Nach jahrelangem Schattendasein sowohl in der politischen als auch medialen Diskussion gelten die so genannten Cum/Ex-Geschäfte mittlerweile als einer der größten bundesdeutschen Steuerskandale. In den letzten Monaten kam es, obwohl steuerschädliche Cum/Ex-Geschäfte seit 2012 nicht mehr möglich sind, immer wieder zu mehr oder weniger umfangreicher Berichterstattung. Nicht zuletzt die laufenden Ermittlungsverfahren gegen zahlreiche Beschuldigte boten hierzu entsprechende Anlässe. Anfang Mai 2017 hatte ein Verbund aus dem ARD-Magazin Panorama, der „Zeit“ und „Zeit online“ eine aufwändige Recherche zu einigen Hintermännern dieses Skandals veröffentlicht. Allerdings befasste sich ein großer Teil der Berichterstattung schwerpunktmäßig mit den Akteuren und Profiteuren dieser Geschäftspraxis – auch wenn der Bundestag Anfang 2016 einen Untersuchungsausschuss eingerichtet hatte, der sich mit dem Versagen staatlicher Stellen auseinandersetzen sollte.

Aus journalistischer Sicht ist es durchaus nachvollziehbar, sich in der Hauptsache mit dem Verbund aus gerissenen Finanzjongleuren, skrupellosen Beratern und bereitwilligen Banken zu befassen. Etwas aus dem Blick gerät dabei jedoch der Umstand, dass Cum/Ex-Geschäfte – wie andere Finanzgestaltungen auch – jahrelang quasi unter den Augen staatlicher Stellen durchgeführt werden konnten. Es mag sich heute der eine oder andere staatliche Akteur mit der Feststellung herausreden, dass die in Rede stehenden Gestaltungen ja schon immer illegal gewesen seien.

Im Verlauf des Untersuchungsausschusses wurde die Situation mitunter verglichen mit einem Haus, bei dem ein Fenster offen steht. Nur weil das Fenster aufstehe, dürfe dennoch keiner einsteigen und sich mitnehmen, was ihm in den Sinn kommt. Bleibt man bei diesem Bild, müsste man allerdings auch sagen: Wenn jemand so dumm ist, seine Fenster über Jahre offen stehen zu lassen und zahlreiche Räuber einsteigen, wurde das Haus trotzdem ausgeräumt – auch wenn dies eigentlich verboten gewesen wäre.

In meinem Beitrag soll der Schwerpunkt auf dem Handeln und Unterlassen der staatlichen Stellen liegen, so wie es vom Untersuchungsausschuss des Bundestages von Februar 2016 bis zum Juni 2017 untersucht wurde. Sein Abschlussbericht wurde am 23. Juni 2017 veröffentlicht, er umfasst ohne Anlagen rund 800 Seiten. Es versteht sich von selbst, dass der Bericht der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD, der so genannte Mehrheitsbericht, das Agieren insbesondere des in der Vergangenheit von SPD- und CDU-Ministern geführten Bundesministeriums der Finanzen in einem sehr sanften Licht erscheinen lässt. Ebenso verständlich ist, dass die Oppositionsfraktionen ein nahezu gegensätzliches Bild zeichnen. Aus diesem Grund legten die Fraktionen von Linken und Grünen jeweils ein eigenes Sondervotum vor, welche in den Bericht eingingen.

Solch ein Vorgehen ist an sich nichts besonderes und kommt bei vielen Untersuchungsausschüssen vor, verweist aber dennoch auf das grundlegende demokratietheoretische Problem, wonach sich Mehrheitsfraktionen oftmals zum verlängerten Arm der von ihnen getragenen Regierung machen. Damit erweist sich die Kontrolle der Regierung durch das Parlament als ein theoretisches Konstrukt, welches im parlamentarischen Alltag oftmals den Oppositionsfraktionen überlassen bleibt. Das Beispiel des Cum/Ex-Untersuchungsausschusses ist allerdings besonders drastisch, da die Fraktionen von CDU/CSU und SPD geradezu sämtliche während der Ausschussarbeit gewonnenen Erkenntnisse negierten. So heißt es im Fazit ihres Mehrheitsberichts:

„Dieser Untersuchungsausschuss war nicht erforderlich. Alle Vorwürfe sind widerlegt, mit denen seine Einsetzung begründet wurde. Der Ausschuss hat die Überzeugung gewonnen, dass in den Behörden, aus denen er Akten beigezogen und Zeuginnen und Zeugen gehört hat, sachgerecht und pflichtgemäß gearbeitet wurde.“ (Deutscher Bundestag Drs. 18/12700: 378)

Diese Feststellung ist selbstredend Unsinn. Man könnte sie als parteipolitisches Geplänkel abtun, würde sie nicht das stärkste Kontrollinstrument, welches dem Parlament überlassen bleibt, lediglich zur Exkulpation der Regierung missbrauchen und damit seinen Sinn insgesamt in Frage stellen. Denn wie wir gleich sehen werden, konnten Cum/Ex-Geschäfte über einen langen Zeitraum nur stattfinden, weil es in bestimmten Stellen der staatlichen Verwaltung an Motivation und Sachverstand fehlte, diesem Problem Herr zu werden. Im Gegenteil, ein missglückter, von der Bankenlobby beeinflusster Gesetzestext brachte das Cum/Ex-Rad ab 2007 erst richtig in Schwung. Und das, obwohl Bundesfinanzministerium und Bankenaufsicht schon Jahre zuvor auf die Problematik aufmerksam gemacht worden waren. Die dem Untersuchungsausschuss vorgelegten Akten und die Aussagen zahlreicher Zeugen lassen hier eindeutige Schlüsse zu, was die oben zitierte Bewertung von CDU/CSU und SPD nur noch absurder macht.

Systematische Verschleierung

Aber nun in medias res: Als Cum/Ex-Geschäfte wurden Aktiendeals rund um den Dividendenstichtag deutscher Unternehmen bezeichnet, bei denen Aktien einmal mit („cum“) und einmal ohne („ex“) Dividendenanspruch gehandelt wurden. Im Kern dienten diese Geschäfte dazu, sich die auf Dividenden anfallende Kapitalertragsteuer zurückerstatten zu lassen. Rund um den Dividendenstichtag von Unternehmen wurden deren Aktien von Verkäufern und Käufern in kurzen Abständen und unter Zuhilfenahme so genannter Leerverkäufer, also eines Akteurs, der Aktien verkauft, die er sich selbst erst noch beschaffen muss, verschoben.

