Kapitalismus beruht auf Wachstum. Und kommt das Wirtschaftswachstum (aus welchen Gründen auch immer) ins Stocken, haben wir es über kurz oder lang mit einer Krise zu tun. Krisen gibt es seit dem frühen Kapitalismus – zunächst allerdings im überschaubaren Rahmen. Es gab damals beispielsweise noch genügend Regionen (sogar ganze Kontinente) mit vormoderner oder nicht vorhandener Wirtschaft, in die Unternehmen expandieren konnten, wenn die Wirtschaft ihres Staates ins Stocken geriet. Und es existierten noch reichlich ungenutzte technische Möglichkeiten für die Weiterentwicklung oder auch Neugründung von Industrien.

Die Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 war dann aber nicht nur besonders heftig. Sie hatte zudem ihre Hauptursache nicht in vorübergehender Störung des Wirtschaftswachstums (war also keine Durchsetzungskrise der Kapitallogik), sondern entstand im Gegenteil aus der verqueren Logik eben dieses Wirtschaftswachstums. Nach dem Ende einer gigantischen Konjunkturwelle – die wiederum aus dem damaligen Siegeszug fordistischer Massenproduktion resultierte – hatte die kapitalistisch strukturierte Industrieproduktion sich in einer Fülle nicht absetzbarer Waren selbst erstickt. Und es bedurfte weltweit massiver Interventionen der jeweiligen Staatsapparate, ihre Volkswirtschaft wieder zum Laufen zu bringen.

Diese Interventionen erfolgten freilich von den betroffenen Regierungen auf sehr unterschiedliche Weise. In einigen Staaten wurde mittels entsprechender Sozialgesetzgebung wieder Massenkonsum erzeugt – was dann die Wirtschaft erneut ankurbelte. Diese Methode war letztlich die Geburt des keynesianischen Wohlfahrtstaates. Im Deutschland des Reichskanzlers Adolf Hitler erfolgte das Konjunkturprogramm allerdings ganz anders – mittels kreditfinanzierter Hochrüstung, die die Leute wieder in Arbeit und Lohn bringen sollte und dies vorübergehend sogar tat. Voraussehbare Folge war dann allerdings die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges – mit weltweit über 50 Millionen Toten.

Auf den Krieg folgte die Nachkriegskonjunktur, dann erneute Krisen, Hochrüstungsprogramme (es blieb glücklicherweise, jedenfalls in Europa, beim „Gleichgewicht des Schreckens“), schließlich dann der Siegeszug von Mikroelektronik und Netzkultur (aus dem dann wieder eine massenhafte Vernichtung von Arbeitsplätzen resultierte). Und nach dem Auslaufen dieser vorübergehenden Konjunkturwelle hatten wir von 2007 bis 2009 plötzlich die nächste Weltwirtschaftskrise. Die konnte im weltweiten Maßstab nur mittels einer gigantischen, nie wieder abtragbaren Staatsverschuldung bewältigt werden. Dass auf sie in vergleichsweise kurzer Zeit wieder die nächste Weltwirtschaftskrise folgen würde, war abzusehen. Und auch, dass diese Krise nicht mehr mittels einer simplen Kreditaufnahme bewältigt werden könne.

Damit haben wir es nun seit mehreren Jahren zu tun – inklusive verzweifelter Versuche diverser Wirtschaftsunternehmen, Staatsapparate und multistaatlicher Organisationen, eine neue Konjunkturwelle herbeizuzaubern.

Geht es derzeit in Deutschland etwa um einen besonders perfiden Versuch, konjunkturellen Aufschwung zu erzwingen – wieder einmal mittels kreditfinanzierter Hochrüstung? Es mag so scheinen. Dass solche Hochrüstungsprogramme nur ein Vorgriff auf dann unweigerlich folgende Wellen von Vernichtung und Raub sein können, scheint bei deutschen Eliten nie angekommen zu sein.

