Immobilienkonzerne unterlaufen Mietregulierung

Seit über vier Jahren gilt mittlerweile das Gesetz zur Mietpreisbremse. Sie legt fest, dass die Wohnungsmiete bei einer Neuvermietung maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Der Berliner Mieterverein geht nach eigenen Recherchen allerdings davon aus, dass große Wohnungsunternehmen wie Vonovia und Deutsche Wohnen mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin gegen die Regulierung verstoßen. Der Verein hatte zuletzt am Beispiel zahlreicher Wohnungen in verschiedenen Berliner Bezirken herausgefunden, dass die beiden größten deutschen börsennotierten Immobilien AGs bei Neuvermietungen mehr Geld verlangen als gesetzlich erlaubt. Beide Unternehmen sind aktuell bemüht, gegen ihr stark ramponiertes Image in der Öffentlichkeit anzugehen. Neben einer Vielzahl von Mieterprotesten in der Vergangenheit setzen ihnen zurzeit die von Berlin ausgehende Enteignungsdebatte sowie die Diskussionen um den Berliner „Mietendeckel“ stark zu. Die Deutsche Wohnen hatte deshalb jüngst eine eigene zeitlich befristete Mieten-Obergrenze angekündigt (keine Mieterhöhung, wenn ein Haushalt mehr als 30 Prozent seines Nettoeinkommens für die Nettokaltmiete aufwenden muss). Vonovia will der Kritik unter anderem mit einer Wohngarantie für Mieter ab 70 Jahren und einer Begrenzung der Mieterhöhung nach Modernisierungen entgegentreten (maximal zwei Euro pro Quadratmeter). Die Meldung über den angenommenen Mietenbetrug kommt ihnen deshalb sehr ungelegen. Beide Konzerne wiesen den Vorwurf der systematischen Missachtung gesetzlicher Vorschriften umgehend zurück.

 

Quellen:

Berliner Mieterverein: „Vonovia und Deutsche Wohnen. Massive Verstöße gegen die Mietpreisbremse“, Pressemitteilung Nr. 26/2019

https://www.berliner-mieterverein.de/presse/pressearchiv/vonovia-und-deutsche-wohnen-pm1926.htm

 Nicolas Šustr, „Für Mieter wird nicht gebremst“, in: Neues Deutschland, 12. Juli 2019

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1122803.mietpreisbremse-fuer-mieter-wird-nicht-gebremst.html?sstr=vonovia

 

 

 

Massiver Wirtschaftsbetrug: Millionen weiterhin um Mindestlohn geprellt

Vor fünf Jahren (am 3. Juli 2014) stimmte der Bundestag dem „Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG)“ zu. Mit Wirkung zum 1. Januar 2015 wurde damit in Deutschland eine gesetzliche Lohnuntergrenze eingeführt. Damals betrug er 8,50 Euro brutto pro Stunde, derzeit liegt er bei 9,19 Euro. Verdi und DGB gehen jedoch davon aus, dass bis zu 2,9 Millionen Menschen um ihren Mindestlohn betrogen werden.

Nach Angaben des DGB-Vorsitzenden für Berlin und Brandenburg, Christian Hoßbach, sind zwar viele Menschen als Teilzeitbeschäftigte oder Minijobber*innen angemeldet, arbeiten aber tatsächlich viel länger und bekommen „dafür dann irgendwas Cash auf die Hand“. Hoßbach zufolge wird der Mindestlohn oft umgangen, da Arbeitszeiten nicht vollständig erfasst werden. Im Hotel- und Gaststättengewerbe seien die Verstöße besonders zahlreich. Der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) für Berlin und Brandenburg, Sebastian Riesner, bestätigt diese Einschätzung. Im Bereich der Zimmerreinigung in den Hotels würden die Kolleginnen anstelle eines Stundenlohns den sogenannten Stücklohn bekommen, also pro gereinigtem Zimmer bezahlt werden, wobei der gesetzliche Mindestlohn unterschritten werde. 

Aber auch der aktuelle Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde ist nicht existenzsichernd und reicht selbst nach einem langen Erwerbsleben nicht für eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus. Arbeitsmarktexperte Thorsten Schulten von der Hans-Böckler-Stiftung warnt deshalb vor dem wachsenden Niedriglohnsektor in Deutschland. „Wir gehen davon aus, dass etwa knapp ein Viertel aller Beschäftigten in diesem Niedriglohnsektor* arbeitet. Daran hat jetzt auch der Mindestlohn wenig geändert, weil er eben noch relativ niedrig festgelegt ist.“ Die Hans-Böckler-Stiftung empfiehlt eine Anhebung auf 12,63 Euro pro Stunde.  

*Anmerkung: Die Niedriglohnschwelle liegt zurzeit bei 10,60 Euro.

 Quelle:
rbb-Inforadio, 3 Juli 2019
vgl. auch: „Der Mindestlohn wird millionenfach umgangen“, in: BIG 1/2018
http://bcc.businesscrime.de/?s=mindestlohn

 

 

 

 

Tag der Immobilienwirtschaft

 

Unter dem Motto „Miteinander statt gegeneinander“ fand am 27. Juni 2019 in Berlin der jährliche Immobilientag des Zentralen Immobilienausschusses (ZIA) statt. Der ZIA ist der wichtigste Lobbyverband der Branche und bündelt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung. Nach eigener Aussage spricht er für insgesamt 28 Verbände und 37.000 Unternehmen. Der ZIA betont in seiner Selbstdarstellung seine kapitalmarktorientierte Ausrichtung und teilt mit, dass er mit seinen Mitgliedsunternehmen die gesamte Wertschöpfungskette der Immobilienwirtschaft abbildet und diese mit Vertreter*innen von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft vernetzt (vgl. auch BIG Extra, Mai 2019, Seite 19-21).