In einer bestimmten Konstellation ließen sich Käufer und Verkäufer jeweils eine Steuerbescheinigung auf die für Dividenden anfallende Kapitalertragsteuer ausstellen. Dies geschah durch unterschiedliche Stellen, so dass das Finanzamt, bei dem die Bescheinigung zwecks Rückerstattung eingereicht wurde, davon ausging, dass beide Akteure vormals Kapitalertragsteuer abgeführt hatten. In Wirklichkeit wurde die Steuer jedoch nur einmal abgeführt, dafür aber zwei Steuerbescheinigungen „produziert“. Die nur einmal gezahlte Steuer wurde so doppelt oder zum Teil sogar mehrfach zurückerstattet.

Es handelte sich dabei also nicht um ein „Steuersparmodell“, sondern der Allgemeinheit wurden Gelder durch einen Teil der Finanzindustrie schlicht entzogen. Was den dadurch entstandenen Schaden angeht, gehen die Schätzungen auseinander. Die in der Öffentlichkeit 2017 genannte Summe von zehn bis zwölf Milliarden Euro wurde zwar von einigen Akteuren als realistisch eingeschätzt, sie war aber nicht handfest belegt worden. Dies lag auch daran, dass die juristische Aufarbeitung dieser Form von „organisierter Kriminalität“ – wie es ein Zeuge aus dem Bundesfinanzministerium bei seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss nannte – noch nicht abgeschlossen ist.

Inzwischen wird von weitaus höheren Beträgen ausgegangen: „Nach Recherchen von 19 Medien in 12 Ländern sind immer mehr Banken und Länder in dem Skandal um Dividenden-Steuertricks verwickelt. Europaweit entstand ein Schaden von mindestens 55 Milliarden Euro. Besonders erfolgreich aber waren die Steuertrickser in Deutschland – je nach Sichtweise gingen dem deutschen Fiskus bis zu 32 Milliarden Euro verloren.“ („Skandal um Steuertricks mit Dividenden wird immer größer“, manager magazin vom 18.10.2018)

Immerhin kann gesagt werden, dass sich im Lauf der letzten Jahre eine Haltung in der öffentlichen Meinung entwickelt hat, die Cum/Ex-Deals klar als äußerst fragwürdige Geschäfte brandmarkt. Zuvor hatten sich unterschiedliche Akteure alle Mühe gegeben, unter anderem mit eigens beauftragten Gutachten eine Rechtsmeinung zum Standard zu erheben, die solche Geschäfte als legal und demnach als nicht zu ahnden betrachtete. Zum wissenschaftlichen Wert solcher Aussagen später mehr. Der Untersuchungsausschuss war sich zumindest in dem Punkt einig, dass Cum/Ex-Deals illegale Geschäfte waren, das Bundesfinanzministerium sieht das ebenso. Dafür, dass den Cum/Ex-Akteuren durchaus bewusst war, dass ihr Handeln sich jenseits der Legalität bewegte, spricht der Umstand, dass sie sich alle Mühe gaben, ihre Geschäfte zu verschleiern. Dies wurde dem Untersuchungsausschuss eindrücklich von Zeugen aus dem Bundeszentralamt für Steuern geschildert, die einige Zeit mit Ermittlungen zu diesen Geschäften befasst waren.

Das Bundeszentralamt für Steuern und seine Mitarbeiter heben sich dabei vorbildlich von anderen staatlichen Stellen ab. Denn im Gegensatz zu Bundesfinanzministerium und Bankenaufsicht fand sich hier der notwendige Sachverstand und vor allem die Bereitschaft, das Cum/Ex-Problem – wenn auch erst in der Aufarbeitung – tiefgreifend anzugehen. Und dies trotz einer Personalausstattung, die, so die Zeugen vor dem Ausschuss, gerade einmal „das Nötigste“ zuließ. Zu der systematisch vorgenommenen Verschleierung führte ein Referatsleiter des Bundeszentralamts für Steuern vor dem Untersuchungsausschuss aus, dass es bei Cum/Ex-Geschäften „sehr verschachtelte Strukturen“ gegeben habe. Weiterhin sagte er:

„Wir haben festgestellt, dass Leerverkaufsgeschäfte mit unterschiedlichsten Verteilungs- und Sicherungsmechanismen abgeschlossen werden. Sie haben die Einbeziehung von Future-Geschäften, Sie haben die Einbeziehung von Wertpapier-Leihgeschäften, Sie haben Swap-Geschäfte, die dort mit vereinbart wurden. Das alles diente dazu, dann den Vorgang zu verschleiern. Und – ich sage es mal ganz salopp – da man uns natürlich nicht so gerne sagt, was man wirklich gemacht hat, nämlich gar nicht sagt, macht es die Ermittlungen auch so schwierig. Die Ermittlungen ziehen sich deshalb unheimlich in die Länge, weil wir darauf angewiesen sind, dass wir im Grunde selbst dahinterkommen, wie der einzelne Fall gelaufen ist.“ (Ebd. 447)

Produktion von Steuerbescheinigungen

Dass missbräuchliche Gestaltungen, die zu einer mehrfachen Ausstellung von Steuerbescheinigungen führen können, möglich waren, wurde in der Finanzbranche schon vor Jahrzehnten diskutiert. So fand sich in den Akten des Untersuchungsausschusses ein Schriftwechsel zwischen Bankenverbänden und der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wertpapierbörsen aus dem Jahr 1978, der auf entsprechende Transaktionen einging. Im Jahr 1992 wurde in einer öffentlich zugänglichen Publikation der Landeszentralbank in Hessen auf die Möglichkeit der „Produktion“ von Steuerbescheinigungen explizit hingewiesen. In einer Abhandlung mit der Überschrift „’Dividendenstripping’ im Zwielicht“ ist von Transaktionen die Rede, die einer „Körperschaftsteuer-Produktion“ dienten. Hier ziele „die bewusste Produktion von Steuerbescheinigungen darauf, Erstattungsansprüche für Steuern zu erlangen, die überhaupt nicht gezahlt wurden“. In besagtem Text wurde auch ein Modell einer solchen Transaktion inklusive eines Leerverkaufs beschrieben, das deutlich dem ähnelt, was heute unter dem Namen Cum/Ex bekannt ist:

