Razzia im Ruhrgebiet: Am 7. März 2023 durchsuchten die Staatsanwaltschaft Bochum und das Landeskriminalamt NRW unter anderem die Zentrale von Deutschlands größtem Immobilienkonzern. Gegen mehrere Mitarbeiter des Konzerns, die offensichtlich dem mittleren Management zuzuordnen sind, und weitere Beteiligte werde wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Bestechung, der Untreue und des Betrugs ermittelt, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Vier Personen wurden in dem Zusammenhang verhaftet. Die beschuldigten Mitarbeiter sollen danach für das Wohnungsunternehmen tätige Firmen bei der Auftragsvergabe bevorteilt und dafür als Gegenleistung Geld oder Sachleistungen erhalten haben. Die beauftragten Subunternehmen ihrerseits werden verdächtigt, die Vonovia-Mitarbeiter bestochen und überhöhte Preise verlangt zu haben. Dabei sollen sogenannte Leistungsverzeichnisse manipuliert worden sein, um den beauftragten Unternehmen zu ermöglichen, nicht erbrachte Leistungen abzurechnen. Das so erschlichene Geld wurde, so die bisherigen Ermittlungen, untereinander aufgeteilt. Über die Schadenshöhe äußerten sich die Ermittler bislang nicht.

Rolf Buch, CEO von Vonovia, sieht den Konzern als alleinigen Geschädigten: „Wir sind erschüttert. Offenbar haben sich einzelne Mitarbeiter bei unseren Tochterunternehmen zum Schaden von Vonovia bestechen lassen – das ist nicht akzeptabel.“ (Pressemitteilung Vonovia vom 7. März 2023) Denn es handele sich um Leistungen, die dem Unternehmen zwar in Rechnung gestellt worden seien, aber nicht unmittelbar zulasten der Mieterinnen und Mieter gehen würden. Laut Konzernmitteilung schätzt Vonovia die Auswirkungen als sehr gering ein. Denn die Aufträge, die an die von den Untersuchungen betroffenen Drittunternehmen vergeben wurden, hätten im vergangenen Jahr weniger als ein Prozent des von Vonovia insgesamt ausgegebenen Auftragsvolumens betragen. Und von den kriminellen Machenschaften sei nur ein Teil der Aufträge betroffen. Der Vorstand habe die unabhängige Prüfungsgesellschaft Deloitte sowie die Kanzlei Hengeler Mueller mit einer internen Untersuchung der Vorgänge beauftragt. Gegenstand der Untersuchungen sei, ob es sich hier um Kostenpositionen handele, „die in den Folgeprozessen auch in Teilen weiterverrechnet wurden“. Das Abwenden von Schaden für die Mieterinnen und Mieter sei für Vonovia besonders wichtig, heißt es weiter im Presseportal des Konzerns.

Dem widersprechen Vertreter:innen von Mieterorganisationen vehement. Denn diese bekämpfen seit Jahren die undurchsichtige Vorgehensweise von Vonovia und anderen Wohnungsunternehmen etwa bei der Berechnung von Betriebskosten und der Umlage von Modernisierungsmaßnahmen. So weist der „MieterInnenverein Witten“ darauf hin, dass auch in diesem mutmaßlichen Korruptionsfall in erster Linie die Mieter:innen die Geschädigten sind, denn sie würden schließlich die gefälschten Rechnungen über Modernisierungsmieterhöhungen und Nebenkosten bezahlen müssen.

„Als Mieterverein kommen uns die Vorwürfe bekannt vor. Seit Jahren entdecken MieterInnen in Betriebskosten- und Modernisierungsabrechnungen immer wieder Positionen, für die es nach ihrer Beobachtung keine Leistung gab. Zum Beispiel wurden den Mietern Winterdiensteinsätze berechnet, die nie stattgefunden haben. Seit vielen Jahren werden ausgerechnet in zugemüllten Wohnvierteln in Witten-Heven Kosten für mehrfach wöchentlich durchgeführte ‚Mülldienstleistung‘ verlangt, die noch nie beobachtet wurden. Es wurden auch Modernisierungsarbeiten mieterhöhungswirksam abgerechnet, obwohl sie noch gar nicht abgeschlossen waren. Jeder Mieter, der die ‚Vonovia-App‘ nutzt, kann beobachten, dass die dort mitgeteilten Arbeitseinsätze oft nicht stimmen. Es handelt sich bei diesen ‚Phantomabrechnungen‘ offensichtlich nicht um Einzelfälle. Sie werden durch das intransparente ‚Abrechnungssystem‘ der Vonovia zumindest begünstigt. Ein System, das wir nicht akzeptieren.“ (8. März 2023)

Auch der Deutsche Mieterbund (DMB) kritisiert die fehlende Transparenz bei der Umlage von Betriebskosten durch Vonovia und die Umlage von Kosten auf Mieterinnen und Mietern für Arbeiten, die nie stattfanden. In einer Pressemitteilung des DMB heißt es:

