Heftige Debatte über Enteignungs-Kampagne

Mindestens 55.000 Menschen sind bei Demonstrationen am 6. April 2019 in deutschen Städten gegen den „Mietenwahnsinn“ auf die Straße gegangen. Allein in Berlin protestierten nach Angaben der Veranstalter etwa 40.000 Personen. Im Fokus des öffentlichen Interesses stand in der Hauptstadt die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, die zum Start ihres Volksbegehrens zur Vergesellschaftung großer Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen bereits über 15.000 Unterschriften sammelte. Insgesamt wären nach Angaben des Berliner Senats zehn Unternehmen mit rund 243.000 Wohnungen betroffen. Die Initiative zur Enteignung bezieht sich dabei auf Artikel 15 des Grundgesetzes.
Dort heißt es, dass „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel (..) zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ überführt werden können. Die Anwendung dieses Artikels wäre ein Novum, denn in der Vergangenheit gab es zwar immer wieder Enteignungen (z.B. für den Autobahnbau), eine Sozialisierung von Grund und Boden mit Mietshäusern bzw. von Immobilienunternehmen jedoch nicht. Die Unternehmen würden eine Entschädigung erhalten, über deren Höhe derzeit zwischen den wohnungspolitischen Akteuren und politischen Lagern gestritten wird. Unter anderem darüber, ob bzw. um wie viel sie niedriger als der Marktwert der Wohnungen ausfallen könnte. Die Initiative geht davon aus, dass je nach Berechnungsmethode zwischen 7,3 und 13,7 Milliarden Euro aufgebracht werden müssten, der Verband Berlin-Brandenburgische Wohnungsunternehmen (BBU) schätzt die Entschädigungskosten dagegen auf bis zu 36 Milliarden.

Das Berliner Volksbegehren löste im Anschluss an die Großdemonstration in der Hauptstadt eine Auseinandersetzung von Politiker/innen zur Enteignungsfrage aus. Schon zuvor war über Sinn oder Unsinn der Initiative vornehmlich in „linken Kreisen“ diskutiert worden. Bundeskanzlerin Merkel (CDU) hält die Enteignung von Wohnungskonzernen nach Angaben ihres Regierungssprechers Steffen Seibert „nicht für ein geeignetes Mittel zur Linderung der Wohnungsnot”. Für Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) ist die Enteignungsdiskussion „überflüssig wie ein Kropf“. Der CDU-Wirtschaftsrat kritisierte die Pläne als Griff in die „Mottenkiste des Sozialismus“. SPD-Generalsekretär Klingbeil sagte zur „Bild“, dass Bauen die Antwort auf die Wohnungsmisere sei, nicht dagegen Enteignungen. Auch SPD-Chefin Nahles will von Enteignungen nichts wissen. „Wir sollten Enteignungen als letztes Mittel nicht ausschließen“, widerspricht ihr der stellvertretende SPD-Vorsitzende Stegner: „Es gibt teilweise halbkriminelles Verhalten, bei dem die Not der Mieter ausgenutzt wird. In diesen Fällen muss der Staat Handlungsfähigkeit beweisen.“ FDP-Fraktionsvize Frank Sitta geht davon aus, dass die aktuelle Debatte über Enteignungen bereits private Investoren abschreckt und den Neubau von Wohnungen bremsen wird. FDP-Chef Christian Lindner pflichtet ihm bei und meint, dass gegen steigende Mieten nur mehr Wohnungen helfen „und nicht DDR-Ideen“. Für Bayerns Ministerpräsident Söder sind Enteignungen „nun wirklich sozialistische Ideen und haben mit bürgerlicher Politik nichts zu tun“.

Die Vorsitzende der Linkspartei Kipping dagegen will Immobilienkonzerne nicht nur enteignen, sondern setzt zusätzlich auch auf Beschlagnahmungen. Vorsichtiger äußerte sich der Grünen-Bundesvorsitzende Habeck. Er hält Enteignungen als letztes Mittel für denkbar, wenn etwa Eigentümer Baugrundstücke „aus Spekulationsgründen” lange brachliegen ließen. Sein Parteifreund, Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann hält dagegen die Debatten um Enteignung für „unsinnig“, denn solche Enteignungen müssten mit „gigantischen Summen“ entschädigt werden. Dieses Geld solle man besser in den Bau neuer Wohnungen stecken.