„[…] eine Steuerbescheinigung [verbleibt], obwohl dieser überhaupt kein effektiver Aktienbestand zugrunde liegt; die Steuerbescheinigung wird ‚aus dem Nichts produziert‘. Eine Kontrolle der Finanzverwaltung im Wege des Vergleichs der tatsächlich abgeführten mit den erstatteten Steuern, die eine Geltendmachung solcher Steuerbescheinigungen verhindern würde, findet nicht statt und wäre tatsächlich wohl auch nicht praktikabel. Letztlich wird die Produktion von Steuererstattungsansprüchen auf diesem Wege dadurch ermöglicht, dass dem Verkäufer nur die Nettodividende belastet wird, der Käufer aber zusätzlich zur Nettodividende auch die Steuerbescheinigung erhält.“ (Ebd. 393)

Im Dezember 2002 schließlich wandte sich der Bundesverband Deutscher Banken (BdB) mit einem ausführlichen Schreiben an das Bundesministerium der Finanzen, stellte die Cum/Ex-Problematik aus seiner Sicht dar und machte zudem einen Vorschlag, wie eine gesetzliche Regelung aussehen könnte. Es seien, so der Bankenverband, zusätzliche Regelungen notwendig, „um dem Fiskus die Kapitalertragsteuer betragsmäßig zur Verfügung zu stellen, die dem Anrechnungsanspruch entspricht, der dem Aktienerwerber als wirtschaftlichem Eigentümer und Dividendenbezieher zusteht.“ (Ebd. 393f) Hervorzuheben ist hier, dass in dem Schreiben des BdB ausdrücklich auf den Umstand hingewiesen wurde, dass mit der vom ihm vorgeschlagenen Regelung über das Ausland abgewickelten Cum/Ex-Geschäften nicht beizukommen sei: „Nicht erfassbar sind die über ausländische Banken oder Verwahrstellen vorgenommenen Leerverkäufe, da diese Institute nicht zur Einbehaltung und Abführung der deutschen Kapitalertragsteuer verpflichtet werden können.“ (Ebd. 394) Dies sollte später im Zusammenhang mit der ersten Reaktion des Bundesfinanzministeriums in Gestalt des Jahressteuergesetzes 2007 (s. u.) eine Rolle spielen. Wir können an dieser Stelle festhalten, dass der Finanzverwaltung spätestens 2002 deutliche Hinweise vorlagen, dass sich hier ein Problem aufgetan hatte, das einer Lösung bedurfte.

Wer war nicht dabei?

Was sich im Zuge der Arbeit des Untersuchungsausschusses immer weiter heraus kristallisierte war, dass Cum/Ex-Deals in der deutschen Bankenlandschaft nahezu flächendeckend praktiziert wurden. Selbst Landesbanken im Besitz der öffentlichen Hand schraken nicht davor zurück, ihre Ergebnisse auf Kosten des Staates aufzubessern. Dies mag wohl auch mit der einen oder anderen Bonuszahlung für die Managementetage zu erklären sein, die bei entsprechenden Ergebnissen fällig wurde. Im Bericht des vom Untersuchungsausschuss zur seiner Unterstützung eingesetzten Ermittlungsbeauftragten heißt es zu einer Befragung, die der Ermittlungsbeauftragte beim Bundeszentralamt für Steuern durchführte:

„Auf die entsprechende Nachfrage des Ermittlungsbeauftragten, welche Kreditinstitute in dem oben genannten Sinn an solchen Geschäftsmodellen beteiligt gewesen seien, ist darauf hingewiesen worden, dass diese Frage besser wie folgt gestellt werden müsse: Welche jedenfalls von den ‚allgemein im Rahmen der Berichterstattung‘ zu einschlägigen Geschehnissen immer wieder genannten Kreditinstituten sind an solchen Geschäften nicht beteiligt gewesen?“ (Ebd. 395)

Auf einem Datenstick, den die Steuerfahndung Wuppertal erwarb, sind Angaben zu über hundert Finanzinstituten zu finden, darunter zum Beispiel die Bayerische Landesbank, die Bankgesellschaft Berlin, BNP Paribas, Citibank, Credit Suisse, Deutsche Bank, Dresdner Bank, Fortis Bank, Goldman Sachs, HSH Nordbank, JP Morgan, Merrill Lynch, UBS, oder die West LB. Zu nennen wäre zudem noch die Commerzbank, die nicht nur über die 2009 übernommene Dresdner Bank verstrickt war, sondern sich auch selbst an solchen Geschäften beteiligte.

Banken und Finanzinvestoren ließen sich bei ihren Geschäften von einigen spezialisierten Beratern und Kanzleien unterstützen. Herausragend wurde in den letzten Jahren immer wieder über den ehemaligen Steuerbeamten Hanno Berger berichtet, der mittlerweile in der Schweiz lebt. Der Untersuchungsausschuss betrachtete Berger als „eine der Schlüsselfiguren“ im Bereich der Cum/Ex-Geschäfte. So beriet er den Berliner Investor Rafael Roth, die HypoVereinsbank, die Macquarie Bank sowie die Bank Sarasin und die Luxemburger Fondsgesellschaft Sheridan (Ebd. 346). Letztere wiederum soll in Zusammenarbeit mit der Schweizer Bank Sarasin Fonds mit Cum/Ex-Gestaltungen aufgelegt haben, zu deren Zeichnern unter anderem der Finanzinvestor Carsten Maschmeyer oder der „Drogeriekönig“ Erwin Müller gehörten. Beide gingen schließlich juristisch gegen die Bank Sarasin vor, da sie sich bei ihrem Investment getäuscht sahen.

Maschmeyer betonte in seiner Vernehmung durch den Untersuchungsausschuss, dass ihm nicht bekannt gewesen sei, dass die renditeträchtigen Finanzprodukte, in die er Millionen investierte, mit Cum/Ex-Geschäften verbunden waren. Ohnehin sei er über die genaue Gestaltung der Finanzprodukte nicht informiert worden. Ein über Jahre erfolgreicher Finanzinvestor, der zudem entsprechende Ratgeberbücher schrieb, holte demnach keine genaueren Informationen zu den Fonds ein, in die er sein Geld steckte.

