Reportagen über Defizite und die zunehmende Ausdünnung des deutschen Gesundheitswesens gibt es mittlerweile nicht wenige. Das hier rezensierte Buch wurde allerdings von einem ausgewiesenen Spezialisten geschrieben: Thomas Strohschneider, Facharzt für Allgemein- und Gefäßchirurgie, war viele Jahre als Chefarzt in einer privat geführten Klinik tätig.

Im Vorwort bringt der bekannte Wissenschaftsjournalist Werner Bartens die Aussage des Buches wie folgt auf den Punkt: Die Medizin sei in Gefahr. Diese Gefahr bestehe primär jedoch nicht im Auftreten neuer Krankheitserreger, sondern in der zunehmenden Kommerzialisierung des Gesundheitswesens und dem dieser Kommerzialisierung zugrunde liegenden Streben nach Gewinnmaximierung. Die „Medizin mit dem Preisschild“ habe die medizinische Ethik ausgehöhlt und die Heilkunst insgesamt „aus der Balance gebracht“.

Strohschneider selbst liefert in den 24 in sich geschlossenen Beiträgen des Buches eine gekonnte Schilderung der Abgründe zunehmender Monetarisierung beim Betreiben deutscher Gesundheitseinrichtungen und verdeutlicht diese durch eingestreute Episoden, welche teilweise auf eigenem Erleben beruhen. So liest man gleich zu Anfang vom Fall eines lebensgefährlich erkrankten und psychisch angeschlagenen Obdachlosen. Dessen Behandlung musste von Ärzten gegen heftigen Widerstand der Krankenhausdirektion durchgesetzt werden. Als Ergebnis konnte der Mann dann zwar geheilt und entlassen werden. Kurze Zeit später wurden die betreffenden Abteilungen aber vom Klinikträger aber als „unrentabel“ geschlossen und den Beschäftigten gekündigt.

Die Ursachen für solche Fälle sieht der Autor unter anderem darin, dass die öffentliche Hand sich während der letzten Jahrzehnte weitgehend aus dem Gesundheitswesen zurückgezogen habe. Die öffentliche Bezuschussung sei rückläufig. Private Betreiber seien jedoch nicht in erster Linie an dem Wohlergehen der Patient/innen sondern an einer Gewinnmaximierung interessiert. Eigens beauftragte Unternehmensberater durchleuchteten daher zielgerichtet Krankenhäuser. Dem Führungspersonal  würden dann wirtschaftliche Leistungsziele vorgegeben und deren Erfüllung mit zum Teil hochgradig fragwürdigen Methoden durchgesetzt. Wie im Buch erwähnt wird, stünden zudem hinter privaten Krankenhausbetreibern nicht selten Pharmakonzerne, die sich so einen lukrativen Marktanteil sicherten. Den Beginn der Privatisierungs- und Monetarisierungswelle datiert der Autor übrigens auf die Jahre 1999 bis 2002 – also auf genau die Zeit, in der die neoliberalen Exzesse der Schröder-Regierung begannen.

Wie Strohschneider weiter schreibt, verfüge mittlerweile jedes kommerziell betriebene Krankenhaus über Controlling-Abteilungen, die einerseits auf der Jagd nach zusätzlichen Abrechnungsmöglichkeiten für Behandlungen sind, andererseits aber auch die Kosten erbarmungslos drücken. Es handele sich, wie der Autor meint, um eine „gefährliche Übertragung ökonomischen Denkens auf medizinische Abläufe“. Qualifiziertes und motiviertes Pflegepersonal habe man „in Scharen aus den Kliniken getrieben“ und durch schlecht ausgebildete und miserabel bezahlte Billiglöhner/innen – meist Beschäftigte von Leiharbeitsfirmen – ersetzt. Die Fallzahl pro Pflegekraft wurde so in den letzten 25 Jahren fast verdoppelt – inklusive Arbeitshetze und permanenter Überlastung der Beschäftigten.

Leidtragende dieser Entwicklung seien aber in erster Linie die Patienten. Defizitäre Abteilungen von Krankenhäusern würden immer öfter geschlossen, bei der Patientenauswahl selektiert. Nicht selten entschieden mittlerweile Computerprogramme darüber, ob Behandlungen fortgesetzt oder ob die betreffende Person als geheilt entlassen würden. Mit zunehmender Außerkraftsetzung der medizinisch-ärztlichen Logik und Humanität habe die Vorstellung vom Arzt als „Helfer des hilfesuchenden Patienten (…) in diesem System nur noch wenig Raum“.

