„Bundesernährungsministerin Julia Klöckner ist das Kuscheltier der Lebensmittelindustrie“: Der spöttische Kommentar der taz (6. Juni 2019) bezieht sich auf ein Video auf Twitter, in dem sich die CDU-Politikerin neben einem Manager des Nestlé-Konzerns posierend darüber erfreut zeigt, dass das weltgrößte Lebensmittelunternehmen Zucker, Salz und Fett in seinen Fertigprodukten weiter reduzieren will. Klöckner steht nicht erst nach dem Video in der Kritik. Setzt sie doch auf Selbstverpflichtung der Hersteller, statt verbindliche Reduktionsziele vorzuschreiben, wie andere Staaten es längst praktizieren.

Ende des letzten Jahres hatte Julia Klöckner noch eine 30-seitige „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten“ vorgestellt, in der es heißt: „Die Strategie schafft und stärkt Bedingungen für neue, innovative Ansätze in der Lebensmittelproduktion, um die Reduktionsziele zu erreichen. Damit wird nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der Lebensmittelwirtschaft insgesamt gefördert (…). Basis der Strategie bildet ein intensiver Dialogprozess, der in die Unterzeichnung einer Grundsatzvereinbarung zwischen Politik und Lebensmittelwirtschaft mündete. Darin erkennt die Lebensmittelwirtschaft erstmals an, Teil einer Lösung zur Erreichung einer ausgewogenen Energiebilanz und Verbesserung der Nährstoffversorgung der Bevölkerung zu sein und verpflichtet sich freiwillig dazu, messbare Beiträge zu leisten zur Förderung einer gesünderen Ernährung in Deutschland.“

Der Weg der freiwilligen Selbstverpflichtung bedeutet, dass Weltkonzerne wie Nestlé nach eigenem Belieben entscheiden, ob sie ihren Produkten weniger gesundheitsschädliche Stoffe beimischen, wenigstens in Fertigprodukten. Warum befürwortet die Ministerin eine solche unverbindliche Strategie? „Weil es Nestlé und Konsorten Geld kosten würde. Zucker ist ein billiger Rohstoff, auf den die Industrie ihre Kundschaft leicht konditionieren kann. Klöckner vertritt eben die Interessen der Industrie, nicht der Verbraucher oder der Gesellschaft.“ (taz, 6. Juni 2019)

Die Süddeutsche Zeitung kommentiert: „Dass es so weit kam, ist kein Wunder. Die Lebensmittel- und Getränkeindustrie betreibt mit die intensivste Lobbyarbeit aller Branchen. Ihre professionellen Einflüsterer sind in Brüssel und Berlin nicht nur zahlreich unterwegs, sondern auch finanziell gut ausgestattet und dem Vernehmen nach gut organisiert. Die größte Lobbyorganisation auf EU-Ebene nennt sich Food-Drink-Europe. Daneben schicken nationale Interessenverbände und Konzerne wie Nestlé zusätzlich eigene Lobbyisten los. Dass nun der Nestlé-Deutschland-Chef selbst bei der Ministerin auftauchte, findet der Konzern trotzdem nicht anrüchig, sondern als Zeichen dafür, dass man doch offen agiere. ‚Für uns ist es wichtig, transparent zu sein. Dazu gehört es auch, öffentlich darüber zu informieren, wenn wir uns mit einem Vertreter der Politik austauschen‘, sagt dazu ein Sprecher von Nestlé-Deutschland.“

Die öffentliche Sensibilität für das Thema Lobbyismus aber lässt hoffen. Das Video löste einen wahren „Shitstorm“ im Netz aus.

 

Quellen:

Jost Maurin, „Kuscheltier der Industrie“, taz, 6. Juni 2019
https://www.taz.de/Kommentar-Julia-Kloeckner-und-Nestle/!5598538&s=klöckner/

Markus Balser/Uwe Ritzer, „Der süße Reiz des Lobbyismus“, Süddeutsche Zeitung, 6. Juni 2019
https://www.sueddeutsche.de/politik/kloeckner-ernaehrung-gesund-lebensmittel-lobbyismus-1.4477633