Beim derzeitigen Krieg in der Ukraine handelt es sich um eine Spätfolge des Zerfalls der Sowjetunion in den 1990er Jahren. Die Ukraine als industriell unterentwickeltes Gebiet gehörte – wie andere Regionen auch – zu den Verlierern dieses Zerfallsprozesses. Beim jetzigen Krieg geht es – abgesehen von allen Fragen der politischen Verfasstheit und des Völkerrechts – darum, ob die Ukraine als wirtschaftliches Anhängsel Russlands wieder ein Spielball russischer Oligarchen und Staatsunternehmen wird oder aber endgültig ein Spielball westlicher Großunternehmen bleibt. Ein größerer Teil der ukrainischen Agrarflächen und Industrieobjekte befindet sich jedenfalls bereits im Besitz westlicher Unternehmen. Und die westliche Rüstungsindustrie profitierte bisher mächtig vom Krieg – ebenso allerdings russische Rüstungsschmieden. Und keines der Unternehmen, die am Krieg verdienen, ist naturgemäß an einem Friedensschluss interessiert.

Es besteht mittlerweile die reale Gefahr, dass der bisher lokal begrenzte Konflikt in Richtung eines atomar geführten Weltkrieges eskaliert. Die Zahl der Opfer eines solchen Krieges ist schwer voraussehbar – sie dürfte aber mit hoher Wahrscheinlichkeit die Zahl der Opfer des letzten Weltkrieges weit übersteigen.

Deutsche Wirtschaftsunternehmen scheinen in einer solchen Situation aber vordergründig erst einmal weitere Expansionsmöglichkeiten zu wittern – und ihre Lobbyisten demzufolge entsprechend instruiert zu haben. Ein Beispiel: Anstatt ein Ende der Eskalation anzustreben, forderte in Deutschland kürzlich der Städte- und Gemeindebund ein Milliardenpaket zum Schutz der Bevölkerung vor einem möglichen Krieg aufzulegen. Dies hört sich zwar zunächst vernünftig an. Gemeint ist allerdings ein Bauprogramm – in erster Linie für Atombunker. Konkret forderte Hauptgeschäftsführer André Berghegger mehr Bunker in Deutschland. Von den 2000 während des Kalten Krieges errichteten öffentlichen Schutzräumen seien nur noch 600 vorhanden: „Es ist dringend notwendig, stillgelegte Bunker wieder in Betrieb zu nehmen“. Außerdem sollten neue, moderne Schutzräume gebaut und zusätzliche Sirenen installiert werden. Besonders die letzte Forderung dürfte bei denen, die noch den Zweiten Weltkrieg und die Hochzeiten des Kalten Krieges miterlebt haben, böse Erinnerungen aus Kindheit und Jugend wachrufen.

Dass im Fall eines atomar geführten Krieges solche „Schutzräume“ nur sehr bedingt – und dann auch nur für relativ kurze Zeit – Teile der Bevölkerung schützen können, wird derzeit in der Öffentlichkeit kaum diskutiert. Auch nicht, dass anstelle einer weiteren Eskalation Verhandlungen mit der Gegenseite vernünftig wären. In einem atomar geführten Krieg kann es jedenfalls keine Sieger geben – auch wenn danach überlebende Teile der Bevölkerung es schaffen, noch ein paar Monate in unterirdischen Bunkern auszuharren.

Gibt es in dieser Situation denn gar keinen Lichtblick? Doch. Ausgerechnet Papst Franziskus als weltweites Oberhaupt aller Katholiken kritisiert die Waffenindustrie als „Drahtzieher der Kriege“ und fordert zum wiederholten Mal ein „Nein zum Krieg“ auf allen Seiten. Und laut Umfragen lehnt eine Mehrheit der Bundesbürger die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine ab und ist nach wie vor für mehr diplomatische Bemühungen um einen Waffenstillstand mit anschließenden Verhandlungen.

Was hat dies alles aber nun mit Wirtschaftskriminalität zu tun? Krieg bedeutet Raub und Zerstörung, ist also verbrecherisch. Und Geschäftemacherei mit dem Tod anderer ist dem Grunde nach kriminell.

Quelle:
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/staedte-und-gemeindebund-fordert-bau-neuer-bunker-a-37bdc35e-0b5b-4e6b-ae22-e6f050611818