„Der Deutsche Mieterbund erwartet, dass die Konzernspitze den möglicherweise kriminellen Machenschaften in den eigenen Reihen entschlossen entgegentritt, über entstandene und auf Mieterinnen und Mieter in der Vergangenheit umgelegte Kosten umfassend Rechenschaft ablegt und zu Unrecht umgelegte Kosten zügig erstattet. Zudem muss Vonovia bei der Umlage von Kosten endlich transparent und in einer prüffähigen Form handeln, eine Forderung, die der Deutsche Mieterbund und seine Mietervereine seit Jahren an den Konzern richten, bislang leider erfolglos.“

Stellten sich die Vorwürfe als wahr heraus, so Lukas Siebenkotten, Präsident des DMB, seien die Geschädigten in erster Linie Mieterinnen und Mieter, auf deren Rücken sich die Mitarbeitenden bereichert hätten. Diesen Skandal solle die Konzernspitze in den Fokus rücken und mit allen Mitteln vergangenes Unrecht aufklären, die Schäden erstatten und illegale Machenschaften in Zukunft verhindern.

Die staatsanwaltlichen und polizeilichen Ermittlungen treffen Vonovia zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Der Konzern war zuletzt stark für die Ankündigung kritisiert worden, wegen gestiegener Finanzierungskosten (steigende Baukosten und -zinsen) im laufenden Jahr keine Neubauprojekte mehr durchzuführen – trotz des gravierenden Wohnungsmangels in Deutschland. Zudem kündigte Vonovia-Chef Buch Mitte März bei der Vorstellung des Geschäftsberichts 2022 an, der nächsten Hauptversammlung am 17. Mai vorzuschlagen, die Dividende je Aktie deutlich zu kürzen, von 1,66 Euro auf 85 Cent. Zwar konnten Umsatz und operatives Ergebnis im letzten Jahr kräftig zulegen, unter dem Strich aber stand ein dickes Minus. Denn wegen sinkender Immobilienpreise mussten die Buchwerte der Immobilien nach unten korrigiert werden.

Die börsennotierten Wohnungskonzerne stecken aktuell offensichtlich in der Klemme. Knut Unger, Sprecher des „MieterInnenvereins Witten“, beschreibt die Voraussetzungen für die weitere Handlungsfähigkeit Vonovias:

„Für das bisherige wachstumsorientierte Geschäftsmodell stellt die Halbierung der Dividende (..) einen radikalen Bruch dar. Der Konzern ist mehr denn je auf steigende Mieten angewiesen. Deren Basis ist die immer schärfere Wohnungsnot. Zweites Standbein sind potenzielle Käufer, einschließlich Kommunen, die auch weiterhin spekulativ hohe Immobilienwerte zahlen können und zahlen wollen. Und das dritte Standbein sind die staatlichen Wohnungsbau- und Klimaziele. Mangels vorhandener Alternativen könnten sie die öffentliche Hand zwingen, dem größten europäischen Wohnungskonzern noch mehr als bislang schon üblich unter die Arme zu greifen.“ (17. März 2023)

Das Überleben des finanzmarktorientierte Geschäftsmodell der Vonovia ist nach Auffassung Ungers offenbar zunehmend darauf angewiesen, dass öffentliche Gelder nachgeschossen werden. „Wäre es da politisch nicht sinnvoller“, schlussfolgert er, „den Konzern von der Börse zu nehmen und seine Immobilien und Produktionsmittel – gegen eine Entschädigung weit unterhalb der labilen spekulativen Verkehrswerte – in die Gemeinwirtschaft zu überführen?“

Quellen:

„Korruptionsverdacht: Durchsuchungen bei Vonovia“, Süddeutsche Zeitung (Online) vom 7. März 2023
https://www.sueddeutsche.de/panorama/kriminalitaet-bochum-korruptionsverdacht-durchsuchungen-bei-vonovia-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230307-99-862393 

Carsten Herz/Volker Votsmeier: „Razzia beim Wohnungskonzern Vonovia“, Handelsblatt (Online) vom 7. März 2023
https://www.handelsblatt.com/finanzen/immobilien/immobilien-betrugsvorwuerfe-razzia-beim-wohnungskonzern-vonovia/29022180.html 

„Razzia in der Vonovia-Konzernzentrale“, MieterInnenverein Witten und Umg. e. V., 8. März 2023
https://www.mvwit.de/razzia-in-der-vonovia-konzernzentrale/ 

„Razzia bei Vonovia: Mieterbund fordert lückenlose Aufklärung und transparentes Handeln“, Pressemeldung des deutschen Mieterbundes (DMB) vom 9. März 2023
https://www.mieterbund.de/startseite/news/article/75117-razzia-bei-vonovia-mieterbund-fordert-lueckenlose-aufklaerung-und-transparentes-handeln.html 

Knut Unger: „Zeitenwende bei der Vonovia?“, MieterAKTIOnärIn, 17. März 2023
https://mieteraktionärin.de/zeitenwende-bei-der-vonovia/