Zwei aktuelle Studien belegen, dass hierzulande weiterhin Millionen von Erwerbstätigen um den gesetzlichen Mindestlohn gebracht werden und Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern nach wie vor bei der Lohnuntergrenze deutlich hinterherhinkt.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) wertete die Daten des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP) für die Jahre 1995 bis 2018 aus. Nachfolgendes Zitat stammt aus einer Pressemitteilung des DIW vom 12. Februar 2020:

„Im Niedriglohnsektor erhielten den Daten zufolge auch im Jahr 2018 auf Basis des vereinbarten Stundenlohns rund 2,4 Millionen Beschäftigte noch keinen Mindestlohn. Zieht man den tatsächlichen Stundenlohn, also inklusive Überstunden, heran, sind es sogar 3,8 Millionen Beschäftigte. Das deutet darauf hin, dass der Mindestlohn häufig auch mit Hilfe von Überstunden umgangen wird.“

Die Tageszeitungen Junge Welt und Neues Deutschland verweisen auf fehlende Kontrollen beim Mindestlohn bzw. auf Verstöße bei der Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeiten:

„Um die Lohndrückerei zu unterbinden, müsste die Arbeitszeit präzise dokumentiert werden. Genau dies hat auch der Europäische Gerichtshof im Mai vergangenen Jahres in einem Grundsatzurteil gefordert. Würden die Vorgaben aus Luxemburg hierzulande umgesetzt, hätten die Beschäftigten ein gesetzliches Instrument, mit dem sie sich gegen die Tyrannei an der Konzernspitze wehren und ihren Lohn im Zweifel einklagen könnten. Der DGB fordert zum Beispiel eine Beweislastumkehr beim Nachweis der geleisteten Arbeitszeit. Bislang sind die Beschäftigten verpflichtet, nachzuweisen, wie viele Arbeitsstunden sie geleistet haben.“ (Junge Welt vom 13. Februar 2020)

„Nach aktuellen Zahlen von Wirtschaftsforschern dürften bis zu 3,8 Millionen Beschäftigte um das Lohnminimum betrogen werden. Wie viele es genau sind, ist schwer zu sagen, denn der Mindestlohn wird zu wenig kontrolliert und wo doch, scheitern die Beamten (…) oftmals an unklaren Aufzeichnungen von Arbeitszeit und Dienstplänen. Und Wirtschaftsverbände, FDP wie auch Union haben nichts Besseres zu tun, als solche Verstöße gegen Dokumentationspflichten auch noch mit ihrer Kritik an ‚zu viel Bürokratie‘ zu legitimieren. Dabei braucht es strengere Vorgaben. Aber auch die Sanktionen sind ein Problem. So sind die Strafen derart niedrig, dass sie geradezu Anreiz sind, auf Dokumentation zu verzichten.“ (Neues Deutschland vom 13. Februar 2020)

Der neue Mindestlohnreport des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung analysiert den deutschen Mindestlohn in Relation zu anderen EU-Ländern. Dazu folgender Auszug aus einer Pressmitteilung des WSI vom 13. Februar 2020:

„Der deutsche Mindestlohn ist mit 9,35 Euro pro Stunde weiterhin spürbar niedriger als die Lohnuntergrenzen in den westeuropäischen Euro-Staaten, die alle 9,66 Euro und mehr Stundenlohn vorsehen. In vier Euro-Ländern beträgt der Mindestlohn nun mehr als 10 Euro, in Luxemburg sogar 12,38 Euro. Auch in Großbritannien wird der Mindestlohn ab April deutlich über dem deutschen Niveau liegen (…) Bislang liegen aber nur in zwei EU-Ländern, Frankreich und Portugal, die Mindestlöhne bei mindestens 60 Prozent des mittleren Lohns. Dieses Niveau ist aus Sicht vieler Experten die Untergrenze für ein existenzsicherndes Entgelt. Der EU-Durchschnitt beträgt dagegen laut WSI lediglich knapp 51 Prozent, in Deutschland ist das Niveau mit knapp 46 Prozent noch niedriger und war in den vergangenen Jahren rückläufig.“

Quellen:

„Lohnschere in Deutschland schließt sich langsam – Zahl der Geringverdienenden geht zurück“, Pressemitteilung des DIW vom 12. Februar 2020