Zurück zur Figur Berger: Dem Untersuchungsausschuss wollte er seinen Erfahrungsschatz nicht anvertrauen. Er erschien trotz Ladung nicht zum anberaumten Termin. Da ein deutscher Untersuchungsausschuss in der Schweiz nicht durchgreifen kann, war leider auch keine Ahndung von Bergers Verhalten möglich. Dass sich ein bedeutender Akteur um eine Aussage in Deutschland drückt, lässt sicherlich entsprechende Rückschlüsse zu. Ein ehemaliger Kollege Bergers, der Rechtsanwalt Bernulph von Crailsheim (Kanzlei Simmons & Simmons) legte hingegen einen recht sonderbaren Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss hin. So war er scheinbar nicht in der Lage wiederzugeben, was Berger ihm zu Cum/Ex-Modellen einstmals erläutert hatte. Zur Dokumentation dessen, was sich Mitglieder von Untersuchungsausschüssen mitunter anhören müssen, hier das entsprechende Zitat aus dem Vernehmungsprotokoll:

Richard Pitterle (DIE LINKE): „Ja gut, dann können Sie es mir mit einfachen Worten mal erklären, wie Sie das verstanden haben, wie das funktioniert von Herrn Berger.“

Zeuge Dr. Bernulph Freiherr von Crailsheim: „Also, es geht immer um die Frage – – Also die normale Perspektive, die wir gesehen haben, ist die des Käufers. So, und dann ist die Frage: Ich habe einen Käufer, der kauft Aktien um den Dividendenstichtag. Das ist jetzt mal neutral, also nehmen wir mal Cum/Cum und Cum/Ex zusammen, weil irgendwie ist es am Ende – -, also es hat eine andere Wertigkeit, aber es ist irgendwo ähnlich. Und wie das funktioniert und wie immer – aus meiner Sicht auch, ohne die konkrete Gegenseite zu sehen, ist das besprochen worden, wie es funktioniert. Das waren aber – – Ich meine, vielleicht war man da auch zu sehr auf die eine – also jedenfalls in der Anfangszeit – Seite fokussiert, die immer die Käuferseite war, dass es einfach um die Frage ging: Werde ich wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien schon mit dem schuldrechtlichen Geschäft, also mit dem Aktienkauf, oder werde ich erst wirtschaftlicher Eigentümer mit der Einbuchung der Aktien in meinem Depot? Da gab es die Rechtsprechung vom Bundesfinanzhof, die gesagt hat: Jedenfalls bei Börsengeschäften werde ich Eigentümer zum Zeitpunkt des obligatorischen Geschäfts, also des Kaufvertrags. Das ist die erste Frage. Dann ist natürlich die Frage aufgekommen: Warum mache ich solche Geschäfte? Natürlich kam dann irgendwann auch, dass es unterschiedliche Konstellationen gibt.“

Richard Pitterle (DIE LINKE): „Also, wenn Sie so die Mandanten beraten haben, dann verstehe ich gar nicht, warum sie in die Geschäfte gegangen sind, wenn Sie das nicht erläutern können.“ (Ebd. 407)

Insgesamt hatte der Untersuchungsausschuss seine Schwierigkeiten, die Beraterszene umfassender auszuleuchten. Zum einen verweigerten einige die Aussage, zum anderen konnten sich manche bei ihrer Vernehmung nicht genauer erinnern. Im Zuge verschiedener Gerichtsverfahren könnte die Rolle verschiedener Berater allerdings intensiver behandelt werden. Insgesamt soll es sich um eine recht überschaubare Szenerie gehandelt haben. Einer der größeren Fische ist hierbei sicherlich die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, die nach Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses auf der Bankenseite beraten hatte und deren Anwälte auch bei diversen Gerichtsverhandlungen die Bankenseite vertraten. Leider konnte die Rolle von Freshfields vom Untersuchungsausschuss ebenfalls nicht genauer geklärt werden, da ein beim Bundesgerichtshof beantragter Durchsuchungsbeschluss für die Kanzleiräume nicht erlassen wurde.

Zur Unterstützerszene gezählt werden können bestimmte Wissenschaftler, mit deren Gutachten u. a. Berger versuchte, Cum/Ex-Geschäfte in einem rechtlich unproblematischen Licht erscheinen zu lassen. Der Ausschuss vernahm hierzu unter anderem die Professoren Joachim Englisch von der Universität Münster und Marc Desens von der Universität Leipzig. Desens sagte aus, er habe mehrfach Stellungnahmen und Gutachten für Hanno Berger erstellt (Ebd. 410). Englisch hatte sich ebenfalls im Auftrag von Berger gutachterlich betätigt. In den Unterlagen des Untersuchungsausschusses fand sich ein Schreiben des Finanzamtes Wiesbaden an die Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main aus dem Jahr 2010. Darin ging es um eine Betriebsprüfung bei einem Institut. In dem Bericht zu besagter Betriebsprüfung spielte auch ein Aufsatz von Englisch eine Rolle, den dieser unter dem Titel „Wirtschaftliches Eigentum beim Kauf girosammelverwahrter Aktien“ in einer Fachzeitschrift veröffentlicht hatte.

In dem Bericht des Finanzamtes Wiesbaden heißt es, dass in einem Verfahren vor dem Hessischen Finanzgericht einer Partei die Druckfahnen dieses Aufsatzes überlassen worden seien. Weiter heißt es, dass nach Feststellung der Betriebsprüfer der Aufsatz von Englisch „in weiten Passagen wörtlich“ mit einem „Gutachten“ übereinstimme, das in einem anderen Verfahren vor dem Hessischen Finanzgericht eine Rolle spielte. Man habe demnach, so der Bericht des Finanzamtes Wiesbaden, den Eindruck erwecken wollen, dass es sich bei Joachim Englisch „um einen unabhängigen Dritten handelt, der die steuerliche Problematik der Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums bei OTC-Aktienkäufen (over the counter, außerbörslicher Handel) rein wissenschaftlich beleuchtet. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei der Veröffentlichung um ein Auftragsgutachten handelt.“ (Ebd. 410f)

Zumindest das Finanzamt Wiesbaden war hier der Auffassung, dass es sich bei Joachim Englisch eben nicht um einen unabhängigen Wissenschaftler handelt. Hierzu vor dem Untersuchungsausschuss befragt, sagte Englisch, dass es wohl sein könne, dass er Passagen aus seinen Gutachten in Fachaufsätzen übernommen habe. An dieser Stelle ist die Frage nach der wissenschaftlichen Redlichkeit zu stellen. Dass Professoren für private Kundschaft irgendwelche Gutachten schreiben, ist zunächst nichts Außergewöhnliches. Dass solche Gutachten jedoch ohne besonderen Hinweis als Aufsätze in Fachzeitschriften landen und damit vorgegaukelt wird, es handle sich um die Ergebnisse rein wissenschaftlicher Forschung, ist ein Unding und sowohl Universitäten als auch wissenschaftliche Fachzeitschriften wären angehalten, diesem generellen Problem mit entsprechenden Maßnahmen zu begegnen.

