Protest gegen Klinikschließungen

Das Handelsblatt konstatierte in der Ausgabe vom 20. Januar 2023, Deutschland habe „viele Kliniken und oft mittelmäßige Qualität bei enormen Kosten“. Das deutsche Krankenhaussystem schaffe es, gleichzeitig „Über- und Unterversorgung zu produzieren“. Das kürzlich vorgestellte und planmäßig ab 2024 in Kraft tretende Reformpaket, welche das bisher gültige System von Fallpauschalen zurückdrängen soll, stoße jedoch schon heute auf heftige Kritik. Das Blatt zitiert den Vorstandsvorsitzenden des kirchlichen Klinikbetreibers Agaplesion: „Durch die Reform werden in vielen Kliniken wichtige Abteilungen schließen müssen.“ Wie das Handelsblatt an anderer Stelle schreibt, beträfe ein solcher Abbau 17 der 20 von Agaplesion betriebenen Kliniken

Wie das Handelsblatt weiter schreibt, wird als Vorbild für die in Deutschland angestrebte Gesundheitsreform Dänemark genannt. Unser nördliches Nachbarland musste eine solche Reform schon seit Jahren über sich ergehen lassen. Demnächst soll es nur noch 18 über das Land verteilte hochspezialisierte Klinikzentren geben. Ähnliche Vorstellungen werden für das deutsche Gesundheitssystem schon seit längerer Zeit diskutiert.

Der Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB), der schon seit langer Zeit gegen die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur kämpft, gehört zu den wenigen Organisationen, die auch während der Covid-19-Restriktionen die Gesundheitspolitik der derzeitigen Regierung kritisierte. In seinem Fadenkreuz stand insbesondere die ungeachtet der Pandemie weiter betriebene Demontage von Kliniken und anderer öffentlicher Gesundheitseinrichtungen – seit 2020 mussten in Deutschland 40 Krankenhäuser schließen, davon 13 allein im Jahr 2022. Laut dem kürzlich erschienenen neuen Bulletin des vom GiB initiierten „Bündnis Klinikrettung“ sind derzeit 74 Kliniken akut von Schließung bedroht. 657 Krankenhäusern drohe außerdem die Herabstufung zu Pflegeeinrichtungen. Wie es im Bulletin weiter heißt, sei die Reduktion von Standorten und somit die Schließung von Kliniken politisch gewollt: „Auch die am 6. Dezember 2022 vorgestellte Reform zielt darauf ab, die Krankenhauslandschaft umzubauen und die Zahl der Krankenhäuser zu dezimieren. Prof. Dr. Augurzky, einer der Urväter der Reform, bezifferte die Zahl der zu schließenden Kliniken auf 20 Prozent.“

In einem anderen Beitrag des Bulletins werden die Ergebnisse der Reform in Dänemark kritisch untersucht. Seit 2007 hat man dort die Zahl der Krankenhäuser wesentlich reduziert, um sie durch die angestrebten „Superkrankenhäuser“ ersetzen zu können. Von den geplanten Riesenkliniken wurden aber nur wenige termingerecht fertiggestellt – gleichzeitig explodierten die Kosten. „Aufgrund steigender Baukosten und erheblicher Pannen sind enorme Mehrkosten für die öffentliche Hand entstanden. Bisher hat die unvollendete Reform fast sechs Milliarden Euro verschlungen, und das in einem Land mit nur 5,9 Millionen EinwohnerInnen. Die gestiegenen Kosten verursachen Sparzwänge beim Krankenhausbetrieb, die Arbeitsbelastung des Personals erhöht sich. Der Kahlschlag der Krankenhäuser hat Dänemarks  Gesundheitsversorgung verschlechtert. Besonders in strukturschwachen Regionen müssen die Menschen nun lange Wege zurücklegen, um versorgt zu werden, da es weder nahegelegene Krankenhäuser noch genügend Arztpraxen gibt. Auf dieses Szenario steuert auch Deutschland zu (…).“

Quellen:

Bündnis Klinikrettung: „Die Zeit ist reif. Wo bleibt die Revolution? “ (Sonderveröffentlichung gegen Klinikschließungen)

https://www.gemeingut.org/die-zeit-ist-reif-wo-bleibt-die-revolution-die-neue-zeitung-vom-buendnis-klinikrettung/

