Nach einem Bericht der Financial Times (FT) haben zwei interne Hinweisgeber die Compliance-Abteilung der Bahn offenbar erfolglos vor einem möglichen Betrug beim Megaprojekt „Stuttgart 21“ gewarnt. Die beiden ehemals am Projekt beteiligten Mitarbeiter behaupten, so die britische Tageszeitung, dass ein erheblicher Teil der Kostenexplosion des Projekts auf massives Missmanagement und mögliche Korruption zurückzuführen sei. Leitende Angestellte des Staatsunternehmens hätten unnötige Arbeiten in Auftrag gegeben, wobei Mehrkosten in Höhe von 600 Millionen Euro entstanden seien. Die Whistleblower vermuteten laut FT, dass die hochrangigen Manager dafür auch Gegenleistungen erhielten.

„Als Beispiel hätten sie ein elektrisches Umspannwerk genannt, das nicht Teil der ursprünglichen Planungen gewesen sei“, schreibt das Manager Magazin. „Einer der Ingenieure sei von seinen Vorgesetzten dazu gedrängt worden, den Auftrag im Wert von rund 2,5 Millionen Euro zu vergeben, obwohl eine Alternativlösung für nur 30.000 Euro verfügbar war. In diesem Fall habe sich der Mitarbeiter erfolgreich gegen das Ansinnen gewehrt. In anderen Fällen hätten hochrangige Manager aber die Hinweise auf unnötige Kosten ignoriert – etwa als es um die Verlegung einer U-Bahn-Haltestelle ging, deren Kosten normalerweise mit der Kommune geteilt worden wären.“

Die Deutsche Bahn wies die Vorwürfe gegenüber der FT zurück und erklärte, dass eine mehr als einjährige Untersuchung der vermeintlichen Unregelmäßigkeiten kein Fehlverhalten zutage gebracht habe. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen) hat die Deutsche Bahn dennoch aufgefordert, die Vorwürfe schnell aufzuklären. Das Land leiste schließlich den erheblichen finanziellen Beitrag von fast zwei Milliarden Euro für das Projekt und für die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm.

Das Handelsblatt bemerkt grundsätzlich dazu:

„Stuttgart 21, die Verlegung des Bahnhofs und der umliegenden Gleise unter die Erde, ist eines der umstrittensten Bauvorhaben der Deutschen Bahn. Es gab und gibt nach wie vor heftige Bürgerproteste. Einst mit Baukosten von 2,5 Milliarden Euro beziffert, wird der Neubau wohl mindestens 8,2 Milliarden Euro kosten, vielleicht sogar zehn Milliarden Euro. Auch wird der neue Hauptbahnhof deutlich später eröffnet als geplant, statt im Jahr 2019 nun erst 2025. (…) Projekte dieser Größenordnung sind chronisch anfällig für Korruption und Betrug. So gab es in der mittlerweile langen Geschichte von Stuttgart 21 Strafanzeigen von zwei Rechtsanwälten gegen den damaligen Bahnchef Rüdiger Grube und seinen Vorstandskollegen Volker Kefer sowie den aktuellen Infrastrukturvorstand Roland Pofalla, allerdings bislang ohne weitere Folgen. Der Vorwurf: Die Top-Manager würden dem Bahnkonzern Schaden zufügen, weil sie das unwirtschaftliche Projekt fortführen.“

Anmerkung:

Die Deutsche Bahn ist seit ihrer Gründung im Jahr 1994 eine Aktiengesellschaft, die sich zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes befindet.

 

Quellen:

„Bahn-Mitarbeiter warnten vor Korruption bei Stuttgart 21“, Manager Magazin (Online) vom 25. November 2021

https://www.manager-magazin.de/unternehmen/industrie/stuttgart-21-kostenexplosion-bahn-mitarbeiter-warnten-vor-korruption-laut-ft-bahn-widerspricht-a-b563dbd4-9069-485d-b629-18a68401f84e

Simon Zeise: „Korruptionsvorwürfe gegen Bahn AG“, junge Welt (Online) vom 25. November 2021

https://www.jungewelt.de/artikel/415366.milliardengrab-korruptionsvorw%C3%BCrfe-gegen-bahn-ag.html

Jens Koenen: „Bahn wehrt sich gegen Korruptionsvorwürfe bei Stuttgart 21“, Handelsblatt (Online) vom 25. November 2021

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/grossprojekt-in-stuttgart-bahn-wehrt-sich-gegen-korruptionsvorwuerfe-bei-stuttgart-21/27833970.html

„Korruptionsvorwürfe bei Stuttgart 21: Hermann für Aufklärung“, Süddeutsche Zeitung (Online) vom 26. November 2021

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verkehr-stuttgart-korruptionsvorwuerfe-bei-stuttgart-21-hermann-fuer-aufklaerung-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-211126-99-153070