Dreimal gelesen

Und während diese Szenerie aus Investoren, Banken und ihren Beratern über Jahre das große Rad drehte, hielten sich die zuständigen staatlichen Stellen weitgehend zurück. Wie oben erwähnt, ging dem Bundesfinanzministerium im Dezember 2002 ein Schreiben des Bankenverbandes zu. Wie innerhalb des Ministeriums damit umgegangen wurde, ist symptomatisch für das staatliche Versagen, das den Milliardenschaden für die öffentliche Hand mit zu verantworten hat. So sagte ein zuständiger Referatsleiter des Ministeriums vor dem Untersuchungsausschuss, dass man dort den Inhalt des Bankenverbands-Schreibens nicht so recht verstanden habe: „[…] wir haben es zwei-, dreimal gelesen, im Grunde kaum verstanden und gesagt: Wenn wir das nicht verstehen, werden es die Länder auch nicht verstehen. Wir müssen da nochmal nachfragen“. (Ebd. 414)

Allerdings hatte man es damals nicht so eilig mit den entsprechenden Nachfragen, da gerade andere wichtige Dinge zu erledigen gewesen seien. Erst ein Jahr nach Eingang des Schreibens habe man sich mit Vertretern des Bankenverbandes zusammengesetzt und sich den Sachverhalt auch an Hand einer Präsentation „den ganzen Nachmittag“ erklären lassen. Weitergeleitet wurde das Verbandsschreiben schließlich erst im August 2005 an die Obersten Finanzbehörden der Länder.

Als Anlage – „zum besseren Verständnis der Thematik“ – fügte das Bundesfinanzministerium eine „schematische Darstellung“ bei. Dass es sich hierbei um eine vom Bankenverband erstellte Darstellung handelte, teilte das Ministerium den Landesbehörden allerdings nicht mit. Es ist nun nicht so, dass dem Bundesfinanzministerium hier nicht auch Hinweise zugingen, wie das Schreiben der Bankenlobby einzuordnen sei. Eine Mitarbeiterin des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen schrieb im Oktober 2005 an das Bundesfinanzministerium, dass sie die vom Bankenverband angeregten Gesetzesänderungen nicht für notwendig halte. Am Ende ihres Schreibens war zu lesen:

„Mit den komplizierten Regelungen soll offenbar lediglich die bisherige Bankenpraxis, die m.E. ohne zivilrechtliche Rechtsgrundlage ist, legalisiert werden. […] Nach dem Sachvortrag ist nicht auszuschließen, dass auf Grund der bisherigen Praxis der Ein- und Ausbuchung der Käufer eine Steuerbescheinigung erhalten hat für eine Dividende, für die letztlich keine Kapitalertragsteuer einbehalten worden ist. Diesbezüglich sollte der Bankenverband um Stellungnahme gebeten werden. Außerdem erscheint es ratsam, das BfF (BZSt) bzw. Bankenprüfer mit dieser Thematik zu befassen.“ (Ebd. 416f)

Kurz gesagt: Man solle lieber die die Banken besser kontrollieren, als sich auf Gesetzgebungsvorschläge der Bankenlobby zu kaprizieren. Dieses Ansinnen wurde jedoch nicht weiter verfolgt. Die Bemühungen des Ministeriums mündeten schließlich in das Jahressteuergesetz 2007. Vom schriftlichen Hinweis des Bankenverbandes bis zu einer staatlichen Reaktion waren nun fünf Jahre vergangen. Mit einer gesetzlichen Änderung sollten künftig Dividendenkompensationszahlungen, die bei Cum/Ex-Modellen mit Leerverkäufen in einem Schritt geleistet wurden, den Dividendenzahlungen gleichgestellt werden. Damit waren diese Zahlungen ebenfalls zu versteuern.

In der Begründung des von der damaligen Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs wird darauf hingewiesen, dass es mit dieser Maßnahme zu einer „Verringerung von Steuerausfällen“ kommen solle – also nicht zu einer Vermeidung. In die Gesetzesbegründung flossen zudem ganze Absätze des Bankenverbands-Schreibens von 2002 fast wortgleich ein. Der Hinweis im damaligen Schreiben, dass mit dieser Maßnahme Cum/Ex-Geschäfte unter Beteiligung ausländischer Institute nicht erfasst werden konnten, fehlte allerdings in der Begründung. Und genau auf diesen Umstand stützten sich in den folgenden Jahren verschiedene Cum/Ex-Akteure und ihre Berater, um ihren Geschäften einen legalen Anstrich zu verpassen.

Denn wenn der Staat gewollt habe, dass Auslandstransaktionen erfasst würden, hätte er eben nicht versäumen dürfen, die Gesetzeslage entsprechend anzupassen. Die Cum/Ex-Maschine kam nach dieser Gesetzesänderung so richtig in Gang. Und wieder wurde das Bundesfinanzministerium darauf hingewiesen, dass sein Agieren nicht die gewünschte Wirkung zeitigte. So gab der damalige Bundestagsabgeordnete Georg Fahrenschon (CDU/CSU) im Mai 2007 ein Schreiben an das Ministerium weiter, welches ihm zugegangen war und in dem konkret darauf hingewiesen wurde, dass es bei Cum/Ex-Geschäften über ausländische Institute zu einer mehrfachen Erstattung von Kapitalertragsteuer kommen könne. Den Hinweisen wurde innerhalb des Ministeriums nicht nachgegangen bzw. sie wurden vom Referenten Arnold Ramackers (s. u.) vom Tisch gewischt.

Und auch wenn der ehemalige Bundesfinanzminister und heutige Banken-Berater Peer Steinbrück bei seiner Vernehmung durch den Untersuchungsausschuss betonte, dass er erst 2009 auf die Cum/Ex-Praxis aufmerksam geworden sei, bleibt festzuhalten, dass Steinbrück schon Jahre vorher hätte informiert sein können. In den Akten des Ausschusses fanden sich Unterlagen, die zur Vorbereitung des damaligen Ministers für ein Gespräch mit Steuerberatern am 27. September 2006 dienten. Gegenstand des Gesprächs von Steinbrück mit den Steuerberatern sollte das damalige Vorhaben Jahressteuergesetz 2007 sein. In diesen Unterlagen fand sich auch eine Stellungnahme eines Steuerberaters, in der dieser die mit dem Gesetz geplanten Maßnahmen gegen eine Mehrfachanrechnung der Kapitalertragsteuer als „missglückt“ bezeichnete.

