Anne Brorhilker, ehemalige Chefermittlerin im Cum-Ex-Steuerskandal, wechselte im April 2024 zur NGO Finanzwende und begründete ihren Schritt öffentlichkeitswirksam. Unter anderem kritisierte sie massive strukturelle Defizite bei der Bekämpfung der Finanzkriminalität. In aktuellen Interviews mit Die Zeit und der Süddeutschen Zeitung (SZ) äußert sie sich zur Frage, was sich in Deutschland in Sachen Cum-Ex ändern sollte.

Die Ermittler müssten in die Lage versetzt werden, Fachkompetenz aufzubauen, so Brorhilker gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit. Bei ihr hätte es Jahre gebraucht, bis sie sich in die hochkomplexen Vorgänge der Cum-Ex-Geschäfte eingearbeitet hätte. Das könne ein Ermittler nicht mal so neben dem Alltagsgeschäft schaffen. Es brauche dafür Spezialisten. Das Fachwissen könne auch nicht jede Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung oder Polizei einzeln aufbauen.

Brorhilker in Die Zeit auf die Frage, was sie fordere:

„Dass nicht mehr jeder in seinem Bundesland und in seiner Behörde relativ allein vor sich hin wurschtelt, sondern dass Kräfte gebündelt werden und man über längere Zeit Personen in dieser Materie ausbildet, die dann auch an dem Thema dranbleiben. Derzeit machen Behörden aber das Gegenteil. Sie wechseln Personal regelmäßig aus, weil das in vielen Personalentwicklungskonzepten so angelegt ist.“

Zum Aufbau eines von der Bundesregierung angekündigten Bundesfinanzkriminalamts und der Frage, ob damit das Problem schon gelöst wäre, stellt Brorhilker fest. „Damit hätte man es lösen können. Aber der Straftatbestand der Steuerhinterziehung gehört leider nicht zu dessen Aufgabengebiet. Dabei wäre das sinnvoll gewesen.“

Ein Expertenteam solle auf Bundesebene angesiedelt werden, weil es sich um international organisierte Kriminalität handele. Das BKA sei für international organisierte Geldwäsche zuständig, warum dann nicht auch für international organisierte Steuerhinterziehung?

In der SZ beantwortet die ehemalige Staatsanwältin die Frage so:

„Ich finde es suboptimal, dass wir damit eine weitere Behörde gegen Geldwäsche bekommen sollen, obwohl wir dafür schon das Bundeskriminalamt haben. Es wäre sinnvoller gewesen, auch den Bereich der Steuerkriminalität mit reinzunehmen in die neue Behörde, was aber nicht geplant ist. Es braucht bundesweit eine zentrale Stelle für solche Ermittlungen. Es kann nicht sein, dass eine lokale Staatsanwaltschaft wie Köln in diesen Fällen für das ganze Bundesgebiet zuständig ist. Wir sollten das auch auf europäischer Ebene verfolgen, so wie die Europäische Staatsanwaltschaft das bei Umsatzsteuerkarussellen bereits tut.“

Brorhilker bewertet in Die Zeit auch die Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen, wie etwa den Aufbau des Landeszentralamts zur Bekämpfung der Finanzkriminalität in NRW und der dortigen Taskforce Geldwäsche:

„Ich will das Erreichte nicht schmälern, die Errichtung des neuen Landeszentralamts finde ich richtig. Aber schauen Sie sich die Cum-Cum-Geschäfte an (…) da liegt noch viel im Argen! Der Bundesfinanzhof hat schon 2015 entschieden, dass solche Geschäfte steuerrechtlich nicht in Ordnung sind. Daher muss der Staat das Geld zurückholen. Es gab dann weitere Urteile und auch konkrete Vorgaben des Bundesfinanzministeriums, zuletzt 2021. Wir haben jetzt 2014. Wo ist denn das Geld? Welche Bank musste denn zahlen? Nichts hören wir davon.“

In der SZ nimmt Brorhilker Stellung zur Frage, was sie sich nach ihrem Abschied als Staatsanwältin vorgenommen habe:

„Ich will das Übel an der Wurzel packen. Ich will darauf hinwirken, dass sich deutschlandweit die Strukturen der Justiz verändern. Diese Defizite bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität sind extrem sozialschädlich. Bei Cum-Ex schätzt man konservativ mit zehn Milliarden Euro Schaden für den Fiskus. Die Schäden von Cum-Cum, einer weiteren Steuerhinterziehungsmethode, die noch nicht gestoppt ist, sind mindestens dreimal so hoch, auch konservativ geschätzt. Es macht das Zusammenleben in Deutschland nicht besser, wenn uns dauerhaft Geld aus der Kasse fließt.“

Quellen:

„Sie war Deutschlands bekannteste Ermittlerin im Kampf gegen milliardenschweren Steuerbetrug. Hier sagt sie, wie der Staat sich wehren kann“, Interview mit Anne Brorhilker, Die Zeit vom 27. Juni 2024, Seite 17f.

„Ich will das Übel an der Wurzel packen“, Interview von Meike Schreiber mit Anne Brorhilker, Süddeutsche Zeitung vom 4. Juli 2024, Seite 18