Der Welthandel ist ohne Seefahrt nicht denkbar. Denn die Schifffahrt bildet das Rückgrat der Wirtschaft. 90 Prozent aller Waren werden letztlich per Schiff zwischen den Kontinenten transportiert. Über die unhaltbaren Folgen, die dabei insbesondere das sogenannte Ausflaggen von Schiffen für die betroffenen Seeleute haben kann, berichtete das ZDF am 11. und 12. August 2020. Viele Reedereien, auch deutsche, lassen ihre Schiffe auf den Weltmeeren unter sogenannten Billigflaggen fahren. Für die betroffenen Seeleute bedeutet dies massive Missstände bei den Arbeits- und Lebensbedingungen (keine Tariflöhne, kein Urlaubs- und Krankengeld, fehlende Arbeitsschutzbestimmungen).

So berichtet ein Seemann aus Sri Lanka über die unerträglichen Zustände auf einem Schiff einer Hamburger Reederei. Der Frachter fuhr unter der Billigflagge von Liberia. Die Verpflegung der Crew war völlig unzureichend. Lebensmittel waren zum Teil verdorben, für das Trinkwasser an Bord musste bezahlt werden und es war dennoch nicht ausreichend vorhanden. Es musste Regenwasser in Plastikplanen gesammelt werden. Ein Vertreter der Transportarbeitergewerkschaft ITF berichtet zudem von verzögerten Lohnzahlungen, verweigertem Landgang und nicht eingehaltenen Sicherheitsstandards.

Werden deutsche Schiffe ausgeflaggt, zum Beispiel nach Liberia, den Cayman Islands oder Panama, werden die deutschen Tariflöhne und Sozialstandards umgangen. Dazu wird eine Briefkastenfirma in einem Billigflaggenland gegründet, die als neuer Eigentümer auftritt. An Bord gelten deshalb die Regeln des Flaggenstaats (geringere Löhne und soziale Absicherung).

Um Kosten zu reduzieren wird häufig auch die hochgefährliche Sicherung der Ladung nicht von den dafür qualifizierten Hafenarbeitern vor Ort durchgeführt, sondern den Schiffsbesatzungen aufgezwungen. Ein weiterer Skandal: Im Jahr 2015 wurden den deutschen Reedern vom Staat massive Steuererleichterungen gewährt. Das Ziel war, sie zu animieren, ihre Schiffe wieder unter deutscher Flagge fahren zu lassen – ohne jeden Erfolg. Der deutsche Staat fördert die hiesigen Reeder also jährlich mit einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag. Die ausgeflaggten Schiffe aber „kommen nicht mehr zurück“, wie es in der Reportage heißt.

Im schlimmsten Fall werden Schiffe, die unter Billigflaggen fahren, aufgegeben. Geht eine Reederei aus einem Billigflaggenstaat pleite, werden die Seeleute zurückgelassen und sind auf sich gestellt. Weil eine russische Reederei wegen Zahlungsunfähigkeit einen Frachter aufgab, leben derzeit zwei Seeleute seit mittlerweile fast zwei Jahren im bulgarischen Schwarzmeerhafen Varna auf ihrem Schiff. Denn sie hoffen, dass sie ihre ausstehenden Gehälter erhalten, wenn das Schiffes eventuell verkauft wird. Laut internationalem Recht ist der Inselstaat Palau für Crew verantwortlich. Aber der ließ bislang so gut wie nichts von sich hören.

Quellen:

ZDF zoom: „Die Sklaven der Weltmeere. Wie Seeleute schikaniert werden“. Ein Film von Arndt Ginzel, gesendet am 12.8.2020 (22:45 Uhr)

https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom

Frontal 21 (ZDF): „Sklaven der Weltmeere: Seeleute auf Geisterschiffen“, Reportage von Arndt Ginzel am 11.8.2020 (21 Uhr)

https://www.zdf.de/politik/frontal-21/seeleute-auf-geisterschiffen-100.html

Vgl. zum Thema auch:

Gerd Bedszent: Von der Billigflagge zum neoliberalen Utopia, in: BIG Business Crime Nr. 2/2015

Burkhard Ilschner: Big Business Crime – an, auf und in den Meeren, in: BIG Business Crime Nr. 2/2015 (1. Teil), Nr. 4/2015 (2. Teil) und Nr. 4/2016 (3. Teil) – zu lesen auch auf der Homepage der Zeitschrift WATERKANT

https//www.waterkant.info