Victoria Knopp / Reiner Diederich über Glenn Jäger: In den Sand gesetzt. Katar, die FIFA und die Fußball-WM 2022

Dass das Wintermärchen einer Fußball-Weltmeisterschaft zur Adventszeit 2022 im heißen Wüstenstaat Katar mit viel Geld ermöglicht wurde, dafür sprechen Indizien. Schließlich ist in der Welt des Fußballs, der „schönsten Nebensache der Welt“, vieles käuflich – außer den Schiedsrichtern, die ihr Gehalt dafür beziehen, dass sie bei den Spielen als „Unparteiische“ agieren und sich deshalb immer mal wieder beschimpfen lassen müssen. Der Versuch, sie zu bestechen, lohnt nicht, weil unter den Argusaugen der gegnerischen Mannschaft und des Publikums, und mittlerweile auch mit Hilfe des „Videobeweises“ ein betrügerisches Pfeifen schnell an den Tag käme.

Die Beweisführung für korruptive Verstrickungen im ganz großen Fußballgeschäft stellt sich hingegen schwieriger dar. Legale Transaktionen und illegitime Praktiken sind hier manchmal zu einem fast unentwirrbaren Knäuel miteinander verwoben. Oder wie will man es nennen, wenn der Sender Al Dschasira mitten im Bewerbungsverfahren für die WM 2022 der FIFA viele hunderte Millionen Dollar für die Senderechte anbot, für den Fall, dass die Weltmeisterschaft in Katar stattfände? Das berichtete jedenfalls n-tv am 10. März 2019. Dazu muss man wissen, dass Al Dschasira von Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani gegründet wurde, bis 2013 Oberhaupt des ölreichen Zwergstaates Katar. Dieses Angebot widersprach eklatant den Anti-Korruptionsregeln der FIFA.

Schon 2014 lieferte Thomas Kistner in seinem Buch „Fifa-Mafia“ Hintergründe zur WM-Vergabe an Katar. Glenn Jäger setzt die Recherche dazu nun akribisch und äußerst detailreich fort. Neben verschlungenen Geldflüssen, mehr oder weniger offenen Einflussnahmen und horrenden Investitionen des Emirats in den Fußballsport geht es auch um das Konfliktfeld Naher Osten und vor allem um die politischen und kommerziellen Interessen auf allen beteiligten Seiten. Jäger charakterisiert die Zusammenhänge wie folgt:

„Auf der einen Seite eine monarchistische Golfdiktatur, also ein System mit ausgeprägten Feudalstrukturen, das aber zugleich auf finanzkapitalistisches Umschaltspiel setzt. Auf der anderen demokratisch verfasste Staaten, die sich ihrerseits im Zeichen eines Finanzmarktkapitalismus mit schwindender demokratischer Kontrolle in einem tiefgreifenden Wandel befinden. Die teils desaströsen sozialen Verwerfungen auch in den westlichen Industriestaaten selbst sind es, die einen alarmierenden Begriff mehr und mehr auf die Tagesordnung setzen…

Jean Ziegler, ehemaliger Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, hält für die globalen Verhältnisse fest: ‘Wir erleben eine Refeudalisierung der Welt. Und diese neue Feudalmacht trägt das Antlitz der transkontinentalen Privatgesellschaften.’ In seinem viel beachteten Buch ‘Imperium der Schande’ weiß er ‘astronomische Gewinne’ der ‘kapitalistischen Feudalsysteme’ ebenso zu beziffern wie anschauliche Beispiele für ein rabiates Vorgehen der ‘neuen Fürsten’ zu geben. Was sich damit begreifen lässt: Zum ‘neuen Adel’ mag auch der eine oder andere ‘FIFA-Fürst’ gehören, in jedem Fall aber die Vorstandsetagen jener Konzerne, die als bedeutende WM-Sponsoren im globalen Fußballspektakel ein glänzendes Geschäft und neue Absatzmärkte sehen.“ (S. 25)

Dass Katar sich ebenso wie Saudi-Arabien durch Unterstützung dschihadistischer Milizen am Versuch eines militärischen „regime change“ in Syrien beteiligte und ein dankbarer Abnehmer westlicher Rüstungsprodukte ist, war ein weiterer Grund dafür, dass Politiker wie der ehemalige französische Staatspräsident Sarkozy sich für die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an das Emirat einsetzten. Auch die Arbeitsbedingungen auf den aus dem Sand wachsenden Baustellen dort waren für die Profiteure optimal. Es ging um „unermessliche Bauaufträge, die im Vorfeld der WM u.a. deutsche und französische Unternehmen erhielten“ (S. 291). Zwar hatte Franz Beckenbauer bei einem Besuch 2013 „keine Sklaven gesehen“, aber die Todesrate unter den „Gastarbeitern“ aus Indien und anderen Ländern sprach für sich. Inzwischen sind durch internationalen Protest einige Verbesserungen erreicht worden.

Noch in einem anderen Sinn ist die WM in Katar bezeichnend für den gegenwärtigen Stand der Dinge: „Diese WM wird uns einen Blick in eine gar nicht mehr so ferne Zukunft erlauben. Eine Sportveranstaltung wird nicht mehr für die Zuschauer vor Ort, nicht mehr als Bestandteil einer lokalen Kultur, nicht mehr als völkerverbindendes Fest gefeiert und gelebt. Ein globales Sportereignis ist nur noch eine reine Inszenierung, die über die verschiedensten Kanäle (die klassischen TV-Stationen werden die unwichtigsten sein) in die ganze Welt verbreitet wird. Als gewaltige Vergnügungs-, Werbe- und Geldmaschine.“ („Fußballkultur in Katar?“, www.watson.de, 10. März 2019) Glenn Jäger beschreibt in seinem Buch, wie diese Inszenierung derzeit vorbereitet wird.

Was könnte gegen „mafiöse Geschäfte im internationalen Fußball“ und „kaum noch zu durchschauende Netzwerke“ getan werden? Der Autor schlägt vor: „Für die heutige Zeit wäre dafür eine Unterstellung der FIFA unter die Vereinten Nationen (…) durchaus hilfreich“ (S. 295). Nach den unzureichenden Versuchen zur inneren Reform wäre das ein Schritt zu einer möglichen demokratischen Kontrolle der FIFA und zu ihrer Entflechtung von den Interessen multinationaler Unternehmen. Auch solle keine Fußball-WM mehr an ein Land vergeben werden, das in den letzten zehn Jahren einen Angriffskrieg führte oder ihn aktiv unterstützte. „2006 hätte demnach keine WM in Deutschland ausgetragen werden können, und wäre ihre Vergabe noch so sauber gewesen“ (S. 297). Die „eigentliche Baustelle“, meint Jäger, sei aber die herrschende neoliberale Politik. Jede noch so kleine lokale Initiative gegen sie und ihre schädlichen Auswirkungen sei wichtig. Das Buch endet mit der Aufforderung: “Das Spiel zurückzuholen, ist an uns. Unbenommen: Der Weg ist weit zu einem neuen Gesang. Gehen wir gleich.“

Glenn Jäger:

In den Sand gesetzt. Katar, die FIFA und die Fußball-WM 2022
PapyRossa Verlag, Köln 2018
311 Seiten, 16,90 Euro
ISBN: 978-3-89438-662-7