Die Berliner Mieterorganisationen positionieren sich unterschiedlich. Der Berliner Mieterverein unterstützt das Volksbegehren bzw. den angestrebten Volksentscheid (Pressemitteilung vom 18.2.2019), in Kreisen der Berliner MieterGemeinschaft äußern sich kritische und ablehnende Stimmen. Natürlich fasziniere die Vorstellung, dem Profitstreben großer Immobilienkonzerne durch einen Volksentscheid ein Ende zu setzen. Dennoch seien Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Volksbegehrens angebracht, so etwa der freie Journalist Rainer Balcerowiak im MieterEcho, der Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft. Würde der Senat tatsächlich ein Landesgesetz zur Enteignung der börsennotierten Gesellschaften auf den Weg bringen, wäre dies wohl nur der Auftakt zu einer lang anhaltenden Kette von juristischen Verfahren bis hin zum Bundesverfassungsgericht oder gar dem Europäischen Gerichtshof. Mit eher bescheidenen Erfolgsaussichten, denn Besitz und Verwertung von Grund und Boden gehörten nun einmal zu den Kernelementen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. „Die Idee, diese Ordnung mit einem Volksentscheid auf Landesebene quasi aus den Angeln heben zu können, kann man bestenfalls als naiv bezeichnen. Deutsche Wohnen und andere Immobilienunternehmen agieren in einem Markt, in dem die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt, und in einem bundesgesetzlichen Rahmen, der riesige Spielräume für Mietpreistreiberei und Verdrängung ermöglicht. Beides wird mit diesem Volksbegehren nicht thematisiert, denn dem Nachfrageüberhang müsste mit einem kommunalen Wohnungsbauprogramm begegnet werden und für durchgreifende Änderungen des Mietrechts braucht es andere politische Mehrheiten im Bund.“

Unter dem Titel „Eigentum ist antastbar“ schreibt Stephan Kaufmann in einem Leitartikel der Wochenzeitschrift „der Freitag“: „In der Debatte um die Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen lautet das gängige Gegenargument ‚Enteignung schafft keine neuen Wohnungen‘, was die FDP-Poeten griffig verkürzen auf ‚Wir müssen bauen statt klauen‘. Die Umdrehung des alten Spruchs ‚Privateigentum ist Diebstahl‘ soll vor Eingriffen in das Allerheiligste der Marktwirtschaft, das Privateigentum, warnen und Vergesellschaftung mit einem Verbrechen gleichsetzen. Das ist erstens irreführend, zweitens falsch und drittens lehrreich.“

Die nächsten Monate lassen weitere spannende Diskussionen über die Enteignung von Wohnungsunternehmen als Voraussetzung für bezahlbares Wohnen erwarten.

Quellen u.a.:
Berliner Zeitung, 8.4.2019; Neues Deutschland, 8.4.2019; taz, 6.4.2019; tagesschau.de, 9.4.2019; Junge Welt, 9.4.2019; MieterEcho, 397/August 2018; der Freitag, 11.4.2019

 

