Felix Klopotek schreibt in der Augustausgabe 2023 der Konkret über Elon Musk, den reichsten Menschen der Welt:

„Bewundernd, distanziert, zweifelnd und staunend schaut die hiesige Elite auf Musk. Wie soll man ihn einschätzen? Was kann man von ihm erwarten? Man weiß es nicht – und man soll es auch gar nicht wissen. Das ist die Pointe: Diese Fragen sollen unbeantwortet bleiben. Noch für eine Selbsteinschätzung, eine Erklärung in eigener Sache, ein definitives Leitbild ist Musk zu groß. So bleibt offen, wofür er steht. Ultraelitär oder lässig antibürgerlich? Globalistische Tech-Elite oder lieber Trump-Kumpel? Auf seiten der Ukraine oder doch Sympathien für Putin und Xi Jinping, weil die so harte Machertypen sind? Lächerliche Fragen aus der Sicht von Musk. Er ist da, wo er seine Chancen sieht, immer bereit zu zerstören, um Neues zu schaffen. Er verkörpert die Vision einer kapitalistischen Welt, die nach Jahren, Jahrzehnten des Klein-Kleins im Westen sich endlich entkoppeln muss von politischen Restriktionen – Liberalismus, Konservatismus, Demokratie, gar Sozialismus. All diese Begriffe stehen für die Beschränkung der privaten unternehmerischen Initiative. Musk ist noch nicht mal antipolitisch, er ist radikal apolitisch.“ (Seite 16)

Rechte Verschwörungserzählungen

Letztere Behauptung lässt sich angesichts aktueller Äußerungen des Tech-Milliardärs bezweifeln. So teilte Musk Ende September den hetzerischen Post eines offenbar rechtsextremen Nutzers seiner Internetplattform X (vormals Twitter), in dem zur Wahl der AfD aufgerufen wird, und kritisierte scharf die deutsche Migrationspolitik. Der User behauptet in seinem Tweet, dass derzeit acht Schiffe deutscher NGOs auf dem Mittelmeer „illegale Einwanderer“ aufnehmen und in Italien absetzen würden. „Hoffen wir“, so der User, „dass die AfD die Wahlen gewinnt, um diesen europäischen Selbstmord zu stoppen.“ Musk kommentierte mit Blick auf die deutschen Schiffe: „Ist die deutsche Öffentlichkeit sich dessen bewusst? (…) Sicherlich ist es eine Verletzung der Souveränität Italiens, wenn Deutschland große Mengen illegaler Einwanderer auf italienischen Boden transportiert? Das hat etwas von Invasionsstimmung.“ (Handelsblatt vom 30. September 2023)

Musk bezieht sich dabei auf die Kritik der italienischen Regierung am Auswärtigen Amt, das in diesem Jahr Seenotrettungsorganisationen mit bis zu zwei Millionen Euro unterstützt. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte sich gegenüber Bundeskanzler Olaf Scholz irritiert über die finanziellen Hilfszahlungen gezeigt. Das Handelsblatt kommentiert Musks enorme Meinungsmacht vor dem Hintergrund der politischen Aktivitäten, Flüchtende von Europa fernzuhalten: „Mit dem Tweet von Musk gewinnt die Debatte nun deutlich an Schärfe.“

 Die taz stellt klar, dass die Behauptungen von Musk & Co schlicht falsch sind:

„Tatsächlich sind von den bisher in diesem Jahr rund 133.000 an Italiens Küsten angekommenen Flüchtlingen und Migrant:innen nur rund 8 Prozent von NGO-Schiffen nach Italien gebracht wurden. (…) Zur Zeit des Tweets (…) waren nicht sieben oder acht, sondern fünf von deutschen Vereinen betriebene Rettungsschiffe im zentralen Mittelmeer unterwegs: die ‚Louise Michel‘, ‚Aurora‘, ‚Nadir‘ und ‚Trottamar III‘, dazu die von den Behörden festgesetzte ‚Humanity 1‘. Bisher erhielt kein Schiff deutsche Staatshilfe. Geplant sind Zahlungen an den Verein SOS Humanity, der die ‚Humanity 1‘ betreibt. Ob das Geld tatsächlich fließt, ist aber offen.“

