Deutschlands wichtigste Cum-Ex-Ermittlerin soll entmachtet werden. Das berichtet das Handelsblatt am 20. September 2023. Danach plant Stephan Neuheuser, erst seit wenigen Wochen neuer Chef der Kölner Staatsanwaltschaft, einschneidende personelle Veränderungen. Er will die Hauptabteilung H, „Deutschlands schlagkräftigste Ermittlertruppe im Kampf gegen Steuerhinterziehung nach der Methode Cum-Ex“, umbauen. Diese wurde von Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker geleitet, die als führende Expertin bei der strafrechtlichen Verfolgung des Wirtschaftsverbrechens gilt. Ein zweiter Hauptabteilungsleiter, Ulrich Stein-Visarius, soll ernannt werden, der allerdings bislang in Bezug auf Cum-Ex-Verfahren völlig unerfahren ist.

„Neuheuser und Stein-Visarius kommen beide aus dem Justizministerium Nordrhein-Westfalen. Neuheuser leitete dort zuletzt das Referat für Personalbedarf im Justizvollzug, Stein-Visarius das Referat für Jugendstrafrecht. Nun soll er die Hälfte der rund 30 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte führen, die sich um die hochkomplizierten Cum-Ex-Fälle kümmern.“

Brorhilker muss ihre Ermittlungsarbeit künftig wohl mit dem neuen Co-Chef abstimmen. Bei unterschiedlichen Auffassungen, schreibt das Handelsblatt, müsste ihr Vorgesetzte Neuheuser entscheiden. Umgesetzt sind die Pläne noch nicht. Nach Angaben einer Sprecherin des Justizministeriums dauere „die Prüfung von Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz“ in der zuständigen Fachabteilung noch an.

Die junge Welt kommentiert diesen für viele Beobachter überraschenden Vorgang:

„Die personelle Neuordnung mit Effizienzgewinnen zu begründen, ist dreist. Bei ihrer Jagd auf die Cum-Ex-Diebe und ihre Beute konnte Brorhilker seit 2013 etliche spektakuläre Erfolge erzielen. Zum Beispiel brachte sie den Kanzleipartner von Hanno Berger zum Reden, der in Deutschland schillerndsten Cum-Ex-Figur. Zehn Jahre nach Bergers Flucht in die Schweiz erwirkte die Oberstaatsanwältin seine Auslieferung, woraufhin dieser 2022 vor den Landgerichten Bonn und Wiesbaden zu jeweils rund acht Jahren Haft verurteilt wurde. 2014 ließ Brorhilker im Rahmen einer weltweiten Razzia Büros in Frankfurt am Main, Zürich, Luxemburg, London und New York durchsuchen und massenhaft Beweismittel beschlagnahmen. 2015 spielte ein Insider dem NRW-Finanzministerium eine CD zu, durch deren Auswertung 129 Cum-Ex-Geschäfte aufgedeckt und 100 Millionen Euro an zu Unrecht erstatteten Steuern zurückgeholt werden konnten. Nicht zuletzt verfasste Brorhilker die Anklage im Prozess gegen die Hamburger Warburg-Bank, gegen die schließlich eine Geldstrafe von 176 Millionen Euro verhängt wurde.“

Auch das Handelsblatt unterstreicht die Verdienste Brorhilkers:

„International konnte sich die Chefermittlerin aus Köln höchsten Respekt erarbeiten. Die Nachrichtenagentur Bloomberg nahm Brorhilker im Dezember 201 als einzige Deutsche in ihre ‚Top 50‘ auf – die Liste der ‚Menschen und Ideen, die 2021 das globale Geschäft bestimmen‘. Zu Hause schien ihre Arbeit weniger geschätzt. Längst nicht alle Stellen in der Hauptabteilung waren besetzt. Viele der Ermittler hatten kaum Berufserfahrung. Außerdem sollten sie sich neben den Cum-Ex-Verfahren auch um Corona-Betrugsfälle kümmern.“

Die junge Welt erinnert weiter daran, dass derzeit der ehemalige Chef der Warburg-Bank, Christian Olearius, in Bonn vor Gericht steht und dass sich die Hamburger Bürgerschaft vom Justizapparat behindert fühlt:

„Die Justiz in der Hansestadt interessiert der Fall nicht, obgleich sich in der Bürgerschaft ein Untersuchungsausschuss damit beschäftigt. Allerdings erhob das Parlament den Vorwurf, die Kölner Staatsanwaltschaft habe ein Jahr lang Akten aus Ermittlungsverfahren zurückgehalten, die der Ausschuss wiederholt angefordert hatte. Offenbar sind in Köln seit längerem Bremser am Werk, denen Brorhilkers Eifer missfällt. (…) Reichen die Vorbehalte vielleicht bis hoch an die Behördenspitze oder noch weiter? Jedenfalls wurden den Hamburger Abgeordneten erst nach Intervention durch NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen) Unterlagen zugeleitet. Zudem musste der Chef der Staatsanwaltschaft, Joachim Roth, seinen Hut nehmen, um durch besagten Neuheuser ersetzt zu werden. Dessen erste Amtshandlung wird absehbar darauf hinauslaufen, die Kompetenzen Brorhilkers zu beschneiden. Zugleich gibt es immer noch Klagen aus Hamburg, dass weiterhin wichtige Papiere aus Köln fehlten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“

Quellen:

René Bender/Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Neuer Behördenleiter will Deutschlands wichtigste Cum-Ex-Ermittlerin entmachten“, Handelsblatt (Online) vom 20. September 2023

https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/cum-ex/steuerskandal-neuer-behoerdenleiter-will-deutschlands-wichtigste-cum-ex-ermittlerin-entmachten-/29370396.html

Ralf Wurzbacher: „Das Imperium schlägt zurück“, junge Welt (Online) vom 22. September 2023

https://www.jungewelt.de/artikel/459573.cum-ex-das-imperium-schlägt-zurück.html