„Das System der Anrechnung von Kapitalertragsteuer für Dividenden stellt nicht sicher, dass nur soviel Kapitalertragsteuer angerechnet wird, wie die ausschüttende Kapitalgesellschaft bezahlt hat. Durch systemimmanente Mängel der mehrstufigen Verwahrung in Deutschland kommt es teils unbeabsichtigt, teils durch gezielte Gestaltungen zu Mehrfachanrechnungen von Kapitalertragsteuer auf Dividenden“, heißt es in dem Schreiben des Steuerberaters, der zudem vorschlug, das System der Kapitalertragsteueranrechnung insgesamt zu überarbeiten (Ebd. 418). Das zuständige Referat im Bundesfinanzministerium ignorierte die Bedenken des Steuerberaters und verwies in einer kurzen Stellungnahme für die Vorbereitungsunterlagen Steinbrücks darauf, dass die geplanten Regelungen im Jahressteuergesetz 2007 „in enger Abstimmung mit der Kreditwirtschaft, Bankenprüfern und den Ländern“ erfolgt seien (Ebd.).

Steinbrück konnte sich vor dem Untersuchungsausschuss nicht an diesen Vorgang erinnern und blieb dabei, dass er erst 2009 das erste Mal von „Steuermindereinnahmen bei der Erstattung der Kapitalertragsteuer durch Gestaltung im Zusammenhang mit Leerverkäufen“ erfahren habe (Ebd.). Offenbar hatte der Minister seine Unterlagen im September 2006 nicht sehr aufmerksam studiert.

Im Jahr 2009 schließlich war dem Bundesfinanzministerium aufgegangen, dass den Cum/Ex-Deals mit dem Jahressteuergesetz 2007 nicht beizukommen war, da eben keine Regelung für den Fall getroffen worden war, dass Cum/Ex-Geschäfte über ausländische Institute abgewickelt werden. Mit dem Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 5. Mai 2009 an die Finanzbehörden der Länder wies das Ministerium auf die Gefahr einer „mehrfachen Bescheinigung von Kapitalertragsteuer“ hin, die sich ergebe, wenn zwischen Leerverkäufer und Käufer entsprechende Absprachen getroffen worden waren. Wie sich zwischenzeitlich gezeigt hat, waren Cum/Ex-Geschäfte tatsächlich nur mit Absprachen möglich, denn schließlich musste sich unter den Akteuren zumindest zur Aufteilung des „Gewinns“ verständigt werden.

Mit dem Schreiben vom 5. Mai 2009 sollte durchgesetzt werden, dass Kapitalertragsteuer nur dann erstattet würde, wenn vom jeweiligen Antragsteller eine so genannte Berufsträgerbescheinigung eines Rechtsanwalts, Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers vorgelegt wurde, in der dieser erklärte, dass nach seiner Prüfung keine Erkenntnisse über solcherlei Absprachen vorlägen. Auch zu diesem Schreiben erreichten das Bundesfinanzministerium kritische Stellungnahmen. Das Deutsche Aktieninstitut etwa verwies darauf, dass an der Börse täglich solch enorme Volumina an Wertpapieren gehandelt würden, dass eine Rückverfolgung eines einzelnen Papiers und damit auch eine Bestätigung, dass es nicht aus einem Leerverkauf stammt, nicht möglich sei.

Interessanterweise schlug das Deutsche Aktieninstitut dem Ministerium vor, sich international für die Durchsetzung eines Verbots ungedeckter Leerverkäufe einzusetzen, da damit den Marktteilnehmern der „Spielraum zum steuerlichen Missbrauch“ genommen werden könne (Ebd. 422). Der Empfänger dieses Schreibens, der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, sagte vor dem Untersuchungsausschuss, dass ihn der Brief nie erreicht habe. Der damalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Jörg Asmussen ließ den Untersuchungsausschuss wissen, dass er das Schreiben lediglich weitergeleitet habe, da seine Abteilung nicht für Steuerfragen zuständig gewesen sei. Wieder versickerte ein Hinweis irgendwo im Ministerium.

In der Rückschau zeigt sich, dass auch das Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 25. Mai 2009 nicht dazu führte, Cum/Ex-Geschäfte tatsächlich wirksam einzudämmen. Ein Referatsleiter des hessischen Finanzministeriums wies vor dem Untersuchungsausschuss darauf hin, dass das Schreiben eher einen „psychologischen Wert“ gehabt habe, da man damit versuchte, die Berater in die Pflicht zu nehmen, die wiederum nicht erpicht sein dürften, mit ihrer Unterschrift für zweifelhafte Geschäfte einzustehen. Im Lauf des Untersuchungsausschusses wurde allerdings bekannt, dass auch gegen Berater ermittelt wird, denen man vorwirft, falsche Berufsträgerbescheinigungen ausgestellt zu haben.

Erst im Jahr 2012 – also zehn Jahre nach dem Eingang des Briefs vom Bankenverband – wurden Cum/Ex-Deals im Zuge des OGAW-IV-Umsetzungsgesetzes unmöglich gemacht. Seitdem gilt das „Zahlstellenprinzip“, wonach der Abzug der Kapitalertragsteuer nicht mehr von der die Dividende ausschüttenden Aktiengesellschaft vorgenommen wird, sondern von der Bank, die das Depot des Aktieninhabers führt. Es soll nun sichergestellt sein, dass die Steuer von der Stelle abgeführt wurde, die die Steuerbescheinigung ausstellt.

„Sinnvolle Investition“ der Bankenlobby

Die fachliche Ignoranz im Bundesfinanzministerium ist die eine Seite. Die andere ist, dass in einem zuständigen Referat des Ministeriums, dem mit der Nummer IV C 1, über Jahre ein Mitarbeiter saß, der allem Anschein nach der Bankenlobby näher stand, als es sich für einen Beamten in dieser Position gehört. Die Rede ist vom oben erwähnten Referenten Arnold Ramackers. Der ehemalige Richter am Finanzgericht Düsseldorf genoss, so verschiedene Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss, den Ruf eines Spezialisten im Bereich der Investmentsteuer.

Im Rahmen einer Veranstaltung trafen im Jahr 2004 Ramackers und ein Referatsleiter des Bundesfinanzministeriums aufeinander. Letzterer habe Ramackers dort gefragt, ob er nicht im Bundesfinanzministerium arbeiten wolle. Ramackers ließ sich sodann von April 2004 bis August 2008 ins Ministerium abordnen und wurde Referent im Referat IV C I, also jenem Referat, in dem auch die Cum/Ex-Problematik behandelt wurde. Nach dem Ende seiner Abordnung war Ramackers bis August 2009 ohne Bezüge beurlaubt. Vor dem Untersuchungsausschuss gab er an, in dieser Zeit jedoch weiter für das Referat mit „kleineren Sachen“ tätig gewesen zu sein sowie an Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaften teilgenommen zu haben. Da er nicht mehr beim Ministerium gearbeitet habe, sei seine entsprechende Korrespondenz über sein privates E-Mailkonto gelaufen (Ebd. 147f).