Nach Auffassung der Frankfurter Rundschau  bedient sich der von Musk geteilte Aufruf zur Wahl der AfD eines Vokabulars, das an die von Rechtsextremen verbreitet rassistische und antisemitische Verschwörungserzählung des sogenannten Großen Bevölkerungsaustauschs angelehnt ist. „Unter diesem Narrativ propagieren Rechtsextreme einen angeblichen Versuch einer ‚globalen Elite‘, weiße Bevölkerungen gegen Geflüchtete ‚auszutauschen‘. Insbesondere Anhänger:innen der Identitären Bewegung verbreiten dieses Narrativ – vor allem in den sozialen Netzwerken. Auch in Bekennerschreiben rechtsextremer Terroristen findet es sich seit Jahrzehnten. (…) Elon Musk fiel bereits in der Vergangenheit immer wieder durch das Verbreiten von Verschwörungserzählungen auf: So verbreitete er einen antisemitischen Vergleich zwischen dem Comic-Bösewicht Magneto und dem liberalen Milliardär und Philanthropen George Soros. Soros – ein Überlebender des Holocaust – ist eine Hassfigur der extremen Rechten und wird in der Verschwörungserzählungen des ‚Großen Bevölkerungsaustausches‘ oft als Sinnbild ‚der Elite‘ verunglimpft. Am prominentesten in Orbàns Ungarn.“

„Produktionshölle“

Ein anderer Schauplatz: Ende September veröffentlichte das Magazin Stern die Ergebnisse einer Recherche über das Tesla-Werk im brandenburgischen Grünheide. Danach wurden gravierende Verstöße von Elon Musks Unternehmen gegen Arbeitsschutz- und Umweltauflagen festgestellt – die die Politik offenbar tatenlos hinnimmt. Die Vorwürfe des Stern beruhen teils auf Dokumenten, die Reporter:innen des Magazins offenbar einsehen konnten, teils auf Aussagen von Betroffenen, die über selbst erlittene Unfälle berichteten. Daneben, so der Stern, konnten zwei Reporterinnen in die Gigafabrik eingeschleust werden und deshalb gravierende Mängel selbst beobachten.

Das nd kommentiert die Veröffentlichung des Stern:

„Wie viel unattraktiver kann Elon Musk das Arbeiten in seiner Tesla-Gigafabrik in Grünheide noch gestalten? Keine Tarifbindung trotz Automobilindustrie, Verschwiegenheitserklärung im Arbeitsvertrag, Ellbogenmentalität gemischt mit autoritärer Führung, heiße Sommer und kalte Winter in den Fabrikhallen: Tesla scheint ein richtig mieser Arbeitgeber zu sein. Nun glänzt die Gigafabrik in Grünheide mit hohen Zahlen meldepflichtiger Arbeitsunfälle und Gruselgeschichten von Verunglückten.“ (nd vom 5. Oktober 2023)

Der von Tesla-Gründer und Provokateur Musk selbst stammende Begriff „Produktionshölle“ bezeichnet anschaulich die seit Jahren berüchtigten Arbeitsunfallstatistiken und Produktionsvorgaben des seit März 2022 produzierenden Werks von Tesla (vgl. nd vom 8. Oktober 2023).

Eine Auswahl der Vorwürfe der investigativen Stern-Recherche gegen Tesla in Grünheide:

– Tesla durfte in nicht einmal zwei Jahren die Fabrik in ein Trinkwasserschutzgebiet setzen – Das Landesamt für Umwelt und die untere Wasserbehörde des Landkreises hebelten mit etlichen Sondergenehmigungen dafür große Teile ihrer Wasserschutzverordnung aus. Zum Teil erteilten die Behörden  für illegale Bauarbeiten nachträglich Ausnahmegenehmigungen. 

– Das Werk gefährdet Mitarbeiter:innen, Umwelt und Anwohner gleichermaßen: Fast täglich ereignen sich Unfälle mit schweren und schwersten Verletzungen. Giftstoffe, Öle und Diesel versickern wegen eines zum Teil nachlässigen Umgangs im Erdreich. „Allein zwischen Juni und November 2022 gab Tesla selbst demnach 190 meldepflichtige Unfälle an. (…) Die Daten der Rettungsstellen sprechen eine ähnliche Sprache. Man kann dort nachlesen, dass Musks Fabrik im ersten Jahr nach der Eröffnung 247 Mal einen Rettungswagen oder Hubschrauber anforderte. Auf die Mitarbeiterzahl umgerechnet, sind das in einem ähnlichen Zeitraum gut dreimal so viele Notfälle wie beispielsweise in Audis Werk in Ingolstadt.“ (Seite 32)

Nach Aussage eines Gewerkschafters verletzten sich in keinem anderen Autokonzern in Deutschland so viele Menschen wie bei Tesla. Es handelt sich dabei unter anderem um Verletzungen durch Stromschläge, Verbrühungen, Salzsäure, amputierte Gliedmaßen.