Jürgen Klöckner/Maike Telgheder: „Warum Deutschland viel zu viele Kliniken hat – und die Notaufnahmen trotzdem überfüllt sind“, Handelsblatt (Online) vom 20. Januar 2023

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/krisengebiet-klinik-warum-deutschland-viel-zu-viele-kliniken-hat-und-die-notaufnahmen-trotzdem-ueberfuellt-sind/28931386.html

 

Lahmes staatliches Engagement gegen Finanzkriminalität

Ende August 2022 hatte Finanzminister Lindner (FDP) angekündigt, eine neue Bundesbehörde zur Bekämpfung der Finanzkriminalität aufzubauen. Neben einem neuen Bundesfinanzkriminalamt soll die Financial Intelligence Unit (FIU), bislang beim Zoll angesiedelt, dazu gehören. Damit reagierte der Minister auf die zunehmende Kritik an der Vielzahl unbearbeiteter Verdachtsfälle bei der obersten Geldwäschebehörde. Wohl auch deshalb gab Mitte Dezember des letzten Jahres FIU-Chef Christof Schulte sein Amt auf – wenn auch offiziell aus persönlichen Gründen. Schulte stand wegen einer Reihe von Pannen schon länger unter Druck. Er hatte sein Amt erst im Herbst 2018 angetreten, um die Behörde in ruhige Bahnen zu lenken – offensichtlich ohne Erfolg. Die angekündigte grundlegende Reform der FIU aber lässt weiter auf sich warten.

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) beschreibt in ihrer Ausgabe vom 3. März 2023 Aufgaben und Versagen der FIU: 

„Die Behörde fungiert als Sammel- und Verteilstelle aller Verdachtsmeldungen zu Geldwäsche und Terrorfinanzierung in Deutschland. Banken, Finanzdienstleister, Makler, Juweliere, Notare und viele andere Güterhändler sind verpflichtet, verdächtige Zahlungen von Kunden an die FIU zu melden. Die Behörde sortiert dann aus und schickt die dringendsten Fälle an die Landeskriminalämter zur Ermittlung. Soweit die Theorie.

In der Praxis aber sieht es anders aus: Die FIU ist nicht mehr auf die Beine gekommen, seit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Behörde 2017 entgegen allem fachlichen Ratschlag vom Bundesfinanzkriminalamt zum Zoll verlegte, wo allerdings die Kompetenz völlig fehlte. Der vorläufige Tiefpunkt: 2018 verbummelten es FIU-Mitarbeiter Verdachtsmeldungen der Commerzbank weiterzugeben, die sich gegen die mittlerweile bankrotten Finanzkonzern Wirecard gerichtet hatten. Es war eine von vielen verpassten Chancen, den bislang wohl schlimmsten Betrugsfall der deutschen Wirtschaftsgeschichte früher auffliegen zu lassen.“

Mittlerweile, so die SZ weiter, sitze die Behörde auf rund 290.000 unbearbeiteten Verdachtsfällen. Gesetzlich sei zwar geregelt, dass Banken innerhalb von Tagen verdächtige Zahlungen melden müssten, aber nicht, wie schnell die FIU die Meldungen zu bearbeiten hätte. In einem großen Rückstau befände sich auch eine vierstellige Zahl von Meldungen ausländischer Behörden, die die FIU nur an die Landeskriminalämter hätte weiterleiten müssen. Doch selbst das sei nicht geschehen. „Die Versäumnisse sind so gravierend“, schreibt die SZ, „dass die Staatsanwaltschaft Osnabrück seit Jahren sogar wegen des Verdachts auf Strafvereitelung im Amt ermittelt. Die FIU, die damals noch dem von SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz geleiteten Ministerium untergeordnet war, soll Hinweise auf mutmaßliche Terrorfinanzierung zu spät oder gar nicht an Behörden weitergereicht haben.“

Bis zum Frühjahr 2023 möchte die FIU die Bearbeitungsrückstände nun abarbeiten. 149 zusätzliche Beschäftigte aus anderen Bereichen der Zollverwaltung sollen dafür eingesetzt werden. Personen, die an ihren angestammten Plätzen fehlen werden und zunächst mehrere Monate für ihre Aufgaben geschult werden müssen.  Ihr Auftrag  hat es in sich: „Mafiöse Organisationen, Diktatoren, autokratische Geheimdienste, Oligarchen und Kleptokraten waschen in Deutschland etwa 100 Milliarden Euro – aus ihren kriminellen Geschäften mit Menschen, Drogen, Waffen und Umweltzerstörung.“ Die Wahrscheinlichkeit bleibt groß, dass die Kreise der Finanzkriminellen weiterhin kaum gestört werden.

