Acht Jahre sind mittlerweile vergangen – seit dem Einsturz der für den globalen Markt produzierenden Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch, bei dem über 1.100 Arbeiter*innen ums Leben kamen. So lange brauchte es, bis der Bundestag am 11. Juni 2021 das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, auch als „Lieferkettengesetz“ bekannt, verabschiedete. Union, SPD und die Grünen votierten für das Gesetz, die Fraktion Die Linke enthielt sich, AfD und FDP stimmten dagegen.

Das Gesetz verpflichtet größere Unternehmen ab dem Jahr 2023 dazu, menschenrechtliche Standards und Belange des Umweltschutzes in ihren Lieferketten einzuhalten. Im ersten Schritt müssen Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten sicherstellen, dass es in ihrem eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zulieferern nicht zu Menschenrechtsverletzungen wie beispielsweise Kinderarbeit kommt. Bei weiteren Gliedern der Lieferkette müssen Unternehmen erst aktiv werden, wenn sie „substantiierte“ Kenntnis von einem möglichen Verstoß erhalten. Ab 2024 gilt das Gesetz dann auch für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Bei Nichteinhaltung der Regelungen drohen Bußgelder von bis zu zwei Prozent des jährlichen Umsatzes.

Jahrelang war um das Gesetz gerungen worden, vor allem die großen Wirtschaftsverbände waren gegen das geplante Gesetz Sturm gelaufen* (vgl. auch diesbezügliche BIG-Artikel vom 4. März 2021, vom 19. Juli 2020, vom 11. Dezember 2019 und vom 16. September 2019). Gewerkschaften, zahlreiche Menschenrechts- und Hilfsorganisationen unterstützten dagegen das Vorhaben. Sie bewerten die gesetzlichen Bestimmungen jedoch nur als einen ersten wichtigen Schritt, dem schärfere Regelungen folgen müssten und kritisierten vor allem, dass in dem Gesetz keine Regelungen zur zivilrechtlichen Unternehmenshaftung vorgesehen, damit auch keine Entschädigungen für Opfer von Menschenrechtsverletzungen möglich sind. Aus Unternehmenssicht entscheidend ist mit Blick auf die fehlende Haftungsregel, dass der Gesetzestext lediglich eine „Bemühenspflicht, aber weder eine Erfolgspflicht noch eine Garantiehaftung“ vorschreibt.

Aus einem Pressestatement der „Initiative Lieferkettengesetz“ vom 11. Juni 2021:

„Der heutigen Abstimmung im Bundestag ist eine Lobbyschlacht vorausgegangen, die ihresgleichen sucht. Leider haben das Wirtschaftsministerium und viele Unions-Abgeordnete das Gesetz auf Druck der Wirtschaftslobbyisten an zahlreichen Stellen abgeschwächt. Das Gesetz umfasst zu wenige Unternehmen und macht zu viele Ausnahmen bei den Sorgfaltspflichten. Es verweigert Betroffenen den Anspruch auf Schadensersatz und setzt leider kein Zeichen für den Klimaschutz in Lieferketten.

Deswegen ist dieses Gesetz nur ein Etappenerfolg. Die Zivilgesellschaft wird auch weiterhin für Menschenrechte und Umweltschutz in der gesamten Wertschöpfungskette streiten: Für Nachbesserungen im Lieferkettengesetz, für eine wirkungsvolle Umsetzung und für eine europaweite Regelung, die an entscheidenden Stellen über das deutsche Gesetz hinausgeht.“**

Der Autor JustIn Monday kritisiert in einem Artikel der Zeitschrift Konkret diese Sichtweise:

„Die ins Gesetz eingebaute Wirkungslosigkeit allein auf Lobbyarbeit und Profitinteressen zurückzuführen greift allerdings zu kurz und trägt zur Verschleierung des Problems bei, das bereits in der von den NGOs favorisierten Grundstruktur der sogenannten Sorgfaltspflicht zum Ausdruck kommt. Juristisch zeigt es sich, weil eine Haftungsregel Haftung für Handlungen einfordern würde, die zum einen von anderen Personen begangen werden und die zum anderen fremdem Recht unterliegen – was selbstverständlich gegen die Grundsätze des bürgerlichen Rechts verstößt. Allein aus diesem Grund ist es notwendig, mit der Sorgfaltspflicht eine neue Rechtsform einzuführen, auf die sich die Rechtsfolgen überhaupt beziehen können. Zwischen der Rechtsnorm und der politökonomischen Realität, auf die sie Auswirkungen haben soll – also den Arbeitsbedingungen –, besteht allerdings nur in der Phantasie derjenigen ein Zusammenhang, die Fair Trade für eine Maßnahme halten, die kapitalistische Ausbeutung verhindern könne, wenn sie nur konsequent genug angewandt würde.“

* So war unter anderem von einem „Bürokratiemonster“ die Rede. Nach einer Studie des „Handelsblatt Research Institute“ (HRI) kostet es Unternehmen jedoch maximal 0,6 Prozent ihres Umsatzes, wenn sie ihren Verpflichtungen aus dem Gesetz nachkommen. Von überzogenen Vorschriften, die deutsche Unternehmen hohe Risiken aussetzen im internationalen Wettbewerb benachteiligen würde, wie etwa der Arbeitgeberverband BDA warnte, kann nach Angaben des Instituts keine Rede sein (vgl. Handelsblatt vom 17. Mai 2021).

** Das EU-Parlament befürwortet ein schärferes Gesetz. Am 10. März stimmten die Parlamentarier*innen mehrheitlich für den „Legislativbericht über menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten von Unternehmen“. Das Europaparlament empfiehlt damit der EU-Kommission, eine Art EU-weites Lieferkettengesetz einzuführen. Danach sollen kleine und mittlere Unternehmen nicht ausgenommen werden und zivilrechtliche Klagen gegen Unternehmen möglich sein.

Quellen:

Deutscher Bundestag: „Gesetzentwurf der Bundesregierung über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 19. April 2021“, BT-Drucksache 19/28649

https://dserver.bundestag.de/btd/19/286/1928649.pdf

„Was im neuen Lieferkettengesetz steht – und was nicht“, Deutschlandfunk vom 11. Juni 2021

https://www.deutschlandfunk.de/koalition-einigt-sich-lieferkettengesetz-regelungen-und.2897.de.html?dram:article_id=492469

Initiative Lieferkettengesetz: „‚Noch nicht am Ziel, aber endlich am Start‘ – Kommentar zum Beschluss des Lieferkettengesetzes“, Pressestatement vom 11. Juni 2021

https://lieferkettengesetz.de/presse/

Martina Kind: „Mehr Respekt, bitte“, Süddeutsche Zeitung vom 5. Juli 2021

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/lieferkettengesetz-unternehmen-ausland-textilindustrie-1.5336393

JustIn Monday: „Jammerhöhlen der Exploitation“, Konkret 7/2017, Seite 24

https://www.konkret-magazin.de/404-aktuelles-heft

Frank Specht: „HRI-Studie: Kostenbelastung durch Einhaltung der Menschenrechte nur gering“, Handelsblatt vom 17. Mai 2021

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/sorgfaltspflichtengesetz-hri-studie-kostenbelastung-durch-einhaltung-der-menschenrechte-nur-gering/27197452.html

Welt-Sichten (Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit): „Bundesrat billigt Lieferkettengesetz“, 25. Juni 2021

https://www.welt-sichten.org/nachrichten/39017/bundesrat-billigt-lieferkettengesetz