Aktuelle Recherchen von Süddeutscher Zeitung und dem ARD-Magazin Monitor zeigen einmal mehr: Die Privatisierung von Betreuungsleistungen für geflüchtete Menschen stellt einen Anschlag auf die Menschenwürde der Betroffenen dar. Das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) hatte die Verträge für drei Unterkünfte mit der Firma ORS („Organisation für Regie- und Spezialaufträge“, Sitz in Zürich) kurzfristig und außerordentlich zu Ende März 2024 gekündigt. Der Grund lag offenbar in einem Todesfall, der sich in einer von ORS betriebenen Einrichtung in Berlin-Steglitz ereignet hatte. Die Leiche eines 24-jährigen aus Guinea stammenden Mannes war wochenlang unentdeckt geblieben und erst im November des letzten Jahres aufgefunden worden. Monitor berichtete, dass die Unterbringungskosten für den Mann sogar noch abgerechnet worden seien, als dieser bereits verstorben war. Niemandem war sein Tod aufgefallen – auch den ORS-Mitarbeitern nicht. Dieser Fall wirft nicht nur ein Schlaglicht auf das Geschäftsmodell des Betreibers der Unterkunft, sondern auch auf die skandalösen Folgen, die sich unvermeidlich ergeben, wenn Staaten die Betreuung und Versorgung von Geflüchteten an private Anbieter auslagern, geflüchtete Menschen also zur reinen Profitquelle werden.

Auch wenn staatliche bzw. gemeinnützige Einrichtungen nicht per se einen humanen Umgang mit Geflüchteten garantieren können (und wollen) – für private Firmen gibt es schlicht keine Anreize, Geld für soziale Leistungen auszugeben. So legt nach Aussage von ORS der Betreibervertrag lediglich fest, dass ORS zwar eine Unterkunft, aber keine Betreuung anbieten muss. Die Berliner Stadtmission, zuvor Betreiber der Unterkunft, hatte dagegen in das soziale Zusammenleben der Menschen investiert (Betreuung von Kindern und traumatisierten Bewohnern durch qualifizierte Sozialarbeiter, Freizeitangebote, Hilfe bei Behördengängen usw.).

Gemessen an dem Bedarf an sozialer Arbeit galt der Standort unter der Leitung von ORS denn auch als personell unterbesetzt. Offenbar, so die SZ, setzte ORS an mehreren Unterkünften in Deutschland so wenig Personal ein, dass die staatlichen Auftraggeber wegen nicht erfüllter Vertragspflichten hohe Summen von den vereinbarten Zahlungen abzogen. Allein die Städte Karlsruhe und Tübingen verhängten demnach insgesamt 35 Vertragsstrafen wegen nicht erfüllter Personalschlüssel. Die Mitarbeiter des Betreibers beklagten sich zudem über die für sie selbst geltenden prekären Bedingungen (Löhne unter Tarif, befristete Verträge).

ORS ist eine Tochtergesellschaft der börsennotierten britischen Serco Group, die nach eigenen Angaben weltweit über fünf Milliarden Euro Umsatz macht: als Dienstleister für Militär und Grenzschutzbehörden, für das Bildungs- und Verkehrswesen, aber eben auch als Betreiber von Gefängnissen und Flüchtlingsunterkünften. In über 20 Ländern aktiv hat sich Serco laut einer australischen Menschenrechtsanwältin zu einem „Schlüsselakteur in der globalen Flüchtlingsindustrie“ (SZ) entwickelt. Vor allem in Australien zählen die Regelungen für Einwanderer und Flüchtlinge zu den weltweit härtesten. Das Land ist berüchtigt für die „Immigration Detention Centres“, jenen Haftanstalten, in denen Asylsuchende und andere Menschen ohne Visa festgehalten werden. Hier in „Down Under“ ist die Kritik an Serco denn auch besonders laut. Für einen ehemaligen Insassen einer von Serco geführten Haftanstalt für Einwanderer ähneln die Einrichtungen einem Hochsicherheitsgefängnis: „Hohe Zäune, Toiletten aus Stahl und festgeschraubte Möbel. Insassen dürften ihnen zugeteilte Bereiche nur zu bestimmten Zeiten verlassen, um auf dem weiteren Gelände zu spazieren. Wer auffällt, könne übergangsweise in videoüberwachte Einzelzellen verlegt werden. Kritiker sprechen von Isolationshaft“. (SZ)

Die zunehmende Bedeutung Sercos wird auch am Beispiel Großbritanniens deutlich. Hier ist der Konzern einer der größten privaten Dienstleister für die öffentliche Hand und hat viele outgesourcte Aufgaben übernommen. Darum gäbe es Leute, so ein britischer Politikwissenschaftler, die meinten, dass Serco heimlich das Land regiere (vgl. SZ).

