziltepe, hatte Akelius bereits im Jahr 2020 wegen „fragwürdiger Share Deals“ im Berliner Bezirk Neukölln angezeigt und die Steuerfahndung alarmiert (Der Spiegel vom 4. September 2020).

Quellen:

Vernetzung der Akelius-Mieter*innen Berlin: „Bluewashing und Steuervermeidung: Die Akelius Foundation im Akelius-Konzern“, Oktober 2021 (mit Aktualisierungen im März 2022)
https://www.akelius-vernetzung.de/wp-content/uploads/2022/04/Bluewashing_Steuervermeidung_Akelius_Foundation.pdf

Gareth Joswig: „6 Milliarden für die Bahamas“, taz vom 8. April 2022
https://taz.de/Akelius-schuettet-Dividende-aus/!5843609&s=akelius/

Nicolas Šustr: „Konzentration auf Berliner Wohnungsmarkt“, Neues Deutschland vom 28. September 2021
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157086.betongold-konzentration-auf-berliner-wohnungsmarkt.html?sstr=akelius

David Böcking: „Bundestagsabgeordnete zeigt Wohnungskonzern Akelius an“, Der Spiegel vom 4. September 2020
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/cansel-kiziltepe-spd-abgeordnete-zeigt-berliner-immobilieninvestor-an-a-b32e9fd4-cce3-4f29-b63a-69fb94f9592a