Die Ethnisierung sozialer Probleme ist ein gerne gebrauchtes Ablenkungsmittel, um Sündenböcke für sie benennen zu können. Nicht nur Rechtsextreme und Rechtspopulisten bedienen sich dieses Mittels. Auch in der „bürgerlichen Mitte“, bei ihren Parteien und Medien gibt es eine Tendenz, weniger nach den sozialen und ökonomischen Ursachen von Kriminalität zu fragen, als die ethnische Herkunft der Täter zum Thema zu machen.

Im seit den 1980er Jahren beliebt gewordenen Begriff „Ausländerkriminalität“ kam diese Tendenz zum Ausdruck. Er suggerierte, dass es unter den „ausländischen“ Bewohnerinnen und Bewohnern der Bundesrepublik eine besondere Affinität zu kriminellen Handlungen gebe oder dass es zumindest aussagekräftig sei, ihr normabweichendes Verhalten pauschal mit dem der Allgemeinheit statistisch zu vergleichen. Dabei wurden unter „Ausländer“ völlig disparate Gruppen zusammengefasst – von seit langem im Land lebenden Migranten über Asylbewerber bis hin zu vorübergehend Eingereisten. Die stets überproportional wirkenden Zahlen zur „Ausländerkriminalität“ täuschten auch deshalb, weil Altersstruktur, Geschlechterverteilung und Schichtzugehörigkeit der „Ausländer“ sich von der Mehrheitsgesellschaft erheblich unterschieden. Diese Merkmale sind es aber, die in erster Linie für die Kriminalitätsbelastung bestimmend sind.

Die Rolle der Presse in diesem Zusammenhang haben wir an der Fachhochschule Frankfurt a. M. in den 1990er Jahren bei einem deutsch-französischen Forschungsprojekt exemplarisch untersucht. Ergebnis war, dass nicht nur Massenarbeitslosigkeit und Wohnungsnot, sondern regelmäßig auch Kriminalität mit der Zuwanderung und Anwesenheit von „Fremdethnischen“ in Verbindung gebracht wurde. Die Position einer Zeitung im politischen Spektrum entschied dabei über den Grad der Stigmatisierung dieser Gruppen *).

Inzwischen ist in der Bundesrepublik kaum noch von hier lebenden „Ausländern“ die Rede, sondern mehr von Menschen „mit Migrationshintergrund“. Das trägt der Tatsache der realen Einwanderung Rechnung. Der Begriff „Ausländerkriminalität“ kam daher aus der Mode. Aber nach wie vor berichten die Medien – entgegen einer vom Presserat gesetzten Regel – gerne mehr oder weniger offen über die ethnische Zugehörigkeit von Tatverdächtigen, Angeklagten und Verurteilten. Es reicht ja oft schon der nicht deutsch klingende Vorname.

Seit einiger Zeit erscheinen nun in Zeitungen und Zeitschriften groß aufgemachte Artikel über die Kriminalität bestimmter „Clans“. Gemeint sind damit nicht etwa betrügerische Machenschaften von Cliquen der Manager-Elite, wie beispielsweise bei den Cum/Ex-Geschäften. Auch nicht die Geschäfte der italienischen Mafia, die es geschafft hat, in Deutschland Rückzugsräume einzurichten und weitgehend unterhalb des Radars der öffentlichen Wahrnehmung zu bleiben. Es geht vielmehr um aus dem Nahen Osten zugewanderte Großfamilien, von denen etliche Mitglieder Straftaten begehen, die dem Bereich der Organisierten Kriminalität zugerechnet werden können. Ihr Treiben sei – angeblich auch aus Rücksicht auf den sonst eventuell erhobenen Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit – lange Zeit nicht genügend von Polizei und Gerichten verfolgt worden.

Umso sensationeller gestalten sich die Berichte über neuerdings verstärkt stattfindende Polizeirazzien in diesem Milieu. Man kann den Eindruck gewinnen, dass an die Stelle des diskriminierenden Begriffs „Ausländerkriminalität“ der scheinbar objektive der „Clan-Kriminalität“ getreten ist. Dieser kann aber eine ähnliche Funktion erfüllen: Er lässt organisiertes Verbrechen als ein „uns fremdes“ Problem von kulturell Fremden erscheinen.

