Ende November 2020 berichteten Medien über die korrupten Machenschaften ranghoher israelischer Politiker und Militärs beim Kauf mehrerer U-Boote von der Firma ThyssenKrupp. Mehrere Personen aus dem direkten Umfeld von Ministerpräsident Netanjahu sollen an Schmiergeldzahlungen bei dem Milliardengeschäft beteiligt gewesen sein. So soll ein Cousin von Netanjahu das brisante Geschäft massiv vorangetrieben haben, obwohl der damalige Verteidigungsminister sowie hochrangige Militärs sich gegen den Kauf ausgesprochen hatten. Die politische Spitze Israels drückte den Deal offenbar dennoch durch.
Eine aktuelle Meldung wie diese illustriert die Relevanz des im vergangenen September erschienenen Buches „Geheimsache Korruption“ des für das Recherchezentrum Correctiv tätigen investigativen Journalisten Frederik Richter. Der Autor belegt an diesem Beispiel und ähnlich gelagerten Fällen, warum beim Export von Rüstungsgütern Bestechungsgelder verbreiteter sind als im zivilen Bereich.
Daneben untermauert der Autor anhand von fünf Beispielen seine zentrale These, dass von Deutschland ausgehende Schmiergeldzahlungen demokratische Prozesse in anderen Ländern massiv behindern und beschädigen. So hätten Bestechungsgelder aus Deutschland den autokratischen Herrschaftsanspruch Wladimir Putins gestützt, mit deutschem Schmiergeld durchgezogene Rüstungsdeals die griechische Staatsschuldenkrise angeheizt. Das Renommee des African National Congress in Südafrika wäre Ende der 1990er Jahre durch schmiergeldgelenkte Rüstungsgeschäfte belastet worden – unter Mitwirkung der Hamburger Werft Blohm + Voss sowie der Firma Thyssen Rheinstahl Technik. Brasilien sei um die Jahrtausendwende in einem Korruptionssumpf der Superlative rund um den Ölkonzern Petrobras versunken (in dem auch der Essener Industriekonzern Ferrostaal AG verstrickt war). Ein weiteres Schlaglicht wirft Richter auf die arabische Welt, die ihm als ehemaliger Korrespondent einer Nachrichtenagentur besonders vertraut ist. So erhielt ThyssenKrupp Ende 2011 den Auftrag, zwei Fregatten im Wert von etwa zwei Milliarden Euro an Algerien zu liefern, gefördert durch eine Exportbürgschaft durch die Bundesregierung. Die Munition für die Schiffe kaufte der Konzern bei der Rüstungsschmiede Rheinmetall, die wiederum selbst einen Teil davon aus dem Ausland bezog. Der Verkauf der Kriegsschiffe wurde letztlich mittels eines kaum durchschaubaren Geldkreislaufs außerhalb Deutschlands, unter anderem über Tochterfirmen und durch dubiose Zahlungen an „Vermittler“, abgewickelt.
Richter legt seinen Finger in verschiedene offene Wunden der Fachdiskurse. Während in der Literatur zum Korruptionsgeschehen in der Regel der Nehmer, das heißt der Korrumpierte im Mittelpunkt des Interesses steht, fokussiert der Autor auf den Geber, also dem Korrumpierenden. Beispielsweise listet Transparency International (TI) in ihrem jährlich herausgegebenen Korruptionsindex (CPI) Staaten nach dem Grad der in Politik und Verwaltung wahrgenommenen Korruption auf. In diesem Ranking belegt Deutschland regelmäßig einen der oberen Plätze, zeichnet sich nach Meinung der NGO also durch Rechtsstaatlichkeit und starke demokratische Institutionen aus. Somalia, Syrien oder Südsudan dagegen rangieren als „failed States“ und Konfliktregionen ganz unten. Richter wendet sich, ohne TI zu nennen, gegen diesen Ansatz und räumt mit dem Bild des „sauberen“ Deutschland auf: „Im Falle der Schmiergeldindustrie versagen Politik und Justiz jedoch. Wenn es um die Exportwirtschaft geht, versteht die Politik in Berlin ihre Aufgabe allein darin, der Wirtschaft den Rücken freizuhalten.“ (Seite 7)
Mehrfach verweist der Autor auf ein besonderes Datum – den 15. Februar 1999 – den Tag, „an dem mit dem Ende der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmiergeldzahlungen im Ausland angeblich der große Einschnitt in der Geschichte der Schmiergeldbranche Gesetz werden sollte“ (Seite 84). Bestechungsgelder für Entscheidungsträger im Ausland waren bis dahin noch als „nützliche Aufwendungen“ steuerlich geltend zu machen. Die Vielzahl der von Richter angeführten Korruptionsfälle unter deutscher Beteiligung beweisen jedoch, dass auch trotz gesetzlichem Verbot seitdem kräftig weiter bestochen wird. Und das mit dem Segen des Staates. Denn der übernimmt weiterhin die Risiken beim Export von Rüstungsgütern, so dass „sogar eine Art von staatlicher Bürgschaft für Korruption besteht“ (Seite 163).
Politisch relevante Korruption scheint allgegenwärtig zu sein. Die Presse berichtet fast täglich darüber und das Skandalisierungspotenzial ist enorm. Frederik Richter verzichtet jedoch wohltuend darauf, auf dieser Welle mitzureiten. Der Grundton seines Buches ist betont sachlich, die Fülle der differenziert erzählten Fälle beeindruckend und sein Ausblick keineswegs resignativ. So bietet der Autor der Leserschaft am Schluss zehn Ideen an, wie seiner Meinung nach gegen die Schmiergeldindustrie vorgegangen werden könnte – unter anderem schlägt er die Einführung eines Unternehmensstrafrechts vor, auch die Förderung von Whistleblowern und die Stärkung der Gewaltenteilung.
Wer sich für die Rolle Deutschlands im internationalen Korruptionsgeschehen interessiert, dem oder der sei das Buch ausdrücklich empfohlen.
Frederik Richter:
„Geheimsache Korruption. Wie die deutsche Schmiergeldindustrie weltweit die Demokratie verrät“, Correctiv-Verlag, Essen 2020, 198 Seiten, 20 Euro