Beschäftigte in etwa 8,6 Millionen Arbeitsverhältnissen verdienen aktuell weniger als 12 Euro brutto pro Stunde, stellte Ende Oktober 2021 die Hans Böckler Stiftung fest. Vor diesem Hintergrund kommentierte jüngst das Neue Deutschland Ankündigungen des Koalitionsvertrages: „Einerseits soll der Mindestlohn auf zwölf Euro steigen. Andererseits wollen SPD, Grüne und FDP die Minijobgrenze erhöhen. Faktisch sichern sie Unternehmen damit eine Option, den höheren Mindestlohn zu umgehen.“ Ob die Erhöhung des Mindestlohns überhaupt schnell erfolge, sei ungewiss. Denn, so die Autorin der linken Tageszeitung, im Sondierungspapier des Dreierbündnisses vom Oktober hätte es noch geheißen, dass der Mindestlohn „im ersten Jahr“ erhöht werde. Im Koalitionsvertrag fehle diese zeitliche Festlegung jedoch.
Ein Schlupfloch sei aber bereits beschlossen. Die Minijobgrenze wird laut Koalitionsvertrag mit Anhebung des Mindestlohns von 450 auf 520 Euro steigen. Minijobs bei einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden sollen damit möglich bleiben. Die FDP habe sich durchgesetzt und das Dreierbündnis die Empfehlung von zahlreichen Forschenden in den Wind geschlagen, die sich für eine Begrenzung dieser Beschäftigungsform aussprechen. Das IAQ (Institut Arbeit und Qualifikation) etwa plädiert dafür, dass Minijobs auf bestimmte Gruppen wie Studierende, Schülerinnen und Rentner beschränkt werden. Der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch (IAQ), so das Neue Deutschland, halte das Vorhaben der Ampelparteien für einen großen Fehler. Denn die meisten Verstöße gegen den Mindestlohn gebe es bei Minijobs. Das sei bekannt. „So würden geringfügig Beschäftigte in der Regel nur bei Anwesenheit bezahlt. ‚Sie erhalten meist keinen bezahlten Urlaub und keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, obwohl sie Anspruch darauf haben. Dies gilt vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen, wo die meisten tätig sind.‘ Finanziell sei dies eine erhebliche Einbuße, dadurch würden um die 35 Tage pro Jahr nicht bezahlt, die eigentlich vergütet werden müssten. Faktisch seien Minijobs damit für Unternehmen eine ‚Exitoption aus dem Mindestlohn‘. Und diese Möglichkeit soll nun ausgebaut werden.“
Nach einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit (IAB) übten im Jahr 2019 insgesamt mehr als sieben Millionen Erwerbstätige Minijobs entweder als Haupt- oder Nebenbeschäftigung aus. In der Corona-Krise sank die Zahl auf rund sechs Millionen – immerhin noch etwa 13,5% aller Erwerbstätigen in Deutschland. Laut IAB-Studie verdrängen sie allein in kleinen Betrieben bis zu 500.000 sozialversicherungspflichtige Stellen.
Quellen:
Matthias Collischon/Kamila Cygan-Rehm/Regina T. Riphahn: „Minijobs in Kleinbetrieben: Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wird verdrängt“, IAB-Forum, 20. Oktober 2021
https://www.iab-forum.de/minijobs-in-kleinbetrieben-sozialversicherungspflichtige-beschaeftigung-wird-verdraengt/?pdf=23532
„Neue Studie des WSI: Rund 8,6 Millionen Beschäftigte verdienen aktuell weniger als 12 Euro in der Stunde – vor allem in Jobs ohne Tarifvertrag“, Pressemitteilung der Hans Böckler Stiftung vom 28. Oktober 2021
Eva Roth: „Rauf mit dem Mindestlohn, raus aus dem Mindestlohn“, Neues Deutschland (Online) vom 27. November 2021
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1159019.minijobs-rauf-mit-dem-mindestlohn-raus-aus-dem-mindestlohn.html