Quellen:

Meike Schreiber/Marku Zydra: „Eine Behörde versinkt im Chaos“, Süddeutsche Zeitung vom 3. März 2023

Dietmar Neuerer: „Nach Rücktritt des Chefs der Anti-Geldwäsche-Einheit: Lindner gerät unter Handlungsdruck“, Handelsblatt (Online) vom 16. Dezember 2022 

Cum-Ex-Steuerskandal: Ehemaliger Justizminister gegen verschleppte Aufklärung

„Die Aufklärung des größten deutschen Steuerskandals Cum-Ex wird von einem beispiellosen Justizeklat erschüttert“, schreibt das Handelsblatt am 10. März 2022. Danach hat der ehemalige nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Leiter der Kölner Staatsanwaltschaft und dessen Stellvertreter eingereicht. Nach Auffassung des Ex-Ministers werde das Verfahren von der zuständigen Strafverfolgungsbehörde ausgebremst. Denn die Verantwortlichen hätten die Cum-Ex-Abteilung mit zu wenig Personal und Ressourcen ausgestattet. Biesenbach sehe deshalb die Gefahr einer „Strafvereitelung im Amt“. Einzelne Ermittlungen würden so lange dauern, dass Beschuldigte wegen der langen Verfahren mit niedrigeren Strafen davonkommen könnten. Zudem kritisiere Biesenbach, dass er in seiner Amtszeit der Staatsanwaltschaft zusätzliche Ermittler geradezu hätte aufdrängen müssen.*

Wie das Handelsblatt weiter schreibt, weist sein Nachfolger, der jetzige NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne), die Vorwürfe zurück. Aus dessen Sicht bestünden auch mit Blick auf die zeitlichen Abläufe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft Köln in zu geringem Umfang Anklagen erheben würde. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Köln würde sich hingegen zu den Vorwürfen nicht äußern wollen.

Zum aktuellen Stand und zur Genese der juristischen Aufarbeitung schreibt das Handelsblatt:

„Die Staatsanwaltschaft Köln gilt als mit Abstand wichtigste Aufklärungsbehörde in dem Fall: 117 der bundesweit etwa 130 bekannten Cum-Ex-Verfahren werden in der Domstadt geführt. 1592 der mehr als 1700 Beschuldigten stehen in Akten mit einem Stempel aus Köln. Als Peter Biesenbach Mitte 2017 Justizminister einer schwarz-gelben Koalition in Düsseldorf wurde, fragte er nach, wer die Ermittlungen in Sachen Cum-Ex vorantreibe. Als Antwort fiel nur ein Name: Anne Brorhilker. Die Oberstaatsanwältin und ihr Team klagten rund ein Dutzend Personen an. Es gibt vier Strafurteile. Der Bundesgerichtshof hat alle Urteile bestätigt, die ihm zur Überprüfung vorlagen. (…)

Im Herbst 2019 waren für 56 Verfahrenskomplexe mit mehr als 400 Beschuldigten 4,7 Stellen im Kölner Personalplan reserviert. (…) Es sei schon ganz richtig gewesen, den größten Steuerskandal Deutschlands mit einer minimalen Personalstärke anzugehen, erklärte Oberstaatsanwalt Torsten Elschenbroich. Die Fälle seien komplex. Es hätte daher ‚nichts gebracht, wenn zehn Staatsanwälte Akten gewälzt hätten, ohne zu wissen, wonach sie suchen sollten‘. (…) Nicht jeder verstand diese Logik. Biesenbach jedenfalls verkündete eine Verdoppelung der Cum-Ex-Ermittlertruppe und versprach ‚Anklagen im Akkord‘. Das zuständige Landgericht Bonn war gewappnet. Gerichtspräsident Stefan Weismann sagte: ‚Wir sind in der Lage, in der Spitze bis zu zehn Strafkammern für Cum-Ex-Verfahren zu eröffnen und mehrere Hauptverhandlungen parallel zu führen.‘“