Seit Ende des letzten Jahres gehört auch der größte deutsche private Betreiber von Flüchtlingsunterkünften, European Homecare (EHC) aus Essen, zum Konzern. Mit nun rund 130 Unterkünften ist Serco damit der wichtigste private Anbieter in Deutschland und verantwortlich für die Unterbringung von etwa 55.000 Geflüchteten. Nach Angaben von SZ und Monitor vergibt Berlin bis Ende 2024 Aufträge ausschließlich an die kostengünstigsten Anbieter, so dass mit einem weiteren Anstieg des Marktanteils von Serco in Deutschland in diesem Sektor zu rechnen ist – zum Nachteil der Geflüchteten und der Mitarbeitenden.

Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Elif Eralp, hält Serco deshalb für ein skrupelloses Unternehmen, „das Sprengköpfe fertigt und Waffen in die ganze Welt verschickt“ (Neues Deutschland). Es könne nicht sein, so Eralp gegenüber der Zeitung, dass ein Rüstungskonzern mit dem Betrieb von Unterkünften für Geflüchtete Geld verdiene, während seine Waffen in ebenjenen Konflikten eingesetzt würden, die Menschen zu Flucht zwängen.

Die Zustände in den privat geleiteten Unterkünften zeigen, wie es um die Bereitschaft der Gesellschaft und des Staates bestellt ist, Flüchtende aufzunehmen und human unterzubringen – oder sie davon abzuschrecken, überhaupt in Erwägung zu ziehen, nach Deutschland kommen zu wollen. Den Tod des jungen Mannes aus Guinea als „bitteres Resultat eines systematischen Versagens“ zu bezeichnen, wie in der Anmoderation des Monitor-Beitrags zu hören, trifft deshalb das Problem nicht. Zuzustimmen ist dagegen Osman Oğuz vom Sächsischen Flüchtlingsrat, der Anfang des Jahres gegenüber der Leipziger Zeitung feststellte:

„Was in diesem weit verzweigten Geschäft ‚gemanagt‘ und mit dem Ziel billigster Effizienz umgesetzt wird, entspricht vielen faschistischen Träumen von Internierung, Vertreibung und Ausbeutung. Ganz im Sinne des Zeitgeistes: nach der Logik eines neoliberalen, transnationalen Unternehmens.“

Quellen:

Yaro Allisat: „Milliardengewinne mit Migration und Krieg: Serco übernimmt Geflüchteten-Unterkünfte auch in Leipzig“, Leipziger Zeitung (Online) vom 16. Februar 2024

https://www.l-iz.de/politik/sachsen/2024/02/milliardengewinne-mit-migration-und-krieg-serco-gefluchteten-unterkunfte-leipzig-577388

Kristiana Ludwig/Till Uebelacker/Lina Verschwele: „Die Firma für Rüstung und Soziales“, Süddeutsche Zeitung vom 3. September 2024

Uta Schleiermacher: „Geschäfte mit dem Krieg“, taz (Online) vom 10. Juli 2024

https://taz.de/Fluechtlingsunterkuenfte-in-Berlin/!6019625/

Till Uebelacker/Andreas Maus: „Zweifelhafter Profit mit Flüchtlingen“, tagesschau.de vom 29. August 2024

https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/fluechtlinge-unterbringung-unternehmen-100.html

Till Uebelacker/Andreas Maus: „Unterversorgt: Geschäfte mit Flüchtlingsunterkünften“, Monitor (ARD) vom 29. August 2024

https://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/unterversorgt-geschaefte-mit-fluechtlingsunterkuenften-102.html

Patrick Volknant: „Rüstungskonzern profitiert von Geflüchtetenunterkünften in Berlin“, Neues Deutschland (Online) vom 18. April 2024

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181591.asylpolitik-ruestungskonzern-profitiert-von-gefluechtetenunterkuenften-in-berlin.html