Blick aus dem Kosmos

Die Erkundung von Rohstofflagerstätten mittels hochauflösbarer Satellitenfotos ist dem Grunde nach seit Jahrzehnten bekannt. Ungewöhnlich ist, dass neuerdings auch das Anwachsen von Lagerstätten mit nicht vermarktbaren Produkten unseres grandiosen Industriezeitalters aus dem Kosmos beobachtet werden kann.

So wurde am 10. Mai 2023 von der Satellitenfoto-App SkyFi das Bild eines gigantischen Müllberges, gelegen in einer Wüstenregion im Norden Chiles, veröffentlicht.

Wie es in einer diesbezüglichen Netzmeldung erläuternd heißt, bestehe der Berg aus mindestens 39.000 Tonnen Kleidung, „die in Geschäften in den USA, Europa und Asien nicht verkauft werden konnte“.

Da die Kleidungsstücke nicht biologisch abbaubar seien, erklärte der Sprecher eines zuständigen Unternehmens, wollte man versuchen, sie „durch die Herstellung von Isolierplatten wiederzuverwenden“. Die Mülldeponie ziehe „manchmal Migranten und einheimische Frauen an, die dort nach Kleidungsstücken suchen, die sie tragen oder verkaufen können“.

Wie es weiter erläuternd heißt, ziele die Fast-Fashion-Industrie darauf ab, „den Verbrauchern einen erschwinglichen Zugang zu Modetrends zu ermöglichen“.

Fast 85 Prozent der Textilien würden aber jedes Jahr auf der Müllhalde landen; die Modeproduktion verbrauche große Mengen an Wasser und verschmutze Flüsse und Bäche.

Quelle:

https://www.businessinsider.de/leben/international-panorama/chile-riesige-altkleider-muellhalde-ist-vom-weltraum-sichtbar/#:~:text=Mindestens%2039.000%20Tonnen%20dieser%20Kleidungsst%C3%BCcke%20landen%20auf%20M%C3%BClldeponien,SkyFi%2C%20den%20Entwicklern%20einer%20Satellitenfoto-%20und%20Video-App%2C%20ver%C3%B6ffentlicht

Teure geheime Deals

Ab Ende 2020 bestellten die 27 Mitgliedstaaten der EU gemeinsam bei Pfizer und anderen Pharmakonzernen die damals dringend benötigten Impfstoffe gegen das Corona-Virus. Seitdem erhielt Pfizer bei neuen Bestellungen mehrfach den Zuschlag, wohl auch, weil ihr Impfstoff beim deutschen Unternehmen Biontech produziert wird.

Die Verträge wurden mittlerweile überarbeitet, weil ein großer Teil der georderten Impfstoffe nicht mehr gebraucht wird. So muss Deutschland statt der ursprünglich für 2023 bestellten 92 Millionen Impfdosen nur noch etwa die Hälfte abnehmen.

In Nachverhandlungen mit Pfizer und Biontech Ende Mai 2023 einigten sich die Vertragspartner allerdings nur auf eine Verringerung der Zahlungsverpflichtung um weniger als 25 Prozent. Ein Insider spricht von 10 Euro „Stornogebühr“, die vom Steuerzahler pro abbestellter Dosis zu bezahlen sind – umgerechnet fast eine halbe Milliarde Euro.

Besonders interessant: Seit 2021 bereits fordern das Europaparlament und andere politische Akteure die Offenlegung der von der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) mit Pfizer verhandelten Impfstoffverträge, laufen damit aber gegen eine Wand. Denn die milliardenschweren Deals bleiben geheim, selbst das Europaparlament erhält wegen vertraglicher Verschwiegenheitspflichten keinen vollen Einblick.

„Die New York Times biss bei ihren Nachfragen ebenso auf Granit wie die Europäische Staatsanwaltschaft, die EU-Bürgerbeauftragte oder der Rechnungshof. Auch die taz hat nachgefragt: Was die Kommission denn zu der jüngsten strafrechtlichen Klage einer Privatperson aus Belgien und zu den Vorwürfen gegen von der Leyen sage, wollten wir wissen. ‚No comment‘, kein Kommentar, antwortete von der Leyens Chefsprecher Eric Mamer – nicht einmal, sondern mehrfach.“ (taz vom 23. Mai 2023)

Die Süddeutsche Zeitung kommentierte am 30. Mai:

