Eine gemeinsame Recherche des ARD-Magazins Panorama und von ZEIT Online ergab, dass der bundesweit größte Hersteller von Infusionen für Krebstherapien, die Firma ZytoService, ein neues Betrugsmodell der ganz großen Art entwickelt hat. Am 17. Dezember 2019 wurde deshalb die größte Razzia durchgeführt, die bislang von der Hamburger Wirtschaftsstaatsanwaltschaft angeordnet worden ist. 420 Polizisten durchsuchten dabei insgesamt 58 Objekte: Arztpraxen, Apotheken, einige Firmensitze, Privathäuser und ein Krankenhaus. Den Beschuldigten (mehrere Ärzte, Apotheker und Pharma-Manager) wird laut Staatsanwaltschaft Hamburg „Bestechung im Gesundheitswesen in besonders schwerem Fall“ und „bandenmäßiger Betrug“ vorgeworfen (Höchststrafe 10 Jahre Gefängnis).

Im Fokus der Ermittlungen stehen dabei die drei Gründer von ZytoService. Sie sollen in den vergangenen Jahren systematisch Ärzte bestochen haben, die offenbar im Gegenzug unter Beteiligung einer konzernnahen Apotheke profitable Rezepte für die Infusionen ausstellten. Diese wurden offensichtlich zu Unrecht bei den Kassen abgerechnet, so dass allein der Techniker Krankenkasse seit Januar 2017 ein Schaden von 8,6 Millionen Euro entstanden sei. Die DAK schätzt ihren Verlust sogar auf 18,2 Millionen Euro.

ZEIT Online schrieb am 18. Dezember 2019: „Es ist nicht der erste Verdacht von Korruption im Milliardenmarkt mit Krebsmitteln. Aber der Fall hat eine neue Dimension, weil es neben klassischer Bestechung um eine neue Methode geht: Statt Ärzte in geheimen Treffen Geld auf Nummernkonten im Ausland zu versprechen, werden die Mediziner ganz offen und auf den ersten Blick legal gekauft.“

Die Masche von ZytoServive läuft demnach so: ZytoService erwarb über ein bundesweit verflochtenes Firmenkonstrukt ganze Arztpraxen. Dabei soll der Konzern ein Vielfaches des üblichen Marktpreises gezahlt haben. Anschließend wurden die Praxen in sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZ) umgewandelt. Die dort angestellten Ärzte sollen Rezepte für die Herstellung der Infusionen exklusiv an ZytoService weitergeleitet und dafür eine Beteiligung am Umsatz als Boni erhalten haben.

Damit Ärzte sich am Patientenwohl und nicht vorrangig an wirtschaftlichen Interessen orientieren, ist es Apothekern und Herstellern allerdings gesetzlich verboten, sich an Arztpraxen zu beteiligen, um die Nachfrage nach ihren eigenen Produkten kontrollieren zu können. Möglicherweise nutzte ZytoService eine Gesetzeslücke, um diese Bestimmung zu umgehen. Denn gemeinnützige Organisationen oder Krankenhäuser dürfen MVZ kaufen.

ZytoService ist offiziell selbst nicht Gründer und Besitzer der MVZ, sondern eine sehr kleine Hamburger Stadtteilklinik (mit lediglich 15 Betten und ohne eigene onkologische Abteilung). Diese eröffnete seit 2014 bundesweit 15 dieser Versorgungszentren. Zunächst gehörte die Klinik, also die „Mutter“ der MVZ, direkt ZytoService. Mittlerweile aber ist wiederum der Mutterkonzern von ZytoService, die Alanta Health Group, die Inhaberin der Klinik.

ZytoService bzw. die Alanta Health Group verweigerten den Redaktionen von Panorama und ZEIT Online eine diesbezügliche Stellungnahme.

Quellen:

Robert Bongen, Oliver Hollenstein, Niklas Schenck, Oliver Schröm, Caroline Walter: Кrebsmedikamente: Wie man sich einen Onkologen kauft, ZEIT Online, 18.12.2019
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-12/krebsmedikamente-zytoservice-betrug-onkologen-gesetzesluecke-hamburg/komplettansicht

Dies.: „Krebstherapie: Offenbar neues Betrugsmodell“, Panorama, Stand: 18.12.2019
https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2019/Krebstherapie-Offenbar-neues-Betrugsmodell,zytostatika112.ht

https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2019/Panorama-vom-19-Dezember-2019,panoramaarchiv492.html