Biesenbach, so das Handelsblatt, steigerte die Zahl der Cum-Ex-Planstellen auf 36, beförderte Brorhilker zur Hauptabteilungsleiterin und unterstellte ihr im Frühjahr 2021 eine eigene Einheit, die Hauptabteilung H. Die arbeite laut Biesenbach aber offensichtlich nicht so wie gedacht. Längst nicht alle Planstellen seien besetzt, viele der Ermittler hätten kaum Berufserfahrung. Nach Anweisung des Behördenleiters Roth sollte die Cum-Ex-Hauptabteilung statt ausschließlich den Steuerskandal zusätzlich noch Corona-Betrugsfälle bearbeiten: „So können sich die Cum-Ex-Beschuldigten zurücklehnen, auch in nächster Nachbarschaft zu den Ermittlern.“ (Handelsblatt)

Nach Angaben der Zeitung hätten die Ermittelnden in der Cum-Ex-Abteilung in Köln im Durchschnitt je zwei bis drei große Fälle auf dem Tisch, oft internationale Komplexe mit Dutzenden von Verdächtigen. Bei der WestLB sei eine Anklage frühestens 2024 zu erwarten. Dann würden deren Taten bis zu 19 Jahre zurückliegen. Ex-Justizminister Biesenbach initiiere deshalb einen „fast einmaligen Vorgang“ (Handelsblatt):  Eine Dienstaufsichtsbeschwerde eines (Ex-)Justizministers gegen einen Oberstaatsanwalt einzuleiten mit dem Ziel, insbesondere die personellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass in den komplexen und umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren angemessen ermittelt werden kann.

Justizminister Limbach rechnet derweil damit, dass die Cum-Ex-Ermittlungen noch 15 Jahre in Anspruch nehmen werden. „Als das Landgericht Bonn im Dezember 2022 den Steueranwalt Hanno Berger verurteilte, rechnete der Richter Roland Zickler ihm vor: ‚Ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung beginnt bei 50.000 Euro. Sie haben die Schwelle um mehr als das 5.000-Fache überschritten.‘ Berger erhielt aber nicht die Höchststrafe von fünfzehn Jahren Haft, sondern acht. Einer der Gründe für Strafmilderung: die vielen Jahre, die zwischen Tat und Urteil lagen.“ (Handelsblatt)

Der Journalist Volker Votsmeier kommentiert für das Handelsblatt:

„Wir schreiben das Jahr 2038. Die Staatsanwaltschaft Köln schließt ihre letzte Cum-Ex-Akte. 25 Jahre sind seit dem Beginn der Ermittlungen im größten Steuerskandal der Republik vergangen. Die Taten liegen teils 33 Jahre zurück. Dieses Szenario ist kein Fiebertraum eines Angeklagten, sondern offizielle Erwartungshaltung der Justiz. Nordrhein-Westfalens Justizminister Benjamin Limbach hat gerade mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft für ihre 117 Verfahren noch 15 Jahre veranschlagt. 90 Prozent der Cum-Ex-Verfahren liegen in Köln. Die große Zeitspanne ist ein Armutszeugnis. (…)

Cum-Ex war organisierte Kriminalität auf ihrer höchsten Entwicklungsstufe. Daran gibt es keine juristischen Zweifel. Der Bundesgerichtshof, der Bundesfinanzhof und das Bundesverfassungsgericht haben Cum-Ex-Geschäfte allesamt als illegal verurteilt. Alle Strafverfahren endeten in Schuldsprüchen. Alle überprüften Urteile wurden vom Bundesgerichtshof bestätigt. (…)

Es ist eine Schande, dass der Staat nicht alles dafür tut, in dem Milliardenskandal schneller zu ermitteln. Ein Scheitern der Aufklärung hilft nicht nur den Beschuldigten. Es untergräbt auch das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat. Das ist schon brüchig genug.“

* Vgl. auch BIG-Nachricht vom 27. Januar 2023 und BIG-Artikel vom 19. Dezember 2022

Quellen:

Julia Leonhardt/Sönke Iwersen/Volker Votsmeier: „Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Chef der Kölner Staatsanwaltschaft“, Handelsblatt (Online), 10. März 2023

Volker Votsmeier: „Die Cum-Ex-Aufarbeitung ist ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat“, Handelsblatt (Online) vom 10. März 2023