„Deutschland muss offenbar mehrere Hundert Millionen Euro Stornogebühr dafür zahlen, dass mehrere zehn Millionen ehedem bestellte Impfdosen nicht mehr abgenommen werden. (…) Die EU hat neue Verträge mit Biontech und Pfizer ausgehandelt, die weitreichende Schweigeklauseln enthalten sollen. Schweigeklauseln, die zulasten jener gehen, die mit ihren Steuern den Staat finanzieren. Und die keinen Anspruch darauf haben, zu erfahren, was mit ihrem Geld geschieht. Nicht einmal die Volksvertretung, den Bundestag, hat Lauterbach bis ins letzte Detail informieren dürfen. Und nicht einmal in einer ohnehin nicht öffentlichen Sitzung des Haushaltsausschusses. Der Minister will sich und sein Ministerium nicht juristisch haftbar machen. (…) Konzerne lassen sich den Umstand, dass die Pandemie abgeflaut ist und nicht mehr so viele Impfstoffe nötig sind, teuer bezahlen. Konzernjuristen bestimmen, dass dies weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschieht. Parlamente haben kein Mitspracherecht.“

Martin Sonneborn, Mitglied des Europäischen Parlaments, und seine Co-Autorin Claudia Latour machen in einem Artikel des Online-Magazins Jacobin folgende Rechnung auf – mit Blick auf die europäische Dimension:

„Der Financial Times zufolge sieht der nachverhandelte Vertrag nun vor, die abzunehmende Impfstoffmenge von 500 Millionen Einheiten auf insgesamt 280 Millionen zu reduzieren. Abgenommen werden sollen künftig 70 Millionen Dosen pro Jahr bei gleichzeitiger Streckung des Lieferzeitraums bis 2026. Pfizer sei bereit, die ursprünglich bestellten, nun aber nicht abgenommenen Einheiten gegen eine ‚Stornogebühr‘ von 10 Euro pro Dosis zu streichen – aber nur, wenn die EU im Gegenzug einen höheren Preis für die bis 2026 zu liefernden Dosen akzeptiere. (…)

Wenn wir uns nicht verrechnet haben, dann macht das bei 220 Millionen in Abweichung zum ursprünglichen Vertrag zu streichenden Impfdosen einen Betrag von 2,2 MILLIARDEN Euro. 2,2 MILLIARDEN Stornogebühr für eine nicht zu erbringende Leistung – das klingt nach einem Geschäft, das wir auch gern mal machen würden, zumal es sich hier um den reinsten aller Reingewinne handelt, denn unternehmensseitig dürften noch nicht einmal die Stückkosten von rund 70 Cent anfallen. Es sei denn natürlich, Pfizer stellte die stornierten Impfdosen trotzdem her, nur um den eigenen Schöpfungsakt dann umgehend mit vollständiger Vernichtung zu torpedieren – nur so aus Jux vielleicht.“

Quellen:

Eric Bonse: „Streit über Pfizer-Stornogebühr“, taz vom 6. Juni 2023

https://taz.de/Corona-Impfstoff-in-der-EU/!5936100&s

Eric Bonse: „Impfschaden in Brüssel“, taz vom 23. Mai 2023

https://taz.de/EU-Impfstoffdeal-mit-Pfizer/!5933318&s

Markus Grill/Klaus Ott: „Hohes Storno für Corona-Impfstoffe“, Süddeutsche Zeitung vom 27./28./29. Mai 2023

Klaus Ott: „Unanständiger Deal“, Süddeutsche Zeitung vom 30. Mai 2023

Martin Sonneborn/Claudia Latour: „Der lausigste Deal der EU-Geschichte“, 25 Mai 2023, Jacobin Magazin

https://jacobin.de/artikel/der-lausigste-deal-der-eu-geschichte-pfizer-ursula-von-der-leyen-eu-sms-impfstoff-korruption-martin-sonneborn-claudia-latour/

 

Erdoğans Wahlsieg

Der erneute Wahlsieg Recep Tayyip Erdoğans bei den Präsidentschaftswahlen in der Türkei trotz desolater wirtschaftlicher Lage und wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung lässt sich nur erklären, wenn man den Charakter seines Regimes ins Auge fasst. Der investigative Autor Jürgen Roth, seinerzeit Mitherausgeber von BIG Business Crime, hat in seinem 2017 erschienenen letzten Buch: „Die Neuen Paten – Trump, Putin, Erdoğan, Orbán & Co. Wie die autoritären Herrscher und ihre mafiosen Clans uns bedrohen“ einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis geleistet. Er wandte sich dagegen, bloß von einem „neuen Autoritarismus“ zu reden, wie es heute üblich ist. Es handele sich vielmehr bei den „Neuen Paten“ um eine „gelungene Fusion von politischer und krimineller Macht“, die alle Sphären der Gesellschaft mit Korruption durchdringt, demokratische Kontrollen außer Kraft setzt und Opposition kriminalisiert – auch wenn noch mehr oder weniger „freie“ Wahlen bestehen.

