Am 4. Dezember 2020 verurteilte das Landgericht Wien den früheren österreichischen Finanzminister Karl-Heinz Grasser wegen Untreue zu acht Jahren Haft. Grasser war von Anfang 2000 bis Anfang 2007 im Amt. Im Jahr 2004 waren 60.000 Wohnungen der Buwog (Bauen und Wohnen GmbH), die sich zuvor im Eigentum der öffentlichen Hand befunden hatten, privatisiert worden. Fünf Jahre später begann die österreichische Justiz mit ihren Ermittlungen sowohl gegen den früheren Finanzminister als auch gegen einzelne Lobbyisten, die den Privatisierungsdeal eingefädelt hatten. Denn erst 2009 waren die Ermittler zufällig im Rahmen eines anderen Verfahrens auf Unstimmigkeiten bei der Buwog-Privatisierung gestoßen. Zunächst war die Firma CA Immo als meistbietender Käufer favorisiert worden – den Zuschlag erhielt dann jedoch überraschenderweise die Immofinanz-Gruppe. Offenbar hatte Grasser dem Immobilienkonzern Informationen über das Angebot des bis zu diesem Zeitpunkt meistbietenden Unternehmens CA Immo gegeben. Dank der Insiderinformation konnte das Konsortium um die Immofinanz mit einem kleinen Aufschlag die Immobilien in Besitz nehmen. Im Gegenzug floss Schmiergeld. Laut Urteilsverkündung hätten Grasser und andere Verdächtige rund 9,6 Millionen Euro erhalten – ein Prozent des Kaufpreises von 961 Millionen Euro. Das Gerichtsverfahren selbst begann Ende 2017. Das in erster Instanz gefällte Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Aus Presseberichten (Online) zum Ausgang des Verfahrens:
Der Standard (Wien)
„An drei Jahreszahlen lässt sich die Causa Buwog festmachen: 2004, 2009 und 2017 bis 2020. Im Jahr 2004, unter der ÖVP-FPÖ-Regierung Schüssel II und Finanzminister Grasser (bis 2003 FPÖ), wurden die staatlichen Bundeswohnungsgesellschaften (darunter die Buwog) in einer überraschend ausgerufenen zweiten Bieterrunde um 961 Millionen Euro ans Österreich-Konsortium aus Immofinanz, Raiffeisenlandesbank (RLB) OÖ und Wiener Städtische verkauft. Die CA Immo, in der ersten Runde weit voran, hatte mit einem hauchdünnen Unterschied von nur einer Million Euro das Nachsehen. Meischberger (Walter Meischberger, ehemaliger Lobbyist und Ex-Politiker der FPÖ, Anm. d. Red.) und Lobbyist Peter Hochegger kassierten abseits des Lichts der Öffentlichkeit zusammen fast zehn Millionen Euro an Erfolgshonorar.
2009, Grasser war längst selbstständig tätig, flog das Honorar im Verfahren zur Pleite der Constantia Privatbank auf. Es folgten: sieben Jahre an Ermittlungen durch die WKStA, Hausdurchsuchungen, Kontoöffnungen, Telefonüberwachungen, Rechtshilfeersuchen in der halben Welt, Rechtsmittel der Beschuldigten, Staatsanwaltswechsel. Bis 2016 Anklage erhoben wurde und am 12. Dezember 2017 die Hauptverhandlung zum größten Korruptionsprozess der Zweiten Republik begann.“
Renate Graber: „Schuldig oder nicht? Grasser-Urteil 16 Jahre nach der Privatisierung“, Der Standard vom 4. Dezember 2020 (Online)
kurier.at (Wien)
„Es war ein Urteil, mit dem im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts wohl wenige gerechnet hatten. (…) Der Ex-Finanzminister ist in erster Instanz nicht rechtskräftig wegen Untreue, Geschenkannahme durch Beamte und Beweismittelfälschung zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Das Strafmaß fällt deswegen relativ hoch aus, weil bei einem ehemaligen Minister die Höchststrafe nicht bei zehn, sondern bei 15 Jahren liegt.“
Ida Metzger: „Grasser & Meischberger: Eine schicksalhafte Allianz“, kurier.at (Wien), 5. Dezember 2020
https://kurier.at/politik/inland/eine-schicksalhafte-allianz/401120703
Handelsblatt
„Alles an diesem Prozess war monströs: Die Ermittlungen hatten sieben, die Verhandlungen vor einem Wiener Schöffengericht drei Jahre gedauert. Die Anklageschrift weist einen Umfang von 825 Seiten auf. Die Staatsanwälte stellten im Verlauf des Verfahrens 40 Rechtshilfegesuche an ausländische Staaten, unter anderem weil die vermuteten Bestechungsgelder via einer zypriotischen Firma nach Liechtenstein geflossen waren.
Und episch war am Schluss der Richterspruch: Hohenecker (die Richterin, Anm. d. Red.) benötigte mehr als zweieinhalb Stunden, um das Urteil zu verkünden und zu begründen. Wirtschaftsverfahren sind komplex und dauern, das hat sich einmal mehr gezeigt. (…) Laut Hohenecker gelang es der Staatsanwaltschaft nachzuweisen, dass Grasser dem siegreichen Konsortium über Mittelsmänner einen Tipp gegeben hatte, wie viel die Konkurrenz für die Wohnungen geboten hatte. Dafür ließ er sich belohnen. Er und drei Kumpane sollen als Provision 9,6 Millionen Euro bekommen haben, also ein Prozent der Transaktionssumme.