Dass es bei der „Clan-Kriminalität“ keineswegs nur um Tatbestände geht, die nicht geleugnet werden können und sollen, zeigt eine Passage aus einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Dort stand über den Ministerpräsidenten von NRW und Aspiranten auf den CDU-Vorsitz Armin Laschet zu lesen: „Laschet gilt als Muslimversteher, doch ins Innenministerium hat er sich den harten Hund Herbert Reul geholt, der einen Kreuzzug gegen kriminelle Clans führt“ (16. Februar 2020). Was hat das eine denn mit dem anderen zu tun? Und welche Assoziationen sollen hier mit dem Wort „Kreuzzug“ geweckt werden?

Nach den rassistischen Morden in Hanau hat die Rapperin Ebow, eine Deutsche kurdischer Herkunft, in einem Interview im Spiegel über den Täter und die Tat gesagt: „Bevor sein Bekennerschreiben analysiert wurde, waren erst mal Clans in Verdacht. Zunächst wurde von ‚Shisha-Morden‘ gesprochen, genauso wie die Mordtaten des NSU anfangs ‚Döner-Morde‘ genannt wurden“ (Spiegel online, 24. Februar 2020). Diese versuchte Täter-Opfer-Umkehr gehört zur nicht nur bei deutschen Behörden, sondern auch bei größeren Teilen der deutschen Bevölkerung zu beobachtenden strukturellen Rechtsblindheit.

Dazu passt, dass Friedrich Merz, Mitbewerber für den CDU-Vorsitz, auf die Frage nach seinen Konzepten zur Bekämpfung der Gefahr von Rechts geantwortet hat, dass er „Themen wie Clan-Kriminalität und schärfere Grenzkontrollen stärker in den Fokus stellen wolle“ (Spiegel online, 25. Februar 2020).

In einem Artikel von Sanem Kleff und Benno Plassmann in der taz vom 27. Januar 2020 heißt es: „Razzien bei ‚Clans‘ vermitteln ein rassistisch geprägtes Bild von organisierter Kriminalität. Demokratiegefährdend aber sind ganz andere Strukturen.“ Sowieso betreffe „der weitaus größte Teil bekannter Fälle Gruppierungen, die von Deutschen dominiert waren.“ Der Lagebericht Organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamts für 2018 melde „6.483 Tatverdächtige, von denen nur 7,2 Prozent als ‚Zuwanderer‘ erfasst wurden… Diese Gruppe Tatverdächtiger wurde vom BKA erstmals gesondert erfasst, wobei als Symbol zur Kennzeichnung der Gruppe ausgerechnet das Piktogramm eines überfüllten Flüchtlingsboots gewählt wurde.“

Wenn es schon die Zahlen nicht hergeben, muss es wenigstens die Symbolik tun.

In einem Beitrag zum Thema „Clan-Kriminalität“ in der Zeitschrift Ossietzky  gibt Ulla Jelpke den Rat, man solle auch einmal über deutsche Familienclans sprechen, die „durch Kolonialkriege, Kriegsproduktion und durch die Ausbeutung von Zwangsarbeit reich wurden. Sprechen wir beispielsweise einmal über den Hohenzollern-Clan, der die Dreistigkeit besitzt, nun seine aufgrund seiner Kollaboration mit den Nazis enteigneten Schlösser zurückzufordern“ (Heft 4, 22. Februar 2020).

*) Vgl. Reiner Diederich / Lothar Kupp: Das Bild des Fremden in der Presse von Marseille und Frankfurt a. M., Forschungsbericht, Fachbereich Sozialarbeit der Fachhochschule Frankfurt am Main, 2000

Reiner Diederich
war bis 2006 Professor für Soziologie und Politische Ökonomie an der FH Frankfurt am Main. Sein Artikel ist in der BIG-Beilage zur Nr. 2/2020 der Zeitschrift Stichwort BAYER erschienen.