„Deutschland erlebt wie in so vielen Jahren auch 2020, wie immer neue Finanzskandale an die Öffentlichkeit kommen oder juristisch aufgearbeitet werden: Wirecard, CumEx, FinCEN-Files. Finanzwende hat die Häufung dieser Skandale und den mangelnden politischen Aufklärungs- sowie Reformwillen zum Anlass genommen, um einen Gesamtüberblick über die Finanzlobby in Deutschland zu erstellen. Wir wollten wissen, wie es um die Interessenvertretung im Themenfeld Finanzmarkt bestellt ist. Wer kommentiert Gesetze und wer wird zu Ausschüssen geladen? Wie viele Mitarbeiter arbeiten für die Interessenvertretung eines Sektors, der immer wieder mit Skandalen und dem Ausnutzen gesetzlicher Schlupflöcher auffällt?“ (Finanzwende, Seite 6)

Die Bürgerbewegung Finanzwende e.V. hat aus oben zitierten Gründen am 9. Dezember 2020 eine – nach eigenen Angaben „erste systematische“ – Studie vorgelegt, die den Einfluss und die Größe der Finanzlobby in Deutschland untersucht. Das Ergebnis: Nach Einschätzung des Vereins gibt die Finanzindustrie insgesamt mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr für Lobbyarbeit in Deutschland aus und beschäftigt dabei mehr als 1.500 Mitarbeiter*innen. Rechnerisch stehen jeder/m der 41 Abgeordneten des Bundestags-Finanzauschusses etwa 36 Mitarbeiter*innen der Finanzlobby gegenüber. Insbesondere in der frühen Phase der Gesetzgebung, also bevor die erste Fassung eines Gesetzes veröffentlicht wird, dominieren Aktivitäten der Branchenverbände. Rund 290 verschiedene Organisationen aus dem erweiterten Bereich der Finanzlobby haben allein in den Jahren 2014 bis 2020 auf ihre privilegierte Weise versucht, Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen.

Finanzwende e.V. belegt konkret die Einflussnahme dieser Organisationen auf die Parlaments- und Regierungsarbeit: Für 34 Sitzungen des Bundestags-Finanzausschusses von 2014 bis 2020 sowie für 33 Referentenentwürfe mit Finanzmarktbezug im gleichen Zeitraum kann im Einzelnen gezeigt werden, welche Verbände und Unternehmen Kommentare und Stellungnahmen abgegeben haben. Mehr als 500 Kommentare zu Referentenentwürfen und mehr als 500 Einladungen bei Ausschusssitzungen wurden gesichtet. Ebenso lässt sich nachweisen, wer Zugang zum Bundestag über sogenannte Hausausweise besitzt. Gegenüber Organisationen der Zivilgesellschaft war die Finanzlobby in allen Phasen der Gesetzgebung deutlich überrepräsentiert.

Die Studie schließt mit den Worten:

„Die wahre Größe der Finanzlobby dürfte deutlich über den hier vorgelegten Zahlen liegen. Die Intransparenz ist gewollt, denn sie verschleiert die tatsächliche Schieflage. Ein verpflichtendes Lobbytransparenzregister würde hier einiges Licht ins Dunkel bringen. Neben der Transparenz darüber, wer hier für wen mit welchem Budget tätig ist, brauchen wir auch Transparenz bezüglich der Herkunft bestimmter Ideen oder Formulierungen in Gesetzen. (…) Transparenz reicht aber nicht aus. Es braucht eine Korrektur dieses Ungleichgewichts der Kräfte. Durch eine Politik, die auf jeder Stufe von Entscheidungsvorbereitung bis -findung auf eine gleichmäßige Repräsentanz der verschiedenen Betroffenen achtet und durch eine starke Zivilgesellschaft, die in der Lage ist, sich der Lobbyübermacht der Finanzindustrie entgegenzustellen.“ (Finanzwende, Seite 19)

Quelle:

Bürgerbewegung Finanzwende e.V. (Hg.): Ungleiches Terrain. Eine Studie zu Größe und Einfluss der Finanzobby in Deutschland, 9. Dezember 2020

https://www.finanzwende.de/themen/finanzlobbyismus/wir-fordern-transparenz/?L=0