„Mafiöse Strukturen“ bei Paketzustellern

Die Diskussion um die Arbeitsbedingungen bei den Paketdiensten ist in voller Fahrt. Denn weltweit boomt der Onlinehandel, zigtausend Paketzusteller*innen – davon viele kurzfristig engagierte Arbeitskräfte aus Süd- und Osteuropa – arbeiten in der hart umkämpften Branche. Bereits Ende Februar kritisierte der Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, dort vorherrschende „kriminelle Machenschaften“. Beim Paketversand hätten sich zum Teil mafiöse Strukturen etabliert, sagte Bsirske den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Unternehmen wie Hermes würden Firmen engagieren, die wiederum andere Firmen beauftragen, die dann Menschen aus der Ukraine, aus Moldawien oder aus Weißrussland in die Lieferfahrzeuge setzen. Lediglich Stundenlöhne von 4,50 Euro oder sechs Euro würden gezahlt – bei Arbeitszeiten von zwölf bis 16 Stunden pro Tag. Ver.di fordert deshalb auch in der Paketbranche die Einführung der sogenannten Nachunternehmerhaftung, die es bisher nur in der Bau- und in der Fleischbranche gibt. Damit wäre der eigentliche Auftraggeber für die korrekten Arbeitsbedingungen bei allen Subunternehmern verantwortlich. So sollen Verstöße gegen die Versicherungspflicht bei scheinselbständig beschäftigten Subunternehmern verhindert werden. Die auftraggebenden Paketdienste hätten in solchen Fällen die Sozialbeiträge nachzuzahlen.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) reagierte auf die kritischen Stimmen und plant aktuell, einen Gesetzentwurf vorzulegen, nach dem Zustelldienste für ihre Subunternehmer haften müssen, wenn Sozialversicherungsbeiträge bei diesen nicht einzutreiben sind. Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) erteilten dem Vorstoß jedoch bereits eine Absage. Es sei jetzt nicht die Zeit für neue Belastungen der Wirtschaft, sagte Altmaier, selbst langjähriger Vertrauter der Bundeskanzlerin, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Quellen:
tagesschau.de, „Bsirske kritisiert ‘mafiöse Strukturen‘“ (23.2.19) https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verdi-paketzusteller-101.html
Junge Welt, „Bitte keine Bürokratie“ (29.4.19) https://www.jungewelt.de/artikel/353772.druck-für-paketzusteller-bitte-keine-bürokratie.html?sstr=paketzusteller
Süddeutsche Zeitung, Cerstin Gammelin/Benedikt Müller, „Gesetzentwurf: So will Heil den Paketboten helfen“ (27.4.19) https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/hubertus-heil-paketdienste-subunternehmer-1.4422873

Gerd Bedszent über Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure

Werner Rügemer beschäftigt sich in seinem neuen Buch nicht primär mit Arbeitsunrecht. Und das Thema Wirtschaftskriminalität spielt darin auch nur eine untergeordnete Rolle. Rügemer liefert vielmehr eine Analyse der als Folge der Bankenkrise von 2007 begonnenen Orientierung kapitalistischer Großunternehmen weg von traditionellen Banken hin zu neuen Kapitalorganisationen.

Den Schwerpunkt des Buches bildet eine Analyse der Geschäftsmodelle von Kapitalriesen vom Schlage des Finanzgiganten BlackRock. Rügemer charakterisiert dieses und ähnliche Unternehmen als eine Art Superhirne des Großkapitals: Unternehmens- und Bankenvorstände, Versicherungen, Milliardärserben und Stiftungen würden gegen Zahlung vergleichsweise geringer Gebühren ihr Vermögen BlackRock und anderen Finanzakteuren anvertrauen und dabei immer reicher werden.

Wie Rügermer meint, sind Steuerhinterziehung durch systematische Nutzung von Finanzoasen sowie Insidergeschäfte bei diesem Unternehmensmodell mittlerweile eher die Regel als Ausnahme, verhängte Strafen würden aus der Portokasse beglichen. Diese neuen Großunternehmen hätten einen wesentlichen Anteil an der Entmachtung der Gewerkschaften, den innerhalb der letzten Jahrzehnte in Gesetzesform gegossenen sozialen Grausamkeiten und dem neoliberalen Durchmarsch auch in den Vorständen staatseigener Unternehmen.

Da die Mehrzahl dieser Unternehmen ihre Wurzeln in den USA habe, sei der wirtschaftliche Aufstieg der US-Wirtschaft und der zeitgleiche ökonomische Niedergang anderer Teilen der Welt maßgeblich von diesen neuen Finanzakteuren befördert.

