„Die Corona-Krise ist ein Eldorado für die klassische Klüngel- oder Amigo-Wirtschaft“, stellte jüngst der Journalist Wolfgang Michal in der Wochenzeitung der Freitag fest. Eine wichtige Voraussetzung dafür sieht er darin, dass die Erteilung von öffentlichen Aufträgen bei Ereignissen, die der Staat nicht voraussehen kann, laut Vergabeverordnung völlig intransparent ablaufen darf – etwa bei einer pandemiebedingten Beschaffung von Masken, Schutzkleidung und Beatmungsgeräten. „Mit diesem Freibrief genehmigt sich der Staat die Erlaubnis, alle bis dahin hochgehaltenen Wettbewerbsregeln außer Kraft zu setzen und Leistungen völlig unkontrolliert zu jeder Bedingung und zu jedem Preis einkaufen zu können.“ (Freitag vom 4. März 2021)

In den letzten Wochen geriet vor allem Jens Spahn (CDU) in die öffentliche Kritik – zum einen, weil er in seiner Funktion als Gesundheitsminister die Notlage der Pandemie zu umstrittenen Deals genutzt hat. Und zum anderen wurden private Immobiliengeschäfte bekannt, die den Verdacht nahelegten, er könne Berufliches und Privates vermischt haben. So soll der Medienkonzern Burda einen Direktauftrag zur Lieferung von Masken erhalten haben. Bemerkenswert ist dabei, dass der Ehemann von Spahn, Daniel Funke, als Lobbyist für Burda in Berlin arbeitet. Der Schauspieler Marcus Mittermeier frotzelte auf Twitter:„Deutschland hat einfach Pech, dass Spahn nicht jemand von Biontech* geheiratet hat.“ (Frankfurter Rundschau vom 23. März 2021)

Der Leitartikler der Frankfurter Rundschau nimmt die „Wirtschaftsnähe“ von Unionspolitikern generell aufs Korn:

„Bundesgesundheitsminister Jens Spahn war vielfach überfordert damit, die Maßnahmen in der Corona-Pandemie aus eigener Kraft zu organisieren. In der Not gibt sich der Charakter eine Blöße. Heißt bei Jens Spahn: Er vertraute nicht seinem Ministerium oder den zugeordneten Instituten und ihren Fachleuten. Er dachte zuerst an die Kumpels in Konzernen. Automatisch fließt damit auch Geld in die freie Wirtschaft und nicht in bundeseigene Institutionen. (…) Diese Vorgehensweise selbst ist das Problem, und sie hat leider System bei Unionspolitikern – sie verhindert Kontrolle und lädt zur Korruption ein. Schon bei der Corona-App hat Jens Spahn nach langem Zögern sehr viele Millionen aufgewendet und führende deutsche IT-Unternehmen damit beauftragt. Nie zu sehen war ein oberster IT-Experte des Gesundheitsministeriums – weil es ihn schlicht nicht gibt, weil es bis heute versäumt wird, eine von der Wirtschaft unabhängige, vielleicht sogar unangenehm widersprechende Kompetenz analog zum Robert-Koch-Institut aufzubauen. (…) Apropos Unabhängigkeit. Wer wurde Chef des Unternehmens, das für die Sicherheit aller Patientendaten zuständig ist? Jener Manager, der Jens Spahn zwei Jahre zuvor eine Wohnung in Berlin verkauft hat.“

Jens Spahn soll tatsächlich im Jahre 2017 von dem Pharmamanager Markus Leyck Dieken eine Wohnung in Berlin Schöneberg für rund eine Million Euro gekauft haben. Im Sommer 2019 übernahm dann Leyck Dieken die Aufgabe eines Chef-Digitalisierers im deutschen Gesundheitswesen und damit die Geschäftsführung der mehrheitlich bundeseigenen Gematik GmbH bei einem deutlich höheren Gehalt als sein Vorgänger. Öffentlich kritisiert wurde, dass Spahn damit „einen alten Freund in einen Top-Job holte“, wie der Berliner Tagesspiegel schrieb. (Tagesspiegel vom 22. Dezember 2020)

* Seit März 2020 entwickelt das Biotechnologie-Unternehmen Biontech in Kooperation mit dem US-amerikanischen Pharmakonzern Pfizer einen Covid-19 Impfstoff.

Detaillierte Informationen über den Aufstieg von Jens Spahn und den Verbindungen zwischen seinen privaten Geschäften und seiner politischen Karriere finden sich unter anderem im Nachrichtenportal t-online und bei Lobbypedia:

Jonas Mueller-Töwe: „Politisches Kapital: Wie Jens Spahn mit Politik Millionen machte“, t-online vom 29. März 2021

https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_89687398/wie-gesundheitsminister-jens-spahn-mit-politik-millionen-machte.html

https://lobbypedia.de/wiki/Jens_Spahn

 

Weitere Quellen:

Thomas Kaspar: „Union in der Corona-Krise: Überforderte Egomanen statt Expertenmeinungen“, Frankfurter Rundschau vom 22. März 2021

https://www.fr.de/meinung/kommentare/cdu-csu-andreas-scheuer-jens-spahn-corona-krise-impfstab-skandale-masken-90256889.html

Wolfgang Michal: „Jens Spahn genießt das“, der Freitag vom 4. März 2021

https://www.freitag.de/autoren/wolfgang-michal/jens-spahn-geniesst-das

Jost Mülller-Neuhof: „Wie Jens Spahn einen alten Freund in einen Top-Job holte“, Tagesspiegel vom 22. Dezember 2020

https://www.tagesspiegel.de/politik/nach-wohnungskauf-fuer-980-000-euro-wie-jens-spahn-einen-alten-freund-in-einen-top-job-holte/26737118.html

Mirko Schmid: „Jens Spahn: Gesundheitsministerium soll Masken bei Firma gekauft haben, bei der sein Ehemann angestellt ist“, Frankfurter Rundschau vom 23. März 2021

https://www.fr.de/politik/jens-spahn-ehemann-daniel-funke-masken-gesundheitsministerium-burda-nuesslein-loebel-sauter-cdu-csu-90255762.html