Als prominente Gäste der Veranstaltung traten deshalb auch in diesem Jahr verschiedene Spitzenpolitiker*innen auf: Svenja Schulze (SPD, Bundesumweltministerin), Andreas Scheuer (CSU, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur), Ralph Brinkhaus (CDU-Fraktionschef im Bundestag), Christian Lindner (FDP-Fraktionschef im Bundestag), Marco Wanderwitz (parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium) und Oliver Wittke, parlamentarischer Staatssekretär, in Vertretung für den verhinderten Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).

Über 2.000 „Entscheider*innen“ nutzten die Gelegenheit, ihre Kontakte mit Vertreter*innen aus Politik und Wirtschaft zu intensivieren. Einigkeit bestand weitgehend darin, dass bereits vorsichtige staatliche Regulierungsversuche Investoren abschrecken und sich negativ auf die Stadtentwicklung auswirken würden. In seiner Eröffnungsrede spottete denn auch ZIA-Präsident Andreas Mattner (CDU) darüber, dass „in der ehemaligen Hauptstadt der DDR wieder über Enteignung und Mietendeckel gestritten“ werde. Zugeben musste er jedoch, dass sich das Image der Branche in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert hat. Als Reaktion auf diese Verschlechterung ist zu werten, dass Mattner die Bedeutung der Immobilienwirtschaft für die Erreichung der Klimaziele der Bundesregierung unterstrich. Nur durch die energetischen Gebäudesanierungen seien die gemeinwohlorientierten Ziele überhaupt erreichbar. Dass in der Konsequenz dieser Sanierungen dann zum Teil exorbitante und profitmaximierende Mietpreissteigerungen anfallen, verschwieg der Oberlobbyist.

Der Immobilientag demonstriert Jahr für Jahr den engen Schulterschluss zwischen dem Spitzenverband der gesamten Immobilienwirtschaft und der Bundes-, Länder- und Kommunalpolitik. Folgt die Politik ausnahmsweise mal nicht den „Empfehlungen“ der Immobilienlobby beispielsweise hinsichtlich Steuerrecht und Vereinfachung bei Planungs- und Baugenehmigungsverfahren, wird eine schärfere Ansprache gewählt und die „Systemrelevanz“ betont. So zeigte sich ZIA-Präsident Mattner jüngst einmal mehr verärgert: „Es scheint aus dem Blick geraten zu sein, dass die Politik auf die Akteure aus der Wirtschaft angewiesen ist, will sie die Herausforderungen stemmen.“ (Vorwort zum Frühjahrsgutachten 2019 des Rats der Immobilienweisen)

Mit Blick auf die Regelung des sogenannten Berliner Mietendeckels (keine Mieterhöhungen für die Dauer von fünf Jahren und für nicht preisgebundene Wohnungen) hatte der ZIA bereits zuvor von einem „fatalen Signal“ gesprochen (Pressemitteilung vom 6. Juni 2019). Niclas Karoff, Sprecher der ZIA-Region Ost, führte die üblichen Argumente der Immobilienwirtschaft an: Potenzielle Investoren würden verschreckt, Modernisierungen von Bestandswohnungen verhindert und als dessen Folge mehr Wohnungen verwahrlosen. Zudem hatte ein Staats- und Verfassungsrechtler in einem vom ZIA in Auftrag gegebenen Gutachten sowohl Verstöße gegen die Berufsfreiheit gewerblicher Vermieter als auch gegen die grundgesetzlich gewährleistete Vertragsfreiheit der Mietvertragsparteien festgestellt. Dem Land Berlin fehle auch die entsprechende Gesetzgebungskompetenz.

ZIA-Vertreter Karoff forderte deshalb den Berliner Senat auf, „sich ebenso gesetzeskonform zu verhalten, wie er dies beispielsweise auch von den Wohnungsunternehmen verlangt“. Die skurrile Aussage stammt nun ausgerechnet von einem Lobbyisten, dessen Branche aus Gründen der Renditeorientierung von wirtschaftskriminellen Handlungen durchsetzt ist (vgl. auch BIG Extra, Mai 2019, Seite 33-35). Präsident Mattner wiegelte in Erwartung entsprechender Vorwürfe bei seinem Eröffnungsvortrag des Immobilientags vorsorglich ab: Nur wenige „schwarze Schafe“ in der Branche seien identifizierbar, die Mehrheit verhielte sich „verantwortungsvoll“.

Nach außen Unzufriedenheit mit der Politik zu dokumentieren, gehört zum Lobbygeschäft. Der Auftritt des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Ralph Brinkhaus, beim Tag der Immobilienwirtschaft zeigte hingegen die tatsächlich symbiotische Beziehung von Politik und Wirtschaft. In seinem Grußwort zu Beginn der Veranstaltung bekannte er sich geradezu euphorisch zur Marktwirtschaft, gefolgt von einer unmissverständlichen Absage an alle „Verstaatlichungsphantasien“.

Joachim Maiworm lebt in Berlin und ist aktiv in der Berliner MieterGemeinschaft.