Im Buch werden auch Praktiken von Krankenhausleitungen geschildert, die man durchaus als kriminell oder zumindest als grenzwertig charakterisieren kann. So wurden beispielsweise in einigen Krankenhäusern über Jahre hinweg Betten als vorhanden geführt, die es nicht mehr gab – die betreffenden Abteilungen hatte man längst geschlossen. Die in öffentlichen Statistiken angegebene Zahl zur Verfügung stehender Krankenhausbetten entspreche daher nicht der Realität. Die Ursache für solche Falschmeldungen bestünde darin, dass Zuschüsse für Investitionsmaßnahmen an die Zahl der zur Verfügung stehenden Betten geknüpft seien.

Als ein anderes Beispiel beschreibt der Autor, dass man Ärzte gezielt unter Druck setzte, Patienten vorzugsweise Prothesen „aus dem unteren und mittleren Preissegment“ zu implantieren. Im schlimmsten Falle könne, wie Strohschneider meint, die verfehlte Auswahl eines solchen Implantates dem jeweiligen Patienten das Leben oder einen Körperteil kosten.

Ein gesondertes Kapitel schildert die Abgründe der Privatisierung bis dahin öffentlich betriebener Krankenhäuser. Als ein besonders gemeines Beispiel sei hier nur genannt der 2004 unter einem CDU-Bürgermeister umgesetzte Verkauf der Hamburger Krankenhäuser an den Gesundheitskonzern Asklepios. Entgegen den Ergebnissen eines diesbezüglichen Volksentscheids zog der Senat die Veräußerung zu einem Spottpreis durch und feierte dies dann auch noch als Sieg. Tatsächlich stellten, wie der Autor meint, die Kliniken heute ein „Milliardenvermögen“ dar. Strohschneider bezeichnet übrigens an anderer Stelle die laufenden Privatisierungsorgien sowie die unausweichlich folgende Durchrationalisierung ehemals öffentlich betriebener Krankenhäuser als „Kannibalismus“.

Zu den Resultaten von Ausdünnung und zunehmender Monetarisierung des Gesundheitswesens, die dann beim Ausbruch der Pandemie offenbar wurden, gibt es im Buch leider nicht viel Material. Immerhin findet man eine kurze Schilderung, wie die SANA-Kliniken als drittgrößter privater Klinikbetreiber inmitten der Pandemie etwa 1000 Mitarbeitern aus ihrem Servicebereich kündigten. Auch thematisiert der Autor die Äußerung des Gesundheitsökonomen Reinhard Busse, der auf dem Höhepunkt der Pandemie „etwa 800 der insgesamt 1.400 Akutkrankenhäuser in Deutschlands“ für „überflüssig“ erklärte.

Und natürlich wird Im Buch die Vergangenheit des derzeitigen Gesundheitsminister Karl Lauterbach erwähnt, der als Lobbyist der kommerziell betriebenen Gesundheits-Konzerns Rhön-Kliniken viele Jahre an der Demontage des Gesundheitssystems mitwirkte. Die vom Autor in diesem Zusammenhang ausgesprochene Hoffnung, Lauterbach könne sich „vom Saulus zum Paulus“ gewandelt haben, hat sich allerdings bislang nicht bestätigt. Die Schließung finanziell defizitärer Kliniken wurde auch nach Ausbruch der Pandemie kaum gebrochen fortgesetzt.

Thomas Strohschneider hat sich nach eigener Aussage das Ziel gestellt, „Hintergründe und Auswirkungen der gesundheitspolitischen Veränderungen der letzten Jahre, vor allem im Krankenhauswesen“ zu beschreiben. Dies ist ihm gelungen. Und dass er gegen Ende des Buches als erstrebenswertes Ziel formuliert, Krankenhäuser zu „rekommunalisieren“ und sie so „dem Einfluss der Konzerne zu entziehen“, kann man nur als ehrenwert bezeichnen.

Thomas Strohschneider: „Krankenhaus im Ausverkauf. Private Gewinne auf Kosten unserer Gesundheit“, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2022, 238 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-86489-371-1