Nach AfD, FDP und Die Linke haben sich nun auch die Grünen für die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Fall Wirecard entschieden. Dabei geht es bekanntlich um Bilanzbetrug in Milliardenhöhe bei einem deutschen Vorzeigeunternehmen, das es bis in den DAX, dem wichtigsten deutschen Börsenindex, geschafft hatte.

In der Augustausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik analysiert der Frankfurter Anwalt und Bankenexperte Wieslaw Jurczenko das „Totalversagen der deutschen Finanzaufsicht“.

Wirecard unterstand elf Jahre lang der BaFin als Aufsichtsbehörde. Der Jahresabschluss des Unternehmens wurde von Ernst & Young (EY), einem der vier bedeutendsten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, bis einschließlich 2018 regelmäßig abgesegnet. 1,9 Milliarden Euro fehlen in der Bilanz. Jurczenko geht jedoch davon aus, dass sich das Loch in Wirecards Kasse noch als erheblich größer herausstellen könnte, als derzeit öffentlich bekannt geworden sei. „All das ist mehr als nur eine Unternehmenspleite. Es ist ein gewaltiger Schlag ins Kontor, ein Desaster, wie es selbst der Präsident der deutschen Finanzaufsicht BaFin, Felix Hufeld, einräumt. Ein Desaster für die Aufsicht, für die Wirtschaftsprüfer, für die Anleger, die Mitarbeiter von Wirecard und – nicht zuletzt – den gesamten Finanzplatz“, so Jurczenko.

Der Autor stellt Wirecard in eine Reihe von Skandalen der vergangenen Jahre, in denen die „Crème de la Crème des deutschen Kapitalmarkts“ im Fokus der Öffentlichkeit standen: Zum Beispiel die Hypo Real Estate, „die es mit ihrer Tochter Depfa in Irland zu bunt trieb“, die Deutsche Bank, „die bei praktisch jedem Finanzverbrechen der vergangenen zwanzig Jahre dabei war“, oder VW, „das nach dem Skandal um seine illegale Abgastechnik zehntausende Kunden entschädigen muss.

Was es dagegen nicht gegeben habe in Deutschland, sei bislang eine passende Reaktion des Gesetzgebers gewesen. Jurczenko schlägt deshalb vor, sich an den USA zu orientieren. Denn die hätten auf Krisen im Banken- und Finanzmarkt stets konsequent und bisweilen radikal reagiert.

Im Jahr 2001 wurde dort beispielsweise die Bilanzfälschung des Energiekonzerns Enron aufgedeckt. Tausende Mitarbeiter*innen verloren ihre Jobs, der Schaden ging in die Milliarden. Der Gesetzgeber reagierte schnell und verschärfte schon ein Jahr später mit dem Sarbanes-Oxley Act (SOX) massiv die rechtlichen Regelungen zur Bekämpfung von Bilanzfälschungen börsennotierter Gesellschaften. Seitdem, so der Autor, habe es in den USA keinen großen Fall von Bilanzfälschung mehr gegeben. Auch EY kenne diese Standards sehr genau und prüfe sie bei SOX-regulierten Unternehmen. Umso unverständlicher erscheint es Jurczenko, dass die EY-Prüfer mit Blick auf die Bilanzierungsmethoden von Wirecard über Jahre keinen Verdacht geschöpft haben.

In den USA reagieren die Behörden offensichtlich konsequent: mit exorbitanten Bußgeldern und schnell verhängten, in manchen Fällen langen Haftstrafen. „Im Vergleich dazu ist die deutsche BaFin ein zahnloser Tiger, kaum mehr als eine Art spezialisiertes Ordnungsamt mit geringer Bußgeldkompetenz. (…) Nicht nur ist ihr Aufsichtsbereich wesentlich beschränkter als jener der US-Aufsicht, sie verfügt darüber hinaus über vergleichsweise wenige Ermittlungskompetenzen.“ Strafverfahren mit Bezug zum Kapitalmarkt würden nahezu ewig dauern und nicht selten mit lauen Deals enden oder im Sande verlaufen. Säßen in den USA einzelne VW-Manager längst hinter Gittern, würde in Deutschland noch langwierig ermittelt – alles in allem „eine Farce ohnegleichen“.

Der Fall Wirecard könnte im Laufe der Ermittlungen zudem ergeben, dass auch Geldwäsche eine Rolle gespielt haben könnte. Bei deren Bekämpfung sehe es hierzulande aber besonders düster aus. „Schätzungen zufolge werden in Deutschland pro Jahr etwa 100 Mrd. Euro gewaschen. Die italienische Mafia ist heilfroh, ein solches Paradies vor ihrer Haustür zu haben.“

Quelle:

Wieslaw Jurczenko: „Der Wirecard-GAU. Das Totalversagen der deutschen Finanzaufsicht“, Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2020, Seite 71-77

https://www.blaetter.de/ausgabe/2020/august/der-wirecard-gau