Dass das Bundesfinanzministerium sich von Privatleuten bei der einen oder anderen Steuerfrage unterstützen lässt, mag zwar bemerkenswert sein, wäre aber an sich noch nicht anrüchig. Wie Ramackers jedoch den erstaunten Mitgliedern des Untersuchungsausschusses erläuterte, sei er im Zeitraum seiner Beurlaubung von vier Bankenverbänden bezahlt worden, darunter auch der Bundesverband deutscher Banken. Diese Vereinbarung soll zudem mündlich erfolgt sein, wie Ramackers erklärte: „Die haben gesagt: ‘Sie sollen so viel kriegen, mit ein bisschen was für Geschäftsreisen, wieviel Sie vorher verdient hatten’ – und das war jeweils geviertelt […]“ (Ebd. 148). Die Motivlage der Bankenverbände wiederum geht aus einem Schreiben des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken vom 8. April 2008 hervor, welches dieser an Ramackers sandte. Darin heißt es unter anderem:

„Der Richter am Finanzgericht Düsseldorf, Herr Ramackers, derzeit abgeordnet an das
Bundesfinanzministerium, wird Mitte des Jahres auf eigenen Wunsch für ein Jahr beurlaubt um anschließend in Pension zu gehen. Ein weiterer Mitarbeiter des Kapitalertragsteuerreferates wird ab September Vaterschaftsurlaub nehmen. Die Personalsituation in diesem Referat ist in einer Zeit, in der für die Kreditwirtschaft wichtige Fragen kurzfristig entschieden werden müssen, völlig unzureichend. Die kreditwirtschaftlichen Verbände haben deshalb Überlegungen angestellt, Herrn Ramackers über einen eigenständigen Status (als Sachverständiger) für eine weitere Mitarbeit im BMF zu motivieren. Dies würde aber voraussetzen, dass die kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände die Finanzierung für die Zeit der Tätigkeit von Herrn Ramackers im BMF als Sachverständiger tragen. Die Finanzierung soll nach einem noch zu definierenden Kostenumlageschlüssel zwischen den kreditwirtschaftlichen Verbänden aufgeteilt werden. Aus Sicht des Unterzeichners handelt es sich hierbei im Interesse unserer Institute um eine sinnvolle Investition, da Herr Ramackers durch sein positives Wirken in der Vergangenheit bereits nachgewiesen hat, dass die Entscheidungsfindung im Finanzministerium erheblich beschleunigt werden kann. Hierdurch sparen die Kreditinstitute bei der Umsetzung Zeit und damit auch Kosten.“ (Ebd. 149)

Wohlgemerkt: Die Bankenverbände wollten Ramackers demnach nicht als eigenen Sachverständigen haben, sondern ihn bewusst „für eine weitere Mitarbeit“ im Ministerium bezahlen. Der zu dieser Zeit zuständige Referatsleiter gab vor dem Untersuchungsausschuss an, dass ihm diese Art der Tätigkeit Ramackers’ nicht bekannt gewesen sei. Hinterher sei ihm von Ramackers gesagt worden, es habe sich um einen Gutachtervertrag gehandelt. Die Zusammenarbeit von Ramackers mit den Bankenverbänden ging jedoch noch über den beschriebenen Vorgang hinaus.

In den Akten des Untersuchungsausschusses fanden sich Mailwechsel aus dem Jahr 2011, aus denen hervorgeht, dass Ramackers einerseits an der Erstellung von amtlichen Schreiben des Bundesfinanzministeriums beteiligt war und andererseits Vertreter des Bundesverbandes deutscher Banken darüber auf dem laufenden hielt. So ging nachweislich der E-Mails auch ein „vertraulicher erster Entwurf“ eines Antwortschreibens des Ministeriums auf Eingaben des Bankenverbandes an eben jenen. Der Bankenverband wiederum formulierte Änderungswünsche, die er in dem Ministeriumsschreiben an sich selbst gerne eingearbeitet hätte und übermittelte diese an Ramackers. „Anbei eine Fassung, die Ihre Anregungen berücksichtigt“, schrieb Ramackers einem Verbandsvertreter zurück (Ebd. 428). An Einzelheiten zu diesem Vorgang konnte sich Ramackers vor dem Untersuchungsausschuss leider nicht mehr erinnern. Doch nicht nur mit dem Bankenverband korrespondierte er vertrauensvoll. Schon im November 2010 hatte er eine E-Mail an einen Rechtsanwalt der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer gesandt. Angehängt war ein Referentenentwurf für den steuerrechtlichen Ergänzungsteil zum OGAW-IV-Umsetzungsgesetz – „wie besprochen Schönes Wochenende A. Ramackers“ lautete der Text der E-Mail (Ebd. 430).

Versagen der Bankenaufsicht

Und wie man im Bundesfinanzministerium zunächst kein tieferes Verständnis für die Cum/Ex-Problematik entwickelt hatte so versucht man bei der staatlichen Bankenaufsicht bis heute, sich das Thema mehr oder weniger vom Hals zu halten. Ein durchwegs trauriges Bild boten dabei die vom Untersuchungsausschuss vernommenen Zeugen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die durch die Bank die Verantwortung ihrer Behörde herunterzuspielen versuchten. Dabei war innerhalb der BaFin bereits seit dem Jahr 2007 bekannt, dass deutsche Kreditinstitute sich an Cum/Ex-Geschäften beteiligten. Dies war im Rahmen einer Sonderprüfung der WestLB ans Licht gekommen. Dass die 2016 insolvent gegangene Maple Bank – über die die BaFin ein Moratorium verhängt hatte – Cum/Ex-Deals vorgenommen hatte, wusste man bei der Aufsicht seit 2009. Dass man sich hier allerdings heraushielt, versuchten die vom Untersuchungsausschuss vernommenen Zeugen damit zu rechtfertigen, dass man seitens der Bankenaufsicht nicht für so genannte Steuerthemen zuständig sei. Dies sei Sache der Finanzämter oder der Staatsanwaltschaften, sagte eine Referatsleiterin aus.