In den letzten Kapiteln des Buches findet Rügemer lobende Worte für den chinesischen Weg in den Kapitalismus. Die kommunistisch geführten chinesischen Großunternehmen seien „geduldiger“; das chinesische Kapital würde sich mit niedrigeren Profitraten zufrieden geben. Die von den westlichen Finanzakteuren verursachte Schwäche ihrer jeweiligen Staatsmacht habe außerdem den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas zusätzlich begünstigt. Zu dieser These kann man allerdings unterschiedlicher Meinung sein.

Werner Rügemer:
Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts
Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure
PapyRossa Verlag, Köln 2018
357 Seiten, 19,90 Euro
ISBN: 978-3-89438-675-7

 

 

 

Victoria Knopp / Reiner Diederich über Glenn Jäger: In den Sand gesetzt. Katar, die FIFA und die Fußball-WM 2022

Dass das Wintermärchen einer Fußball-Weltmeisterschaft zur Adventszeit 2022 im heißen Wüstenstaat Katar mit viel Geld ermöglicht wurde, dafür sprechen Indizien. Schließlich ist in der Welt des Fußballs, der „schönsten Nebensache der Welt“, vieles käuflich – außer den Schiedsrichtern, die ihr Gehalt dafür beziehen, dass sie bei den Spielen als „Unparteiische“ agieren und sich deshalb immer mal wieder beschimpfen lassen müssen. Der Versuch, sie zu bestechen, lohnt nicht, weil unter den Argusaugen der gegnerischen Mannschaft und des Publikums, und mittlerweile auch mit Hilfe des „Videobeweises“ ein betrügerisches Pfeifen schnell an den Tag käme.

Die Beweisführung für korruptive Verstrickungen im ganz großen Fußballgeschäft stellt sich hingegen schwieriger dar. Legale Transaktionen und illegitime Praktiken sind hier manchmal zu einem fast unentwirrbaren Knäuel miteinander verwoben. Oder wie will man es nennen, wenn der Sender Al Dschasira mitten im Bewerbungsverfahren für die WM 2022 der FIFA viele hunderte Millionen Dollar für die Senderechte anbot, für den Fall, dass die Weltmeisterschaft in Katar stattfände? Das berichtete jedenfalls n-tv am 10. März 2019. Dazu muss man wissen, dass Al Dschasira von Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani gegründet wurde, bis 2013 Oberhaupt des ölreichen Zwergstaates Katar. Dieses Angebot widersprach eklatant den Anti-Korruptionsregeln der FIFA.

Schon 2014 lieferte Thomas Kistner in seinem Buch „Fifa-Mafia“ Hintergründe zur WM-Vergabe an Katar. Glenn Jäger setzt die Recherche dazu nun akribisch und äußerst detailreich fort. Neben verschlungenen Geldflüssen, mehr oder weniger offenen Einflussnahmen und horrenden Investitionen des Emirats in den Fußballsport geht es auch um das Konfliktfeld Naher Osten und vor allem um die politischen und kommerziellen Interessen auf allen beteiligten Seiten. Jäger charakterisiert die Zusammenhänge wie folgt:

„Auf der einen Seite eine monarchistische Golfdiktatur, also ein System mit ausgeprägten Feudalstrukturen, das aber zugleich auf finanzkapitalistisches Umschaltspiel setzt. Auf der anderen demokratisch verfasste Staaten, die sich ihrerseits im Zeichen eines Finanzmarktkapitalismus mit schwindender demokratischer Kontrolle in einem tiefgreifenden Wandel befinden. Die teils desaströsen sozialen Verwerfungen auch in den westlichen Industriestaaten selbst sind es, die einen alarmierenden Begriff mehr und mehr auf die Tagesordnung setzen…