Jürgen Roths Thesen dazu: „Die Neuen Paten haben den Staatsapparat nicht nur übernommen, vielmehr sind sie die Capo dei Capi des Staatsapparates geworden. Damit ihre Politik von der Gesellschaft akzeptiert wird, bedienen sie sich einer rassistischen, nationalistischen und autoritären Ideologie. Daher sind auch die Neuen Paten, wie die italienischen Mafien, eng mit rechtsextremen Bewegungen und Parteien verbunden… Beide Systeme, das der klassischen Mafien und das der Neuen Paten, regieren mit der Angst ihrer Untertanen und sind zutiefst undemokratisch. Beide zeichnen sich durch ein ihrem Wesen nach elitäres, antidemokratisches und dem Gleichheitsgrundsatz widersprechendes Grundmuster aus.“

Erdoğan spielte meisterhaft auf dem Klavier der Ängste und der gesellschaftlichen Spaltungen: Angst vor dem „Terror“ der kurdischen Minderheit – selbst wenn diese nur Mit- und Selbstbestimmung in einem föderal aufgebauten Staat fordert. Angst vor „globalistischen“ Drahtziehern, die die Türkei mit Modernismen wie LBGTI überfremden wollen. Das Muster ist bekannt.

Dass sein Gegenkandidat Kılıçdaroğlu von der kemalistischen CHP dann in der Stichwahl darauf auch mit ähnlichen Mittel zu antworten versuchte – er versprach, die unliebsamen syrischen Flüchtlinge schnell aus dem Land zu werfen und nahm eine weitere rechte Partei mit ins Boot – hat ihm nichts genützt.

Dennoch: Erdoğan erhielt nur wenig mehr als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen. Das zeigt, dass Widerstand gegen sein Regime nach wie vor vorhanden ist.

Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen bekam das linksgrüne „Bündnis für Arbeit und Freiheit“ immerhin 10 Prozent der Stimmen – vor allem von Kurdinnen und Kurden, weil deren unter einer Verbotsdrohung stehende Partei HDP dazu aufrief.

In seiner Wahlanalyse auf der Homepage der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigt Murat Çakır auf, welche schweren Aufgaben vor der Opposition in der Türkei liegen: „Selbst wenn man die kemalistische CHP, die durchaus in ihren Reihen nationalistische Kreise beherbergt, herausrechnet, beweisen die Wahlergebnisse, dass über zweidrittel der türkischen Gesellschaft konservativ, reaktionär und nationalistisch eingestellt ist. Besonders traurig war es zu verfolgen, dass sogar in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten mehrheitlich die AKP (Erdoğans Partei) und die neofaschistische MHP gewählt wurden. In den 11 Städten, die vom Erdbeben betroffen waren, konnte die AKP, während Erdoğan die Mehrheit der Stimmen bekam, rund 47 Abgeordnete gewinnen – nur im völlig zerstörten Hatay konnte Kılıçdaroğlu die Mehrheit auf sich vereinen. Weder die desolate ökonomische Lage und die hohen Inflationsraten noch die öffentlich gewordenen Korruptionen des AKP-Palast-Regimes konnten einen großen Teil der konservativen Wähler*innen davon abhalten, die AKP und MHP zu wählen.“ („Die Türkei hat gewählt“, 15. Mai 2023)

Quelle:

https://www.rosalux.de/news/id/50409/die-tuerkei-hat-gewaehlt

Die Mafia und der Krieg

In einem Artikel auf der Homepage des Österreichischen Rundfunks wird berichtet, welche Auswirkungen der Krieg in der Ukraine auf die bisher „eingespielte Zusammenarbeit zwischen russischer und ukrainischer Mafia“ hat: „Sie funktioniert nicht mehr – mit Folgen für das organisierte Verbrechen auf der ganzen Welt.“

Laut der NGO GI-TOC (Global Initiative Against Transnational Organized Crime – Globale Initiative gegen grenzüberschreitendes organisiertes Verbrechen) bildeten die Ukraine und Russland zusammen bis zum Beginn des Krieges das „größte kriminelle Ökosystem Europas“:

„Die russischen und ukrainischen Mafia-Gruppen kontrollierten die einträglichen Schmuggelrouten zwischen Russland und Westeuropa, auf denen von Gold über Zigaretten, Holz, Kohle und Drogen bis hin zu Menschen alles geschmuggelt wurde. Die Schwarzmeer-Metropole Odessa war zudem ein wichtiger Umschlaghafen für Schmuggelware. Entsprechend groß war der politische und wirtschaftliche Einfluss proukrainischer wie prorussischer Oligarchen.