Einer dieser Mitwisser, der Lobbyist und Grasser-Freund Walter Meischberger, hatte dafür laut Staatsanwaltschaft in Liechtenstein für den Finanzminister das Konto 400.815 eingerichtet – eine Nummer, die in Österreich mittlerweile manche so gut kennen wie ihre eigene Geheimzahl.
Daniel Imwinkelried: „Ex-Finanzminister Grasser wegen Korruption zu acht Jahren Haft verurteilt“, Handelsblatt vom 6. Dezember 2020
taz
„Grasser, selbst parteilos aber von Jörg Haider im Jahr 2000 zum jüngsten Finanzminister der Republik bestellt, galt anfangs als smarter Shooting Star der Politik, geriet aber immer heftiger in den Ruch der Bestechlichkeit.
Seine private Homepage ließ er sich von der Industriellenvereinigung sponsern, beim Kauf von Abfangjägern änderte er über Nacht seine Position von der billigsten Variante zu den teuren Eurofightern. Der Konzern EADS gab bei einem Prozess in den USA zu, dass bei dem Deal Schmiergeld geflossen sei. (…) In ihrer Urteilsbegründung zitierte die Richterin Legionen von Zeugen, die Grasser und seine Spezis belastet hatten. Verschleierungshandlungen und Beweismittelfälschungen konnten nachgewiesen werden. Wer rechtmäßig Zahlungen in Österreich bekommt, ‚braucht keine Konten in Liechtenstein oder Delaware‘, so Richterin Hohenecker. Neben den Prozesskosten müssen die Verurteilten auch den Schaden von 9,6 Millionen Euro plus 4 Prozent Zinsen berappen.“
Ralf Leonhard: „Acht Jahre Haft für Grasser“, taz vom 4. Dezember 2020
https://taz.de/Korruption-in-Oesterreich/!5736679/
Süddeutsche Zeitung
„Auch wenn Grasser und seine Spezis Berufung angemeldet haben, so wird damit offiziell, was viele stets vermutet haben. Die Truppe der rechten FPÖ, die sogenannte Buberlpartie unter Jörg Haider, hat den Staat als Selbstbedienungsladen betrachtet. (…) Dieses Gerichtsverfahren hat die Abzocker-Praktiken von Politikern öffentlich gemacht. Für einen Tipp zur Privatisierung von Bundeswohnungen kassierten Grasser und seine Freunde Millionen, die über getarnte Konten ins Ausland geschleust wurden. Vor Gericht versuchte der Ex-Minister, alle für dumm zu verkaufen – mit seiner Erklärung, dass die halbe Million Euro in einem Koffer, die er nach Liechtenstein geschafft hatte, Geld seiner Schwiegermutter sei.
Abgestraft wurde ein System, das in Österreich weit verbreitet ist, dort aber nicht Korruption genannt wird, sondern Freunderlwirtschaft. Zum ersten Mal wurde ein Politiker wegen eines ‚Tatplans zur illegalen Bereicherung auf Kosten der Republik‘ mit einer so hohen Haftstrafe belegt. Dieses Urteil hat Signalwirkung und zeigt, dass der Rechtsstaat in Österreich funktioniert.“
Alexandra Föderl-Schmid: „Der Rechtsstaat lebt“, Süddeutsche Zeitung vom 4. Dezember 2020
Über Grasser schrieb das Handelsblatt bereits am 13. November 2020:
„Als junger Mann war Grasser einst ähnlich schnell aufgestiegen wie später der heutige Bundeskanzler Sebastian Kurz. Im Alter von nur 25 Jahren wurde er 1994 Vizelandeshauptmann von Kärnten, und zwischen 2000 und 2007 bekleidete er unter Kanzler Wolfgang Schüssel das Amt des Finanzministers. Schüssel hielt viel vom forschen Jungpolitiker; dieser hatte sich ganz dem Ziel eines ausgeglichenen Budgets verschrieben, wobei umstritten ist, ob er als Minister mehr zustande brachte als bloße Budgetkosmetik.
Aber während Kurz weithin eine gewisse Bewunderung genießt und als politisches Naturtalent gilt, schlugen Grasser stets Neid und Missgunst entgegen. Die einen hielten das Auftreten des jungen Finanzministers für forsch und besserwisserisch. Selbst seinem frühen Förderer, dem FPÖ-Präsidenten Jörg Haider, soll er über den Mund gefahren sein. Andere warfen dem gut aussehenden Jungpolitiker Eitelkeit vor.
Am meisten eckte Grasser bei Politikern und Journalisten aber mit seinem Hang zum Glamour an. 2005 heiratete er Fiona Swarovski, ein Mitglied der weitverzweigten Besitzerfamilie des gleichnamigen Herstellers von Kristallglas. Für den ehemaligen Kanzler Franz Vranitzky war Grasser von da an der ‚Badehosen-Finanzminister der Spaßgesellschaft‘.
Dabei scheinen die Kritiker zu vergessen, wie sehr Grasser ein Produkt von Österreichs politischer Kultur ist. Ob wahr oder falsch – es gibt unzählige Geschichten, die Grasser als einen Meister der ‚Freunderlwirtschaft‘ zeigen und zumindest Zweifel an seinem Gebaren in Geldfragen wecken.“
Daniel Imwinkelried: „Bestechung beim Immobiliendeal? Prozess gegen Österreichs Sunnyboy-Finanzminister vor dem Urteil“, Handelsblatt vom 13. November 2020
Hintergrundinformationen zur Buwog-Affäre:
https://www.msn.com/de-at/nachrichten/other/was-in-der-buwog-aff%C3%A4re-bisher-geschah/vi-BB1a4qG8
https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/BUWOG-Aff%C3%A4re
https://kurier.at/politik/inland/was-sie-ueber-den-buwog-prozess-wissen-muessen/301.619.969