Als weithin skandalös gilt, dass Unstimmigkeiten in den Bilanzen großer Konzerne in der Vergangenheit eher von Shortsellern als von der Finanzaufsicht BaFin entdeckt und veröffentlicht wurden.
In einem Report aus dem Herbst 2019 schrieb die Bürgerbewegung Finanzwende:
„Die BaFin bleibt in vielen Aufgabenbereichen deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück. Häufig fehlt es ihr an Tatkraft oder dem Willen einzugreifen. Oder wie es ein genervter Rechtsanwalt kürzlich ausdrückte: Die Finanzaufsicht sei zu oft ‚schuldig durch Nichtstun‘. Als harte Truppe sind die Aufseher der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unter Verbraucherschützern und Anlegeranwälten nicht gerade bekannt. Im Gegenteil: Ihnen agiert die Aufsicht oft nicht energisch genug, vielen gilt sie als ‚zahnloser Tiger‘.“
Nach dem Versagen der Behörde im Wirecard-Skandal des Jahres 2020, welcher gravierende Mängel bei den Kontrollmechanismen offenlegte, kündigte der Bundesfinanzminister deshalb eine Reform der BaFin an. Mitte des letzten Jahres beschloss der Bundestag ein entsprechendes Gesetz. Unter anderem wurde die Zahl der Mitarbeiter um etwa 150 aufgestockt, so dass die BaFin aktuell rund 2.800 Personen beschäftigt.
„Die reformierte Finanzaufsicht will härter, schneller und risikobereiter werden“, heißt es auf tagesschau.de. Die BaFin wirke entschlossener als bisher, so eine Expertin von Finanzwende gegenüber dem ARD-Nachrichtenportal; eine härtere Gangart sei schon sichtbar.
Das Wirtschaftsmagazin Finance weist in seiner aktuellen Ausgabe darauf hin, dass die Bilanzen deutscher Unternehmen 17 Jahre lang von der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) unter die Lupe genommen worden seien. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit Wirecard habe die Institution aber wegen einer zu schlechten Ausstattung ihre Unfähigkeit gezeigt, Bilanzmanipulationen großen Ausmaßes zu erkennen. Seit Januar 2022 ist nun die BaFin für die Bilanzkontrolle zuständig. Finance beschreibt das bisherige, unbefriedigende Prozedere:
„An die Kontrolle durch die DPR hatten sich Konzerne, ihre CFOs und Abschlussprüfer über die Jahre hinweg gewöhnt. Das Vorgehen: Die Prüfstelle wurde per Stichprobe oder auf einen Anlass hin aktiv, der Prüfung musste das Unternehmen dann erst einmal zustimmen, danach lief eine ausreichend lange Frist, um die angeforderten Dokumente vorzulegen. (…) Waren die Geprüften mit dem Urteil der DPR nicht einverstanden, folgte noch ein langes Ringen, und erst in einem finalen Schritt wurde die Bafin eingeschaltet. Fand die DPR einen Fehler, wurde dieser im Bundesanzeiger veröffentlicht – für die Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar und in einer derart kryptischen Formulierung, dass die meisten Anleger damit ohnehin nichts anfangen konnten. Vor allem aber dauerten die Untersuchungen meist so lange, dass der Fehler am Ende eine Bilanz betraf, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon mehrere Jahre alt war. Die Folge: Kaum ein Investor interessierte sich noch dafür, den Unternehmen drohte nur in den seltensten Fällen wirkliches Ungemach.“
Die BaFin forciert jetzt offensichtlich den Druck. So sollen Bilanzmanipulationen möglichst früh identifiziert und strafrechtlich relevante Sachverhalte gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft aufgeklärt werden. Auch kann die BaFin bereits mit Beginn der Prüfung sowohl den Namen des Unternehmens als auch den Grund für die Untersuchung bekannt geben. Prüfungen sollen in drei bis sechs Monaten abgeschlossen sein und sich nicht mehr über Jahre hinziehen. Außerdem hat die BaFin nun ein Vorlade- und Vernehmungsrecht gegenüber Organmitgliedern, Mitarbeitern und Abschlussprüfern, so das Magazin Finance.
Die „neue Kampfeslust der Bafin-Beamten“ (Süddeutsche Zeitung vom 3. August 2022) zeigt sich offenbar in der Konfrontation mit einem Immobilienriesen, der Adler Group. Der Konzern, so der Vorwurf, habe sich ein großes Entwicklungsprojekt in Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim schöngerechnet, das heißt, es sei um eine Viertelmilliarde Euro zu hoch bewertet worden (vgl. Artikel zur Adler Group vom 4. Juli 2022; http://big.businesscrime.de/category/artikel/). Nach Angaben der BaFin, so berichtet die Süddeutsche Zeitung, veröffentliche die Behörde zum ersten Mal „eine solche Teil-Fehlerfeststellung“. Die Behörde untersuche also nicht mehr im Stillen so lange vor sich hin, bis es zu spät sei und Anleger alles verloren hätten. Allerdings – so die Einschränkung – stammten die Vorwürfe rund um Adler aus dem vergangenen Herbst und die Aktie hätte seitdem mehr als drei Viertel an Wert verloren.
Die Süddeutsche Zeitung kommentiert:
„Für ein Lob der neuen Bafin ist es noch zu früh; die Adler-Bilanzkontrolle ist ein erster Test, den die Behörde noch nicht bestanden hat. (…) Es waren stets andere, die zuerst auf Missstände hinwiesen. Die Finanzaufsicht deckt selten etwas auf. Immerhin verspricht sie jetzt, allen Hinweisen konsequent nachzugehen. (…) Bis die Bafin gefürchtet sein wird wie die US-Börsenaufsicht SEC mit ihren Megabußgeldern, ist es aber noch ein weiter Weg.“ (Süddeutsche Zeitung vom 4. August)
Quellen:
Bürgerbewegung Finanzwende e. V (Hg.): „Die Akte BaFin. Zu mutlos, zu langsam, zu formal – wie die deutsche Finanzaufsicht besser werden kann“, Oktober 2019.
https://www.finanzwende.de/themen/finanzaufsicht-bafin/finanzwende-report-die-akte-bafin/
Ursula Mayer (HR): „Finanzaufsicht nach Reform: Der Riese BaFin erwacht allmählich“, tagesschau.de vom 3.Mai 2022
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/bafin-119.html
Julia Schmitt: „Das Ende des zahnlosen Tigers“, Finance vom Juli/August 2022, Seite 64-65 (Printausgabe)
Jan Diesteldorf/Stephan Radomsky: „Die Kontrolleure beißen zu“, Süddeutsche Zeitung vom 3. August 2022 (Online)
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/adler-immobilien-bafin-1.5633156
Jan Diesteldorf: „Jetzt wir kontrolliert“, Süddeutsche Zeitung vom 4. August 2022 (Online)
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bafin-kommentar-adler-wirecard-1.5633893