Neben dem Balkan und dem Kaukasus war die Ukraine die wichtigste Route für Heroin aus Afghanistan nach Europa. Kokain aus Lateinamerika wurde vielfach via Schwarzmeer-Häfen angeliefert. Umgekehrt wurden Waffen von dort in Richtung Afrika und Asien verladen. In der Ukraine selbst boomte die Produktion von Amphetaminen und illegaler Tabakprodukte.“

Nach 2014 habe es in der Ukraine zwar vermehrte Anstrengungen im Kampf gegen die Mafia und die Korruption gegeben. „Vor allem bei der Justizreform gab es aber vergleichsweise wenig Fortschritt.“ Der russische Angriffskrieg im Februar 2022 habe nun aber beim organisierten Verbrechen einen „schweren Schock“ ausgelöst, wie die NGO GI-TOC feststellt. Zwischen russischen und ukrainischen Mafia-Gruppen war plötzlich keine Kooperation mehr möglich. „Verbrecher zu sein ist das eine. Aber als Verräter zu gelten ist etwas ganz anderes“, wird der Experte Mark Galeotti dazu aus dem britischen Wochenmagazin „Economist“ zitiert.

„Die Schwarzmeer-Häfen wurden geschlossen und sind es großteils heute noch. Die Fronten machen das Schmuggeln fast unmöglich. Dazu kommen nächtliche Ausgangssperren. Und die Mafia hat laut GI-TOC auch ein Personalproblem, da viele Männer zur Armee rekrutiert wurden. Viele Oligarchen verließen zudem bereits zu Kriegsbeginn das Land.“

Allerdings hätten die Verbrechenssyndikate, so die NGO, längst begonnen, alternative Routen aufzubauen. Und auch innerhalb der Ukraine gebe es Anzeichen für ein Wiedererstarken organisierter Kriminalität. „Die Schmugglertätigkeit habe sich stark in den Westen an die Grenze etwa zu Polen, der Slowakei und Moldawien verlagert. Und nicht zuletzt würden Soldaten an der Front mit synthetischen Drogen versorgt.“

Neue Geschäftsfelder seien „der Transport kommerzieller Waren unter Vortäuschung humanitärer Hilfe und der Schmuggel von Mangelwaren wie Treibstoff aus Nachbarstaaten in die Ukraine. Geplünderte Ware wie Getreide würde ebenso gehandelt. Auch der Menschenhandel hat zugenommen – laut GI-TOC aber bisher weniger stark als befürchtet. Auch das Außerlandesbringen von Männern, die der Einberufung zur Armee entgehen wollen, ist ein neu entstandener Geschäftszweig.“

Die NGO fordert daher durchgreifende Veränderungen in der Justiz und im Sicherheitsapparat der Ukraine. „Der noch in sowjetischen Strukturen verharrende Geheimdienst SBU versuche gegenwärtige Erfolge in der Spionageabwehr bereits politisch dazu zu nutzen, um künftige Reformen und eine eventuelle Aufspaltung von vornherein zu verhindern. Entscheidend für den Erfolg von Reformen könnte hier der Druck der westlichen Alliierten werden.“ 

In Russland wiederum seien im Verlauf des Krieges „die Verbindungen zwischen der Unterwelt und dem Staat enger geworden… Kriminelle würden teils für den Staat Geheimdiensttätigkeiten ausüben und etwa beim Umgehen von Sanktionen helfen, insbesondere den Import von Halbleitern organisieren.“

Für die Ukraine sieht die NGO im günstigsten Fall die Chance, dass durch „die erzwungene Abnabelung des Landes von Russland“ oligarchische Strukturen aufzubrechen und ihre kriminellen Begleiterscheinungen besser zu bekämpfen seien.

Quelle: https://orf.at/stories, 20. Mai 2023