Ohnehin, das wurde ebenfalls aus Zeugenaussagen klar, war innerhalb der BaFin keine fachliche Kompetenz in Steuerfragen vorhanden. Diese aufzubauen wäre, so der ehemalige BaFin-Präsident Jochen Sanio, eine „Vergeudung von Ressourcen“ gewesen, da man schließlich vom Gesetzgeber nicht dazu verpflichtet worden sei, sich mit steuerrechtlichen Fragen zu beschäftigen. Unabhängig von diesem Aufgabenverständnis der BaFin muss dennoch darauf hingewiesen werden, dass die Illegalität der Cum/Ex-Geschäfte von verschiedenen Stellen nicht bestritten wird. Beteiligt sich nun eine Bank an illegalen oder vermeintlich illegalen Geschäften, so ließe dies Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit ihrer Leitungsebene zu. Und diese zu kontrollieren wäre wiederum Sache der Bankenaufsicht.

Diesem Dilemma versuchten die BaFin-Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss dadurch zu entgehen, dass sie darauf hinwiesen, es könne ja erst gegen eine Chefetage durchgegriffen werden, wenn ein Fehlverhalten juristisch belegt sei. Und da es keine höchstrichterliche Entscheidung zur Legalität oder Illegalität von Cum/Ex-Geschäften gebe, sei der Handlungsrahmen der Aufsicht eben begrenzt. Weiterhin vertrat die BaFin in der Vergangenheit nach außen eine Rechtsauffassung von Cum/Ex-Geschäften, die der eindeutigen Auffassung des Bundesfinanzministeriums nicht entsprach. So sprach sie in einer Umfrage unter den von ihr beaufsichtigten Kreditinstituten Anfang 2016, ob diese Cum/Ex-Geschäfte betrieben hätten, lediglich von einer „rechtlich umstrittenen Praxis“.

Warum eine dem Bundesfinanzministerium untergeordnete Behörde die Rechtsauffassung des Ministeriums nicht weiterträgt, sondern gegenüber den Banken lediglich von „umstrittenen“ Geschäften sprach, konnte kein BaFin-Zeuge dem Ausschuss schlüssig erklären. Ein Blick auf die Finanzskandale der letzten Jahre zeigt allerdings, dass die deutsche Bankenaufsicht eher ein Papiertiger, als eine scharf zubeißende Behörde ist. Ob Berliner Bankenskandal 2001 oder Finanzmarktkrise ab 2008 – die Bankenaufsicht kam meistens erst aus dem Busch, als das Kind schon längst im Brunnen lag.

Parlament müsste sich selbst ernster nehmen

Das Fazit, das sich nun ziehen lässt, fällt ernüchternd aus: Banken, Investoren und Berater hatten jahrelang ein leichtes Spiel, sich aus der Staatskasse zu bedienen. Die Behörden, die zuständig gewesen wären, das zu verhindern, verstanden die Problematik nicht oder fühlten sich nicht zuständig. Ob die Cum/Ex-Deals strafrechtlich irgendwann einmal vollständig aufgeklärt sein werden, bleibt den Staatsanwaltschaften und Gerichten überlassen – einige Akteure sollen schon umfassend ausgesagt haben. Politische Verantwortung will bisher niemand übernehmen. Die für den Milliardenschaden verantwortlichen Minister Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble gaben sich vor dem Untersuchungsausschuss uneinsichtig und wollten kein Versagen ihres Ministeriums erkennen. Die obere Etage der BaFin sieht bis heute keine Versäumnisse bei der Arbeit ihrer Behörde.

Ende Oktober 2018 erlebte das Thema Cum/Ex eine kurze mediale Renaissance. Unter der Leitung des Recherchebüros Correctiv hatten zuvor 19 Medien aus verschiedenen europäischen Ländern – darunter Die Zeit, Panorama, Le Monde, Reuters und La Republica – monatelang umfangreiches Insider-Material ausgewertet. Diese „CumEx-Files“ umfassten 180.000 Seiten und enthielten unter anderem interne Unterlagen von Banken, Kanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, aber auch Korrespondenzen, Kontoauszüge und Materialien aus Ermittlungsverfahren. Zudem war es Journalisten gelungen, verdeckt im Finanzmilieu zu recherchieren. Laut den Ergebnissen der umfangreichen Recherchen haben Finanzmarktakteure erfolgreich versucht, das Cum/Ex-Modell auch in anderen europäischen Ländern anzuwenden. So soll laut Mitteilung von Correctiv europaweit ein Schaden von über 55 Milliarden Euro entstanden sein. Die deutsche Bundesregierung habe zudem, obwohl ihr solche Deals spätestens seit 2002 bekannt waren, es bis 2015 unterlassen, andere Länder vor solchen Betrügereien zu warnen.

Es bleibt vor allem dem Bundestag überlassen, Lehren und Konsequenzen aus dem Cum/Ex-Skandal zu ziehen. Das Parlament selbst ist angehalten, sich als Kontrollorgan der Regierung endlich selbst ernster zu nehmen und zumindest durchzusetzen, dass er Entwürfe von Gesetzesvorhaben der Bundesregierung frühzeitig zugeleitet bekommt. Die bisherige Praxis, Gesetzentwürfe zunächst zwischen Ministeriumsreferaten und Verbandsvertretern sowie Lobbyisten abzustimmen und sie dann erst ans Parlament zu geben ist ein demokratisches Unding. Das Parlament müsste im eigenen Interesse darüber hinaus durchsetzen, dass diejenigen Stellen von Gesetzentwürfen, an denen Interessenvertreter mitgewirkt haben, kenntlich gemacht werden. Dies würde wahrscheinlich ähnliche Skandale in der Zukunft nicht vermeiden. Aber es würde zumindest die Rolle des Parlaments stärken, das, wie bei Cum/Ex geschehen, bei der entsprechenden Gesetzgebung die Rolle eines Zaungastes einnahm und hinterher über den Untersuchungsausschuss nur noch eine Art von zaghafter Vergangenheitsbewältigung versuchen konnte.

Der Autor
Benedict Ugarte Chacón ist Politikwissenschaftler und arbeitete für die Fraktion DIE LINKE im Bundestag als Referent im Untersuchungsausschuss „Cum/Ex“. Der Bericht des Untersuchungsausschusses kann auf der Homepage des Deutschen Bundestages heruntergeladen werden: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/127/1812700.pdf
Der vorliegende Beitrag ist die durchgesehene und aktualisierte Fassung eines Artikels, der 2017 in BIG erschien.