– Der Konzern wurde vom Stern mit dessen Recherchen und den Vorwürfen der Mitarbeiter:innen konfrontiert, reagierte aber nicht darauf. Tesla hat mit Hilfe von Politik und Brandenburgs Behörden ein System des Schweigens geschaffen. Hinweisgeber, die über Sicherheitsmängel informierten, verloren ihren Job. Aufgrund von Verschwiegenheitsklauseln in Arbeitsverträgen können von Unfällen betroffene Beschäftigte nicht offen mit Journalisten sprechen. Mitarbeitende, die über interne Vorgänge reden, müssen mit ihrer Entlassung und Schadensersatzklagen rechnen. Tesla schottet sich gegenüber der Öffentlichkeit nahezu ab „wie ein Gefängnis“. (Seite 26).

– Brandenburgs Behörden nehmen ihre Kontrollfunktion offensichtlich nicht ernst. Aus ihren Akten, so der Stern, gehe hervor, dass seit Januar 2022 mindestens ein Mitarbeiter des Landesamts für Arbeitsschutz  mehrmals im Monat zu Tesla fährt, um die Arbeitssicherheit zu prüfen – zumeist allerdings erst nach vorheriger Ankündigung und Angabe darüber, was genau er sich ansehen will.

Dazu der Kommentar des Stern:

„Es ist das eine, dass die Regierung eines Bundeslandes stolz ist auf die Ansiedlung eines Weltkonzerns, den Regierungen und Regionen in ganz Europa umworben haben. Und gute Beziehungen zu diesem Konzern zu unterhalten, weil es allen Seiten nutzt. Etwas ganz anderes ist es, wenn Politiker und Behörden dabei zusehen, wie ein Unternehmen systematisch Menschen und die Umwelt in Gefahr bringt und gegen Auflagen und Gesetze verstößt. Oder sogar mithelfen, dass diese Missstände möglichst nicht auffallen.“ (Seite 35)

Stephan Kaufmann bilanziert nüchtern für das nd:

„Tesla unterscheidet sich von der deutschen Konkurrenz nur dadurch, dass es die geltenden Regeln des kapitalistischen Geschäfts besonders konsequent umsetzt. Genau deswegen ist der Konzern ja auch besonders erfolgreich: Umsatz in drei Jahren verdreifacht, Gewinn versiebenfacht. ‚Es sind die Leute in diesen Fabriken, die unseren Wohlstand schaffen‘, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Werkseröffnung im März 2022. Seitdem hat sich Teslas Börsenwert um 170 Milliarden Dollar erhöht.“

Eine positive Meldung zum Schluss: Nach Angaben der IG Metall forderten am 9. Oktober mehr als 1.000 Beschäftigte von Tesla „bei einer erstmaligen Aktion in der Fabrik in Grünheide gemeinsam bessere Arbeitsbedingungen“. (Handelsblatt vom 9. Oktober 2023) Sie hätten sich mit einem Slogan auf IG-Metall-Aufklebern und T-Shirts gezeigt: „Gemeinsam für sichere & gerechte Arbeit bei Tesla“.

Quellen:

Christian Esser/Manka Heise/Tina Kaiser: “Außer Kontrolle”, Stern vom 26. September 2023, Seite 24-37 

Kilian Beck: „Musk teilt AfD-Wahlaufruf und liefert sich Schlagabtausch mit deutschen Außenministerium“,

Frankfurter Rundschau (Online) vom 3. Oktober 2023

https://www.fr.de/politik/gegen-baerbock-ministerium-verschwoerungserzaehlung-musk-schiesst-92552088.html

Christian Jakob: „Elon Musk hetzt gegen Seenotrettung“, taz (Online) vom 2. Oktober 2023

https://taz.de/Elon-Musk-hetzt-gegen-Seenotrettung/!5964281/

Stephan Kaufmann: „Tesla: Weltweit berüchtigte Arbeitsunfallstatistiken“, Neues Deutschland (Online) vom 8. Oktober 2023

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176660.gruenheide-tesla-weltweit-beruechtigte-arbeitsunfallstatistiken.html?

Felix Klopotek: „Logik des Schreckens“, Konkret 8/2023, Seite 16-18

Jule Meier: „Arbeitsunfälle bei Tesla in Grünheide: Arm ab und arm dran“, Neues Deutschland (Online) vom  5. Oktober 2023

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176737.arbeitsschutz-arbeitsunfaelle-bei-tesla-in-gruenheide-arm-ab-und-arm-dran.html?

Dietmar Neuerer: „Elon Musk teilt Beitrag mit Aufruf zur Wahl der AfD – Kritik von den Grünen“, Handelsblatt (Online) vom 30. September 2023

https://www.handelsblatt.com/politik/international/tesla-chef-elon-musk-teilt-beitrag-mit-aufruf-zur-wahl-der-afd-kritik-von-den-gruenen/29421492.html

„Über 1000 Tesla-Mitarbeiter für bessere Arbeitsbedingungen“, Handelsblatt (Online) vom 9. Oktober 2023

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/ig-metall-ueber-1000-tesla-mitarbeiter-fuer-bessere-arbeitsbedingungen/29434870.html