Jean Ziegler, ehemaliger Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, hält für die globalen Verhältnisse fest: ‚Wir erleben eine Refeudalisierung der Welt. Und diese neue Feudalmacht trägt das Antlitz der transkontinentalen Privatgesellschaften.‘ In seinem viel beachteten Buch ‚Imperium der Schande‘ weiß er ‚astronomische Gewinne‘ der ‚kapitalistischen Feudalsysteme‘ ebenso zu beziffern wie anschauliche Beispiele für ein rabiates Vorgehen der ’neuen Fürsten‘ zu geben. Was sich damit begreifen lässt: Zum ’neuen Adel‘ mag auch der eine oder andere ‚FIFA-Fürst‘ gehören, in jedem Fall aber die Vorstandsetagen jener Konzerne, die als bedeutende WM-Sponsoren im globalen Fußballspektakel ein glänzendes Geschäft und neue Absatzmärkte sehen.“ (S. 25)

Dass Katar sich ebenso wie Saudi-Arabien durch Unterstützung dschihadistischer Milizen am Versuch eines militärischen „regime change“ in Syrien beteiligte und ein dankbarer Abnehmer westlicher Rüstungsprodukte ist, war ein weiterer Grund dafür, dass Politiker wie der ehemalige französische Staatspräsident Sarkozy sich für die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an das Emirat einsetzten. Auch die Arbeitsbedingungen auf den aus dem Sand wachsenden Baustellen dort waren für die Profiteure optimal. Es ging um „unermessliche Bauaufträge, die im Vorfeld der WM u.a. deutsche und französische Unternehmen erhielten“ (S. 291). Zwar hatte Franz Beckenbauer bei einem Besuch 2013 „keine Sklaven gesehen“, aber die Todesrate unter den „Gastarbeitern“ aus Indien und anderen Ländern sprach für sich. Inzwischen sind durch internationalen Protest einige Verbesserungen erreicht worden.

Noch in einem anderen Sinn ist die WM in Katar bezeichnend für den gegenwärtigen Stand der Dinge: „Diese WM wird uns einen Blick in eine gar nicht mehr so ferne Zukunft erlauben. Eine Sportveranstaltung wird nicht mehr für die Zuschauer vor Ort, nicht mehr als Bestandteil einer lokalen Kultur, nicht mehr als völkerverbindendes Fest gefeiert und gelebt. Ein globales Sportereignis ist nur noch eine reine Inszenierung, die über die verschiedensten Kanäle (die klassischen TV-Stationen werden die unwichtigsten sein) in die ganze Welt verbreitet wird. Als gewaltige Vergnügungs-, Werbe- und Geldmaschine.“ („Fußballkultur in Katar?“, www.watson.de, 10. März 2019) Glenn Jäger beschreibt in seinem Buch, wie diese Inszenierung derzeit vorbereitet wird.

Was könnte gegen „mafiöse Geschäfte im internationalen Fußball“ und „kaum noch zu durchschauende Netzwerke“ getan werden? Der Autor schlägt vor: „Für die heutige Zeit wäre dafür eine Unterstellung der FIFA unter die Vereinten Nationen (…) durchaus hilfreich“ (S. 295). Nach den unzureichenden Versuchen zur inneren Reform wäre das ein Schritt zu einer möglichen demokratischen Kontrolle der FIFA und zu ihrer Entflechtung von den Interessen multinationaler Unternehmen. Auch solle keine Fußball-WM mehr an ein Land vergeben werden, das in den letzten zehn Jahren einen Angriffskrieg führte oder ihn aktiv unterstützte. „2006 hätte demnach keine WM in Deutschland ausgetragen werden können, und wäre ihre Vergabe noch so sauber gewesen“ (S. 297). Die „eigentliche Baustelle“, meint Jäger, sei aber die herrschende neoliberale Politik. Jede noch so kleine lokale Initiative gegen sie und ihre schädlichen Auswirkungen sei wichtig. Das Buch endet mit der Aufforderung: “Das Spiel zurückzuholen, ist an uns. Unbenommen: Der Weg ist weit zu einem neuen Gesang. Gehen wir gleich.“

Glenn Jäger:

In den Sand gesetzt. Katar, die FIFA und die Fußball-WM 2022
PapyRossa Verlag, Köln 2018
311 Seiten, 16,90 Euro
ISBN: 978-3-89438-662-7